W&F 2019/3

Rückzug der USA aus Syrien?

von Mechthild Exo und Karin Leukefeld

Der Abzug der westlichen Truppen aus Syrien ist eine Kernforderung der Friedensbewegung und wird häufig aus völkerrechtlichen Gründen angemahnt. Dennoch sorgte die Ankündigung von US-Präsident Trump vom Dezember 2018, alle Truppen aus Syrien abzuziehen, auch in der deutschen Friedens­bewegung für Aufregung. So gab es viele Stimmen, die vor allem nach der Zukunft der selbstverwalteten Gebiete im Norden und Nordosten Syriens (»Rojava«) fragten. Nicht zuletzt wird befürchtet, die türkische Regierung unter Präsident Erdogan würde einen von ihr als »Machtvakuum« wahrgenom­menen US-Abzug mit einer erneuten Intervention beantworten, die wie im Fall der Eroberung Afrins in Vertreibung und Besatzung enden könnte.
Auch wenn die Entwicklung inzwischen gezeigt hat, dass Trumps Ankündigung nicht so und nicht so schnell umgesetzt wird, sind diese Fragen weiterhin aktuell. »Wissenschaft und Frieden« bat zwei Kennerinnen der Region darzustellen, wie aus ihrer jeweiligen Sicht ein Abzug der US-Truppen zu bewerten wäre. Mechthild Exo und Karin Leukefeld beleuchten das Thema auf sehr unterschiedliche Weise.

Ein Friedensprozess für Syrien ist möglich

von Mechthild Exo

Ende 2018 signalisierte der eingeleitete US-Truppenabzug der Türkei freie Hand für einen militärischen Überfall auf Nordsyrien. Kurz zuvor hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gedroht, die gesamte Selbstverwaltungsregion im Norden Syriens militärisch zu erobern und zu besetzen, wie bereits seit März 2018 den westlichsten Kanton in Selbstverwaltung, Afrîn.

Die Ankündigung des Abzugs aller US-Soldaten aus Syrien löste daher bei der Kurdischen Bewegung, bei Solidaritätsgruppen und bei zahlreichen Außenpolitiker*innen unmittelbar kritische Reaktionen aus, die auf das übliche machtpolitische Denken zurückgriffen. Doch die Kurdische Bewegung hatte das US-Militär nicht darum gebeten, nach Syrien zu kommen. Die Erfolge der gesellschaftlichen Transformation zu einer basisdemokratischen, geschlechterbefreienden Lebensweise sowie die Zurückdrängung und Niederschlagung des »Islamischen Staates« (IS) haben ihre Wurzeln nicht in der militärischen Unterstützung von außen. Vielmehr sind die politischen Grundideen entscheidend für die Verteidigung des selbstorganisierten Demokratieprojektes in Nordostsyrien und für eine Friedenspolitik für das gesamte Syrien. Darum soll es nachfolgend gehen.

Schlüsselfaktor Bewusstsein

Das, was viele als gelebte Utopie beeindruckt und durch Mut und Zuversicht im Kampf gegen den IS überraschte – schließlich hatten zuvor staatliche Armeen vor den faschistischen Mörderbanden des IS kapituliert1 –, lässt sich nicht vorrangig mit militärischer Kooperation, Schlagkraft oder anderen Machtfaktoren erklären. Die bewaffneten Handlungen werden von der Kurdischen Bewegung nicht als Mittel zur Durchsetzung der politischen Ziele verstanden. Ganz im Gegenteil: Die sozialen und persönlichen Veränderungsprozesse, die Bildung und der Aufbau von Strukturen der Selbstorganisierung sind der Weg zur Durchsetzung der neuen Gesellschaft. Diese Prozesse stehen im Zentrum. Die bewaffneten Verteidigungsaktivitäten ergänzen diese und dürfen nicht losgelöst gedacht werden, sie sind aber eher so etwas wie die zweite Seite einer Medaille.

„Das Bewusstsein über die Errungenschaften der Rojava-Revolution ist für die Frauen und die Bevölkerung eine wichtige Motivation, sich auf allen Ebenen für ihre Verteidigung einzusetzen. Das ist es, was den Frauen der [kurdischen Frauenverteidigungseinheiten] YPJ von Serê Kaniyê und Kobanê bis hin nach Reqqa und Dêrazor den Mut und die Kraft verlieh, den IS in die Flucht zu schlagen und zu besiegen.“ (Benario 2019, S. 20) Von ziviler Seite wird das z.B. von Suad Ewdilrahman für den von zehn Frauen als Kooperative betriebenen Laden »Schönheit der Frau« bestätigt: „Wir sind mit unserer Arbeit zufrieden und möchten ein Beispiel für die ganze Welt sein. Mitten in unserer Revolution sind wir Frauen an der Kriegsfront im Einsatz gewesen. Das war genauso wichtig wie unsere Arbeit hier im Innern der Gesellschaft. Das ist auch eine Front. Wir haben beides zugleich geschafft. Wir sind stark und weichen vor unseren Feinden nicht zurück. Wir stehen unsere Frau – gegen alle Anfeindungen.“ (Krieg 2019)

Das solidarische Bewusstsein in der Gesellschaft und der Wille, frei und würdevoll zu leben, ermöglichen erst den Widerstand. Sie verhindern auch, dass der Krieg und erfahrenes Unrecht die Menschen zu Brutalität und Zerstörung verleiten. Dieses Bewusstsein ist zudem die Grundlage für politische Lösungen und für die Demokratisierung von ganz Syrien.

