W&F 2020/4

Verboten – und nun?

von Regina Hagen

Honduras wählte ein symbolträchtiges Datum, um seine Ratifizierungsurkunde für den »Vertrag über das Verbot von Kernwaffen« (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, TPNW) in New York zu hinterlegen: Der 24.10. erinnert als »Tag der Vereinten Nationen« an den Tag, an dem die UN-Charta nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Kraft trat und die Weltgemeinschaft auf eine friedlichere Zukunft einschwor.

Mit Honduras haben nun 50 Staaten den TPNW ratifiziert; 90 Tage danach tritt der Vertrag vereinbarungsgemäß in Kraft, das wird am 22.1.21 sein. Der TPNW verpflichtet die Vertragsparteien u.a. dazu, „unter keinen Umständen jemals […] Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper zu entwickeln, zu erproben, zu erzeugen, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern“, diese „anzunehmen […,] einzusetzen oder mit dem Einsatz zu drohen“, jemanden bei solch verbotenen Tätigkeiten „zu unterstützen“ oder „Kernwaffen […] in seinem Hoheitsgebiet […] zu gestatten“.

Der TPNW schließt eine Lücke im Völkerrecht. Einem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs von 1996 zufolge widersprechen zwar der Einsatz und die Drohung mit dem Einsatz – und somit auch die Doktrin der Abschreckung, die auf dieser Drohung beruht – aus humanitären Gründen ohnehin dem Völkerrecht. Atomwaffen sind bislang aber nicht ausdrücklich verboten. Das wird sich ab 22. Januar ändern. Weitere Vertragsbeitritte sind zu erwarten, wenngleich vielleicht nicht alle 122 an den Vertragsverhandlungen beteiligte Staaten diesen Schritt bald wagen werden. Denn der Gegenwind ist scharf, mutet allerdings auch panisch an.

So schrieben die USA noch wenige Tage vor Honduras‘ Ratifizierung alle bereits beigetretenen Staaten an und legten ihnen nahe, ihre Ratifizierung zu widerrufen, damit der Vertrag nicht in Kraft treten kann – ein beispielloser Vorgang im Völkerrecht. Die USA betonten laut der Nachrichtenagentur AP in dem Brief ausdrücklich, mit ihnen stünden Russland, China, Frankreich und Großbritannien sowie die NATO-Verbündeten „geschlossen in ihrem Widerstand gegen die möglichen Auswirkungen“ des TPNW.

Es ist nicht schwer zu verstehen, was die Atomwaffenstaaten verschreckt: Der Vertrag erlangt zwar nur für seine Mitgliedsstaaten Gültigkeit, markiert aber eine weit über diesen Kreis hinausreichende völkerrechtliche Norm gegen nukleare Rüstung. Einige Beispiele:

  • Die USA selbst wiesen vor etlichen Jahren auf die Konsequenzen für ihre Schiffs- und U-Boot-Flotte hin. Die US-Regierung legt grundsätzlich nicht offen, welche Schiffe und Boote Atomwaffen an Bord haben. TPNW-Mitgliedsstaaten müssten aber die Durchfahrt von Booten mit Atomwaffen durch ihre Hoheitsgewässer untersagen, um jegliche, auch unbeabsichtigte, Beihilfe zu verbotenen Aktivitäten auszuschließen. Für die USA wären diese Gewässer damit indirekt gesperrt.
  • NATO-Verbündete, wie die Nieder­lande, Belgien oder Deutschland, müssten dem TPNW eigentlich beitreten, um ihrem multilateralen Anspruch gerecht zu werden. Nur dann wären sie beteiligt an der Fortentwicklung des Völkerrechts und nur dann könnten sie die praktische Ausgestaltung des Vertrags beeinflussen. Dazu müssten sie allerdings auf jegliche Form der nukleare Teilhabe verzichten und von den USA den Abzug ihrer Atomwaffen verlangen. In ihrem Koalitionsvertrag schrieb die neue belgische Regierung immerhin fest, sie wolle „prüfen […,] wie der UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen neue Impulse für multilaterale nukleare Abrüstung geben kann“ – eine deutliche Ablehnung des Vertrags klingt anders.
  • Bereits in den vergangenen Jahren zogen sich aufgrund öffentlichen Drucks etliche Banken und Versicherungen aus der Finanzierung des Nuklearwaffenkomplexes zurück; es wurde schwieriger für Produzenten von Atomwaffen oder Trägersystemen, neue Investitionen oder Kredite zu bekommen. Die völkerrecht­liche Ächtung der Atomwaffen wird diesen Prozess beschleunigen. Ebenso werden sich Firmen künftig genauer überlegen, ob ihre Gewinne aus Atomwaffengeschäften (z.B. Airbus am französischen Nukleararsenal) den Boykott durch Konsument*innen und Finanz­institutionen wirklich aufwiegen.

Es stimmt, der TPNW wird nicht unmittelbar zur Verschrottung von Atomwaffen führen. Er ist aber eine wichtige Ergänzung des Völkerrechts und könnte mittelbar den Weg bahnen für eine umfassendere Nuklearwaffen­konvention unter Einbindung der Atomwaffenstaaten, wie dies bei den Chemie- und Biowaffen der Fall war. Sobald der TPNW in Kraft getreten ist, müssen die Vertragsstaaten und die sie unterstützenden Nichtregierungsorganisationen und Friedensbewegten ohnehin darüber nachdenken, wie sie der in der Präambel des Vertrags konstatierten „Dringlichkeit der Herbeiführung und Erhaltung einer kernwaffenfreien Welt, die ein globales öffentliches Gut höchsten Ranges ist und nationalen wie kollektiven Sicherheitsinteressen dient,“ zusätzlich Schwung verleihen können. Der Beitritt weiterer Nichtatomwaffenstaaten, darunter Deutschland, ist dafür wichtig. Ohne Mitwirkung der Atomwaffenstaaten sind entsprechenden Bemühungen aber enge Grenzen gesetzt.

Ihre Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/4 Umwelt, Klima, Konflikt – Krieg oder Frieden mit der Natur?, Seite 2