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W&F 1988/1

Vom militärischen Dienst an Mensch und Natur. Verbleiter Schießlärm

von Knut Krusewitz

I. Am Anfang (…) (…) war der Verdacht.

Am Anfang, das war im Frühjahr 1983. Damals wollte eine real fundamental existierende Partei sowohl von der Bundesregierung als auch von der Hessischen Landesregierung über Militärökologisches informiert werden. Sie begab sich deshalb auf den parlamentarischen Dienstweg, stellte im Bundes- und im Landtag Kleine Anfragen. Die Grünen wollten wissen, ob ihre Befürchtung über „Belastungen durch munitionsbedingte Schadstoffe in Böden von Schießplätzen“, zumal durch Blei, regierungsamtlich bestätigt werden konnten.

Natürlich konnten weder das konservative Regierungskartell in Bonn noch die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Wiesbaden. Gewiß, so wurde beschieden, von Bleitetraäthyl in Benzin habe man gelegentlich gehört. Aber Blei in Böden von Schieß- und Truppenübungsplätzen? Wir bedauern von höchster Stelle, Ihnen mitteilen lassen zu müssen…

Und der Verdacht? Das nun wiederum war die Vermutung eines Sozialdemokraten, im Zweifelsfalle meine eigene, die NATO-Militärs könnten das im selben Jahr verabschiedete Bodenschutzprogramm der Bundesregierung nur nach Hausmacherart, also militärökologisch, verwirklichen. Dieser Verdacht sollte am Beispiel der Praktiken auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken, einem Schießflecken in der wilden Rhön, erhärtet werden.

Zwischen Anfang und Verdacht, wir sind noch im Stationierungsherbst des Jahres 1983, schob sich eine drohende Schießlärmkatastrophe. In den Anrainergemeinden des Truppenübungsplatzes war die Prognose des Standortkommandeurs durchgesickert, wonach in Kürze auf zusätzlichen Schießbahnen zum Schießbetrieb rund um die Uhr übergegangen würde. Monatlicher Schießlärm in 26 von 30 Nächten, jährlicher Schießbetrieb zwischen 260 und 280 Tagen und Nächten.

Im Oktober organisierten osthessische Bürger- und Friedensinitiativen in Gersfeld die erste große Protestveranstaltung gegen die Inbetriebnahme und den Bau neuer Schießbahnen. Diese Widerstandszeit brauchte Akustiker, nicht Bodenkundler. Die Bleidimension des Schießlärms geriet vorübergehend aus dem Blickfeld.

Doch was bleiern währt, währt endlich. Ob gut, würden Meßergebnisse erweisen müssen.

Im November 1986 jedenfalls pilgern der grüne Friedenspädagoge Peter Krahulec und der sozialdemokratische Friedensökologe (siehe oben) nach „Maria Ehrenberg“, einem Wallfahrtsort, mitten im idyllischen Truppenübungsplatz gelegen. Höhe über NN: 674 Meter.

Friedensgläubig, wie wir sind, lassen wir uns durch Peter Zieglers „Briefe über die Rhön“ (rück-) versichern, „daß die Mutter Gottes oft in schweren Anliegen hilft“. Auch in bleischweren?

Höheren Orts tragen wir unser Anliegen vor und erhielten prompt hilfreiche Wegweisung:

Macht Euch auf nach Neuglashütten, auf daß Ihr Bodenproben nehmt, zu messen den teuflischen Bleigehalt.

Für die Andersgläubigen unter uns: teuflisch meint in diesem Zusammenhang „toxisch“, was immer der Bischof von Fulda sonst über die Theologie der Revolution an begrifflicher Verwirrung verbreitet.

Nun also nach Neuglashütten. Hier täuscht die Vorsilbe. Dieser Ort existiert seit Mitte der dreißiger Jahre nicht mehr. Seine Bewohner wurden „angesiedelt“ von den Nazis. Die Wehrmacht brauchte die Rhön als Testgelände für ihre Blitzkriege. Und heute, oberhalb des Geisterdorfs, ein NATO Schießplatz, Abschußstelle.

Zwischen der Heiligen Maria und der unheiligen Panzerabschußstelle dann die aufregende Frage, die Bodenökologen bei passender Gelegenheit umtreibt: Blei oder Nichtblei?

Beweissicherung also, wer bohrt, der findet möglicherweise, acht Bodenproben gezogen.

Die letzten beiden unmittelbar neben der Abschußstelle. Während wir Probebohren spielen, spielen mehrere Bradley-Schützenpanzer Krieg. Leuchtspurgeschosse über unseren Köpfen signalisieren, daß auch der nächste Krieg über unsere Köpfe hinweg entschieden werden könnte.

