UN-Zukunftspakt
Hoffnungsschimmer für den Frieden?
von Martina Fischer
Beim UN-Zukunftsgipfel in New York haben 143 Staaten einen Reformplan gebilligt. Der Zukunftspakt ist völkerrechtlich nicht verbindlich. Er enthält dennoch ein deutliches Plädoyer für die Stärkung des Multilateralismus und Ansätze für die friedenspolitische Weiterentwicklung des UN-Systems. Das Abkommen wurde von Deutschland und Namibia erarbeitet. Ein Änderungsantrag, den die russische Delegation in letzter Minute einbrachte, wurde zurückgewiesen. Schließlich distanzierten sich Russland und einige seiner Verbündeten von dem Dokument. Welche Hoffnungen können dennoch daraus abgeleitet werden?
Schon 2021 setzte UN-Generalsekretär Guterres die Idee für einen Zukunftsgipfel auf die Agenda, mit dem Ziel, das multilaterale System handlungsfähiger zu machen, und den weltweiten humanitären Herausforderungen (Kriegen, Klimawandel, Pandemien, Armut, Globalisierung und Digitalisierung) besser gerecht zu werden. Zwei Jahre später legte er eine Reihe von Policy Briefs vor. Einer davon trägt den Titel »New Agenda for Peace« (United Nations 2023), anknüpfend an die von Boutros-Ghali 1992 und 1995 vorgelegte »Agenda für den Frieden«. Doch die Vorbereitung des Gipfels wurde spätestens ab 2022 von massiven Auseinandersetzungen über die Bewertung aktueller Gewaltkonflikte überschattet. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine und die eskalierende Gewalt in der Nahostregion spalteten die Mitgliedstaaten. Manche UN-Expert*innen fragten sich daher, ob der Zeitpunkt für den Gipfel günstig wäre. Dazu wurde in den Thinktanks kontrovers diskutiert (vgl. bspw. Gowan 2024, Rosenow 2024). Guterres jedoch hielt an der Idee fest, um die multilaterale Kooperation wiederzubeleben und starke Impulse für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und der Sustainable Development Goals (SDG) zu erzeugen.1
Der Reformplan, der am 22.9.2024 unter dem Titel »Pact for the Future, Global Digital Compact, and Declaration on Future Generations« (United Nations 2024) angenommen wurde, ist völkerrechtlich nicht verbindlich. Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats waren bei der Abstimmung nicht mit Staats- und Regierungschefs vertreten und messen dem Abkommen offenbar keine große Bedeutung bei. Die im Pakt fixierten Selbstverpflichtungen sind Absichtserklärungen. Sie bieten aber durchaus wichtige Anknüpfungspunkte, auf die man sich beziehen kann, wenn man den Ausbau von Instrumenten der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung, Rüstungskontrolle und Abrüstung weiter vorantreiben will.
Was verspricht der Zukunftspakt?
Der Pakt ergänzt die Agenda 2030 um wichtige Punkte und möchte deren Umsetzung vorantreiben. Er besteht aus einem Hauptdokument mit 56 Aktionen, einem »Digitalpakt«, der die Probleme der Künstlichen Intelligenz (KI), internationale Digitalpolitik und die Rolle der UNO in diesem Bereich behandelt, und einem »Pakt für die Jugend«, der sich den Bedürfnissen von jungen Menschen und zukünftigen Generationen widmet. Auf eine Einleitung folgen fünf Kapitel zu den Themen
- (1) Nachhaltige Entwicklung, das konkrete Vorschläge zur Überwindung von Armut und Not und zur Verbesserung der Entwicklungsfinanzierung enthält,
- (2) Frieden und internationale Sicherheit,
- (3) Wissenschaft, Technologie, Innovation und digitale Kooperation,
- (4) Jugend und künftige Generationen, sowie
- (5) Transformation der Global Governance (hier geht es um Reformen der UN-Gremien und der internationalen Finanzinstitutionen, und um Maßnahmen, die der Klimakrise und komplexen globalen Schocks entgegenwirken).
Alle Kapitel haben Berührungspunkte mit Sicherheit und Frieden, können jedoch im Rahmen dieses Beitrags nicht umfassend behandelt werden.
