W&F 2024/3

Jörn Leonhard (2023): Über Kriege und wie man sie beendet. Zehn Thesen. München: C. H. Beck, ISBN 978-3-4068-0898-2, 208 S., 18 €.

Abb. Buch

Der Historiker Jörn Leonhard hat ein gut lesbares Buch über den Krieg geschrieben. Das Bemerkenswerte daran ist, dass er nicht auf einen bestimmten Krieg fokussiert und versucht, diesen bis ins kleinste Detail auszuleuchten und zu erklären. Vielmehr wagt er sich an die Synthese einer Vielzahl von Kriegen, um das Ende von Kriegen thesenhaft in einem Zehn-Schritt zu beleuchten.

Trotz einzelner Exkurse in die Vormoderne, etwa zu den Punischen Kriegen oder dem Siebenjährigen Krieg, landet der Autor bei genauerem Hinsehen für seine Analysen und Schlussfolgerungen immer wieder bei den Kriegen des 19. und 20 Jahrhunderts, besonders den Napoleonischen Kriegen, den beiden Weltkriegen sowie den Kriegen in Korea und Vietnam. Es handelt sich somit um zehn Thesen zur Beendigung moderner Kriege aus westlicher Perspektive.

Die Fokussierung auf Kriege des 19. und vor allem 20. Jahrhunderts ist gut begründbar, nicht nur mit Leonhards eigenen Forschungsschwerpunkten, sondern auch, weil sie sich ihrem Wesen nach und in ihren Rahmenbedingungen stark von Kriegen früherer Epochen unterscheiden. Allerdings werden die mentalen, kulturellen, sozialen und technischen Veränderungen, die diese Schwerpunktsetzung nahelegen, eher beiläufig erwähnt ohne deutliche Abgrenzung von den antiken oder frühneuzeitlichen Beispielen, die der Autor dennoch immer wieder heranzieht. Dies gilt beispielsweise für die Beobachtung, dass die von Leonhard als „historische[s] Verlaufsmuster von Waffenstillstand, Präliminarfrieden und Definitivfrieden“ beschriebenen Elemente, die ab dem 17. Jahrhundert Kriegsende definierten, im 20. Jahrhundert nach und nach verschwanden (S. 109). Statt mehr oder minder impliziten Vergleichen wäre eine Diskussion der (epochalen) Brüche interessant gewesen. Was hat sich (fundamental) geändert und wie beeinflussen diese Veränderungen das Kriegsende? Eine solche Reflexion wäre umso wünschenswerter gewesen, da das Buch nicht in erster Linie für Fachhistoriker*innen geschrieben wurde.

Leonhard möchte Kriegsende als Prozess verstanden wissen, nicht als Zeitpunkt (S. 10-11). Diesen Prozess beschreibt er in zehn Thesen, die das Buch strukturieren, und jeweils auf etwa 15-17 Seiten, ausgehend von historischen Beispielen. Durch didaktische Exemplifizierung gelingt es dem Autor, den Inhalt seiner jeweiligen Thesen zu veranschaulichen und ein Bewusstsein zu schaffen für die Schwierigkeiten, Kriege zu beenden. Wann und wie Kriege enden können, wird laut Leonhard von zahlreichen Parametern beeinflusst: dem Charakter des Krieges ebenso wie dessen Dauer oder die Ressourcenversorgung und das (fehlende) Vertrauen zwischen den Kriegsparteien, um nur einige zu nennen. Die Vielzahl der vom Autor referierten Beispiele zeigt auch, dass es das eine Kriegsende nicht gibt, sondern die Beendigung von Kriegen ebenso vielfältig und individuell ist wie Kriege und deren Verlauf selbst.

Kriegsenden, wie sie Leonhard diskutiert, sind allerdings nicht gleichzusetzen mit Frieden. Am deutlichsten benennt das die neunte These: «Doing peace» Wenn die Verträge unterschieben sind, beginnt die Arbeit am Frieden (S. 157-171). Dennoch verwendet der Autor keinen klar definierten Friedensbegriff. Zum einen verweist er auf konkrete Friedensverträge, zum anderen beschreibt er Friedensprozesse. Wo die Übergänge zwischen Krieg, Kriegsende und Frieden(-sprozess) verlaufen, bleibt unbehandelt, wäre aber gerade bei der dem Buch immanenten Unterscheidung von Kriegsende und Frieden von Relevanz. Zumal diese Frage auch in der wissenschaftlichen Diskussion der vergangenen Jahre Aufmerksamkeit erfahren hat. Etwa bei der Tagung »Wendepunkte«, die 2018 in Osnabrück abgehalten wurden und nach Übergängen zwischen Kriegs- und Friedenszuständen gefragt hat.1 Es wird dennoch deutlich, dass das Ende eines Krieges den nachfolgenden Frieden, ob als Vertrag gedacht oder Prozess, beeinflusst und im schlimmsten Fall sogar „überfordern“ kann wie nach dem Ersten Weltkrieg (S. 139-156). Trotz dieses Schlusssatzes und der regelmäßigen Bezugnahme auf das Verhältnis von Kriegsende und nachfolgendem Frieden unterbleibt ein Anknüpfen an die Wissensbestände der Historischen Friedens- und Konfliktforschung. Vielmehr bewegt sich Leonhard ausschließlich im Bereich der Militärgeschichte.

Wünsche an ein Buch zu äußern, ist leichter, als eines zu schreiben. Trotz dieser Kritik ist Leonhard ein faktengesättigter und klug strukturierter Diskussionsbeitrag gelungen. Zudem schafft er es ausgezeichnet, Ergebnisse geschichtswissenschaftlicher Forschung und ihre gesellschaftliche Relevanz für ein breites Publikum zu formulieren. Dabei nimmt er bewusst Abstand vom Diktum der Geschichte als Lehrmeisterin. Er verwahrt sich explizit dagegen, „die aktuellen Krisen […] an die Geschichte zu delegieren“. Denn „Geschichte wiederholt sich nicht, und sie liefert auch keine Blaupausen für Entscheidungen“ (S. 17). Statt der Präsentation von historischen Lösungen für Gegenwartsprobleme liest sich Leonhards Darstellung als eine Einladung zur Analyse, die helfen kann, Herausforderungen der Gegenwart durch Vergleiche mit der Vergangenheit einzuordnen und (besser) zu verstehen. Anhand historischer Beispiele gelingt es dem Autor, Bewusstsein für die Komplexität von Kriegsenden zu schaffen. Eine solche Einsicht ist angesichts der anhaltenden Konflikte der Gegenwart alltagstauglich und notwendig, um Erwartungen an Politik und Friedensfindung nicht zu überfordern.

Anmerkung

1) Konzept und Ausrichtung der Tagung kann unter wendepunkte.uni-osnabrueck.de eingesehen werden.

Dorothée Goetze

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/3 Widerstehen – Widersetzen, Seite 55–56