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W&F 1985/2

Von der Nuklearnacht zum Nuklearwinter. Über die klimatischen und ökologischen Auswirkungen eines Atomkriegs

von Wilfrid Bach

Die grausamen Auswirkungen eines Atomkriegs liegen jenseits jeglicher Erfahrung und überfordern schon deshalb unser Vorstellungsvermögen. Abschätzungen besagen, daß rund die Hälfte der Menschheit bei der ersten Hitze-, Druck- und Strahlungswelle umkommt bzw. unmittelbar darauf ihren schweren Verletzungen erliegt. Wenn also die andere Hälfte der Menschheit dem atomaren Holocaust zunächst entkommt, ist es wichtig, die Auswirkungen der veränderten Umweltbedingungen auf die Überlebenden zu untersuchen.

Bis vor kurzem konzentrierten sich die Untersuchungen auf die radioaktive Verseuchung, die Zerstörung der Ozonschutzschicht in der Stratosphäre und damit die Zunahme der schädlichen ultravioletten B- Strahlung auf die Erde sowie die Emission von toxischen Gasen und Stauben aus den Großbränden. Erst vor etwa drei Jahren wiesen Crutzen und Birks (1982) auf die möglicherweise schwerwiegende Beeinflussung von Wetter und Klima durch die riesigen Rauch-, Ruß- und Staubmengen, aus den Stadt- und Waldbränden hin. Es war bis dahin übersehen worden, daß die durch die Atomexplosionen ausgelosten Feuersbrünste genug Rauch in die Atmosphäre eingeben, um über weite Teile der nördlichen Hemisphäre das Sonnenlicht abzublocken und damit eine langandauernde Dunkelheit, die Nuklearnacht, auszulosen. Auf Grund der quantitativen Abschätzungen von Crutzen und Birks haben dann Turco et al. (1983, anhand ihrer Initialen auch die TTAPS-Gruppe genannt) die Auswirkungen der veränderten Strahlungsverhältnisse auf die Atmosphären- und Bodentemperaturen untersucht. Die Simulationen mit eindimensionalen Strahlungs- Konvektionsmodellen ergaben für plausible Atomkriegsszenarien global gemittelte Temperaturabnahmen auf ca. -20 °C, woraus der makaber- anschauliche Begriff Nuklearwinter entstand. Diese Ergebnisse wurden im wesentlichen durch ein- und zweidimensionale Modellrechnungen von MacCracken (1983) bestätigt. Inzwischen konnten auch ähnliche Ergebnisse mit den vollständigeren dreidimensionalen Zirkulationsmodellen mit dynamischen Rückkopplungsmechanismen in räumlicher und jahreszeitlicher Auflösung über alle ideologischen Barrieren hinweg in völliger Übereinstimmung zwischen Wissenschaftlern aus Ost (Alexondrov und Stenchikov, 1983) und West (Covey et al. 1984) reproduziert werden. Auch über die ökologischen Folgen eines Atomkriegs herrscht weitgehende (Übereinstimmung zwischen Wissenschaftlern aus West (Ehrlich et al. 1983) und Ost (Committee of Soviet Scientists for Peace, Against the Nuclear Threat, 1984). Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die neuesten Ergebnisse zu den klimatischen und ökologischen Auswirkungen eines Atomkriegs.

Stadt- und Industrieverbände

Bei einem Atomkrieg würde es zunächst viele Einzelfeuer geben, die sich aber sehr schnell zu Riesenbränden ausdehnen. Dabei kommt es zu Feuerstürmen, wie sie aus dem 2. Weltkrieg z. B. bei der Bombardierung Hamburgs bekannt sind. Bei den zerstörten Feuerlöschgeräten und Wasserleitungen ist wohl kaum mit Löscharbeiten zu rechnen. Nach den Feuersbrünsten in den ersten Tagen ist in der Folgezeit immer wieder mit dem Ausbrechen von Sekundärbränden zu rechnen.

Die relativ kleinen Atombomben von Hiroshima (12 kt TNT) und Nagasaki (22 kt TNT) produzierten Flächenbrände von 13 km² mit einer Strahlungsdichte von 7 cal/cm² bzw. 7 km² mit 20 cal/cm2. Bei 5 cal/cm² zünden schon Papier und trockenes Holz, bei 5 bis 20 cal/cm² Bücher und Industrieabfall und bei 20 cal/cm² sogar Möbel und schwere Gardinen.