Das offenkundig thematisch passende zweite Kapitel zu »International Peace and Security« benennt zunächst die Gefährdung des Weltfriedens durch zunehmende Verletzungen der Werte und Prinzipien der UN-Charta, und die wachsende Gefahr eines Atomkriegs, der die Menschheit existenziell bedroht. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich, im Einklang mit den Zielen der Charta und dem Völkerrecht zu handeln. Zudem versprechen sie, die souveräne Gleichheit aller Mitgliedsstaaten, das Prinzip gleicher Rechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu respektieren, auf die Androhung und den Einsatz von Gewalt gegen die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit von Staaten zu verzichten, sowie internationale Dispute auf friedlichem Wege beizulegen (United Nations 2024, S. 12).
In Aktion 13 verpflichten sich die Staaten, ihre Anstrengungen zum Aufbau von friedlichen, inklusiven und gerechten Gesellschaften zu verdoppeln und dabei vor allem die Ursachen von Gewaltkonflikten (»root causes of conflict«) in den Blick zu nehmen. Hier wird vor allem die Interdependenz von Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit betont. Es wird Besorgnis geäußert angesichts der weltweit steigenden Rüstungsbudgets und angemahnt, dass die Militärausgaben von Staaten nicht die Investitionen in die Agenda 2030 unterminieren dürfen; der UN-Generalsekretär soll der Generalversammlung eine Analyse vorlegen, die die Auswirkungen der weltweiten Militärausgaben auf die Erreichung der SDGs dokumentiert. Die Aktionen 14 und 15 betonen die Verpflichtung zur Einhaltung des humanitären Kriegsvölkerrechts, insbesondere den Schutz von Zivilpersonen und Flüchtlingen, im Zuge bewaffneter Auseinandersetzungen.
Prävention auf nationaler und internationaler Ebene stärken
Mechanismen zur friedlichen Streitbeilegung und Vertrauensbildung, Frühwarnung und Krisenbearbeitung sollen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene ausgebaut und mit den Kapazitäten der UNO sowie deren Regionalorganisationen noch stärker verknüpft werden (Aktion 16). Aktion 18 nimmt jeden einzelnen Mitgliedstaat in die Pflicht für Maßnahmen der Gewaltvorbeugung und Friedensförderung (United Nations 2024, S. 14ff.). Nationale Strategien zur Prävention sollen gestärkt werden, ebenso wie Mechanismen zur Eindämmung der Proliferation von Kleinwaffen. Staaten sollen in Abstimmung mit der UN-Peacebuilding Commission beim Aufbau entsprechender Kapazitäten unterstützt werden. Weitere Aktionen betreffen die Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs (17), die Förderung der Partizipation von Frauen (19) und Jugend (20) in der Prävention und Friedenskonsolidierung, die Anpassung von Friedensmissionen an neue Realitäten (21), sowie sicherheitspolitische Themen wie maritime Sicherheit, Umgang mit Terrorismus und organisiertem Verbrechen (22-24).
Atomkriegsgefahr eindämmen
Schließlich verpflichten sich die Staaten, die Gefahr eines Atomkriegs zu bannen – eine Welt frei von Atomwaffen sei das Ziel. In Aktion 25 heißt es: „(a) wir beschließen, uns erneut dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen zu verpflichten; (b) wir erkennen an, dass das Endziel der Bemühungen aller Staaten zwar weiterhin eine allgemeine und vollständige Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle sein sollte, das unmittelbare Ziel jedoch darin besteht, die Gefahr eines Atomkriegs zu beseitigen und Maßnahmen zur Vermeidung eines Wettrüstens zu ergreifen und den Weg zu dauerhaftem Frieden freizumachen (…); (e) wir beschließen die vollständige und wirksame Umsetzung der jeweiligen nuklearen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsverpflichtungen zu beschleunigen, unter anderem durch die Einhaltung einschlägiger internationaler Rechtsinstrumente und durch das Streben nach kernwaffenfreien Zonen zur Verbesserung des internationalen Friedens und Sicherheit und die Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt.“ (United Nations 2024, S. 19) Auch im Hinblick auf biologische und chemische Waffen, neue Technologien (inklusive KI, Cyber Space) und im Weltraum (Aktion 26 und 27) sollen alle Foren der UNO für Abrüstung gestärkt werden.
Strukturreformen (?)