2019 wurde am 21. März das Frühlings- und Neujahrsfest Newroz in Nord- und Ostsyrien besonders überschwänglich gefeiert. Newroz ist ein Fest aufbrechender Lebenskraft, des Neubeginns von Wachstum, und für Kurd*innen ist es zudem schon lange ein Fest des Widerstands. Dieses Jahr konnte die erfolgreiche Niederschlagung des IS bejubelt und tanzend gefeiert werden. Seit 2014 wurde der IS, beginnend mit der selbstverwalteten Stadt Kobanî, zunehmend zurückgedrängt. In den Wochen vor Newroz 2019 hatte sich der IS in den ostsyrischen Ort al-Bagouz an der Grenze zum Irak zurückgezogen und wurde vom Verteidigungsbündnis »Demokratische Kräfte Syriens« (SDF) eingekesselt. Immer wieder wurden die letzten Gefechte zur Einnahme von al-Bagouz hinausgeschoben. Zehntausende konnten so flüchten und sich ergeben. Zwei Tage vor Newroz wurden die letzten IS-Stellungen durch die SDF-Einheiten, an denen sich kurdische, arabische, assyrisch-aramäische, armenische und internationalistische Kämpfer*innen beteiligten, eingenommen. Viele verloren noch bei den letzten Kämpfen ihr Leben.

52.000 Quadratkilometer wurden in Syrien von der IS-Herrschaft befreit. Das US-Militär unterstützte im Rahmen der Anti-IS-Koalition, die sich aus 74 Staaten, einschließlich Deutschland, sowie der NATO und der EU zusammensetzt, die Kämpfe mit Luftbombardierungen. Im Einsatz zur Zerschlagung des IS fielen 11.000 Kämpfer*innen – 8.500 Kurd*innen, 2.000 Araber*innen, hunderte Suryoye (Assyrer*innen) und hunderte Internationalist*innen aus der ganzen Welt. 22.000 Kämpferinnen und Kämpfer wurden verletzt (Tev-Dem 21.3.2019)

Für die SDF und ihre Unterstützer*innen war dies nicht nur ein Kampf zur Verteidigung einer einzelnen Region, sondern auch ein Kampf zur Verteidigung der Menschheit sowie zur Verteidigung der Frau im Rahmen der Prinzipien einer Demokratischen Nation” (ANF 28.3.2019).

Neue politische Konzepte: Demokratische Nation und Demokratische Autonomie

Eine Demokratische Nation ist in Nordsyrien seit 2012 im Entstehen, und die Grundlagen dafür werden in den vom IS befreiten Gebieten in Ostsyrien gelegt. »Demokratische Nation« ist ein Konzept, das Nation grundsätzlich anders begreift als der gewohnte Nationenbegriff mit Bezug auf den Staat als Ordnungsinstanz und mit territorialer Umgrenzung. Nation hat hier nichts mit Nationalstaatlichkeit oder Nationalismus zu tun. Die Demokratische Nation ist eine Verbindung sozialer Gruppen und freier Individuen auf der Basis des freien Willens. Die sozialen Gruppen müssen nicht homogen sein oder eine gemeinsame Geschichte aufweisen, sondern sie können verschiedene ethnische, kulturelle, religiöse und andere Identitäten umfassen.

Im selbstverwalteten Nord- und Ostsyrien leben neben Kurden*innen auch Araber*innen, Suryoye, Turkmen*innen, Ezid*innen und andere Gruppen. In den letzten Jahren kamen zahlreiche Kriegsgeflüchtete aus anderen Teilen Syriens sowie die Ezid*innen aus dem Irak nach Nordsyrien. Mit diesem pluralistischen Verständnis von einer freiheitlich und solidarisch verbundenen Nation ist die Verantwortung für politische Entscheidungen und für die Organisation des Lebens verbunden, die von der Gesellschaft selbst übernommen wird. Diese demokratische Selbstorganisierung, die den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, wie religiösen Minderheiten und der Jugend, eigenständige Strukturen und Rechte zuschreibt, wird als »Demokratische Autonomie« bezeichnet. Nach außen werden diese Strukturen von der kurdisch dominierten Demokratischen Unionspartei (PYD), jedoch vor allem vom Exekutivrat und vom kürzlich gegründeten Frauenrat der Föderation Nord- und Ostsyrien vertreten.

Wo zuvor staatliche Herrschaft die Gesellschaft überging und machtpolitisches sowie marktwirtschaftliches Denken dominierten, werden nun das gesellschaftliche Leben, die sozialen Beziehungen sowie die kommunalen Kommunikations- und Entscheidungsräume ins Zentrum gestellt.

Frauenorganisierung als Grundlage der gesellschaftlichen Befreiung

Die Organisierung der Frauen und die Überwindung der patriarchalen Grundlagen in familiären und anderen sozialen Strukturen gilt als notwendige Voraussetzung für die gesellschaftliche Befreiung.

Nachdem die Stadt Rakka im Oktober 2017 von der IS-Herrschaft befreit worden war, gehörte die Einberufung von Frauenkommunen und Frauenräten zu den ersten Aktivitäten für den Aufbau der Demokratischen Autonomie – wie überall in der Selbstverwaltungsregion. Frauen haben weitere autonome Strukturen, beispielsweise »Junge Frauen« oder von Frauenwirtschaftskooperativen, -akademien und -beratungseinrichtungen, aufgebaut. Zudem gibt es eine Quote von 40 % für Frauen in den übergreifenden Entscheidungsgremien. Alle Leitungspositionen sind mit einer Doppelspitze aus einem Mann und einer Frau besetzt. Als Gesamtvertretung gibt es neben dem Exekutivrat auch den Frauenrat der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien. Die »Jineolojî« (Frauenwissenschaft; »jin« ist das kurdische Wort für »Frau«) bildet die Basis für eine neue Form von Sozialwissenschaft; sie stellt die positivistische, eurozentrische und von Grund auf patriarchale (westliche) Wissenschaft radikal in Frage und praktiziert andere Kriterien und Methoden für die Gewinnung von Erkenntnissen.

