W&F 2005/1

Unternehmen gegen Europa?

Die Europäisierung der Rüstung

von Lutz Unterseher

Aus den größeren Rüstungsunternehmen, die bereits europäisch verbandelt sind, von mit ihnen sympathisierenden Politikern aus dem Mitte-Rechts-Spektrum sowie militäraffinen Publizisten ist mit anschwellender Verve zu vernehmen, dass Europa als gobaler Akteur, womit auch die Befähigung zu entsprechender Machtprojektion impliziert sei, eine leistungsfähige, integrierte wehrtechnische Produktionsbasis brauche. Voraussetzung dafür sei die Erfüllung folgender Bedingungen: Die verteidigungspolitische Zusammenarbeit in Europa (mit »Europa« sind typischerweise jene Staaten des alten Kontinents gemeint, die sich in NATO und/oder EU zusammengeschlossen haben) müsse so vertieft werden, dass sich am Ende eine einheitliche strategische Konzeption ergibt, aus der die militärischen Anforderungen an die Rüstungstechnik stringent abgeleitet werden können. Dem müsse eine Produktionsbasis entsprechen, die durch eine Neuordnung und Kapazitätsbereinigung »Doppelarbeit« vermeide: was zum einen eine Spezialisierung im internationalen Rahmen und zum anderen die Bildung industrieller Konglomerate erfordere, in denen das Beste, was auf vormals nationaler Ebene zu finden war, gleichsam »aufgehoben« sei. In mehrerlei Hinsicht geht es also um die Überwindung nationaler Autonomie.

Fast frenetisch gefeiert werden jene – bislang allerdings seltenen – Rüstungsvorhaben, bei denen es gelungen ist, für mehrere Staaten einen gemeinsamen Ausrüstungsbedarf zu beschließen, der dann von einem projektbezogen integrierten Industriekonsortium internationalen Zuschnitts befriedigt werden soll. Nur auf diese Weise komme man zu den großen Stückzahlen, die eine kostengünstige Produktion erlauben. Und nur durch eine Zusammenfassung von Mitteln und Entwicklungspotenzialen sei es möglich, an der Spitze des technologischen Fortschritts zu marschieren bzw. dahin vorzurücken. Mit derlei Vorschusslorbeeren bedacht erscheinen solche Vorhaben geradezu als Pionierleistungen auf dem Wege zu einem einigen, auch nach außen handlungsfähigen Europa und werden damit virtuell zu heiligen Kühen.

Die Sache mit der europäischen Rüstungskooperation, die vermittels der Konstruktion einer Europäischen Rüstungsagentur in der EU inzwischen gar Verfassungsrang hat, erscheint freilich in mehrfacher Hinsicht nicht ganz koscher. Beginnen wir unsere kleine Untersuchung mit der Problematik der Formulierung eines einheitlichen verteidigungspolitischen Willens, samt wirklich instruktiver strategischer Konzeption, die den meisten Expertenstimmen gemäß eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer eindrucksvollen europäischen Rüstungsbasis ist!

Wille und Weg

Der Diskurs über die verteidigungspolitisch-konzeptionelle Integration Europas und deren Relevanz für die Rüstungsplanung hat bisher einen großen blinden Fleck. Zwar wird zur Kenntnis genommen, dass es national divergente Politiken gibt. Doch diese erscheinen als zufalls- bzw. historisch bedingte Abweichungen von einem Pfad, über dessen Richtung nicht weiter diskutiert zu werden braucht. Mit einiger Anstrengung werde sich – im Zuge des Zusammenwachsens Europas in zahlreichen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik – auch auf dem hier interessierenden Felde ein gemeinsamer Wille bilden. Der Weg, nämlich die Orientierung auf militärische Machtprojektion hin, sei für einen globalen Akteur im Wesentlichen vorgegeben.

Dem muss energisch widersprochen werden. Hier ist die eigentliche Kontroverse erst noch auszutragen. Dass ihr aus dem Wege gegangen wird, mag zum einen den honorigen Grund haben, dass man den schwierigen Prozess der europäischen Integration nicht noch zusätzlich belasten will, zum anderen aber auch damit zusammenhängen, dass an der militär- und rüstungspolitischen Generalorientierung, wie sie sich bisher schon abzeichnet, manifeste Interessen hängen, die das Tageslicht scheuen. Worum geht es konkret?

