W&F 2013/4

Veränderungen? Nur von unten!

von Paul Schäfer

Um es vorab zu sagen: Erfreulich ist das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 nicht. Die Menschen in den besonders gebeutelten »Krisenländern«, wie Spanien, Portugal, Griechenland, dürften das Resultat eher als bedrohlich empfinden. Ein Ende der ihnen auferlegten Verarmungspolitik ist nicht in Sicht.

Dasselbe gilt aber auch für die hierzulande von Hartz IV, prekärer Beschäftigung und Hungerlöhnen Betroffenen sowie die von Altersarmut Bedrohten. Auch für sie ist eine Wende in ihren Lebensbedingungen nicht zu erwarten.

Die etwas freundlichere Lesart besagt: Schwarz/Gelb ist abgewählt, Frau Merkel muss sich einen anderen Koalitionspartner suchen. Wäre das nicht das kleinere Übel?

Dass Angela Merkel weiter regieren wird, scheint nach ihrem deutlichen Sieg außer Frage. Aber mit wem? Dies ist bei Abfassung dieser Zeilen noch offen. Aber ob es zu einer Koalition mit den Sozialdemokraten kommt (die wahrscheinlichere Variante) oder zur Premiere von Schwarz-Grün auf Bundesebene, die Prognose scheint nicht schwierig: Eine grundlegende Veränderung der Politik wird es nicht geben.

In der Außenpolitik gilt ohnehin der Grundsatz größtmöglicher Kontinuität. Dazu gleich mehr. Aber auch in den anderen Politikfeldern wird es bestenfalls zu moderaten Neujustierungen kommen. Es ist damit wenig wahrscheinlich, dass die tiefgreifenden Probleme, mit denen wir es zu tun haben, wirklich angegangen werden. Die Merkel-Regierung, aber auch Teile der Medien, haben sich erdenkliche Mühe gegeben, im Wahlkampf diese Themen notorisch unterzupflügen. Es galt die Devise: „Deutschland geht es gut. Das soll so bleiben.“ Die möglichen Partner der Kanzlerin bleiben derweil in Debatten über Personal und parteitaktische Vorteile stecken. Ein Politikwechsel scheint nicht angesagt.

Ein paar Kompromisse in der künftigen Regierungspolitik – ob schwarz/rot oder schwarz/grün – deuten sich an:

Ein stärkeres Engagement für die Finanztransaktionssteuer ist zu erwarten, eine energischere Regulierung der Finanzmärkte eher nicht. Die Situation im Euro-Raum bleibt fragil. Gesagt wird: CDU/CSU und SPD hätten die Krise 2008/2009 schon mal gemeistert, darauf könne man bauen. Das könnte sich als trügerisch erweisen. Und: Eine nochmalige Mobilisierung der öffentlichen Ressourcen für Banken- und Euro-Rettung wird so nicht gehen.

Die moderate Anhebung des Spitzensteuersatzes scheint möglich, um den Eindruck gerechterer Politik zu erwecken, eine konsequentere Umverteilungspolitik ist nicht zu erwarten. Damit ist wiederum in Frage gestellt, ob die eigentlich unausweichlichen Zukunftsinvestitionen getätigt werden können. Alle waren sich im Wahlkampf einig: Bei Bildung und Wissenschaft liegt Deutschland gravierend zurück, in der öffentlichen Infrastruktur ist der Sanierungs- und Ausbaubedarf erheblich, Gesundheitsversorgung und Pflege sind notorisch Not leidend. Das konservative Lager verweist aber gerne auf die sprudelnden Steuereinnahmen der letzten zwei Jahre, die man einfach in die Zukunft fortschreiben möchte. Das dürfte sich als großer Irrtum erweisen. Vielmehr ist mit erheblichen Auseinandersetzungen um die Öffentlichen Haushalte zu rechnen.

