Verteidigen Ja, Angreifen Nein
Andreas Linder im Interview mit den Kriegsdienstverweigerern Omry Yeshurun und Dan Tamir
von Omry Yeshurun, Dan Tamir und Andreas Linder
Andreas Linder: Sie haben nach Beginn der Offensive in den besetzen Gebieten den Dienst in der israelischen Armee verweigert. Warum und was waren die Konsequenzen?
Omry Yeshurun (OY): Ich verweigerte im Januar 2001. Das war noch vor der neuerlichen Besetzung der palästinensischen Städte. Ich verweigerte aus Gründen, die seit über zwei Jahren bestehen und immer noch andauern. Ich bin nicht einverstanden mit der israelischen Politik in den besetzten Gebieten. Ich werde die israelische Politik definitiv nicht mit meinen eigenen Händen umsetzen. Gleich nach der Verweigerung wurde ein militärisches Disziplinarverfahren gegen mich durchgeführt. Nach der Verhandlung wurde ich für 28 Tage im Militärgefängnis Nr.6 inhaftiert.
Dan Tamir (DT): Ich habe im März 2001 den Befehl erhalten, mit ein paar meiner Soldaten für einen kurzen Einsatz nach Samarien, nicht weit von Ramallah, zu kommen. Ich habe meinem Oberst gesagt, dass ich meine Soldaten nicht in einen solchen Einsatz schicken will. Das war meine erste Verweigerung. Dann hat mein Kommandant gesagt, wenn du deine Soldaten nicht schicken willst, dann kommst du selbst. Ich habe gesagt: „Gut, ich werde kommen. Ich bin kein Deserteur.“ Übrigens, wie alle anderen Verweigerer auch: Wir sind keine Deserteure. Ich habe klar gesagt, ich werde kommen, aber ich nehme nicht teil, ich werde keine Uniform in Ramallah anziehen und das Gewehr nicht in die Hand nehmen. Dann habe ich verweigert und wurde inhaftiert, auch 28 Tage in der Offiziersabteilung im Militärgefängnis Nr.6.
Wie viele Soldaten haben seit Beginn der Offensive den Kriegsdienst verweigert?
OY: Seit September 2000 gibt es 150 Refuseniks, die zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden. Über Tausend haben ihre Verweigerung öffentlich erklärt.
Sind die Refuseniks ein politischer Faktor in Israel?
OY: Die Refuseniks werden zur Zeit als die extreme Linke wahrgenommen. Sie werden beachtet und sie sind ein politischer Faktor. Wir sind da und wir können mehr werden, wenn sich der Krieg verschärft. Wenn sich die Sharon-Politik weiter nach rechts entwickelt, wird die Zahl der Refuseniks massiv ansteigen.
DT: Ich denke, dass die Aktivitäten gegen eine Besatzung und die Weigerung, an der Besatzung teilzunehmen, sehr politisch sind. Das israelische Militär wird von der Regierung für politische Zwecke missbraucht. Sich diesem nutzlosen Krieg zu verweigern ist eine wichtige politische Handlung.
Wie reagiert denn die israelische Regierung auf die Verweigerungen?
OY: Die israelische Regierung ist natürlich gegen uns. Aber es ist die israelische Armee, die sich um uns »kümmert.«
Nimmt denn Yesh Gvul als Organisation Stellung zur Besatzungspolitik der israelischen Regierung?
OY: Yesh Gvul gibt keine Erklärungen als Organisation ab. Sie bekundet ihre Unterstützung für die Refuseniks und für jeden, der eine Gewissensentscheidung gegen den Militärdienst vorbringt. Allerdings ist klar, dass die Mehrheit der Aktiven von Yesh Gvul der Auffassung ist, dass Israel die besetzten Gebiete räumen soll und dass ein palästinensischer Staat anerkannt werden muss.
Was würde passieren, wenn es noch wesentlich mehr Verweigerer geben würde?
OY: Das Ziel der Refuseniks ist, dass es so viele Refuseniks wie möglich gibt. Die Armee wird ein Problem bekommen, nämlich ihren Dienst in den besetzten Gebieten zu erfüllen. Dieses Problem hat sie schon jetzt und es wird größer werden. Sie wird nicht mehr in der Lage sein, die grausamen Missionen dort zu erfüllen, einige davon aufgeben und die besetzten Gebiete vielleicht wieder ganz verlassen.
DT: Ich bin kein Prophet. 1984 und 1985 musste sich das israelische Militär aus dem Libanon zurückziehen. Niemand wusste genau, was die Ursachen für den Rückzug waren. Erst 1990 hat der ehemalige Generalstabschef, Majorgeneral Moshe Levy, in einem Interview klar gesagt, dass in der höheren Führungsebene des Militärs die Angst vor einer größeren Verweigerungswelle die Hauptursache für die Entscheidung für den Rückzug gewesen sei. Wir wissen also, dass Verweigerung im Libanonkrieg ein Faktor war. Je mehr Soldaten den Dienst in Judäa, Samaria und Gaza verweigern, desto schneller wird eine Entscheidung im israelischen Militär und in der Regierung für das Ende der Besatzung kommen. Das hoffen wir.
Sie praktizieren selektive Verweigerung. In welchen Fällen entscheiden Sie sich für eine Verweigerung, in welchen Fällen sind Sie bereit, im israelischen Militär zu dienen?
OY: Ich werde in der israelischen Armee dienen, wenn Israel in existenzieller Gefahr ist. Ein solcher Grund ist gut genug, um zu dienen und zu kämpfen. In jedem anderen Fall, besonders in der Situation, die wir zur Zeit in den besetzten Gebieten haben, werde ich meinen Dienst nicht ableisten.
DT: Man muss etwas wichtiges wissen über Yesh Gvul: Es bedeutet übersetzt »Es gibt eine Grenze«. Diese Grenze ist zuallererst eine persönliche Grenze des Gewissens. Es geht um die Frage, wozu ein Soldat bereit ist und wozu nicht. Ich bin nicht bereit, an einem unnötigen Angriffskrieg teilzunehmen. Ich werde immer an der Verteidigung und Selbstverteidigung meines Staates und meiner Landsleute teilnehmen. Ich sage Ja zum Verteidigen und Nein zum Angreifen.