Mit der durch die NATO vermittelten Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa und insbesondere auch dadurch, dass Neumitglieder der Allianz zur Schärfung ihres nationalen Profils beflissen die amerikanische Karte spielen, hat für zahlreiche Vertreter der sicherheitspolitischen Eliten des alten Kontinents die militärpolitische Entwicklung in den USA Vorbildcharakter gewonnen. Man möchte nicht nur im Hinblick auf die Verteidigungsausgaben, sondern auch die militärische Doktrin und die Ausrüstung betreffend das gegenüber den Vereinigten Staaten wahrgenommene Defizit verringern, um bei gemeinsamen Operationen – als Juniorpartner – endlich ernst genommen zu werden. Auch auf die Entscheidungsträger in der Europäischen Union scheint diese Attitüde abgefärbt zu haben. Ob man zum Lager derjenigen gehört, die Europa als atlantischen Junior sehen, oder zum Lager jener anderen, die eine echte Emanzipation von den USA gerade auch auf militärischem Sektor anstreben: In beiden Fällen geht es zumeist um die Befähigung zu weitreichender Machtprojektion mit Einsatzkräften, die insbesondere auch für intensive Kriegführung geeignet sind und dabei auf den Gebieten der Aufklärung, Kommunikation (Vernetzung!) sowie Bewaffnung über Erzeugnisse der Hochtechnologie verfügen.

Trotz der Bedrohung durch den modernen Terrorismus, der eher polizeipräventive Bemühungen erfordern würde (wobei militärische Aufklärung allenfalls Hilfestellung leisten könnte) und trotz des hohen Bedarfs an Kräften für Friedensunterstützung und nicht-provokative Stabilisierung in Krisenregionen steht im Zentrum die Entwicklung von Kräften, die sich für massive Angriffsoperationen aller Art eignen: also auch etwa für Bestrafungsfeldzüge oder Rückeroberungen nach dem Gusto der Administration des Mr. Bush jr.

Eine solche Orientierung kommt aus leicht nachvollziehbaren Gründen den Interessen gerade der besonders durch Hochtechnologie geprägten Sparten der Rüstungsindustrie und auch den Statusaspirationen der auf die USA als militärischem Trendsetter fixierten Führungen der Streitkräfte in Europa entgegen. Eine alternative Perspektive, die sich zuvörderst am militärischen Bedarf einer Sicherheits- und Verteidigungspolitik festmacht, die in übergreifende politische Konzepte eingebettete Friedensunterstützung vorsieht, würde zu anderen, weniger problematischen Ansprüchen an die Rüstungsindustrie führen.

Was man können möchte, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den tatsächlich zu bewältigenden Aufgaben nur sehr wenig zu tun. Und das ist den Verantwortlichen sogar klar. Diese Schizophrenie, mit der man ohne Diskussionsbedarf glaubt leben zu können, tritt dem Vernehmen nach besonders prächtig in einem aktuellen Planungsdokument des Deutschen Heeres zutage: Darin ist davon die Rede, dass Deutschland im Regelfall situationsadäquate Heereskräfte für die vorsichtige Stabilisierung »vor Ort« in die Ferne entsenden müsse; zugleich werden aber Eingreiftruppen für den »richtigen Krieg« kreiert, die den Stabilisierungskontingenten vom Personal- und Materialbedarf her sowie organisatorisch das Wasser abgraben.

Projekte und Probleme

Von der Problematik des Rüstungsbedarfes und seiner Bestimmung zur Frage nach dem Angebot, also der Bedarfsdeckung! Wie werden in Europa wichtige Waffensysteme entwickelt? Um diesen Komplex systematisch erschließen zu können, empfiehlt sich der Blick auf einen Rüstungssektor, in dessen Rahmen im Ergebnis vergleichbare, aber im Entstehungsgang stark differierende Produkte entstanden sind. Damit haben wir es gleichsam mit einer Versuchsanordnung zu tun, deren Evaluation – begrenzt – verallgemeinerbare Erkenntnisse verspricht.