Kapitel V (»Transforming Global Governance«) enthält unter anderem Aussagen zur Reform der UN-Strukturen. Zur Reform des Sicherheitsrates (SC) bleibt die Formulierung vage. Das Kapitel wurde über Monate aus den Entwürfen ausgespart (vgl. Bröning 2024). Am Ende einigte man sich auf einen Formelkompromiss: „Wir werden den Sicherheitsrat reformieren, in Anerkennung der dringenden Notwendigkeit, ihn repräsentativer, integrativer, transparenter, effizienter, effektiver, demokratischer und rechenschaftspflichtig zu gestalten.“ (United Nations 2024, S. 29) Immerhin wird festgestellt, das historische Unrecht, das dem afrikanischen Kontinent angetan wurde, müsse wiedergutgemacht werden; Afrika und auch andere unter- oder unrepräsentierte Regionen und Ländergruppen sollten stärker im SC vertreten sein (Aktion 39 Unterpunkt (a)). Dafür könne man die Zahl der Mitglieder erhöhen und zudem auch »cross-regional groups« einbinden. Allerdings wird nicht beschrieben, wie man dahin kommen will. Wie mit dem Veto-Recht der ständigen SC-Mitglieder verfahren werden soll, bleibt ebenfalls offen. Das sei eine Schlüsselfrage der Reform, heißt es im Unterpunkt (g) und weiter: „Wir werden unsere Bemühungen intensivieren, um eine Einigung über die Zukunft des Vetos zu erzielen, und auch über die Begrenzung seines Umfangs und seiner Verwendung diskutieren.“ In Aktion 40 wird bekräftigt: „Wir werden unsere Anstrengungen im Rahmen der zwischenstaatlichen Verhandlungen zur Reform des Sicherheitsrats vorrangig und unverzüglich verstärken.“ (United Nations 2024, S. 29) Verschiedene Modelle würden geprüft und die Mitgliedstaaten könnten weitere vorschlagen (40b). Zudem will man die Arbeitsmethoden des SC effizienter und transparenter gestalten. Gleichzeitig wollen die Staaten die Rolle der Generalversammlung, des Economic and Social Council sowie der UN-Peacebuilding Commission stärken, damit sie die Mitgliedstaaten wirksam unterstützen können, auf nationaler Ebene Instrumente und Konzepte für Gewaltprävention und Friedensförderung zu fördern.
Was fehlt?
Fachleute und Thinktanks im Globalen Süden kommentierten den Zukunftspakt im Entwurfsstadium und plädierten für grundlegendere Debatten. Tim Murithi, Leiter des Programms für Friedenskonsolidierung am Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung in Kapstadt (Südafrika) meinte, das Dokument enthalte zwar wertvolle Vorschläge, gehe aber nur unzureichend auf die Herausforderungen im Globalen Süden ein. Es wäre daher an der Zeit, die UN-Charta zu überprüfen. Er forderte, der Pakt möge eine Überprüfungskonferenz für 2025 beschließen. Ohne Hinweis auf eine Überprüfungskonferenz wäre der Gipfel „lediglich eine Wiederholung des Weltgipfels von 2005 (…), auf dem politische Vorschläge gemacht, aber nicht umgesetzt wurden.“ (Murithi 2024, S. 148) Eine Überprüfungskonferenz könne dazu führen, dass der UN-Generalversammlung mehr Befugnisse übertragen und ihre Beschlüsse rechtsverbindlich gemacht würden, um einen institutionellen Rahmen zur Bewältigung globaler Probleme (insbesondere der Klimakrise) zu schaffen. Ob eine solche Debatte angesichts der aktuellen Polarisierung der Mitgliedstaaten zielführend wäre, wird in westlichen Thinktanks wiederum skeptisch gesehen.
Weiterhin gab es aus dem Globalen Süden die Erwartung, dass der Gipfel einen klaren Umsetzungsplan mit einem konkreten Zeitrahmen vorgeben solle, um Reformprozesse einzuleiten. In der Tat enthält der Zukunftspakt kaum Aussagen dazu, wie die genannten Ziele in konkrete Maßnahmen überführt werden können. Zudem wurden die Formulierungen der »New Agenda for Peace« des Generalsekretärs teilweise verwässert. Dieser Bericht wird zwar zu Beginn des zweiten Kapitels im Zukunftspakt erwähnt, seine Empfehlungen werden aber nicht umfassend berücksichtigt.