Von der Abschußstelle aus können wir das Zielfeld erkennen, längst nacktes Gestein, wo Jahrhunderte lang ein Buchenmischwald fröhlich vor sich hinwuchs, weil ahnungslos von saurem Regen und Geschoßsplittern. Auf der zerschossenen Zielfeldfläche hat sogar der bayerische Umweltminister sein Recht verloren. „Es ist höchste Zeit, daß dem Boden als Lebensgut des Menschen, von dem wir abhängen, größte Aufmerksamkeit gewidmet wird.“ Für die Zielfelder im Truppenübungsplatz Wildflecken kommt diese Bodeneinsicht zu spät. Dort ist die militärische Postmoderne zu bestaunen: wüste, leere, öde Naturstücke.

Der anschließende bayerische Freistaatsappell kam allerdings noch zur rechten Zeit. Gerade so eben. „Im bisherigen Stil kann es nicht weitergehen. Es ist Zeit, endlich einzugreifen.“

Auf dem Zielfeld der Bradley-Panzer können wir leider nicht mehr eingreifen, will sagen, Gesteinsproben sicherstellen, obwohl wir gerade die leise Aufforderung zum Widerstand des CSU-Staatsministers Alfred Dick nicht ungehört verhallen lassen wollen. Wenn es irgendwo im bisherigen Stil nicht weitergehen kann, dann auf Truppenübungsplätzen. Aber, wie erwähnt, es ist November, und da macht die natürliche Natur im Unterschied zur Labornatur eben früher Feierabend.

Für die topographisch ausnehmend stark Interessierten unter unseren Leserinnen und Lesern, also beispielhaft die Damen und Herren vom Militärgeographischen Amt der Bundeswehr, folgt jetzt ein unübersehbarer Hinweis auf den Ort des Geschehens.

Am Ende (…)

(…) war die Gewißheit.

Am Ende, das ist im Oktober 198Z Und die Gewißheit? Der Schießlärm ist verbleit. Und wie!

Den Positivisten tun wir hiermit die Bleikonzentrationen in Mütterchen Rhönerde kund, die sie beherbergt dort, wo wir Proben nahmen für den Frieden.

Blei: mg/kg
1. Maria Ehrenberg (südöstl. Kapelle) 137
2. Ehem. Steinbruch (nordwestl. Hang) 373
3. Südöstl. ehem. Steinbruch 311
4. Schonung 161
5. Landwirtschaftsfläche 323
6. Forellenteiche (Uferbereich) 157
7. Abschußstelle (oberh. Neuglashütten: westl.) 468
8. Abschußstelle. (oberh. Neuglashütten: östl.) 493
Summe 2423
Durchschnitt 303
(Blei-Extraktion nach der Königswassermethode gemäß Klärschlamm-Verordnung: AbfKlärV)

Bleiwerte im Lebensgut des Menschen

Fangen wir an mit dem Spitzenwert. An der Abschußstelle der Panzer finden sich knapp 500 mg Blei im Kilogramm Boden. Der gesetzlich tolerierte Bleigehalt in Kulturböden beträgt 100 mg/kg.

Bevor wir uns friedfertig mit dem absehbaren militärischen Einwand auseinandersetzen, demzufolge ein Truppenübungsplatz nichts mit Kultur-Böden zu tun hat, seien andere Vergleiche zitiert.

Im Untermain-Gebiet wurden zuletzt folgende Durchschnitts-Blei-Werte gemessen:

Grünland 80 mg/kg, Ackerland 50 mg/kg, Wald 70 mg/kg.

Fazit: Das untersuchte Areal auf dem Truppenübungsplatz weist durchschnittlich eine vier- bis sechsfach höhere Bleikonzentration auf als die untersuchten Flächen im Ballungsgebiet Untermain.

Schließlich: Die Klärschlammverordnung erlaubt die Ausbringung von 100 mg/kg Blei im Klärschlamm; ist der Boden bereits mit diesem Wert vorbelastet, darf kein bleihaltiger Klärschlamm auf diese Fläche ausgebracht werden.

Ein Truppenübungsplatz ist kein Kulturboden

Stimmt, aber nur zur Hälfte. Richtig ist zunächst, daß das, was sich in Wildflecken seit fünfzig Jahren abspielt, mit Kultur nichts zu tun hat. Unrichtig ist hingegen die Annahme, daß dort überhaupt kein Kulturboden existiert. Teile des Truppenübungsplatzes werden nämlich auch forst-, wasser- und landwirtschaftlich genutzt.