In diesem Sinne wurden drei Projekte taktischer Kampfflugzeuge bestimmt, deren Entwicklung in der ersten Hälfte der 80er Jahre begann und die als die europäische Antwort auf die sogenannte dritte Generation von Kampfjets erschienen, die in den 70er Jahren in den USA (F-14/15/16/18) und bald danach in der damaligen UdSSR (MiG-29, Su-27) das Tageslicht erblickte. Bei den ausgewählten Projekten handelt es sich um: Eurofighter, Rafale und Gripen. Abgesehen von der in besonderem Maße gegebenen Vergleichbarkeit spricht für diese Auswahl, dass es sich um die zu ihrer Zeit größten Rüstungsvorhaben in Europa handelt und dass dabei in ganz erheblichem Maße High-Tech im Spiel ist. Beim Vergleich, bei dem als »externe Referenz« auch noch Eindrücke aus den USA berücksichtigt werden, geht es um die Zusammenhänge, die einen Projekterfolg (zeitlicher Ablauf, Systemleistung, Kosten) begünstigen oder behindern. Es bleibt also die durchaus legitime Frage ausgeklammert, ob denn in einem zu präferierenden Konzept politisch dominierter militärischer Stabilisierung überhaupt taktische Kampfflugzeuge in immer noch großer Zahl und mit zunehmender Leistungsfähigkeit vorgehalten werden müssen.

Fall 1: Eurofighter

Beteiligt waren an diesem Vorhaben ursprünglich Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien. Inzwischen ist Österreich als erster und bislang einziger Importeur hinzugekommen. Offiziell geht es immer noch um einen kumulierten Bedarf von über 600 Maschinen – zu einem Preis pro System, der gegen 100 Mio. Euro tendiert. Allerdings gibt es aktuell zumindest in Großbritannien angesichts wiederholter Projektverzögerungen und einer überaus dynamischen Preisentwicklung die Tendenz, aus einem Teil der geplanten Bestellung auszusteigen – oder mit dieser Drohung die Kostenbelastung zu drücken. (In Deutschland wird offenbar in Kauf genommen, dass die Beschaffungsplanung der Luftwaffe den Modernisierungsspielraum vor allem des Heeres so verengt, dass dieses seiner wesentlichen Aufgabe – nämlich Friedensunterstützung – immer weniger genügen kann.)

Entwicklung und Bau des Flugzeuges werden von einem internationalen Konsortium getragen, das aus den Luft- und Raumfahrtriesen BAe Systems (UK) und EADS (deutsche Tochter) sowie zwei kleineren Unternehmen in Italien und Spanien besteht, wobei letzteres vor nicht allzu langer Zeit von EADS (International) geschluckt wurde.

Beim Eurofighter handelt es sich um einen schweren Jäger und Jagdbomber (wobei die prinzipielle Bombereignung vor allem in Deutschland aus politischen Gründen lange Zeit verschwiegen wurde). Die ersten Muster sind 2003/4 den Luftstreitkräften der ursprünglichen Partnerländer zugelaufen. Allerdings ist bisher nur ein probeweiser Flugbetrieb möglich und zwar unter sehr restriktiven Sicherheitsauflagen. Man hofft, die noch bestehenden zahlreichen technischen Mängel bis 2007 beheben zu können. Diese Hoffnung wird aber im relevanten Expertenkreis keineswegs einhellig geteilt. Und auch wenn ab 2007 ein normaler Dienstbetrieb möglich sein sollte, wird es sich um ein Flugzeug handeln, das in etlichen Leistungsmerkmalen signifikant unter den beschlossenen Vorgaben bleibt.

Die wiederholten Projektverzögerungen und Preisschübe sind von interessierter Seite damit gerechtfertigt worden, dass es sich um die unvermeidliche Auswirkung des Bemühens um technologische Innovation handele. Dem widerspricht, dass der Eurofighter seine eigenen Spezifikationen nicht erreicht und dass zumindest ein anderes in diesem Zusammenhang zu diskutierendes Vorhaben ähnlichen technologischen Niveaus weniger Verzögerungen und eine geringere Kostendynamik aufweist.