Was gibt Hoffnung?
In der derzeitigen weltpolitischen Lage konnte man von dem Gipfel kaum grundlegende Reformentscheidungen erwarten. Dennoch hat er ein paar wichtige Signale gesetzt. Michael Bröning, Büroleiter der Friedrich Ebert Stiftung in New York, zieht folgende Bilanz: „Auch dieses Dokument reflektiert die geopolitischen Spannungen und die anhaltenden Dysfunktionalitäten der Vereinten Nationen in Zeiten der Konfrontation. (…) Dennoch zeigt die breite Zustimmung über Kontinente hinweg (…): Es gibt eine kritische Masse für den Multilateralismus, für Zusammenarbeit, und auch das ist nicht geringzuschätzen.“ (Bröning 2024, S. 1)
Diese Signale sollte man ernst nehmen und gemeinsam mit den Ländern des Globalen Südens Strategien zur Umsetzung der im Pakt definierten friedens- und abrüstungspolitischen Aufgaben bemühen. Auch dass die von Russland mit sechs weiteren Staaten kurz vor der Abstimmung orchestrierten Störmanöver von einer klaren Mehrheit zurückgewiesen wurde, kann man als Erfolg werten.2 Allerdings spiegelt das Abstimmungsergebnis (15 Länder enthielten sich und 28 beteiligten sich nicht an der Abstimmung) eine Spaltung der Welt wider, wie sie auch schon in den Kontroversen um den Russland-Ukraine-Krieg und die Gewalt im Nahen Osten zutage trat.
Zentrale Zukunftsaufgaben
Die UN-Mitgliedstaaten sind nun aufgerufen, die Punkte des Pakts auch tatsächlich umzusetzen. Die Politikwissenschaftler*innen Marianne Beisheim und Jens Martens (2024) kommen zu dem Schluss: „Viel wird von Nachfolgeprozessen abhängen.“ Zu Beginn der 83. Tagung der Generalversammlung 2028 soll eine Überprüfung erfolgen. Eine wichtige Zukunftsaufgabe besteht darin, die Erwartungen der Länder des Globalen Südens ernstzunehmen.
(1) Umsetzungsdefizit überwinden
Der Journalist und UN-Experte Andreas Zumach (2024) betonte in einem Vortrag für das Netzwerk »Sicherheit Neu Denken« Ende September 2024 mit Recht, die UNO sei immer Ausdruck der jeweils existierenden Machtverhältnisse. Zwar sei ihre Charta mit dem Gewaltverbot und der Charta für Menschenrechte, in der individuelle Rechte mit universeller Gültigkeit festgeschrieben wurden, ein immenser historischer Fortschritt. Die UNO bleibe jedoch von Interessen der Großmächte und „systemischen Ungerechtigkeiten“ bestimmt. Viele Staaten des Globalen Südens wollten diese Strukturen aufbrechen und demokratisieren. Zudem hätten diverse Mitglieder des UN-Sicherheitsrats immer wieder selbst gegen das Völkerrecht verstoßen, lehnen es aber gleichzeitig ab, sich der Rechtsprechung des internationalen Strafgerichtshofs (ICC) zu unterwerfen. All diese Ungerechtigkeiten würden vom Zukunftspakt nicht angegangen. Ein zentrales Reformziel – so Zumach – müsse darin bestehen, die UNO finanziell besser aufzustellen und zu fragen, wie man die anstehenden Menschheitsprobleme gemeinsam und konstruktiv lösen kann.
Konkrete Vorschläge zur Stärkung und Reform der UNO gibt es nicht erst seit dem Zukunftsgipfel. Viele konkrete Anregungen sind schon in früheren Papieren enthalten, wie der kürzlich von Guterres vorgestellten »New Agenda for Peace« (United Nations 2023), aber auch in einem Bericht, den der damalige Generalsekretär Kofi Annan vor zwanzig Jahren der Generalversammlung vorlegte (United Nations 2005). Letzterer enthielt mehr als 100 konkrete Empfehlungen, darunter auch schon die Idee eines Atomwaffenverbots. Worauf es ankommt, ist, das Umsetzungsdefizit der UN zu überwinden. Dafür liefert der Zukunftspakt – insbesondere was die Verbesserung der Arbeitsmethoden anbelangt – einige konkrete Hinweise.