Deshalb stellt sich die Bleiverseuchung dort nicht nur als Zynismusproblem dar. Ökologisch geredet, deshalb nicht, weil Blei in terrestrisch-biologischen Ketten angereichert wird, folglich von Pflanzen aufgenommen werden muß. Daraus resultiert unser Verdacht, daß wegen der starken Bodenverseuchung auch mit überdurchschnittlichen Pb-Konzentrationen in landwirtschaftlich genutzten Pflanzen (z.B. Gras) zu rechnen ist.

Bei hohen Gehalten in Futterpflanzen, die vom Truppenübungsplatz stammen, wiederum könnte eine Bleikrankheit auftreten, besonders bei Wiederkäuern wie Rindern und Schafen.

Zu beantworten wäre überdies die Frage nach den Bleikonzentrationen in den Böden der Anrainergemeinden des Truppenübungsplatzes. Es ist kaum anzunehmen, daß die Bleiverseuchung genau vor den Schildern haltmacht, auf denen in deutscher und englischer Sprache höflich gebeten wird: Betreten verboten! Nach unserer Kenntnis sind die nachgewiesenen Bleikonzentrationen auf dem Kriegsübungsplatz Wildflecken die höchsten, die in hessischen Grünland-, Acker- und Waldböden gemessen wurden. Deshalb spricht einiges für die Vermutung, den Anliegergemeinden dürfte nach der Schießlärm nun noch die Bleiproblematik ins Haus stehen. Verbleiter Schießlärm, wie gesagt.

Und wie geht´s nun weiter?

Spielte sich der Bleiskandal in den Niederlanden ab, dann könnte die Antwort ungefähr so lauten:

Weil dort 200 mg/Pb/kg den „Sanierungsfall“ auslösen, müßte der Truppenübungsplatz stillgelegt werden, die belasteten Böden wären auszutauschen, und anschließend dürften die betroffenen Anrainergemeinden darüber abstimmen, ob sie das militarisierte Naturstück in einen Friedens-Naturpark umwidmen wollen.

Unvorstellbar bei uns, BR Deutschland, kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das unsre, weit und breit.

Wir haben keine holländischen Verhältnisse, und deshalb muß Strafe (noch immer) sein, was hier soviel heißen soll wie – nur bundesdeutsche Sanierungsvorschläge sind amtlich zugelassen.

Erster Vorschlag: Alles bleibt, wie es ist. Die Bleikonzentrationen wachsen, wegen des sauren Bodens auf dem Truppenübungsplatz (pH-Wert: 3,7) wird das giftige Schwermetall Blei an die Quell- und Flußsysteme dort rascher weitergegeben, doch fürchtet Euch nicht, denn die Klärwerkstechnik macht bekanntlich rasante Fortschritte, weshalb wir uns über bleiverseuchtes Trinkwasser keine Gedanken zu machen brauchen. Den Pb-Grenzwert von läppischen 42 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser unterbieten unsere Wasseraufbereitungsakrobaten im Schlaf.

Zweiter Vorschlag: Wir wenden unser Interesse vom Kriegsübungsplatz ab und wenden dasselbe der Bundesregierung zu. Dort erwartet uns nämlich bereits Tröstliches. Der „Boden ist für uns genau so wichtig wie Wasser und Luft und ist ja auch die Grundlage unserer gesunden Ernährung und Lebensraum für uns“.

Tja, Freunde des gesunden Lebensraums, auf solche Einsichten muß mensch erst mal kommen. Gratulation, Herr Dick. In Wildflecken sehen wir uns wieder. Aber vorher weiter im Text: „Der Schutz des kaum ersetzbaren, leicht zerstörbaren und heute zunehmend belasteten Kulturgutes Boden muß daher als neuer Schwerpunkt der Umweltpolitik verstanden werden.“ Warten auf Bonn? Da sei die versteinerte Maria vor.

Dritter Vorschlag: Nichts bleibt, wie es war. Die osthessischen Friedens- und Umweltinitiativen kümmern sich um den verbleiten Schießlärm. Programmformel: „Wir werden Frieden schaffen ohne Bleilärmwaffen.“ Einsteigen könnten wir in dies Programm mit der Forderung an Kommunen, Land und Bund, die verschiedenen Dimensionen der Bleiverseuchung sorgfältig zu ermitteln. Zusätzlich zum bereits installierten Schießlärm-Meßprogramm muß ein Blei-Meßprogramm eingerichtet werden.