Beim Eurofighter ist es zwar auf eindrucksvolle Weise gelungen, die Nachfrage zu bündeln. Die damit entstandene Marktmacht wurde jedoch dadurch verspielt, dass sich die Partnerländer frühzeitig von der Gnade eines internationalen Konsortiums abhängig machten (welches sich überdies als Göttin Europa persönlich geriert). Konkurrierende Entwürfe und Angebote gab es nicht. Der Anbieter erhielt so ein Monopol, das er offenbar weidlich ausgenutzt hat. Hinzu kam der kostenträchtige Effekt der Friktion, die aus der Notwendigkeit resultiert, Vertreter unterschiedlicher Unternehmenskulturen miteinander kooperieren zu lassen. Besonders der Blick auf die anderen hier vorzustellenden Vorhaben lässt die Schutzbehauptung hohl klingen, es habe einfach kein anderes Konsortium in Europa gegeben, das ein Vorhaben solchen Niveaus hätte bewältigen können.

Wenn mit dem Argument, »Doppelarbeit« vermeiden zu wollen, der Marktmechanismus eskamotiert wird, müssen Streitkräfte und Steuerzahler büßen. Der in diesem Zusammenhang gerne gebrauchte Hinweis auf das »Modell Amerika« zieht nicht: Zwar ist der Konzentrationsprozess in der US-Rüstungsindustrie weiter fortgeschritten als in Europa, doch haben bislang Politik und Streitkräfte in den Vereinigten Staaten sorgfältig darauf geachtet, dass insbesondere bei technologischen Großvorhaben zumindest zwei Systemanbieter miteinander konkurrieren. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Ausstattung der US-Streitkräfte in Schlüsselbereichen weltweit eine führende Stellung genießt. Beispielsweise sind die Kampfflugzeuge F-22 (RAPTOR) und F-35 (Joint Strike Fighter) dem Eurofighter eine ganze Entwicklungsgeneration voraus (!).

Fall 2: Rafale

Bei diesem Vorhaben handelt es sich um einen Alleingang Frankreichs. Zwar waren Regierung und Rüstungsindustrie dieses Landes anfänglich für ein europäisches Kooperationsvorhaben offen. Wegen konzeptioneller Differenzen und weil bei einer Beteiligung am Eurofighter-Programm (damals: Jäger 90) eigener Einfluss und Industrieanteil zu gering erschienen, fiel die Entscheidung, sich auf nationale Entwicklungskapazitäten zu stützen. Vor dem Hintergrund einer Nachfrage der französischen Luft- und Seeluftstreitkräfte in der Größenordnung von nach wie vor etwa 300 Jägern und Jagdbombern eines einheitlichen Typs bekam das erfahrene »Systemhaus« Dassault den Zuschlag und damit das Angebotsmonopol. (Ein ähnlich kompetentes anderes französisches Unternehmen gab es nicht.)

Diese Tatsache und die Vorgabe, möglichst nur inländische Komponentenhersteller zu beauftragen, womit also der internationale Markt weitgehend ausgeschaltet wurde, bedingten von Anfang an hohe Preiserwartungen. Diese waren zu einem Leistungsprofil in Beziehung zu setzen, das in wesentlichen Aspekten 10-15 Prozent unter dem liegen sollte, was für den Eurofighter projektiert war. Insofern fühlten sich die an diesem internationalen Vorhaben Beteiligten bestätigt. Mittlerweile hat sich aber eine deutlich andere Lage ergeben: Der Eurofighter ist in seiner Kostendynamik auf dem Überholkurs und entspricht nicht mehr den ursprünglichen Leistungserwartungen. Hinzu kommt, dass die ersten Maschinen des Typs Rafale bereits seit 2001 den Dienst versehen und zwar zunächst bei den Marineluftstreitkräften Frankreichs (Zertifizierung für den Luftkampf: Frühjahr 2004).

