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W&F 1984/2

US-Wissenschaftler zu Reagans Plan: „Zur Verteidigung ungeeignet“

von Redaktion

Unter dem Titel „Space-Based Missile Defense“ hat die Union of Concerned Scientists im März eine ausführliche Analyse der von Reagan vorgeschlagenen Pläne vorgelegt. Wir zitieren einige Passagen, aus denen hervorgeht, daß der Aufbau eines perfekten Schutzschildes gegen einen massiven sowjetischen Angriff technisch unmöglich ist. Dies zeigt: als Mittel der Verteidigung ist das geplante ABM-System untauglich.

„In der Beurteilung jedes BMD-Systems (Ballistic Missile Defense), nehmen wir zuerst an, daß es so gut funktionieren wird, wie es die Einschränkungen der naturwissenschaftlichen Gesetze zulassen daß die Ziele sofort entdeckt und perfekt anvisiert werden können, daß die Software für das Kriegs-Management fehlerfrei ist, daß alle Spiegel optisch perfekt sind, daß die Laser mit der geforderten Leistung verfügbar sind, usw. Außerdem, daß die sowjetischen Streitkräfte unverändert bleiben – daß die Sowjets nicht mehr Raketen bauen oder andere Gegenmittel installieren.

Selbst unter diesen utopischen Voraussetzungen, sind unsere Ergebnisse bezüglich des vorgeschlagenen BMD-Systems:

– chemische Laser-Kampfstationen in niederen Umlaufbahnen oder Weltraumschiffe, die Zerstörungsgeschosse mit sich führen, müßten zu Tausenden vorhanden sein, um eine ausreichende Überdeckung der sowjetischen Silofelder zu gewährleisten; allein der Transport dieser Stationen in die Umlaufbahn würde mehr als 70 Mrd. Dollar kosten.

- Excimer Laser auf der Erde, deren Strahlen von über tausend Spiegeln im Orbit auf die Raketentriebwerke reflektiert würde, erforderten Energiequellen, die allein um die 40 Mrd. Dollar kosten würden.

- Die Atmosphäre und das Magnetfeld der Erde zusammengenommen machen Teilchenstrahlwaffen völlig ungeeignet in absehbarer Zukunft.

Diese Kostenschätzungen beinhalten nicht Forschung und Entwicklung oder die Konstruktion von Weltraumplattformen, Lasern, Zerstörungsgeschossen, Spiegeln und Kommando- und Kontrolleinrichtungen. Vor allem der Forschungs- und Entwicklungsanteil dieses Programms würde nach Aussagen von Dr. Richard de Lauer, (Under Secretary of Defense for Research and Engineering) wenigstens acht Komponenten enthalten, von denen jede einzelne mindestens die Größe des Manhattan-Projekts hätte. Desweiteren würden alle Kosten rapide ansteigen, wenn die Spiegel nicht perfekt wären, die Zeit für das Zielen mehrere Sekunden überschreiten wurde, eine Redundanz nötig wäre. Die vollen Kosten können nicht abgeschätzt werden, weil die vorgesehenen Technologien noch zu wenig entwickelt sind, aber es ist klar, daß mehrere hundert Milliarden Dollar benötigt würden.

Der Vorschlag, durch Nuklearexplosionen gepumpte Röntgenlaser in dem Augenblick eines Angriffs zu starten, würde eine neue Flotte von Unterseebooten erfordern, da es keine geeigneten Landbasen gibt, die nahe genug an den sowjetischen Silos liegen, um rechtzeitiges Abfangen zu ermöglichen.

Die weichen Röntgenstrahlen der Laser können nicht die Atmosphäre durchdringen und sie bewirken nur einen ziemlich leichten Stoß, vor dem die Raketen recht einfach geschätzt werden können. Diese Tatsachen zusammen mit der Möglichkeit, die Startphase zu verkürzen so daß sie zu Ende ist, bevor die Raketen die Atmosphäre verlassen, bedeuten, daß die Röntgen-Laser keine sinnvolle BMD-Waffe sind.“

Desweiteren gehen die Wissenschaftler davon aus, daß die Annahme, die UdSSR würde stillhalten und rüstungstechnologisch stagnieren, nicht haltbar ist. Gegenmaßnahmen seien unausweichlich, zumal die Sowjetunion allen Grund habe, dieses Abwehrsystem zu fürchten als ein Versuch, sie zu entwaffnen.

Sowjetische Reaktionen könnten einschließen:

  • von U-Booten abzufeuernde cruise missiles, die vom Weltraum aus nicht gestört werden können
  • spezielle Härtung der Interkontinentalraketen oder Raketen mit solch hoher Energie, daß die Triebwerke innerhalb der Atmosphäre ausbrennen würden, getarnte Raketen ohne Sprengköpfe usw.

Diese sowjetischen Gegenmaßnahmen würden billiger und weit zuverlässiger sein. Die politischen Folgen der schier aussichtslosen Suche nach einem totalen Verteidigungssystem gegen Nuklearraketen seien schon heute sichtbar. So weigerten sich die USA, auf den sowjetischen Vorschlag zu Verhandlungen über die Anti-Satellitenwaffen (ASAT) einzugehen.

„Unsere Verbündeten in Europa wären nicht durch das amerikanische BMD-System geschützt und dies würde bestehende Befürchtungen nähren, daß die USA nukleare Operationen in Europa durchführen wollten, ohne sich selber zu gefährden.“

Im nuklearen Zeitalter gebe es nur eine realistische Schlußfolgerung:

„(…) wir können nicht Sicherheit bewahren, indem wir geschickt den dünnen, trockenen Ast absägen, auf dem die Sowjets sitzen, denn wir klammern uns an den selben Ast.“

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/2 1984-2, Seite