(2) Zivilgesellschaft stärker einbinden
Der Zukunftsgipfel wurde im Wesentlichen von Staaten orchestriert. Zivilgesellschaftliche Akteure waren zwar aufgerufen, sich einzubringen und einige NGOs lieferten vorab konstruktive Kommentare zum Entwurf des Abschlusstextes (»Zero Draft«; vgl. dazu ausführlicher Democracy without Borders 2024). Man hörte jedoch auch Klagen darüber, dass diese im Zukunftspakt kaum berücksichtigt wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten in UN-Prozessen viel systematischer beteiligt werden (z.B. in Schattenberichtsverfahren). Schließlich ist es NGOs immer wieder gelungen, wichtige multilaterale Diskussionen anzustoßen, die irgendwann in internationalen Abkommen mündeten, wie z.B. das Verbot von Anti-Personenminen, oder auch im Vertrag über das Verbot von Atomwaffen, der von einer Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde.
Deutschlands Rolle überdenken
Deutsche Regierungen haben in diversen Strategiepapieren (u.a. den Leitlinien »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« von 2017, und der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2023) klare Bekenntnisse zum Multilateralismus und den Willen zur Unterstützung des UN-Systems festgeschrieben. Dies zeigt sich auch am finanziellen, infrastrukturellen und personellen Einsatz Deutschlands für die UN (wenn auch nicht durch Truppenkontingente), wie der Friedensforscher Holger Niemann zusammenfasst (2024, S. 2).
Wenn deutsche Regierungen ernst machen und die Vereinten Nationen wirklich konsequent stärken möchten, müssten sie jedoch einen Strategie- und Perspektivenwechsel vornehmen: „Dafür braucht es eine klare Strategie, die dringend benötigte Reformen benennt und aufzeigt, wie sie umgesetzt werden können. Stattdessen konzentriert sich Deutschland vor allem darauf, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen. Eine Erweiterung des Rats ist in dieser Form jedoch extrem unwahrscheinlich3(…). Die Bundesregierung sollte deshalb ihre Aufmerksamkeit in der Reformdiskussion auf Aspekte legen, die eine substanzielle Stärkung der Vereinten Nationen ermöglichen und die Länder des Globalen Südens einbezieht.“ (Niemann 2024, S. 3)
Wichtig sei vor allem eine Aufwertung der UN-Generalversammlung, denn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe gezeigt, dass es notwendig ist, der UN-Vollversammlung mehr Entscheidungskompetenzen zu übertragen, als Gegengewicht zum Sicherheitsrat, der durch das Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder blockiert sei. Zunächst solle man sich auf die Reform der Arbeitsmethoden konzentrieren, denn „viele der neuen Arbeitsmethoden basieren auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und bedürfen einer Überführung in formelle Regelungen, die verbindlich einzuhalten wären.“ (Niemann 2024, S. 3)
Zu ergänzen wäre: Deutschland sollte sich mit Nachdruck für eine angemessene Vertretung des Globalen Südens im UN-Sicherheitsrat einsetzen. Zudem sollten sich deutsche Regierungen dafür stark machen, dass wichtige Kontrollfunktionen – zum Beispiel Instrumente zum Monitoring der Finanzpraxis multinationaler Konzerne – die einst bei der UNO angesiedelt waren und nach und nach von einzelnen Regierungen und Gremien, die dem Globalen Süden nicht zugänglich sind, ausgehebelt wurden (vgl. Zumach 2024), wiederbelebt werden, damit den Ländern des Globalen Südens weniger Steuern entzogen und staatlichen Institutionen mehr Spielräume geschaffen werden. Nicht zuletzt sollte Deutschland die Vereinten Nationen dringend stärker im Bereich des Peacekeeping unterstützen. Wichtig wäre vor allem die personelle Unterstützung von Polizeimissionen, die sowohl für die Krisenprävention als auch in der Friedenskonsolidierung eine wichtige Rolle spielen. Hier ist die deutsche Bilanz äußerst bescheiden,4 obgleich UN-Expert*innen und NGOs seit mehr als zwanzig Jahren auf diese Notwendigkeit hinweisen. In den Leitlinien (Bundesregierung 2017, S. 147) findet sich die Selbstverpflichtung, die UN in ihren Reformen zu unterstützen und Friedensmissionen noch effektiver zu gestalten. Man sollte den Zukunftspakt zum Anlass nehmen, die eigenen Zielsetzungen in diesem Bereich zu überprüfen und einzulösen.