Theorie der demokratischen Lösung als Gegenstrategie

Nach der Vertreibung des IS ist die Frage nach der Absicherung des demokratischen Aufbaus nun vor allem mit der destruktiven Rolle der Türkei verknüpft. Die Bedeutung von Friedensverhandlungen trat spätestens seit der Zuspitzung der türkischen Angriffsdrohung Ende 2018 in den Vordergrund. Der angekündigte US-Truppenabzug wurde von vielen Seiten kritisiert, schließlich nicht umgesetzt und in den folgenden Monaten relativiert. Zudem wurde von vielen Seiten, einschließlich den USA, der Schutz der Kurd*innen in Nordsyrien vor Angriffen durch die Türkei gefordert.

Im Gegensatz zu den üblichen staats- und auf Machtansprüchen bezogenen diplomatischen Reaktionen wird vor Ort allerdings eine Friedensstrategie sichtbar, die auf einer Lösung der Probleme der Gesellschaften, auf einer demokratischen Lösung fußt. Der Frieden muss demnach von der Gesellschaft ausgehen und deren Willen verwirklichen.

Diese Herangehensweise zeigt sich darin, dass der basisdemokratische Aufbau trotz Angriffsgefahr gezielt vertieft und ausgeweitet wird. Es werden weitere Kommunen gegründet, Kindergärten, Frauenkooperativen und Jineolojî-Zentren eröffnet. Bei der Eröffnung des Jineolojî-Forschungszentrums in Hesekê am 8.1.2019 wurde erklärt, dies sei „die beste Antwort auf alle Angriffsdrohungen“ (ANF 8.1.2019).

Der langjährige PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan, der sich seit 1999 in türkischer Haft befindet, wird auch von vielen Kurd*innen in Syrien als Repräsentant der kurdischen Bewegung gesehen. Seine politische Philosophie prägt das gesellschaftliche Modell der Selbstverwaltungsregion, und seine Ausarbeitungen für eine Theorie der demokratischen Lösung und die Roadmap for Peace (Öcalan 2009, deutsch 2013) erhalten aktuell große Beachtung. Öcalan äußert sich zu den Entwicklungen in Syrien wie folgt: Die SDF könnten „für die Problemlösung in Syrien auf die Konfliktkultur verzichten und einen Status erreichen […], der den Prinzipien der lokalen Demokratie entspricht und ihre Rechte auf der Grundlage eines vereinten Syriens verfassungsrechtlich garantiert“ (Öcalan et al. 2019, S. 6). Öcalan hält „es für notwendig, auf eine verfassungsrechtliche demokratische Lösung vorbereitet zu sein und Wege zu entwickeln, die auch das syrische Regime überzeugen können. Wenn in Nordsyrien innerhalb der Gesamtheit Syriens Methoden wie Autonomie, Föderation und ähnliches entwickelt werden, ist es seiner Meinung nach wichtig, dass dabei eine politische Denkweise berücksichtigt wird, die ganz Syrien umfasst.“ (ANF 21.6.2019)

Um diese Idee einer demokratischen Friedenslösung zu verwirklichen, müssen Friedensverhandlungen gesellschaftlich in einen umfassenden Kommunikationsprozess eingebunden sein und den Willen der Gesellschaft umsetzen, statt über den Kopf der Bevölkerung hinweg festgelegt zu werden. Dieser Friedensprozess muss unter Einbeziehung der PYD, des Exekutivrates sowie des Frauenrates der Föderation Nord- und Ostsyrien den demokratischen, geschlechterbefreienden und ökologischen Aufbau in Rojava absichern. Die Beteiligung der organisierten Frauen ist dabei essentiell.

Frieden und Demokratischer Konföderalismus in Syrien

Die SDF gründeten Ende 2015 das politische Dachbündnis »Demokratischer Rat Syriens« (SDC). Beide setzen sich für ein säkulares, demokratisches und föderal gegliedertes Syrien ein. Ilham Ahmed, 2018 Ko-Vorsitzende des Demokratischen Rates Syriens und heute Exekutivratsvorsitzende der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien, erklärte: „Das ganze syrische Volk hat in Bezug auf Freiheit und Recht Probleme. Es gibt nicht nur Probleme der Kurdinnen und Kurden, einer Nation oder eines einzelnen Bereiches. Das syrische Volk ist mit einer ganzen Reihe von Themen unglücklich. Wir wollen Damaskus demokratisieren. Wir wollen ganz Syrien demokratisieren.“ (Duran und Baslangiç 25.8.2018) Im Sommer 2018 schlug der SDC bei einem Treffen mit der syrischen Regierung das Modell der Demokratischen Autonomie als Lösung für ganz Syrien vor – ohne Erfolg.

Inzwischen wurde der SDC in eine Organisation umgewandelt, die mittels Dialog die Einheit der syrischen Opposition herstellen soll. Dazu wird ein gesamtsyrischer Nationalkongress vorbereitet. Ein Entwurf für eine neue syrische Verfassung sieht die Einheit und Gesamtheit Syriens vor sowie ein politisches System, das den Aufbau eines dezentralisierten und demokratischen Syrien ermöglichen soll. Entsprechend Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates werden eine politische Lösung und ein Waffenstillstand, das Ende der Besatzung und der Abzug des ausländischen Militärs vom syrischen Gebiet gefordert (ANF 29.3.2019).

Die Anerkennung der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens ist eine entscheidende Voraussetzung für eine Friedenslösung für Syrien. Eine Rückkehr zum Zustand vor 2011 ist für die Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava ausgeschlossen. Außerdem muss Afrîn an die vertriebene, mehrheitlich kurdische Bevölkerung zurückgegeben werden.