Dessen Themen könnten sein:

  • Bodenproben auf verschiedenen Nutzungsflächen innerhalb und außerhalb des Truppenübungsplatzes,
  • Pflanzenuntersuchungen auf den entsprechenden Standorten,
  • Gesundheitsuntersuchungen (Kleinkinder)
  • Luft- und Wasseranalysen.

Liegen die Werte erst einmal vor, sehen wir weiter. So weit wie Militärbodenfreund Alfred Dick allemal: „Denn wir sind Teil der Natur.“ Deren friedlicher Teil. Meistens.

II. Kritik der Kritik

1. Reaktionen auf die Bleianalyse

Nach der Pressekonferenz des „Fuldaer Stadtanzeigers“ am 29. Okt. 1987 in Gersfeld zum Thema „Blei in den Böden des Truppenübungsplatzes Wildflecken“ kam es, wie es kommen sollte. Verantwortliche und Betroffene reagierten.

Die wichtigsten kritischen Kommentare zu unseren Meßbefunden lauteten:

  • Der gesamte Truppenübungsplatz sei „amerikanisches Hoheitsgebiet“, das nur in Ausnahmefällen betreten werden dürfe. Die entsprechende Genehmigung zum Betreten sei uns nicht erteilt worden, weshalb wir „ja wohl illegal eingedrungen“ seien.
  • Die gelieferten Informationen seien „zu ungenau“, zu „diffus“.
  • Man wisse zu wenig über den „Hintergrund der Untersuchungen“.
  • Die Ergebnisse der Bodenanalyse und ihre Bewertung erscheinen „eher wie Propaganda“.

Diese Reaktionen nahm die BI „Rettet unsere Rhön“ zum Anlaß, von den zuständigen Behörden zu fordern, den tatsächlichen Grad der Gefährdung durch Bleiverseuchung auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken und in den Anliegergemeinden festzustellen.

2. Vermutungen und Tatsachen

Ich nehme die veröffentlichten kritischen Kommentare zum Anlaß, mich genauer mit ihnen auseinanderzusetzen.

a. Truppenübungsplatz – amerikanisches Hoheitsgebiet?

Die Behauptung von US-Oberst Jarold Lemoine, wonach der Truppenübungsplatz amerikanisches Hoheitsgebiet sei (FZ, 2.11.1987), ist falsch. Richtig hingegen ist, daß dieser „training ground for war“, wie es in einer Publikation über den „Truppenübungsplatz“ Wildflecken heißt, bundesdeutsches Hoheitsgebiet ist. Die USA haben völkerrechtlich vereinbarte Nutzungs-, aber eben keine Eigentumsrechte dort. Sie haben die Personalhoheit, aber nicht die Gebietshoheit. Diese Richtigstellung basiert auf der genaueren Kenntnis der einschlägigen Gesetze. Dies sind: NATO-Truppenstatut: Artikel II sowie Artikel IX Abs. 3 Satz 3, Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut: Artikel 48 sowie Artikel 53.

Diese rechtlichen Bestimmungen regeln, zusammengefaßt, folgende Sachverhalte. Die US-Streitkräfte müssen das Recht der Bundesrepublik Deutschland „achten“, also befolgen. Für die Rechte und Pflichten aus der Nutzung des Truppenübungsplatzes sind bundesdeutsche Gesetze „maßgebend“. Inhalt und Grenzen der militärischen Nutzung des Truppenübungsplatzes Wildflecken werden einmal durch den „Gestattungsvertrag“ festgelegt und zum anderen durch die zuständige deutschamerikanische Kommission. Über die Bundesvermögensverwaltung, also Oberfinanzdirektionen und Bundesforstamt, die ihre Vertreter in diese Kommission entsendet, setzt die BRD ihre Gebietshoheit gegenüber den USA durch.

Im „Unterzeichungsprotokoll“ zum Zusatzabkommen ist detailliert bestimmt, auf welchen Bereichen der Truppenübungsplatzangelegenheiten bundesdeutsche Vorschriften – zur Wahrung der Gebietshoheit anzuwenden sind.

Im Falle der Bleibelastungen geht es um folgende Bereiche:

  • Nachbarrecht, Landesplanung, Naturschutz,
  • Substanzerhaltung von Grundstücken (Bodenökologie),
  • Nutzung des Truppenübungsplatzes für land- und forstwirtschaftliche Bewirtschaftung.

Der Standortkommandant wäre gut beraten, wenn er, statt zu Unrecht auf der Gebietshoheit über den „training ground for war“ zu bestehen, zukünftig gewährleistet, daß bundesdeutsches Nachbar-, Planungs- und Naturschutzrecht dort angewandt wird. Dies materiell-rechtlich durchzusetzen und zu kontrollieren ist dann Aufgabe der deutschen Behörden, nicht zuletzt des Bundesforstamtes Wildflecken.

b. Hintergrund der Untersuchung – unklar?

