Visuelle Konflikte
von Paul Fox und Gil Pasternak
Die Konferenz »Visual Conflicts: Art History and the Formation of Political Memory« am University College in London befasste sich am 7. März 2009 mit den verschiedenen Arten, in denen sich visuelle Kultur mit bewaffneten Konflikten und allen Typen politisch motivierten Gewalthandelns befasst. Auf der Grundlage der analytischen Bezugssysteme der Disziplinen Kunstgeschichte und Visuelle Kultur wurde das ganze Feld der visuellen Repräsentation abgedeckt, so etwa wie bereits bestehende Konfliktnarrative darauf Einfluss nehmen, wie ForscherInnen den Repräsentationen von Konflikten Bedeutung zuweisen oder welche Auswirkungen Veränderungen der Bildtechnologien und der Erfahrungen des Krieges – auf dem Schlachtfeld wie darüber hinaus – auf wissenschaftliches Forschen haben.
Die Konferenz bot eine Plattform für die sich entwickelnde Vernetzung der Forschungen zur Politik der Gewalt, deren visuelle Repräsentationen, Erinnerungsarbeit und Identitätsformation. Die sechs Vortragenden behandelten eine Vielzahl von Aspekten: Darstellungen des Alltagslebens britischer und französischer Expeditionstruppen in illustrierten Magazinen des späten 19. Jahrhunderts; Bilder von Veteranen in der Druckkultur des nach-revolutionären Frankreichs; den Vergleich zweier Zweihundertjahrfeiern zum Irischen Aufstand von 1798 in Irland bzw. Nordirland; ein »Bild der Woche« aus dem »LIFE«-Magazin von 1944 über den fortdauernden Krieg gegen Japan; klischeehafte photografische Repräsentationen von Krieg und anderen politischen Gewaltkonflikten in der englischen Presse der Gegenwart; einen Film über die Politik revolutionärer Selbstrepräsentation in Rumänien 1992 sowie die Ziele, Intentionen und Artikulation von digitalen Aufnahmen von SelbstmordattentäterInnen im Nahen Osten.
Die Mehrheit der auf den Call for Papers eingereichten Papiere befasste sich mit Aufständen oder Rebellionen und weniger mit zwischenstaatlichen Konflikten. Die große Bandbreite der ausgewählten Themen wurde durch die Fragestellung verbunden, wie visuelle Repräsentationen zur Anwendung kommen, um die Erinnerung an Gewaltakte zu begrenzen, zu kontrollieren, zu bewahren oder auch in Frage zu stellen.
Trotz der Unterschiedlichkeit der behandelten Themen und der analytischen Zugänge ergaben sich zwei gemeinsame Linien: Die Kategorien »Kämpfer« und »Zivilist« wurden häufig hinsichtlich ihrer Unterscheidbarkeit behandelt. Tom Gretton (University College London) etwa argumentierte, dass Bilder, die das Lagerleben der Expeditionsstreitkräfte zeigen, die eigentliche Aussage offenbaren, dass die subordinierte Kultur »unzivilisiert« sei, da diese keine Unterscheidung zwischen »Zivilperson« und »Kämpfer« anböten. Demgegenüber versicherten Bilder über die Normalisierung des Lebens in der Heimat mit ihren Konnotationen von »Zivilisation« die moralische Überlegenheit der imperialen Macht. Sue Walker (University College London) diskutierte, wie Abbildungen napoleonischer Veteranen (halb Soldaten, halb Zivilisten) im Frankreich des 19. Jahrhunderts als Orte der Erinnerung an zentrale Ereignisse napoleonischer Eroberung fungierten. Mit Blick auf das am 22. Mai 1944 im »LIFE«-Magazin erschienene »Bild der Woche« widersprach Jay Curley (Wake Forest University) der Argumentation, dass mediale Versuche der Rationalisierung extremen Gewalthandelns zu deren Nachvollziehbarkeit an der Heimatfront führten. Katy Parry (Liverpool University) untersuchte Zeitungsfotos, die Angehörige zeigen, die Fotos ihrer verstorbenen Angehörigen in die Kamera halten. Indem sie diese Sitte als klischeehaft charakterisierte, führte Parry die Frage nach der Beziehung zwischen Fotografie und Erinnerung, zwischen Konflikt und der Darstellung des Verlustes ein. Kira Shewfelt (University of South Carolina) ging der Frage nach, wie »Märtyrer« in einer Zeit dargestellt werden, da die Ausbreitung digitaler Medien mit dem Übergang zur »asymmetrischen« Kriegführung (inklusive fortdauernder »Terror«-Kampagnen) zusammenfällt. Indem Shewfelt zeigte, dass sein/ihr Bild heimlich produziert, aber später im öffentlichen Raum platziert würde, verdeutlichte sie wie der »Märtyrer« zugleich die Position des/der KämpferIn als auch die eines integralen Mitglieds der zivilen Gemeinschaft einnehme.