Dieses Beispiel lässt zweierlei erkennen: Zum einen zeigt sich wiederum, dass für die Ausschaltung des Marktmechanismus ein Preis zu zahlen ist. Zum anderen wird aber auch deutlich, und zwar insbesondere im Hinblick auf den Zeitbedarf, welchen Vorteil die »Einhandsteuerung« durch ein Systemhaus hat, womit aufwendigste industrielle Abstimmungsprozesse entfallen.

Fall 3: Gripen

Auch in diesem Fall handelt es sich um einen nationalen Alleingang, der allerdings von demjenigen Frankreichs in wesentlicher Hinsicht abweicht. Der Typ JAS-39 (Gripen) ist ein leichtes Mehrrollenflugzeug, für das die schwedischen Luftstreitkräfte einen Bedarf von gut 200 Exemplaren angemeldet haben. Mit Entwicklung und Bau wurde auch hier nur ein erfahrenes Systemhaus beauftragt – nämlich Saab. Mögliche Konkurrenten gab es in Schweden ebenfalls nicht. Entwickelt wurde unter sehr stringenter – also nicht vordergründig unternehmensfreundlicher – Kostenkontrolle durch den Auftraggeber. Hinzu kam als äußerst wichtiges kostendämpfendes und leistungssteigerndes Moment die Entscheidung (bzw. bewährte Unternehmenspraxis), alle wesentlichen Komponenten auf dem – internationalen – Markt zu beschaffen, so dass der Firma selbst »nur« die Aufgaben von Design und Systemintegration blieben.

Im Ergebnis entstand ein Flugzeug, das dem technologischen Niveau des Eurofighter zumindest gleichkommt. In einigen Merkmalen, wie Reichweite und Waffenlast, liegen die Werte – durch das geringere Systemgewicht bedingt – unter jenen für das internationale bzw. das französische Muster. Dagegen lässt sich Ebenbürtigkeit, teilweise sogar besseres Abschneiden, feststellen, wenn es um jägertypische Eigenschaften geht: Im Hinblick auf Geschwindigkeit und Wendigkeit hat das schwedische Muster den Vergleich nicht zu scheuen. Bemerkenswert auch, dass der Gripen, die ersten Maschinen sind übrigens bereits in der zweiten Hälfte der 90er Jahre der Truppe zugelaufen, in den Beschaffungs- und vor allem auch den Betriebskosten sehr deutlich unter den hier diskutierten Konkurrenten liegt.

Seine Robustheit, es kann von relativ kurzen, provisorischen »runways« aus operiert werden, und der geringe Wartungsbedarf (Wartung durch nicht-professionelles Personal!) lassen den Gripen vor allem auch für out-of-area-Engagements geeignet erscheinen (wenn denn solche mit Luftwaffenelementen überhaupt für notwendig erachtet werden). Und das besonders günstige Preis-Leistungsverhältnis deutete zunächst auf sehr gute Exportchancen hin. Bisher haben sich allerdings »nur« Südafrika, Ungarn (Mietkauf) und Tschechien (Leasing mit Kaufoption) für diesen Typ entschieden. Andere europäische Länder, wie etwa die neutralen Alpenrepubliken und die Neumitglieder der NATO (letztere mit den genannten Ausnahmen) scheinen sich eher an US-amerikanischen Angeboten oder dem des Eurofighter-Konsortiums zu orientieren. Offenbar werden hier Angebote gemacht, etwa in Gestalt dubioser Kompensationsgeschäfte oder verquickt mit indirekter politischer Pression, die sich so leicht nicht ablehnen lassen. Dabei fällt auf: Die Vertreter von EADS scheinen sich auch nicht viel anders aufzuführen als die »imperialistischen Amis«. Anders ausgedrückt: Potenziell hat der Gripen das Zeug zum wirklichen Eurojäger.

Anmerkung: Saab Aerosystems hat sich mittlerweile unter die Fittiche von BAe Systems begeben. Dies wohl eher aus ökonomischen Erwägungen (Verstetigung der Auslastung!) als etwa wegen der Sorge, von Hochtechnologie abgekoppelt zu werden. Jedenfalls lässt sich dieser Vorgang nicht in dem Sinne interpretieren, dass kleinere Unternehmen gleichsam a priori Knowhow-Defizite haben.