Eine durchschnittliche Atombombe von 400 kt mit einer Strahlungsdichte von ca. 20 cal/cm² könnte eine Stadtfläche von rund 150 km² durch Feuer zerstören. Das ursprüngliche Ambio-Scenario (1982), das die Zerstörung von 1124 Städten über 100 000 Einwohnern in Betracht zog, hielten Crutzen et al. (1984) für unrealistisch. Sie gehen deshalb in ihrer neuesten Studie vom Einsatz von ca. 800 Mt Atomsprengstoff nur noch auf rund 300 Städte aus, wodurch sich die in Flammen aufgehende Fläche auf ungefähr 0,25 x 106 km² reduziert.

Die Verteilung des brennbaren Materials ist in Stadtgebieten ganz unterschiedlich. So nimmt z. B. die Menge des brennbaren Materials pro Fläche vom Stadtzentrum (Radius 1-2 km) von 240-640 kg/m² zum Außenring (Radius 7-12 km) auf 18-50 kg/m² ab. Auch einzelne Gebäudekomplexe haben ganz unterschiedliche Werte, wie z. B. Büroräume (40 kg/m2), chemische Fabriken (60 kg/m2) oder Büchereien (125 kg/m2). Crutzen et al. gehen von einem Minimalwert von 40 kg/m² aus, was unter der Annahme, daß sich nur die Hälfte entzündet, und multipliziert mit der brennenden Fläche eine Gesamtmenge an verbranntem Material von 5 x 109 t ergibt. Aufgrund von zusätzlichen Abschätzungen und in dem Bestreben, mit äußerst konservativen Zahlen zu rechnen, haben sie den Wert an zellulosehaltigen Materialien, die in einem Atomkrieg in Städten verbrennen könnten, auf 2 x 109 t reduziert.

Durch Verbrennen von Erdöl, Asphalt und Kunststoffen etc. muß noch einmal eine Menge von ca. 0,7 x 109 t hinzugezählt werden. Nicht mit einbezogen wurden bisher die Feuer, die auf Kohlehalden, an zerstörten Gasleitungen und Gastanks, sowie an Gas- und Ölquellen entstehen können. Damit ergibt das Verbrennen kohlenstoffhaltigen Materials in Stadt- und Industriegebieten die insgesamt als sehr konservativ anzusehende Abschätzung der Gesamtmenge von 2,7 x 109 t.

Waldbrände

Die Wälder der gemäßigten Breiten und die borealen Wälder zwischen 30 und 70° N nehmen eine Fläche von 24 x 106 km² oder rund 40 % der gesamten Landfläche ein. In ihrer ursprünglichen Studie gehen Crutzen und Birks (1982) davon aus, daß ein Atomkrieg nur eine Fläche von ca. 1 x 106 km² durch Feuer verwüstet. Bei der Zerstörung der Infrastruktur nach einem Atomkrieg und der unzähligen gleichzeitig ausgelösten Waldbrände ist eine effektive Waldbrandbekämpfung unmöglich.

Eine mittlere Atombombe könnte bei einer Wärmestrahlungsdichte von 15 cal/cm² einen Waldbrand von 250 km² entfachen. Folglich würde die angenommene Waldoberfläche von 1 x 106 km² eine Atombombenstärke von ca. 1600 Mt voraussetzen; das ist ungefähr das Doppelte der für Städte und Industrieanlagen vorgesehenen Atomsprengkraft.

Bei einer durchschnittlichen Biomassendichte des Waldes von 20 kg/ m² und unter der Annahme, daß davon nur 20 % verbrennen, ergäbe sich eine Gesamtmenge an verbranntem Holz von 4 x 109 t. Darin blieb sowohl das Verbrennen von organischen Waldböden und Torfmooren sowie landwirtschaftlichen Nutzflächen, als auch das Abbrennen der an die Wälder der gemäßigten Breiten angrenzenden sklerophyllischen Wälder sowie Chaparral und Macchie unberücksichtigt.

Für die Gesamtbrennstoffmenge von 6,7 x 109 t aus Stadt/ Industrie- und Waldbränden berechnen Crutzen et al. (1984) einen Rauchausstoß von 320 x 106t. Etwa 22 % oder 70 x 106 t bestehen aus elementarem Kohlenstoff (Ruß). Bei der extrem hohen Absorption von Sonnenenergie durch Kohlenstoff ist das von größter Bedeutung für den gesamten Wärmehaushalt.