Das zweite verbindende Thema bestand in der Beobachtung, dass alle Typen visuell-kultureller Produktion bei der Darstellung des Erlebens von Konflikten versagen. Viele der im Rahmen der Konferenz diskutierten Bilder berührten die Frage der Gewalt nur: Tom Gretton verwies auf die Darstellung entfernter, in Rauch gehüllter Horizonte; Sue Walker auf Kriegsmedaillen, Namen von Schlachten und fehlende Extremitäten; John Curley auf den Schädel eines japanischen Soldaten, der als »memento mori« fungierte; und in den von Katy Parry gezeigten Bildern tauchen die Stätten der Konflikte nur selten auf. Nur in den von Kira Shewfelt ausgewählten Erzeugnissen, die das erkennbar politisierte Leben und den Tod der SelbstmordattentätterInnen sowohl unterstreichen als auch daran erinnern, wird der/die Betrachtende dichter an den Gewaltakt herangeführt. Daher dienen die typischen digitalen Repräsentationen solcher Akte des Widerstandes ihrer Ansicht nach dazu „den Gegensatz von Tatsache und Fiktion zu vergrößern, zu trüben und folglich zu verwirren“, so dass die Auswirkungen der Gewaltakte der SelbstmordattentätterInnen aus der Kernbilanz des Märtyrertodes verdrängt werden.
Thomas Cauvin (European University Institute) und Eva Kernbauer (University of Bern) stellten als einzige Vortragende Bilder aktueller Gewaltakte vor. Cauvins Vortrag untersuchte wie das politische Erinnern an die irische Rebellion von 1798 in zwei unsymmetrischen Beschreibungen verhandelt wird, die im Rahmen jüngerer Erinnerungsausstellungen beidseitig der irischen Grenze angeboten wurden. Die Bildgestaltung ziviler Blutbäder stellte ein besonderes Problem im Verlaufe des nordirischen Friedensprozesses dar – bis hin zu dem Punkt, dass eine der Ausstellungen solche visuelle Rhetorik herunterspielte und die andere es als weniger problematisch betrachtete, indem sie behauptete, dass exzessive Gewalttaten die Ausnahme gewesen seien und ohnehin nur von örtlichen irregulären Kräften verübt worden seien. Kernbauer analysierte das Stück »Videograms of a Revolution«, das im Auftrag der Revolutionäre erstelltes Fotomaterial über die Hinrichtung des Ceauscescu-Paares zeigt, unter dem Gesichtspunkt, wie Erkenntnis und Kritik der Bedingungen politischer Repräsentation die Behandlung und das Verständnis historischen Materials beeinflussen.
Insgesamt hat die Konferenz hervorgehoben, wie visuelle Repräsentationen von Konflikten über Diskussionen von richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht hinausreichen. Die Vorträge stellten Wege vor wie über politisch aufgeladene Bilder diskutiert warden kann, ohne notwendig über die historischen Ereignisse, die sie zeigen, ihren Gewaltcharakter oder die beteiligten Parteien zu urteilen. Dieser Ansatz vermeidet die Annahme, dass eine Art der Repräsentation glaubhafter oder präziser ist als eine andere. Die Beiträge verdeutlichten aber auch die zentrale Bedeutung, die visuelle Repräsentationen von Konflikten zum Verständnis gewaltsamer historischer Momente im zeitgenössischen Kontext wie in der Erinnerung haben.
Paul Fox & Gil Pasternak