W&F 2005/4

„Verteidigung am Hindukusch“

von Jürgen Nieth

Der 15. Deutsche Bundestag hat auf einer Sondersitzung am 28. September die Verlängerung um 12 Monate und die Erweiterung des Afghanistan-Mandats beschlossen. Von den 553 anwesenden Bundestagsabgeordneten stimmten 535 dem Einsatz zu, 14 stimmten mit Nein und vier enthielten sich der Stimme.

Die »Ganz große Koalition«

„Über Einsätze der Bundeswehr im Ausland befindet der Deutsche Bundestag in der Regel mit mehr als »nur« der Mehrheit einer großen Koalition. Bis auf die PDS billigen traditionell alle Parteien (von einigen Dissidenten abgesehen) die Mandate für die Truppe. 36 Mal war das der Fall, wie der CDU-Politiker Friedbert Pflüger hervorhob, seitdem die noch amtierende Regierungskoalition ausgerechnet mit der Entscheidung über die Beteiligung am Krieg auf dem Balkan ihr Werk begann.“ (Thomas Köter, FR 29.09.2005)

Sondersitzung des abgewählten Bundestages

Deutschland hat am 18. September einen neuen Bundestag gewählt, bis zu dessen Konstituierung ist der alte noch im Amt. Warum eine Sondersitzung des alten Bundestages? Die offizielle Lesart: „Die Sondersitzung des Bundestages war nötig geworden, weil die Vereinten Nationen (UN) in diesen Tagen das Mandat für die ISAF (International Security Assistance Force, d. R.) verlängert hat. Mit 3.000 der mehr als 11.000 Soldaten in Afghanistan ist Deutschland der größte Truppensteller. Bisher durfte die Bundeswehr bis zu 2.250 Soldaten einsetzen“ (FR 29.09.2005)

Eine andere Einschätzung trifft Bettina Gaus in der TAZ (22.09.2005): „Es scheint zu einer lieben Gewohnheit zu werden, dass ein abgewähltes Parlament noch sicherheitspolitische Entscheidungen treffen darf. 1999 ging es um den möglichen NATO-Einsatz im Kosovo… (jetzt) soll erneut ein abgewählter Bundestag über Verlängerung und Modalitäten eines Einsatzes entscheiden, dieses Mal in Afghanistan. Ohne die Fraktion der Linkspartei, versteht sich. Dem alten Parlament hat sie ja noch nicht angehört… Vom Respekt vor dem Wählerwillen… zeugt das nicht. Zumal es keineswegs unvermeidlich wäre. Der neue Bundestag muss sich spätestens bis zum 18. Oktober konstituieren, aber nichts spricht dagegen, dass er früher zusammen tritt. Das Mandat für Afghanistan läuft am 13. Oktober aus. Angesichts der breiten Zustimmung zu der Operation entschiede der neue Bundestag ebenso wie der alte. Aber immerhin könnte die Linkspartei dann das tun, wofür sie gewählt wurde: einer abweichenden Position parlamentarisches Gehör verschaffen.“

Das Risiko steigt

Die Truppe wird nach dem Bundestagsbeschluss aufgestockt und ihr Verantwortungsbereich ausgeweitet. Der Einsatz war am Anfang auf die Hauptstadt Kabul begrenzt, später folgte Kundus und schließlich Faisabad. Künftig soll es auch nach Masar-i-Scharif gehen. „Die regionale Begrenzung, die sich die Deutschen zum Selbstschutz auferlegten, ist also weitgehend gefallen. das Risiko steigt (Peter Münch, SZ 29.09.2005).

Bisher hat der Afghanistan-Einsatz 17 deutschen Soldaten das Leben gekostet, doch erst jetzt wird es wohl eine richtig „heikle Mission“ (Spiegel Nr. 40/2005). Der Bundestagsbeschluss wird „das deutsche Operationsgebiet praktisch auf ganz Afghanistan“ ausdehnen. „Die deutschen erhalten nun einen eigenen Sektor, den relativ ruhigen Norden, wo seit je das Drogengeschäft floriert… Richtig gefährlich ist indes ein Auftrag, den die Deutschen zusätzlich übernehmen: Eine schnelle Eingreiftruppe mit CH-53-Hubschraubern des Heeres und »Transall«-Transportflugzeugen der Luftwaffe soll notfalls… den britischen Einheiten im Süden“ bewaffneten Beistand geben. „Dort gibt es immer noch Gefechte mit »militanten Opositionskräften«, wie die NATO eher verharmlosend die Gegner der Karzei-Regierung nennt.“

Die TAZ weist darauf hin, dass „wenn schon nicht rechtlich, so doch faktisch… die UN-Friedensmission längst eng verzahnt (ist) mit dem US-geführten Kampfeinsatz »enduring freedom«. Auch an letzterem sind übrigens deutsche Soldaten beteiligt, was sie genau tun, bleibt der Öffentlichkeit verborgen (22.09.05)

Die Rechtmäßigkeit des Einsatzes

Spätestens die oben angesprochene Verzahnung des Bundeswehreinsatzes mit »enduring freedom« wirft die Frage nach der Übereinstimmung mit dem Grundgesetz auf. Die Wochenzeitung »Die Zeit« (30.09.05) stellt sarkastisch fest: „Die Bundeswehr ist weiterhin zur Landesverteidigung, sicher. Bloß kaum noch in Deutschland.“

Die Ost-West-Wochenzeitung »Freitag« (30.09.05) bezeichnet den Afghanistan Einsatz „als Muster für die erstrebte weltweite Interventionsfähigkeit deutscher Streitkräfte“, und sie lässt den Völkerrechtler Norman Paech zu Wort kommen, der die Schlussfolgerung zieht, dass das Grundgesetz „einem weltweiten Einsatz der Bundeswehr widerspricht.“

Steigende Kosten

Mit der Ausdehnung des Bundeswehreinsatzes steigen auch die Kosten. Die zusätzlichen Ausgaben „bezifferte Struck für dieses Jahr auf 41,5 Millionen Euro. Die Gesamtkosten für ISAF im Jahr 2006 beliefen sich auf 227 Millionen Euro.“ (FR 22.09.05)

Die SZ (29.09.05) rechnet sogar mit rund 319 Millionen Euro für das nächste Jahr

Drogen

Seit dem US-geführten Militäreinsatz in Afghanistan ist das Land wieder zum führenden Opiumproduzenten aufgestiegen. „Der Drogenhandel (ist der) wichtig­ste Wirtschaftsfaktor in Afghanistan: Rund 87 Prozent der Weltproduktion an Roh­opium kommen aus dem Land. Im vergangenen Jahr belief sich der geschätzte Erlös daraus auf 2,8 Milliarden US-Dollar.“ (Spiegel 1.10.05) Weiter heißt es dort: Die Bundeswehr soll u.a. für ein sicheres Umfeld sorgen, indem die afghanische Regierung selbst gegen die Opiumkartelle vorgehen kann. Doch für „die Drogenbekämpfung zuständig ist ausgerechnet der heimliche Regent der Region Kunduz, Mohammed Daud, der selbst als einer der größ­ten Drogenbarone gilt. Als Patron am neuen Stützpunkt der Deutschen in Masar-i-Scharif agiert hinter den Kullissen der streitbare Abdul Raschid Dostum“, der früher „mit seiner auch drogenfinanzierten Miliz“ an der Seite der Sowjets kämpfte und jetzt oberster Militärberater Karzais und Armeechef ist. „Kein einfacher Geprächspartner für den deutschen Brigadegeneral Kiesheyer.“

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/4 60 Jahre Vereinte Nationen, Seite