Abschätzung der Rauchmengen

Die bei einem Atomkrieg anfallende Rauchmenge kann wie folgt berechnet werden (US NAS, 1985): R = G x B x F x a x m darin ist R die Rauchmenge (t), G die Gesamtsprengkraft (Mt), B die Brandfläche pro Mt Sprengkraft (m2/ Mt), F das brennbare Material pro Fläche (kg/m2), a der Anteil des Materials, der verbrennt und m der Massenanteil, der als Rauch emittiert wird.

Für das von der US NAS betrachtete hypothetische Atomkriegsszenario von 6500 Mt Sprengstoff ergeben sich die folgenden Werte für Stadt- und Waldbrände: Alle diese Parameter sind mit einem Unsicherheitsfaktor von mindestens 2 behaftet. Deshalb wird in Zweifelsfällen, wie oben schon gezeigt, bei den Abschätzungen sehr konservativ vorgegangen. Die von der US NAS (1985) berechnete Gesamtrauchmenge von 180 x 106 t ist beträchtlich niedriger als die von Crutzen et al. (1984) für das modifizierte Ambioszenario abgeschätzte Rauchmenge von 320 x 106 t.

Parameter
Brände G (MT) B (m2/Mt) F (kg/m2) a m R (t)
Stadt / Industrie 103 2,5 x 108 3 x 104 0,50 0,04 150 x 106
Wald 103 2,5 x 108 2 x 104 0,15 0,04 30 x 106

Wirkung der Rauchaerosole auf die Sonnenstrahlung

Die Strahlungseigenschaften einer Aerosolwolke hängen von der Größe, der Zusammensetzung, der Anzahl und der Masse der Teilchen ab. Die Aerosolteilchen können den Strahlungshaushalt des Systems Erde – Atmosphäre und damit das Klima beeinflussen durch Strahlungsabsorption (durch Umwandlung der Strahlungsenergie in innere Wärmeenergie) oder durch Strahlungsstreuung (wobei keine Energieaufnahme, sondern nur eine Richtungsänderung des Energiestrahls stattfindet). Wie wir oben gesehen haben, enthalten Rauchwolken aus Stadt- und Waldbränden beträchtliche Mengen an elementarem Kohlenstoff oder Ruß, der die Solarstrahlung sehr wirkungsvoll absorbiert. Mineralhaltiger Staub, der vorwiegend bei Angriffen auf Raketensilos anfällt, streut hauptsächlich die Solarstrahlung. Die Rußteilchen absorbieren Solarstrahlung auch viel stärker als Infrarotstrahlung. Die Intensität der Solarstrahlung, die den Boden erreicht, nimmt exponentiell mit der Menge der absorbierenden Feinaerosole in der Atmosphäre ab. Die an der Erdoberfläche ankommende Infrarotstrahlung hängt dagegen nicht so sehr von der Aerosolmenge, als vielmehr von der Lufttemperatur ab. Wenn also eine große Menge an rußhaltigen Aerosolen in der Atmosphäre vorhanden ist, ergibt sich als klimatische Konsequenz eine starke Abkühlung der Erdoberfläche (Turco et al., 1984).

Zur Berechnung der Reduktion der Solarstrahlung benötigen wir Informationen über die vertikal verteilte Aerosolmenge und den Absorptionskoeffizienten für Rauch. Wenn wir von der im vorigen Abschnitt von der US NAS abgeschätzten Rauchmenge von 180 x 106 t ausgehen und annehmen, daß sie sich innerhalb des Breitengürtels von 30 bis 70° N, also über eine Fläche von rund 1,1 x 1014 m2, gleichmäßig ausbreitet, dann erhalten wir einen Wert von 1,6 g/ m2, der auch für eine Luftsäule von 1 bis 8 km Höhe als repräsentativ angesehen wird. Als mittleren Absorptionskoeffizienten für Rauch nehmen Thompson et al. (1984) einen ziemlich niedrigen wellenlängenunabhängigen Wert von 1,8 m2/ g an. Sie rechtfertigen das damit, daß bei den in dichten Rauchwolken zu erwartenden Koagulations- und Koaleszensvorgängen der effektive solare Absorptionskoeffizient verringert wird. Das Produkt aus Rauchmenge in der Luftsäule (1,6 g/ m2) und Absorptionskoeffizient für Rauch (1,8 m2/g) ergibt für die optische Dicke(r) durch Rauchabsorption einen Wert von ca. 3.

