W&F 2005/4

UNFOR 2007

Die Kampagne für eine Reform der Vereinten Nationen

von Klaus Schlichtmann

Die von den Siegermächten 1945 gegründeten Vereinten Nationen (VN) sind die Nachfolgeorganisation des nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Völkerbundes. Der Haager Staatenverband, der sich auf den beiden Friedenskonferenzen 1899 und 1907 in Den Haag konstituiert hatte, nannte bereits als die zwei wichtigsten Verhandlungsziele: die Abrüstung und die friedliche Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten durch eine verbindliche internationale Gerichtsbarkeit. Das Haager Schiedsgericht nahm 1899 in Den Haag seinen Anfang; es ist der Prototyp des heutigen Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag und besteht neben dem IGH weiterhin fort.

UNFOR 2007 gründet sich auf diese Tradition.

Der Marburger Völkerrechtler und Neukantianer Walther Schücking schrieb 1925, die verbindliche internationale Gerichtsbarkeit sei „außerordentlich wichtig, weil nur auf diesem Wege der Schlüssel zur allgemeinen Abrüstung gefunden werden kann.“ Die Abrüstung „kann erst kommen, wenn der Rechtsschutz ausgebaut ist.“ Da die verbindliche Schiedsgerichtsbarkeit wegen des deutschen Widerspruches 1899 und 1907 nicht zustande kam, war jedoch auch die Abrüstung in der Folge kein realistisches Ziel mehr. Die »Lücke« – die (fehlende) internationale Rechtsordnung – wurde im 20. Jahrhundert nicht gefüllt und der „Aufbau dauerhafter friedensfördernder Strukturen und Mentalitäten“ nicht erreicht (Senghaas, Zum Irdischen Frieden, S.27).

Auch die VN, wie zuvor der Völkerbund, konnten in der Frage der Verbindlichkeit in der internationalen Rechtsprechung keinen Durchbruch erringen. Inzwischen ist die »allgemeine und umfassende Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle« schon weitgehend von der Tagesordnung der internationalen Politik verschwunden.

UNFOR 2007 fordert die Umsetzung des Friedensgebots im Grundgesetz, Unterwerfung unter die Rechtsprechung des IGH sowie Verabschiedung eines Gesetzes im Bundestag, in dem die Bundesrepublik gemäß Art. 24 Abs. 1 GG dem Weltsicherheitsrat Kompetenzen überträgt und der militärischen Friedenssicherung eine Absage erteilt.

UNFOR 2007 wurde im Sommer 2003 gegründet, um über die historischen Zusammenhänge aufzuklären und die Möglichkeiten einer sinnvollen Reform der VN aufzuzeigen. UNFOR 2007 wird zur Zeit von etwa 40 Friedenswissenschaftlern und -aktivisten unterstützt.

UNFOR 2007 macht geltend, dass die VN bereits das Programm für eine verbindliche internationale Rechtsordnung enthalten, mit einer Völkerversammlung, einem Rechtsprechungsorgan und einer Exekutive. Leider ist dieser »gewaltenteilige« Apparat noch nicht in Kraft. Erst wenn die Staaten bereit sind, den VN Kompetenzen zu übertragen, können ihre Ziele und Grundsätze realisiert werden. Nach dem Friedensverfassungsrecht muss der Gesetzgeber tätig werden, damit die Bestimmungen der VN-Charta zur kollektiven Sicherheit wirksam werden. Die Bundesrepublik hat sich bislang weder der verbindlichen Rechtsprechung des IGH unterworfen, wie es das Grundgesetz vorschreibt, noch den Art. 24 GG im Hinblick auf die kollektive Sicherheit zur Anwendung gebracht. Statt der zivilen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten bestimmt weiterhin die militärische Streitbeilegung das politische Handeln. Die Verfügungsgewalt über militärische Einrichtungen in einzelstaatlicher, nationaler Hand ist jedoch eine Gefahr für den Frieden. Auch Militärbündnisse widersprechen im Prinzip dem Grundsatz der kollektiven Sicherheit in der VN-Charta und sind nur für eine Übergangszeit (siehe Art. 106 der VN-Charta) von Bedeutung.

Eine sinnvolle Reform bekräftigt die »vier Säulen« der Vereinten Nationen:

  • allgemeine und umfassende Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle,
  • eine Beschränkung oder Übertragung von Hoheitsrechten (durch die Mitgliedsstaaten zugunsten der VN),
  • verbindliche internationale Rechtsprechung und
  • eine demokratische Repräsentation der souveränen Völker der Vereinten Nationen.

Der Artikel 24 im Bonner Grundgesetz ist eine der zahlreichen Grundbestimmungen des Friedensverfassungsrechts, das in Europa besonders stark ausgeprägt ist und eine Übertragung von Hoheitsrechten mit dem Ziel der Schaffung eines echten Systems kollektiver Sicherheit vorsieht. Danach soll der Gesetzgeber als Schöpfer und Mitgestalter einer globalen Rechtsordnung aktiv werden. UNFOR 2007 unterstützt die Bemühungen Japans, das als einziger Staat in seiner Verfassung bereits eine Hoheitsbeschränkung vorgenommen und der militärischen Friedenssicherung eine prinzipielle Absage erteilt hat.

Bei der derzeitigen Diskussion zur VN-Reform stellt UNFOR 2007 folgende Prioritäten in den Vordergrund (Konsensmodell) und wirbt bei den Vereinten Nationen und den VN-Botschaften in New York für ihre Umsetzung:

  • eine ständige zivilgesellschaftliche Versammlung neben der Generalversammlung gemäß Artikel 22 der VN-Charta (Einrichtung eines beratenden Nebenorgans durch die Generalversammlung);
  • ein ständiger Sicherheitsratssitz für den »Globalen Süden«.

Weitergehende Reformen sollten für einen zweiten Schritt, etwa nach 5 Jahren, geplant werden. Die beiden oben genannten Maßnahmen könnten ohne umfangreiche Änderungen der VN-Charta nach dem »Konsensprinzip« durchgeführt werden. Im Idealfall würden die Europäer dabei einen gemeinsamen Sitz schaffen und den freiwerdenden Sitz an Indien als Vertreter des Südens abgeben. Es ist vorstellbar, dass Indien dann die atomare und allgemeine und umfassende Abrüstung einleiten würde.

Dr. Klaus Schlichtmann leitet das Projekt UN-Reform 2007, er ist Friedenshistoriker und lebt in Japan.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/4 60 Jahre Vereinte Nationen, Seite