Im Juni 2019 sprach sich die nord­ost-syrische Tev-Dem (Bewegung für eine demokratische Gesellschaft) für die Wiederbelebung der Genfer Friedensgespräche unter Leitung der Vereinten Nationen und mit Beteiligung der Vertreter*innen der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien aus. Außerdem wurde die Einrichtung eines internationalen Tribunals gefordert, vor das IS-Mitglieder gestellt werden sollen (Azadi/Güler 13.6.2019).

Im »Friedensgutachten 2018« der vier führenden deutschen Friedensforschungsinstitute wurde die Empfehlung an die Bundesregierung gegeben, diplomatisch und öffentlich auf einen Rückzug der türkischen Truppen aus Syrien und dem Irak hinzuwirken. Außerdem solle die Bundesregierung sich „nachdrücklich für eine politische Lösung der Fragen einsetzen, die mit den kurdischen Forderungen nach Selbstbestimmung einhergehen. Dazu sollte sie auf die Einbeziehung der PYD [als Vertretung der Selbstverwaltungsregion, Anm. Autorin] in die Verhandlungen über Syriens Zukunft bestehen.“ Deutschland solle Waffenexporte in die Region stoppen und eine pro-aktivere Rolle für den Friedensprozess übernehmen (Bonn International Center for Conversion et al. 2018, S. 38).

In den letzten Monaten besuchten zahlreiche Regierungsvertreter*innen die Föderation Nord- und Ostsyrien, u.a. aus Norwegen, Schweden, Frankreich und Australien, und werteten die Föderation damit auf. Deutschland vermeidet weiterhin die diplomatische Kontaktaufnahme mit der Föderation und drückt sich vor der Rückführung deutscher IS-Kämpfer*innen und derer Angehörigen. Immerhin beteiligt sich die Bundesregierung an internationalen Treffen, die die Einrichtung eines internationalen Straftribunals für die Verurteilung der IS-Verbrecher*innen, die u.a. in der Föderation Nord- und Ostsyrien inhaftiert sind, prüfen.

Auf zivilgesellschaftlicher Ebene werden bereits seit einigen Jahren Kooperationsbeziehungen mit Einrichtungen der selbstorganisierten Gesellschaft in Nordsyrien gepflegt, unter anderem im Gesundheitsbereich, als Hochschulkooperationen, als Schul- und Städtepartnerschaften oder als Partnerschaften zwischen Buchläden und Kindergärten.

Anmerkung

1) Unerfreulicher Weise hatten auch Teile der Friedensbewegung bereits die Macht des IS akzeptiert und Verhandlungen zur politischen Machtbeteiligung gefordert – das ist so falsch und gefährlich wie ähnliche Forderungen für die Beteiligung der Taliban in Afghanistan mittels Friedensverhandlungen.

Literatur

Ajansa Nûçeyan a Firatê (ANF) ist eine kurdische Nachrichtenagentur und publiziert in neun Sprachen, darunter Deutsch; anfdeutsch.com.

ANF 8.1.2019: Jineoloji-Forschungszentrum in Hesekê eröffnet.

ANF 28.3.2019: Siegesfeier der YPJ – Auch Efrîn werden wir befreien.

ANF 29.3.2019: Abschlusserklärung des 3. Syrischen Dialogforums.

ANF 3.5.2019: QSD – Indirekte Verhandlungen mit der Türkei.

ANF 21.6.2019: Den dritten Weg stärken: Nicht abwarten, aufbauen!

Azadi, M.; Güler, A.(2019): Xelîl: Es bedarf neuer Friedensgespräche für Syrien; 3.6.2019, anfdeutsch.com

Benario, A. (2019): Wir geben es nie mehr her! Kurdistan Report Nr. 203.

Bonn International Center for Conversion (BICC); Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK); ­Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (ISFH); Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) (2018): 2018 / Kriege ohne Ende. Mehr Diplomatie – weniger Rüstungsexporte / friedensgutachten. Berlin: LIT.

Duran, R.; Baslangiç, C. (25.8.2018): Die Türkei ist ein Besatzerstaat, der aus Syrien vertrieben werden wird. Interview mit Ilham Ahmed; ­civaka-azad.org.

Krieg, R. (2019): Experiment Rojava in Syrien – Eine Gesellschaft im Aufbruch. Dokumentarfilm Phoenix; youtube.com/watch?v=O3dA1Khn4jo.

Öcalan, A. (2013): Die Roadmap für Verhandlungen. Bonn: Pahl-Rugenstein.

Öcalan, A.; Yildirim, H.; Konar, Ö.H.; Aktas, V. (2019): 7-Punkte-Erklärung. Informationsdossier von Civaka Azad, 10.6.2019; civaka-azad.org.

Tev-Dem 21.3.2019: Der IS ist besiegt, der Kampf geht weiter; anfdeutsch.com.

Dr. Mechthild Exo ist Lehrkraft für internationale Entwicklung, Transkulturalität, Diversität und Gender an der Hochschule Emden/Leer, Friedens- und Konfliktforscherin sowie Mitglied des ­Jineolojî-Forschungszentrums Brüssel.

Der vorsätzliche Bruch des Völkerrechts in Syrien

von Karin Leukefeld

Die Charta der Vereinten Nationen, die bis heute Geltung hat, beginnt so: Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, […]“. Sie wurde am 26. Juni 1945 in San Francisco unterzeichnet und trat am 24. Oktober des gleichen Jahres in Kraft (Vereinte Nationen 1945).

In Kapitel I, Artikel 1 werden die „Ziele und Grundsätze“ bestimmt, nach denen die UN-Mitgliedsstaaten handeln sollen, um, wie in der Präambel ausgeführt, „als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben“ und „um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“.