Die optische Dicke (r) einer Luftschicht läßt sich mit Hilfe des Lambert/ Beer/ Bonguerschen Gesetzes wie folgt berechnen: I = I0 exp (-r) wobei I0 und I jeweils die Intensität (W/m2) des direkten Lichtstrahls am Oberrand der Aerosolschicht und nach Durchgang der Rauchschicht ist. Da die optische Dicke sich sowohl aus Absorption als auch aus Streuung (beide schwächen den Sonnenstrahl ab) zusammensetzt, ist es, entgegen der hier benutzten Vereinfachung, besser, eine optische Dicke für Absorption, für Streuung und für Extinktion (die Summe von Absorption und Streuung) zu unterscheiden.

Bei absorbierendem Rauch mit einer optischen Dicke von 3 und der Sonne im Zenit (der Zenitwinkel ist Null) kommen nur noch ca. 5 % (exp (- 3) der Sonnenenergie am Boden an. Bei einem mehr typischen Zenitwinkel von 60° bewirkt der längere optische Weg des Sonnenstrahls eine Verdoppelung der optischen Dicke (3 x sec. (60°) = 6), so daß die am Boden ankommende Sonnenenergie (I/I0) nur noch exp (-6) = 0,25% (Nuklearnacht) beträgt. Solange jedoch die am Boden angekommene Sonnenenergie nur einem Bruchteil der normalen Menge entspricht, spielen Unsicherheiten in der genauen Abschätzung dieser Werte keine ausschlaggebende Rolle bei der Berechnung der Bodentemperatur.

Klimatische Auswirkungen verschiedener Atomkriegsszenarien

Die ersten Arbeiten über die klimatischen Folgen eines Atomkriegs stammen von Turco et al. (1983), der TTAPS Gruppe. Sie benutzten dabei drei Grundmodelle: Ein Atomkriegsszenarien-Modell, ein, Aerosol- Modell und ein Strahlungs-Konvektions-Modell. Das Atomkriegsszenarien-Modell schätzt die durch die verschiedenen Atomkriegsszenarien produzierten Mengen an Rauch, Staub, Radioaktivität und Pyrotoxinen ab. Das Aerosol-Modell simuliert die Entwicklung der Menge und Größe der Rauch- und Staubteilchen sowie die Ausfällrate radioaktiver Substanzen. Besondere Beachtung finden dabei die physikalischen Wechselwirkungen und der vertikale Teilchentransport. Das eindimensionale Strahlungs-Konvektions-Modell berechnet die optischen Eigenschaften der Teilchenentwicklung, die solaren und infraroten Energieflüsse und die Lufttemperatur als Funktion von Zeit und Höhe. Wegen der starken Abhängigkeit der Lufttemperatur von der Wärmekapazität der jeweiligen Oberfläche, werden für Land- und Ozeanfläche getrennte Berechnungen durchgeführt. Diese Modelle können aber nur ein global gemitteltes Bild von den möglichen Klimaänderungen ohne Bezug auf die regional und jahreszeitlich ganz unterschiedlichen Veränderungen geben.

Szenario A ist das häufig für Abschätzungen herangezogene Basisszenario, bei dem rund 38 % des Gesamtatomwaffenarsenals auf Städte/ Industrieanlagen und Raketensilos zur Anwendung kommen. Szenario H ist der kleinste vorstellbare Nuklearabtausch bei dem weniger als 1 % der vorhanden Atomwaffen auf Städte und Industrieanlagen zum Einsatz kommen. Szenario I ist das einzige Szenario, dessen Zerstörungspotentential von den Supermächten gegenwärtig noch nicht erreicht wird. Je nach Sprengkraft, Ziel und Abwurfhöhe der Atombomben entstehen die unterschiedlichsten Rauch- und Staubmengen mit den verschiedenartigsten optischen Eigenschaften, was zu ganz unterschiedlichen Auswirkungen auf das Klima führt.