Anmerkungen
1) Zur Vorgeschichte vgl. ausführlicher Beisheim und Martens 2024 und Beiträge im Debattenblog der DGVN (dgvn.de/meldung/debattenauftakt-vereinte-nationen-fuer-die-zukunft).
2) Der Vertreter Russlands forderte am 22.9.24 kurz vor der Endabstimmung überraschend eine Ergänzung, die die Nicht-Einmischung der UN in nationale Zuständigkeiten betonte. Unterstützt wurde dieser Passus von Belarus, Nord-Korea, Iran, Nicaragua, Sudan und Syrien. Auf Antrag des Sprechers der Afrikanischen Gruppe (Kongo) wurde diese Änderung mit einer Mehrheit von 143 gegen sieben Stimmen nicht behandelt (press.un.org/en/2024/ga12627.doc.htm).
3) Einer solchen Reform müssten 2/3 der Mitgliedstaaten sowie alle fünf Veto-Mächte zustimmen.
4) Aktuell befinden sich nur 67 deutsche Polizist*innen im internationalen Einsatz, vgl. BMI (2024); das Netzwerk »Sicherheit Neu Denken« (2022) setzt sich für ein größeres Engagement in diesem Feld ein.
Literatur
Beisheim, M.; Martens, J. (2024): Zukunftspakt: Ein Turbo für den Multilateralismus? In: Vereinte Nationen 4/2024, S. 162-174.
Bundesministerium des Inneren (BMI) (2024): Tag des Peacekeeping 2024. Ehrung von deutschem Personal in internationalen Friedenseinsätzen. Pressemitteilung, 27.06.2024.
Bröning, M. (2023): Die Nervosität war greifbar. Interview über UN-Zukunftspakt, die Rolle Deutschlands bei den Verhandlungen und Last-Minute-Störversuche Russlands. In: IPG-Journal, 23.9.2023.
Bundesregierung (2017): Leitlinien Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern. Berlin.
Bundesregierung (2023): Integrierte Sicherheit für Deutschland – Nationale Sicherheitsstrategie. Berlin.
Democracy Without Borders (2024): UN-Zukunftsgipfel: Zivilgesellschaft präsentiert eigene Vorschläge, 26.8.2024.
Gowan, R. (2024): UN-Zukunftsgipfel: Die richtige Idee zum falschen Zeitpunkt? Friedrich Ebert Stiftung Online Themenportal „Die Welt gerecht gestalten“, 18.1.2024.
Murithi, T. (2024): Drei Fragen an Tim Murithi. Interview. In: Vereinte Nationen 4/2024, S. 148.
Niemann, H. (2023): 50 Jahre Deutschland in den Vereinten Nationen: Warum deutsches Engagement jetzt mehr denn je gefordert ist. IFSH-Kurzanalyse, Hamburg, 15.9.2023.
Rosenow, P. (2024): Der richtige Gipfel zur falschen Zeit? In: IPG-Journal, 19.9.2024.
Sicherheit Neu Denken (2022): Eckpunkte zur Verbesserung und Stärkung des deutschen internationalen Polizeiengagements. Impulspapier Nr. 3, 2022.
United Nations (2024): Pact for the Future, Global Digital Compact, and Declaration on Future Generations. Summit of the Future outcome Documents (A/RES/79/1). New York.
United Nations (2023): A New Agenda for Peace. Our common Agenda, Policy Brief 9.
United Nations (2005): In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle. Bericht des Generalsekretärs Kofi Annan für die Generalversammlung (A/59/2005). New York.
Zumach, A. (2024): Reform oder Kollaps – Notwendige und mögliche Veränderung der UN und ihrer Strukturen. Vortrag für die Mitglieder von Sicherheit Neu Denken am 26.9.24; Online unter: youtube.com/watch?v=xyOyFAdpkM4.
Dr. Martina Fischer, Politikwissenschaftlerin, Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt, Berlin.