In Artikel 2 verpflichten sich alle Unterzeichnerstaaten auf den „Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“ (Punkt 1); in Punkt 3 heißt es: „Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.“ Punkt 4: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Mit anderen Worten: Es gilt das Prinzip der Nichteinmischung in innenpolitische Angelegenheiten. Ausnahmen davon sind streng begrenzt und werden in Kapitel VII der UN-Charta geregelt. Nur wenn die »kollektive Sicherheit« bedroht ist, kann das Prinzip der Nichteinmischung ausgesetzt werden. Einen solchen Sachverhalt hat der UN-Sicherheitsrat festzustellen.

50 Länder gehörten damals den Vereinten Nationen an, unter ihnen auch Syrien, Irak, Libanon und Iran. Syrien, Irak und Libanon waren zum Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem französischen bzw. britischen Mandat entlassen worden. Doch schon unmittelbar nach ihrer Unabhängigkeit und nach der Unterzeichnung der UN-Charta sah Syrien sich am 29. März 1949 durch einen von der US-amerikanischen Cen­tral Intelligence Agency (CIA) gesteuerten Putsch in seiner Eigenständigkeit und unabhängigen Entwicklung bedroht. Direkte und indirekte Interventionen in Syrien, Irak, Iran und Libanon halten bis heute an.

Die Vereinigten Staaten von Amerika gehörten mit der Sowjetunion 1945 zu den treibenden Kräften für die Gründung der Vereinten Nationen. Seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 und noch mehr seit dem 11. September 2001 haben die USA sich von den Vereinten Nationen und vom Völkerrecht immer weiter entfernt.

Der Bruch des Völkerrechts in Syrien

Alle grundlegenden Punkte der UN-Charta wurden und werden in Syrien seit 2011 von den USA und ihren Verbündeten missachtet, gebrochen und verhöhnt. Westliche Diplomaten mischten sich in die innenpolitisch motivierten Proteste im Frühjahr 2011 ein; Nachbarländer und Regionalmächte schickten Waffen, halfen bei der Gründung der »Freien Syrischen Armee« und förderten die Militarisierung. Geholfen wurde bei der Gründung von Medienzentren, mit der Ausbildung von »Bürgerjournalist*innen« und mit der Gründung eines »Syrischen Zivilschutzes«, den so genannten »Weißhelmen«. Allerdings gibt es bereits seit 1953 einen Zivilschutz in Syrien.

Weder die Türkei noch Jordanien noch die Herkunftsländer verhinderten, dass Tausende Kämpfer illegal über die Grenze nach Syrien gelangten.

Ein Dialog mit der syrischen Regierung wurde verweigert. »Militärische Operationszentren« (englisch: MOC, Military Operation Center) in Amman und in der Türkei unterstützten die bewaffneten Gruppen mit Sold, Waffen, Ausbildung. Dem Aufstieg des »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« (ISIS) und Al-Qaida-naher Milizen sah der Westen zu; die Regierung in Damaskus sollte gestürzt werden (junge Welt 2015). Bis heute findet die syrische Armee Waffenlager und -verstecke mit großen Mengen an Munition und Waffen aus westlichen Rüstungsschmieden (PressTV 2019).

Nicht ein Mal griff Syrien seine Nachbarstaaten, Europa oder die USA an.

Die völkerrechtswidrige Einmischung westlicher Staaten und ihrer Partner in Syrien ist vielfach belegt. Die syrische Regierung protestierte mit Hunderten Briefen an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat gegen die Angriffe auf das syrische Territorium und die staatliche Souveränität. Ohne Erfolg. Auch der Protest gegen Hunderte nicht provozierte israelische Raketenangriffe auf angebliche iranische Stellungen in Syrien blieb seitens des UN-Sicherheitsrates unbeantwortet.

Die militärische Einmischung bis hin zur US-geführten »Anti-IS-Allianz« in Syrien findet ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates und ohne Zustimmung der syrischen Regierung statt. Das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht (Neu 2018). Die Präsenz Russlands und Irans dagegen basiert auf einer Vereinbarung mit der rechtmäßigen Regierung in Damaskus, das entspricht dem Völkerrecht.

Die USA haben – völkerrechtswidrig – mehr als zwei Dutzend Militärbasen in Syrien errichtet. Dort werden US-kon­trollierte Kampfverbände ausgerüstet und ausgebildet. Eine US-Basis, Al Tanf, liegt im Dreiländereck Syrien-­Jordanien-Irak. Um die Basis Al Tanf wurde von der US-Armee eine 50 km breite »Sicherheitszone« gezogen. Syrische Soldaten, die das Territorium in Richtung des syrisch-irakisch-jordanischen Grenzgebietes durchqueren wollen, werden mit Luftangriffen und Beschuss daran gehindert. Der UN-Sicherheitsrat hat solche Angriffe nicht legitimiert.

Die anderen US-Militärbasen einschließlich Flughäfen liegen östlich des Euphrat auf dem Gebiet, das von den syrischen Kurden und den von ihnen geführten »Syrischen Demokratischen Kräften« kontrolliert wird. In diesen Gebieten liegen die syrischen Öl- und Gasvorkommen, hier wird Baumwolle angebaut, die Provinz Hasakeh gehört zu den größten Weizenanbaugebieten des Landes. Der Zugang zu den syrischen Ressourcen wird der syrischen Regierung verweigert. In der Provinz Deir Ez-Zor hat die US-geführte Koalition alle Brücken zerstört. Jeder Versuch der syrischen Armee und ihrer Verbündeten, den Euphrat zu überqueren, wird von der US-Armee und der »Anti-IS-Allianz« militärisch verhindert. Als Begründung für Luft- und Raketenangriffe auf die syrischen Truppen verweist die US-geführte Koalition auf „Selbstverteidigung“ (South Front 2018a). Die Militärbasis Ain Issa, von der aus mindestens 200 US- und 75 französische Soldaten operieren, ist inzwischen regelmäßiger Treffpunkt westlicher Delegationen, die mit den SDF und der kurdischen Zivilverwaltung verhandeln wollen. Die Präsenz der US-Armee und ihrer Verbündeten in Syrien ist illegal. Alle, die sich daran beteiligen, nehmen den Bruch des Völkerrechts billigend in Kauf.