Betrachtet man die Reduktionen des Sonnenlichts an der Erdoberfläche für die verschiedenen Atomkriegsszenarien nach Durchgang durch die Rauch- und Staubwolken dann (Die Energieflüsse beziehen sich auf gemittelte Aerosolwolken, wobei die horizontal unterschiedliche Verteilung der Rauchwolkendichte unberücksichtigt bleibt) zeigt sich: Nach dem Basisszenario A nähme die Sonnenenergie auf der Nordhalbkugel im Vergleich zur globalen Nettostrahlung von 160 W/m² bis auf 5 % ab. In der Variante A, in der nur die Staubeffekte berücksichtigt werden, käme es kaum zur Beeinträchtigung der Sonnenenergie. Ein solcher Fall wäre jedoch ziemlich unplausibel. Aufschlußreicher ist Szenario H, dem kleinsten denkbaren Atomkrieg auf Städte und Industrieanlagen, denn auch in diesem Fall würde die Sonnenenergie immer noch drastisch, und zwar um 94 % reduziert. Bei einem vollen Schlagabtausch in Szenario C, und in der Variante C' mit noch stärkerer Rauchentwicklung, könnte über Wochen hinweg nukleare Nacht herrschen wenn weniger als 1 % des Sonnenlichts zur Erdoberfläche durchdringen. Zum Vergleich sind die Energiemengen eingezeichnet, bei denen die Photosynthese mit der Respiration nicht mehr Schritt halten kann (der bekannte Kompensationspunkt) und bei denen die Photosynthese ganz aufhört. Diese beiden Grenzwerte sind zwar von Pflanze zu Pflanze ganz verschieden. Aber bei einigen Szenarien würde die Photosynthese so stark beeinträchtigt, daß ein Überleben der Pflanzen- und damit auch der Tierwelt unmöglich wäre.

Betrachtet man die aus der Abblockung der Sonnenenergie resultierenden Temperaturänderungen auf der Nordhalbkugel für eine Auswahl von Szenarien nach einem Atomkrieg, dann ergibt sich folgendes Bild: Nach den TTAPS-Berechnungen bewirken die Rauchmengen in der Troposphäre (unterhalb 12 km) in kürzester Zeit eine drastische Abkühlung, während die Staub- und Rauchmengen in der Stratosphäre (oberhalb 12 km) zu einem weniger ausgeprägten, dafür aber länger andauernden, Abkühlungstrend führen. Mit Ausnahme der Szenarien A und E, bei denen ausschließlich Staub, bzw. nur geringe Rauchmengen im Spiel sind, zeigen alle anderen Szenarien Temperaturstürze auf -20° C und darunter. Sogar der kleinste denkbare nukleare Schlagabtausch in Szenario H führt noch zu einer Abkühlung auf -20° C und zu einem mehrere Wochen andauernden Frost.

Die berechneten mittleren Temperaturabnahmen beziehen sich nur auf die Landflächen. Wegen der hohen Wärmekapazität des Ozeans wäre die Temperaturabnahme dort viel geringer und läge wahrscheinlich bei einer Größenordnung von 2 bis 3°C. Dadurch käme es in Küstennähe zu scharfen Luftmassengegensätzen mit orkanartigen Stürmen und Schneefall.

Die Temperaturänderungen sind Jahresdurchschnittswerte. Würde ein Atomkrieg im Sommer ausbrechen, dann wären die Temperaturstürze noch krasser; bei einem Winterkrieg fielen sie etwas milder aus. Auch eine Temperaturabnahme von nur wenigen Grad Celsius hätte gerade in der Wachstumsperiode gravierende Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Bei den simulierten Frostverhältnissen wäre ein Überleben der Pflanzen- und Tierwelt kaum denkbar. Ob dann bei der zusammengebrochenen Energieversorgung und der fehlenden Ernährungsbasis die strahlungs- und seuchengeschwächten Menschen eine Überlebenschance hätten, wäre mehr als fraglich.