Mehr soziale Gerechtigkeit in der Arbeitswelt und für die Älteren dürfte ein unerfülltes Desiderat bleiben. Zwar sind Schritte in Richtung gesetzlicher Mindestlohn und weiterer Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen vorstellbar. Aber – und das hat der zurückliegende Wahlkampf sehr deutlich gemacht – für eine Mehrheit des Bundestages ist eine prinzipielle Revision der Hartz-Gesetze ebenso tabu wie die Aussetzung der Rente erst ab 67. Jeder vierte Beschäftigte arbeitet inzwischen im Bereich unterbezahlter, extrem unsicherer Verhältnisse, aus dem es, wie sozialwissenschaftliche Studien gezeigt haben, kaum ein Entrinnen gibt. Diese große Personengruppe bleibt stigmatisiert und von kultureller, gesellschaftlicher Teilhabe weitgehend ausgeschlossen. Die geringe Wahlbeteiligung in diesen Sektoren trägt inzwischen demokratiegefährdende Züge. Soll das so weitergehen? Und was geschieht endlich, um der um sich greifenden Altersarmut zu begegnen? Auch hier wird es nur voran gehen, wenn sich mehr Widerspruch in der Gesellschaft regt.

Bleibt noch eins: Die Energiewende darf nicht gebremst werden. Nach den neuesten bedrohlichen Veröffentlichungen des Weltklimarates muss im Gegenteil der Ausbau der erneuerbaren Energien zügig vorangetrieben werden. Der Hinauswurf der FDP aus dem Bundestag hat hier zumindest Schlimmeres verhütet, aber ob der Kern des Energie-Einspeisungsgesetzes – der Vorrang der erneuerbaren Energien – gesichert und konsequent durchbuchstabiert wird und ob die Privilegien der besonders energiefressenden Unternehmen endlich angetastet werden, das steht in den Sternen.

Kommen wir zur Außenpolitik. Im Rückblick hat man den Eindruck, dass die letzte Bundesregierung in ihrer Außenpolitik nach 2009 in hohem Maße durch die »Euro-Krise« absorbiert wurde. Die Wirkung dieser Politik war buchstäblich verheerend. Sie hat namentlich in Südeuropa die Massenarbeitslosigkeit explodieren lassen, soziokulturelle Errungenschaften, z.B. bei der Altersversorgung, zurückgedreht und die zentrifugalen Tendenzen in der Europäischen Union gestärkt. Ein solidarisches Europa sieht sehr anders aus – und es muss von unten erkämpft werden.

Die Euro-Fokussierung der Merkel-Regierung hatte Folgen für die übrige internationale Politik, die als ambivalent bezeichnet werden dürfen. Bei bestimmten Konflikten, wie Libyen und Syrien, hat man sich wohltuend zurückgehalten. Die Kehrseite davon: Die Bundesrepublik ist als mitgestaltender und in der EU vorwärtstreibender Akteur weitgehend ausgefallen. Ein wirksames Profil war nicht zu erkennen, weder innerhalb der Vereinten Nationen noch innerhalb der Gemeinsamen Außenpolitik der EU. Neue Beiträge zur Lösung des Atomstreits mit dem Iran? Fehlanzeige. Energische Vermittlungsbemühungen im Palästina-Konflikt? Fehlanzeige. Neue Vorstöße in der Abrüstungspolitik? Fehlanzeige. Der vorgesehene Truppenabzug aus Afghanistan war eine US-Initiative, der die Bundesregierung anfangs nur zögerlich folgte. Negativ fiel die Regierung auf durch ihre Bemühungen um immer mehr Waffenausfuhren. Vor allem die angekündigten Panzer-Geschäfte mit Saudi-Arabien und Katar wurden zum öffentlichen Ärgernis.

Was also wird sich ändern?

Beginnen wir mit Erfreulichem: Niebel ist weg. Das dürfte zum Aufatmen beim entwicklungspolitisch engagierten Teil der Belegschaft des BMZ führen und mehr noch bei den vielen Nichtregierungsorganisationen, die unter den Vorgaben des Reserveoffiziers zu leiden hatten. Vor allem aber: Die Pervertierung der Entwicklungspolitik zur Außenwirtschaftsförderung kann gestoppt werden.

Daher keimt Hoffnung auf, dass die neue Bundesregierung andere Akzente in der Entwicklungspolitik setzen könnte. Anhebung der öffentlichen Entwicklungsausgaben (ODA-Quote), mehr Beschränkungen der EU-Agrarsubventionen, aktivere Beiträge innerhalb der UN-Institutionen. Das scheint nicht ausgeschlossen, steht aber unter Finanzierungsvorbehalt, d.h. es ist von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung abhängig.