Die Aufteilung Syriens

Auch wenn US-Präsident Donald Trump dafür gewählt wurde, dass er die US-Truppen aus dem Mittleren Osten abzieht, teilt er im Prinzip das, was seine Außen- und Verteidigungsminister für die Region vorgeben: Syrien soll geteilt und die Regierung in Damaskus ebenso wie ihre Verbündeten Russland und Iran militärisch und wirtschaftlich geschwächt werden.

Im Dezember 2018 kündigte Trump an, die offiziell 2.000 Soldaten aus Syrien abzuziehen. Bereits ein Jahr zuvor hatte er das ebenfalls angekündigt, war aber im US-Außenministerium und im Pentagon auf Widerstand gestoßen. Weil man dort unbedingt verhindern will, dass die syrische Armee die Kontrolle über ganz Syrien wieder herstellt, hieß es, ein »Vakuum« müsse verhindert werden, weil sich sonst der »Islamische Staat« erneut festsetzen könnte.

Die völkerrechtlich gebotene Entwicklung wäre, dass die syrische Armee die Kontrolle über das eigene Territorium nordöstlich des Euphrat nach einem US-Abzug übernimmt und bei der Bekämpfung der Terrororganisation »Islamischer Staat« unterstützt werden muss. Das ist in Washington nicht vorgesehen. Man sprach sich mit den Verbündeten in einer »Kleinen Syriengruppe« – neben den USA gehören dazu Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien, Jordanien – ab.

Aus einem bekannt gewordenen Protokoll des Treffens der »Kleinen Syriengruppe« im Januar 2018 geht hervor, dass und wie Syrien aufgeteilt werden soll. Die Gebiete östlich des Euphrat sollen zu einem autonomen Gebiet »Ost-Euphrat« werden, die syrische Opposition – einschließlich der Kurden – soll politisch gestärkt werden. Sie sollten „sich flexibel zeigen […] ohne das endgültige Ziel aus den Augen zu verlieren: Syrien zu teilen und Assad zu beseitigen“, wird David Satterfield, stellvertretender Staatssekretär für den Nahen Osten im US-Außenministerium, in dem Protokoll zitiert (Rubikon 2018). Seit April 2018 gehört auch Deutschland der »Kleinen Syriengruppe« an (dpa 2018 und Co-op News 2018). Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gibt es für die Gruppe nicht.

Der ursprünglich für Ende April 2019 angekündigte US-Truppenrückzug aus Syrien hat nicht stattgefunden. Prämisse bleibt, dass das Gebiet dauerhaft Damaskus und der syrischen Armee entzogen bleiben soll. Dafür braucht Washington die syrischen Kurden und muss eine militärische Präsenz ohne eigene Soldaten sichern. Drei unterschiedliche Szenarien wurden entwickelt:

  • Plan A: Mithilfe des privaten Sicherheitsunternehmens von Blackwater-Gründer Eric Prince sollte zunächst eine 30.000 Soldaten starke Armee aus Kurden, Stämmen und Söldnern aufgestellt werden. Bezahlen sollten die Golfstaaten. Elitetruppen der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens befinden sich bereits in den Gebieten östlich des Euphrat.
  • Plan B: Ein anderes Szenario sieht das Vorrücken der türkischen Armee in die Gebiete östlich des Euphrat vor, was sowohl von den Kurden als auch von den europäischen und arabischen Verbündeten der USA abgelehnt wird.1
  • Plan C: Ein neuer Vorschlag ist, dass die europäischen Partner der USA – Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Belgien, Holland und andere – gemeinsam mit der Türkei und den Golfstaaten eine 30 km breite Pufferzone im Nordosten Syriens militärisch sichern sollen (Gebauer und Schult 2019).

Keines dieser Szenarien bewegt sich auf dem Boden des Völkerrechts. Keines dieser Szenarien wurde im UN-Sicherheitsrat auch nur diskutiert, geschweige denn vereinbart. Die USA und ihre Verbündeten nehmen das Völkerrecht in die eigenen Hände.

Syrische Kurden in der Zwickmühle

Ohne Verbündete vor Ort – die syrischen Kurden – wäre das nicht möglich. Die aber sind in einer Zwickmühle, seit sie die großzügige militärische Unterstützung der US-Armee 2014 annahmen, sie beim Kampf um Kobane/Ain Al Arab gegen den »Islamischen Staat« zu unterstützen. Heute gelten sie als die »Partner« der US-geführten »Anti-IS-Koalition«. Sie erhalten Geld, Waffen und logistische Hilfe, und die USA sorgen dafür, dass das Projekt »Rojava« umgesetzt werden kann. Die syrischen Ressourcen befinden sich unter kurdischer und US-amerikanischer Kontrolle und werden dem Rest des Landes – das sind immerhin 70 Prozent – entzogen. Die einseitigen EU-Sanktionen, die den Wirtschaftssektor Syriens und selbst humanitäre Hilfe blockieren, treffen die syrischen Kurden nicht. Das von den USA verhängte Ölembargo gegen Syrien gilt nicht für die Gebiete östlich des Euphrat.

