Vom Irak- zum Nahostkrieg?
von Jürgen Nieth
Am 10. Januar hat US-Präsident Bush die Verstärkung der US-Truppen im Irak um 21.000 GIs angekündigt. Damit ignoriert Bush nicht nur die Empfehlungen der Baker-Kommission, er stößt national und international auch auf immer stärkeren Widerstand.
Verfall des politischen Kurswertes
„Der politische Kurswert der amerikanischen Regierung sank ins nahezu Bodenlose,“ schreibt der Spiegel (15.01.07, S.100). „70 Prozent der Amerikaner, so zeigten Blitzumfragen, lehnen den Bush-Plan ab… Regierungen in aller Welt, selbst treueste Koalitionspartner, die dem amerikanischen Präsidenten 2003 in den Irak gefolgt waren, zeigten – bis auf den Getreuen Tony Blair – kaum verhülltes Entsetzen über diesen »letzten Versuch«, eine verfahrene Situation militärisch zu lösen, die sich nach vorherrschender Meinung allenfalls noch mit politischen Mitteln kalmieren lässt.“
Bushs Hintermänner
Bush „ignoriert alles, was Experten, Oppositionsmehrheit und US-Öffentlichkeit wollen,“ meint auch Bernd Pickert in der TAZ (12.01.07). „Nun ja, fast alles“, fährt er fort. Bush „hält sich ziemlich genau an ein Papier, das in der vergangenen Woche vom neokonservativen »American Enterprice Institute« vorgestellt wurde. Es trägt den Titel »Den Sieg wählen. Ein Erfolgsplan für den Irak« und skizziert relativ genau, was Bush jetzt vorhat. Zur Beruhigung der Öffentlichkeit sind die Neocons aus den Ämtern verschwunden. Tatsächlich bestimmen sie weiter den politischen Kurs.“
Nachträgliche Kriegseinschätzungen
„Dieser Krieg war falsch, von Anfang an,“ stellt
Christian Wernicke in der Süddeutschen Zeitung (12.01.07) fest. „Den meisten
Amerikanern dämmert diese Einsicht. Nur der Präsident sträubt sich.“
Die Mehrheit der Deutschen war von Anfang an gegen diesen Krieg. Und die
Mehrheit der Medien (s.o.) zeigt sich auch heute kritisch gegenüber der
US-Politik. Mit Ausnahmen!
Fast hilflos wirkt z.B. der Kommentator der FAZ (12.01.07), wenn er feststellt:
„Präsident Bush war vorsichtig genug, seine Ankündigung, zusätzliche Truppen
in den Irak zu entsenden, nicht mit dem Versprechen zu verbinden, damit könne
man der Gewalt Herr werden oder einen Bürgerkrieg abwenden.“
Die Bild verweigert sich gleich jeder Einsicht. Sie fragt am
12.01.07 „5 kluge Köpfe“, die »zufällig« alle von Bushs Politik
überzeugt zu sein scheinen. Unter ihnen Michael Wolfsohn, Prof. an der
Bundeswehr-Uni in München: „Die Intervention der Amerikaner im Irak 2003 war
richtig, das wird auch die Geschichte beweisen;“ und Prof. Michael Stürmer,
Berlin: „Anzuerkennen ist, das sich Bush nicht… davonschleicht, sondern mit
weiteren Truppen Ordnung und Demokratie im Irak durchsetzen will.“
Die Lage im Irak spricht eine andere Sprache.
Krieg gegen die Bevölkerung
„Sieben von zehn Irakern billigen laut Umfragen inzwischen Anschläge auf US-Truppen. Zum Vergleich: 2003 hegten nur 14 Prozent solch klammheimliche Freude über tote GIs,“ so Christian Wernicke in der Süddeutschen Zeitung (12.01.07). Diese Veränderung könnte damit zusammenhängen, dass die Zahl der getöteten Zivilisten im Irak viel höher ist als bisher angenommen. Die SZ berichtet in derselben Ausgabe über die Forschungsergebnisse eines amerikanischen Teams von der John Hopkins School of Medicine in Baltimore. Danach kamen „zwischen März 2003 und Sommer 2006 im Irak 654.965 Menschen in Folge des Krieges ums Leben… Das wären etwa 6oo Todesopfer an jedem Tag… Die amerikanische Regierung spricht hingegen von 30.000 toten Zivilisten“, Menschenrechtsgruppen sind bisher von etwa 60.000 ausgegangen.
Steigende Kriegskosten
In derselben Ausgabe der SZ berichtet Tomas Avenarius, dass
der Bush-Plan nach Berechnungen von US-Haushaltsexperten „den amerikanischen
Steuerzahler sehr viel Geld kosten (wird). Hat der Krieg den US-Haushalt bisher
mit 300 Milliarden Dollar belastet, so könnten in den kommenden zehn Jahren
weitere 400 Milliarden Dollar hinzukommen. Darin… eingeplant: Die täglichen
Kriegskosten von 150 Millionen US-Dollar, die Waffen für die Armee, der Aufbau
des Irak und sogar die Hinterbliebenen- und Witwenrenten der gefallenen
Soldaten. Die zusätzlichen Kosten für die neue Strategie sollen sich allein auf
mehr als sechs Milliarden Dollar belaufen – fürs Erste.“
Nicht eingeplant die Kosten einer weiteren Eskalation, die heute in nicht wenigen
Kommentaren als möglich erachtet wird.
Drohende Eskalation
„Statt des erhofften – und von
einer Kommission unter Führung des früheren Außenministers Baker dringend
empfohlenen – Gesprächsangebots an Iraks Nachbarn, drohte Bush Syrien und Iran
unverblümt mit militärischer Intervention“ , heißt es im Spiegel (15.01.07).
Eine Eskalationsgefahr, die auch Karl Grobe in der Frankfurter Rundschau
(16.01.07) hervorhebt: „Flugzeugträger, Marschflugkörper und
Patriot-Raketen, wie sie gerade in die Gewässer vor der iranischen Küste
gebracht werden, sind für einen Landkrieg ja auch denkbar ungeeignet, helfen
den USA auch nicht, … Gewalt ausübende Gruppen in dem Irak zu bekämpfen. Der
Aufmarsch lässt eher vermuten, das so genannte chirurgische Schläge gegen Atomanlagen,
Flugplätze und Militäranlagen des Teheraner Regimes vorgesehen sind.“
Auf zum »Endkampf«
Von einer wahrscheinlichen Eskalation spricht auch Torsten Krauel in der Welt (12.01.07): „Die Demokraten haben recht, wenn sie von einer Eskalation des Krieges sprechen… Bushs Kurs erinnert an Nixons Einmarsch in Kambodscha 1970: Ausweitung des Kampfes unter Abzugsschwüren. Die Drohung an Teheran und Syrien ist nicht zu überhören, die Konsequenz aus solchen Worten kaum zu überblicken. Bush verstärkt seine Truppen nicht gegen irakische Bombenleger, sondern gegen deren iranische Hintermänner, und da ist die Eskalationsleiter nach oben offen.“ Doch im Gegensatz zu den vorher Zitierten scheint Krauel dieser Entwicklung Positives abzugewinnen: „Niemand sollte Illusionen darüber hegen, worauf die Lage zuzusteuern beginnt – auf einen großen Endkampf um den nahen Osten, auf den Regimewechsel in Damaskus und Teheran, um den Regimewechsel in Bagdad abzusichern. Es ging von Anfang an nie um Saddam allein, so wenig, wie es nach dem 8. Mai 1945 um Deutschland allein ging.“