Die Hoffnung besteht, dass der »Aktionsplan für Zivile Krisenprävention« wieder mehr Beachtung finden wird. Dabei geht es den zivilgesellschaftlichen Gruppen darum, den bisherigen Maßnahmenkatalog durch die Aufstellung von Leitlinien fortzuentwickeln. VENRO, die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und andere haben zugleich darauf gedrängt, dass sich eine neue Prioritätensetzung auch institutionell niederschlagen müsse, zum Beispiel durch die Schaffung eines Rates für Friedensförderung. Das hatte durchaus Widerhall in den Wahlprogrammen der Oppositionsparteien, aber werden solche Positionen ihren Niederschlag im Regierungshandeln finden? Wird der Aktionsplan zur kategorischen Richtschnur deutscher Außen- und Entwicklungspolitik? Wohl kaum. Die Fixierung auf militärische Beiträge zur »Krisenbewältigung« ist viel zu stark, als dass hier jähe Wendungen zu erwarten sind. Ohne außerparlamentarischen Druck ist auch nicht zu erwarten, dass die Militäreinsätze auf den Prüfstand gestellt werden und die Bundeswehr-Kontingente aus den verschiedenen Schauplätzen so rasch als möglich zurückgeholt werden.

Was indes möglich erscheint ist, dass die Einrichtungen der zivilen Konfliktbearbeitung und der Friedensforschung mit mehr Fördermitteln und mit etwas mehr politischer Beachtung rechnen dürfen. Das große Füllhorn wird sich allerdings nicht über sie ergießen.

Unilaterale Abrüstungsschritte wird es nicht geben. Ein Verzicht auf die Beschaffung bewaffneter Drohnen ist eher unwahrscheinlich.

Vom weiteren öffentlichen Druck wird abhängen, ob in puncto Rüstungsexporte zumindest mehr Transparenz hergestellt werden kann. Das wäre ja eine Voraussetzung, um die besonders schändlichen Waffenausfuhren in Spannungsgebiete oder an despotische Regime unterbinden zu können. SPD und Grüne haben sich dazu verpflichtet, dass das Parlament bei brisanten Entscheidungen einbezogen werden muss. Die Grünen haben darüber hinaus – wie auch die LINKE – ein Gesetz gefordert, das die »Politischen Grundsätze« der Bundesregierung aus dem Jahre 2000, die zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik führen sollten, verbindlich machen soll. Hier sind wir gespannt, was kommen wird. Fest steht aber: Ohne die Fortsetzung der »Aktion Aufschrei« wird es nicht gehen!

Noch einmal zum Finanzierungsvorbehalt: Viel wird davon abhängen, wie sich die längst nicht ausgestandene »Euro-Krise« weiter entwickeln wird.

Und da wir weit davon entfernt sind, dass die auslösenden Faktoren der »Euro-Krise« – Deregulierung der Finanzmärkte, Spekulationsblasen an den Börsen, Leistungsbilanzunterschiede zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, fehlende gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik – endlich gemeinschaftlich angegangen werden, bleibt grundlegende Skepsis angebracht.

Nur sollte daraus keine abwartende Nörgel-Haltung erwachsen, sondern mehr Elan und mehr Leidenschaft für ein sozial gerechteres und friedlicheres Europa. Das erscheint gerade mit Blick auf die Europawahlen im nächsten Jahr besonders vordringlich.

Nachbemerkung: In diesem Text wird davon ausgegangen, dass eine »rot-rot-grüne« Regierungskonstellation eher nicht kommen wird. Dennoch hat die Debatte über eine solche Option längst begonnen. Warum eigentlich nicht, fragen sich immer mehr Menschen. Es müsste dann aber tatsächlich um einen Politikwechsel gehen. Die Diskussion darüber wird uns die nächsten Monate begleiten.

Paul Schäfer war 1983-1990 verantwortlicher Redakteur von W&F; 2005-2013 war er Mitglied des Bundestages für die Partei »Die LINKE«.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/4 Der pazifische Raum, Seite 5