Auf die Frage, ob einseitige Sanktionen oder Embargos völkerrechtlich legal seien, sagte der UN-Sonderberichterstatter für die Folgen einseitig verhängter Sanktionen, Idriss Jazairy:

„Die Entscheidung des Sicherheitsrates, Sanktionen zu verhängen, wird von allen als legal, als rechtmäßig anerkannt. Sanktionen, die von einem Staat oder von einer Staatengruppe gegen ein anderes Land verhängt werden und die schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschenrechte haben und damit die Menschenrechte der einfachen Bevölkerung verletzten, sind illegal. […] Westliche Staaten betrachten die [einseitigen] Sanktionen als vertretbar, solange sie ihren eigenen Kriterien genügen. Die Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten sieht das nicht so. Sie sind der Meinung, dass alle Sanktionen, die ohne eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates verhängt werden, unrechtmäßig, also illegal sind. Es ist, als nehme man das Recht in die eigenen Hände. Wir haben aber zur Friedenserhaltung in der Welt das System der Vereinten Nationen geschaffen. Ja, es hat seine Unzulänglichkeiten, aber es ist die Friedensordnung, die nach dem 2. Weltkrieg in Kraft trat. Wenn man nun einseitige Sanktionen verhängt, dann schafft man ein neues System […]. Das bringt den Frieden in Gefahr. Und zwar den Weltfrieden, nicht nur den regionalen Frieden.“ (RT Deutsch 2019)

Das Adana-Abkommen – eine völkerrechtlich zulässige Lösung

Einen völkerrechtlich zulässigen Weg hat derweil Russland vorgeschlagen. Als neue Ordnungsmacht in der Region hat Russland 2015 auf Wunsch von Damaskus militärisch in den Krieg eingegriffen und sich durchgesetzt. Gleichzeitig hat Russland den Dialog zwischen allen Seiten in Syrien gefördert. Das führte nach der Befreiung von Aleppo Ende 2016 zu dem von Russland, Iran und der Türkei geförderten Astana-Prozess, bei dem zwischen der syrischen Regierung und einem Teil der Kampfgruppen verhandelt wird. Auch den Dialog zwischen den syrischen Kurden und der Regierung in Damaskus hat Russland gefördert.

Für den Fall, dass die US-Armee ihre Truppen aus den Gebieten östlich des Euphrat tatsächlich abziehen sollten, und um ein »Vakuum« zu vermeiden, hat Russland eine Lösung vorgelegt: Die syrische Armee – unterstützt von russischer Militärpolizei – soll die Sicherheit in dem Gebiet zwischen Euphrat und syrisch-türkischer Grenze gewährleisten. Dieser Vorschlag entspricht dem Völkerrecht, denn es handelt sich um syrisches Territorium. Die syrischen Kurden und Damaskus sollen sich auf eine militärische Kooperation einigen – was von den Kurden bereits zugesagt wurde. Damaskus soll den syrischen Kurden und ihren Parteien zudem kulturelle und politische Rechte einräumen.

Ankara will allerdings nach einem US-Truppenabzug gegen die politischen und militärischen Strukturen der syrischen Kurden in Nordostsyrien militärisch vorgehen, weil es sie als »terroristische Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei« ansieht. Um diese »Sicherheitsbedenken« der Türkei zu zerstreuen, hat Moskau vorgeschlagen, einen Vertrag aus dem Jahr 1998, das Adana-Abkommen, wiederzubeleben (Bilgic 2019). Darin ist die syrische Armee für den Schutz der rund 800 km langen Grenze zur Türkei verantwortlich.

Ein Rückblick

Das Adana-Abkommen war damals zwischen der Türkei und Syrien geschlossen worden und richtete sich gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die heute das Rückgrat der kurdischen Volksverteidigungskräfte YPG und YPJ in Syrien bildet. Damals hatte die PKK – wie übrigens auch die Patriotische Union Kurdistans (PUK) und die Demokratische Partei Kurdistans (KDP), beide aus dem Irak – einen »sicheren Hafen« in Syrien. Sie unterhielt in der damals von Syrien kontrollierten Bekaa-Ebene (Libanon) ein Ausbildungslager und konnte, wie KDP und PUK, ungehindert durch Syrien in den Nordirak reisen.

Im Adana-Abkommen verpflichtete sich Syrien damals, die Ausbildungslager der PKK, ihre politische Mobilisierung und Organisierung der kurdischen Bevölkerung sowie ihre wirtschaftlichen Unternehmungen in Syrien zu stoppen. Inhaftierte PKK-Mitglieder sollten an die Türkei ausgeliefert werden. Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan wurde zur Ausreise aufgefordert. Die PKK zog sich in die Qandil-Berge im irakisch-iranischen Grenzgebiet zurück.

Das Abkommen könnte nun wiederbelebt werden, um die Türkei an einem Vormarsch in den Norden Syriens zu hindern und gleichzeitig Ankara und Damaskus wieder ins Gespräch zu bringen.

Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten. Die Türkei hat ihre eigene Art, das Abkommen zu interpretieren; die syrischen Kurden tun sich mit dem Adana-Abkommen verständlicherweise schwer. Die USA und ihre »Kleine Syriengruppe« haben kein Interesse an einer türkisch-syrischen Vereinbarung, mit der der völkerrechtlich legitime Status – die Kontrolle Syriens über sein gesamtes Territorium – wieder hergestellt wird. Der Astana-Prozess läuft den machtpolitischen Interessen der USA entgegen; der Astana-Gruppe müsse „der Stecker rausgezogen werden“, erklärte der US-Beauftragte für Syrien, Botschafter James Jeffrey, Anfang Dezember 2018 (U.S. Embassy in Syria 2018).

Dass es um mehr als um Syrien geht, machte der frühere US-Außenminister Rex Tillerson im Januar 2018 klar. Für die USA sei es „entscheidend“, in der Region (Syrien und Irak) präsent zu bleiben, um gegen terroristische Gruppen und die mögliche Wiederauferstehung des »Islamischen Staates« kämpfen zu können, sagte Tillerson bei einem Vortrag in der Hoover Institution an der Stanford University. Die US-Armee werde „in Syrien militärisch präsent bleiben“, um den „bösartigen Einfluss des Iran in der Region“ zurückzudrängen. Erst wenn „Assad nicht mehr an der Macht ist, werden die USA eine Normalisierung zwischenstaatlicher wirtschaftlicher Beziehungen mit Syrien“ unterstützen. „Das wird dauern, wir sind geduldig“, so Tillerson weiter. In der Zwischenzeit würden die USA in die Stabilisierung“ einiger Gebiete „investieren“ (Shashkevich 2018).