Steuerung und Störung

Die im Kontext des europäischen Verfassungsprozesses konzipierte Rüstungsagentur kann vor dem Hintergrund eines in diesem Politikbereich nach wie vor intergouvernementalen Entscheidungsverfahrens die Transformation der Rüstungsindustrien in Europa sicherlich nicht im Sinne direkter Steuerung beeinflussen. Doch ist durchaus nicht auszuschließen, dass diese neue Einrichtung, die sich wie eine Spinne im Mittelpunkt relevanter Interessenverknüpfungen situieren kann, institutionelles Eigengewicht zu gewinnen vermag, welches zumindest indirekte Strategien der Einflussnahme ermöglicht.

Das Problem ist, ob die Europäische Rüstungsagentur mit akzeptabler Wahrscheinlichkeit jene Linien verfolgen könnte, die sich als Einsichten dieser kleinen Studie ergeben: Würde diese Institution einen Diskurs darüber einleiten (oder einleiten helfen), der danach fragt, welche Art von Rüstung gebraucht wird, welches Struktur- und Ausrüstungsmuster einer europäischen Politik des Ausgleichs und der nicht-provokativen Krisendämpfung kongenial ist? (Dies vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass eine auch verteidigungspolitisch zunehmend integrierte Europäische Union sich wegen der Vielfalt der Mitgliedschaft nicht auf Rachefeldzüge und Rechtsbrüche als gemeinsame Anliegen verständigen könnte.) Und: Würde diese Agentur – angesichts der durch die Schrumpfung der Rüstungsnachfrage bedingten Kapazitätsbereinigungen – in der Lage sein, im Zuge einer internationalen Arbeitsteilung und Spezialisierung jene (darunter auch kleinere) Systemhäuser zu stützen, die einen komparativen Vorteil besitzen? Würde sie diese – der Verstetigung der Auslastung und der Qualitätskonkurrenz wegen – Märkte erschließen können: etwa auch in den USA oder in der Russischen Föderation?

Wahrscheinlich nicht. Eher ist anzunehmen, dass sich jene industriell-politischen Kräfte auch in dieser neuen Institution durchsetzen, welche die Frage nach der Grundorientierung der Rüstungsanstrengungen möglichst ausblenden oder verdrängen möchten. Diese Kräfte sind übrigens weitgehend mit jenen identisch, für die eine Bildung internationaler, politisch verhakelter Konglomerate mit dem Charakter von Angebotsmonopolen zu einem Synonym für die Europäisierung geworden ist. Sie werden die Agentur wahrscheinlich in ganz besonderem Maße prägen und deren etwaiges institutionelles Eigengewicht als Interessenverstärker zu nutzen trachten.

Doch auch wenn die Europäische Rüstungsagentur nicht zum Spielball partikularer Interessen verkommen würde, wäre die Entwicklung einer wirkungsvollen, von nachvollziehbaren Kriterien geleiteten Strategie der Einflussnahme ein äußerst prekäres Unterfangen. Das Wechselspiel nationaler Egoismen und der oft über die Bande ausgetragenen Interessen der europäischen Industrie wird nämlich noch durch einen zusätzlichen Störfaktor kompliziert und damit weniger beherrschbar: US-Kapital geht in den Gefilden europäischer Rüstung zunehmend und gezielt auf Schnäppchenjagd. Bemerkenswert: Dabei kauft man sich weniger in Konsortien denn in kleinere, profilierte Systemhäuser ein (etwa bei Produzenten gepanzerter Fahrzeuge oder von konventionellen U-Booten) und zwar nicht so sehr weil dies weniger kostet, als vielmehr weil hier die Technologie zu holen ist, die dem US-Empire am meisten zu nützen verspricht.

Dr. Lutz Unterseher, Politikwissenschaftler und Soziologe, international tätiger Politikberater in Fragen der Streitkräfteplanung, Lehrtätigkeit an den Universitäten Münster und Osnabrück sowie an Militärakademien.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Friedensforum Östereich, dort erschienen in 5/6-2004.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/1 Triebfedern der Rüstung, Seite