Erinnern wir uns. Vor über vier Jahren wollten die Grünen sowohl von der Bundesregierung als auch von der Hessischen Landesregierung wissen, ob der Verdacht bestätigt oder widerlegt werden könne, wonach in den Böden von Schießplätzen mit hohen Blei-Konzentrationen gerechnet werden müsse.

Dieser Verdacht wurde bis heute nicht bestätigt oder widerlegt. Deshalb wird die Bundestagsabgeordnete Gertrud Schilling erneut tätig (s. Kasten: Kleine Anfrage).

Vor dem Hintergrund regierungsamtlicher Untätigkeit sahen wir uns gezwungen, Eigeninitiative zu entwickeln. Ziel unserer Eigeninitiative war das, was der bayerische Staatsminister Alfred Dick formuliert hatte: „Es ist Zeit, endlich einzugreifen.“(WELT, 24.10.1987)

Wir waren freilich schon etwas früher der Ansicht, daß es auf den Böden des Truppenübungsplatzes Wildflecken so nicht weitergehen könne, weshalb wir im November 1986 endlich eingriffen.

c. Meßergebnisse – zu ungenau und diffus?

Die Methode der Probenentnahme und der Bodenanalyse entsprechen den Kriterien, die im zuständigen Abfallbeseitigungsgesetz sowie der Klärschlammverordnung normiert sind.

Durch die „Königswasser“-Methode wurde der Gesamtgehalt an Blei in den Bodenproben ermittelt. Gleichzeitig wurde der pH-Gehalt des Bodens gemessen. Der pH-Wert steht für den Säurewert: ist der pH-Wert kleiner als 7, dann Hinweis auf saure, größer als 7, dann Hinweis auf basische Bodenreaktionen.

Die Beziehung zwischen Bleikonzentrationen und pH-Wert ist deshalb sehr wichtig, weil Blei in Böden mit niedrigem pH-Wert stark „mobilisiert“ wird, also z.B. von Pflanzen stärker aufgenommen wird und rascher ins Grundwasser dringt.

Der durchschnittliche pH-Wert unserer Bodenproben betrug 3,7 – signalisiert also extrem saure Bodenreaktionen!

Auf die Beziehung zwischen Gehalt, Richtwert und phototoxischem (pflanzenschädigendem) Schwellenwert von Blei in Böden verweisen diese Daten (mg/kg/Trockenmasse):

Schwermetall häufiges Vorkommen Richtwert Schwelle phytotoxische Schwelle
Blei (Pb) 0,1 – 20 100 500
(nach Klärschlamm-Verordnung: 1983)
d. Unsere Bewertung – Propaganda?

Die von uns ermittelten Blei-Konzentrationen in Böden des „training ground for war“ haben wir selbstverständlich interpretiert, bewertet. Die wichtigsten Aussagen lauteten: Die Bleibelastungen durch den Schießbetrieb geben Anlaß zur Sanierungsuntersuchung. Diese Untersuchung muß die geoökologische Mobilität des Bleis feststellen, die Luftverfrachtung des Bleis in den Anliegergemeinden untersuchen und gegebenenfalls die Exposition der Menschen durch Blei ermitteln.

Inzwischen sind weitere Überlegungen nötig, die mit Propagandaeffekten absolut nichts zu tun haben.

  • Wir haben zwar Bodenproben an der Abschußstelle der Schießbahn 12 gezogen, nicht aber auf deren Zielfeld. Dort müssen weitaus höhere Blei-Konzentrationswerte vorherrschen.
  • Im Labor wurde aus den Bodenproben nur Blei extrahiert, nicht aber auf Bleiazid analysiert. Diese Bleiverbindung ist um Größenordnungen giftiger als Blei, und sie kommt mit großer Wahrscheinlichkeit in den Böden des Truppenübungsplatzes vor.
  • Es besteht der Verdacht, daß die hohen Blei-Konzentrationen als Verstoß gegen die Bestimmungen des Gestattungsvertrages beurteilt werden müssen. Und zwar deshalb, weil gegen die Norm, die ,;Substanz" von Grundstücken (hier: Bodenqualität) zu „erhalten“, verstoßen wird.

Dr. Knut Krusewitz, Hochschullehrer am Institut für Landschafts- u. Freiraumplanung der Technischen Universität Berlin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/1 Warten auf die „Modernisierung“, Seite