Noch deutlicher wurde Tillerson Mitte Februar 2018 bei einer Konferenz in Kuwait. Im Gespräch mit Journalisten sagte er: „Die USA und die [Anti-IS-] Koalitionsstreitkräfte […] kontrollieren heute 30 Prozent des syrischen Territoriums und – damit verbunden – einen großen Anteil der Bevölkerung sowie der syrischen Ölquellen.“ Das reiche, um auf den politischen Prozess, der in Genf fortgesetzt werden solle, Einfluss zu nehmen (South Front 2018b und Leukefeld 2018).

Je länger die einseitige Entwicklung östlich des Euphrat von den USA und der »Kleinen Syriengruppe« gefördert und die Entwicklung im Rest Syriens mit illegalen einseitigen Sanktionen blockiert wird, desto mehr wird die gesellschaftliche Spaltung des Landes vorangetrieben. Das US-Außenministerium hat rund 2.000 Expert*innen entsandt, um den zivilen Aufbau östlich des Euphrat voranzutreiben. Bezahlt wird von Saudi Arabien, das jüngst eine Ministerdelegation in das Gebiet schickte (AMN 2019 und Syriahr 2019). Die Bundesregierung beteiligt sich mit so genannter Stabilisierungshilfe, die von privaten und UN-Hilfsorganisationen in dem Gebiet umgesetzt wird. Einen Auftrag des UN-Sicherheitsrates dafür gibt es nicht, das Vorgehen folgt deutschen und westlichen Interessen. Nach dem Prinzip »Teile und herrsche« baut der Westen nördlich und östlich des Euphrat in Syrien einen Vasallenstaat.

Anmerkung

1) Siehe dazu die Graphik »Turkey’s Planned Safe Area« auf pbs.twimg.com/media/DUOkbb6XUAIHmZp.jpg.

Literatur

AMN (2019): Saudi officials visit eastern Syria to meet with US, SDF delegations. Nachrichtenservic Al-Masdar Al-‘Arab (AMN); 15.6.2019; almasdarnews.com/.

Bilgic, T. (2019): Erdogan Faces Syria Choice as Putin Revives 21-Year-Old Treaty. 25.1.2019; bloomberg. com.

Co-op News (2018): Kleine Syriengruppe – Deutschland mit dabei / DerHintergrund. 0hne Datum; cooptv.wordpress.com.

dpa (2018): Neue diplomatische Initiative – Deutschland in Syrien-Kerngruppe. ZDF Nachrichten, 25.4.2018; zdf.de.

Gebauer, M.; Schult, C. (2019): Deutsche »Tornados« sollen Schutzzone in Nordsyrien absichern. SPIEGEL ONLINE, 30.5.2019; spiegel.de.

junge Welt (2015): Bericht der US Defense Intelligence Agency (DIA) aus dem Jahr 2012, in Auszügen abgedruckt am 30.5.2015; ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien1/salafisten.html.

Leukefeld, K. (2018): Kampf um die Levante – Eskaliert der Krieg in Syrien? 17.2.2018; ­rubikon.news.

Neu, A. (2018): Anti-IS-Koalition bewegt sich völkerrechtlich auf extrem dünnem Eis. Pressemitteilung von Alexander S. Neu, Die Linke im Bundestag, 10. Juli 2018; linksfraktion.de.

PressTV (2019): Video – Militant weapons cache with Israeli, US-made munitions uncovered in Syria’s Quneitra; 23.4.2019; presstv.com.

RT Deutsch (2019): UN-Botschafter zu ­Syrien – Sanktionen des Westens sind Teil der Kriegsführung; 12.6.2019; youtube.com/watch?v=MfRbFt3KZ2E. Das ganze Interview von Karin Leukefeld mit Botschafter Idriss Jazairy steht unter dem Titel »Eine Stimme für die Menschen, die nicht gehört werden« auf nachdenkseiten.de (15.6.2019).

Rubikon (2018): „Lasst uns Syrien aufteilen!“ Ein diplomatisches Dokument entlarvt den US-Plan für Syrien. Exklusivabdruck aus der libanesischen Tageszeitung Al Akhbar. 3.3.2018; rubikon.news.

Shashkevich, A. (2018): U.S. wants peace, stability in Syria, Secretary of State Rex Tillerson says in policy speech at Stanford. 18.1.2018; news.stanford.edu.

South Front (2018a): Syrian War Report – US-led Coalition Struck Syrian Army In Deir Ezzor. 8.2.2018; southfront.org.

South Front (2018b): US State Secretary – Control Over Oil Fields Allows Washington To Influence Situation In Syria. 14.2.2018; southfront.org.

Syriahr (2019: About 24 hours after the Ain Issa meeting, a Saudi-American delegation meets SDF leaders, Sheikhs, and tribe elders in al-Omar oilfield. Syrian Observatory for Human Rights, 14.6.2019; syriahr.com.

U.S. Embassy in Syria (2018): Briefing With Special Representative for Syria Engagement Amb[assador] Jeffrey. 3.12.2018; sy.usembassy.gov.

Vereinte Nationen (1945): Charta der Vereinten Nationen, 26.6.1945; unric.org/de/charta.

Karin Leukefeld arbeitet als freie Korrespondentin im Mittleren Osten für Printmedien, Rundfunk, Fernsehen. Seit 2010 ist sie in Syrien akkreditiert.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/3 Hybrider Krieg?, Seite 33–40