TTAPS haben auch die Änderungen der vertikalen Temperaturstruktur nach einem Atomkrieg untersucht. Die drastische Abkühlung am Boden und die starke Anheizung der Troposphäre würden über den Landflächen den thermischen Austausch in der Troposphäre zum Stillstand bringen. Eine Troposphäre, wie wir sie unter den gegenwärtigen Wetterbedingungen kennen, würde praktisch verschwinden und die Stratosphäre würde sich bis zur Erdoberfläche erstrecken. Die kräftige Temperaturinversion, die sich dabei ausbildet, hätte zwei sich selbst verstärkende Auswirkungen (positive Rückkopplungen): Zum einen blieben Rauch, Ruß, Staub und Giftstoffe in der stabilen Luft länger schwebend erhalten, und zum anderen würde bei der stark reduzierten Konvektion feuchter Luft auch die Kondensation und damit die Selbstreinigung der Atmosphäre beträchtlich verringert. Beide Effekte würden die Nuklearnacht und den Nuklearwinter verlängern. Die eindimensionalen Modellrechnungen berücksichtigen diese Rückkopplungsmechanismen nicht, und die dreidimensionalen Simulationen ziehen sie bisher nur ungenügend in Betracht, so daß die bisherigen Abschätzungen eher als untere Grenzen angesehen werden müssen.

Folgen eines Atomkrieges für das globale Klima

Zusätzlich zu den oben beschriebenen Klimasimulationen ist die Untersuchung wichtig, inwieweit sich die klimatischen Folgen regional auswirken und ob es nach einem Atomkrieg irgendwo auf der Welt Zufluchtsstätten geben könnte. Derartige Untersuchungen können nur mit dreidimensionalen allgemeinen atmosphärischen Zirkulationsmodellen durchgeführt werden. Über die Ergebnisse der Modellrechnungen in den USA am National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder, Col. (Thompson et al., 1984) und in der Sowjetunion am Computing Center of the USSR Academy of Sciences (CCAS) in Moskau (Alexandrov und Stenchikov, 1983; Thompson et al., 1984) gebe ich im folgenden einen Überblick. Vergleich und Bewertung der Ergebnisse erfordern jedoch einen, wenn auch knappen, Einblick in die Modellstrukturen und deren Input.

Das NCAR- Modell teilt die Atmosphäre und die Erdoberfläche in eine räumliche Gitterstruktur von 4,5° Breite und 7,5° Länge mit 9 Atmosphärenschichten ein, die bis in 30 km Höhe und damit in die Stratosphäre hineinreichen. Solarstrahlen, Meeresoberflächentemperaturen und Meereisverteilung sind vorgeschrieben. Der nichtinteraktive Ozean läßt mit diesem Modell nur Simulationen bis zu wenigen Wochen zu. Als Input dient das oben beschriebene US NAS (1985) Atomkriegsszenario von 6 500 Mt mit einer Rauchmengenverteilung von 180 x 106 t zwischen 30 und 70° N und 1 und 8 km Höhe.

Das CCAS-Modell hat mit 12° Breite und 15° Länge eine etwas gröbere Resolution als das NCAR- Modell, und es betrachtet auch nur 2 vertikale Schichten, die die Troposphäre bis in ca. 12 km Höhe darstellen. Im Gegensatz zum NCAR-Modell berechnet das CCAS-Modell die Änderungen der Ozeanoberflächentemperaturen mit Hilfe eines gekoppelten thermodynamischen Modells der Ozeanmischungsschicht, so daß auch längerfristige Auswirkungen eines Atomkriegs simuliert werden können. Jahreszeitliche Änderungen wie beim NCAR-Modell können wiederum beim CCAS- Modell wegen des Jahresmittelinputs der Sonnenenergie nicht simuliert werden. Als Atomkriegsszenario dient die TTAPS- Version C (siehe Tabelle 1). Die von den 10 000 Mt produzierten rd. 300 x 106 t Rauch und ca. 130 x 106 t Feinstaub werden in die Troposphäre bzw. Stratosphäre zwischen 12 und 90° N eingegeben.

Die NCAR-„Momentaufnahmen“ zeigen, daß sogar im Sommer innerhalb kürzester Zeit die Temperaturen über dem größten Teil Nordamerikas und Asiens unter den Gefrierpunkt absinken können (siehe schraffierte Flächen). Die Küstenregionen und Europa bleiben wegen des ausgleichenden Effekts des Ozeans in der Anfangsphase von Frosteinbrüchen verschont. In diesen Simulationen wird eine gleichmäßige Verteilung von ausschließlich absorbierenden Rauchteilchen zwischen 30° N und 70° N unmittelbar nach den Atombombenexplosionen angenommen. In Wirklichkeit ist aber die Rauchverteilung zu Beginn eher unregelmäßig, so daß zuerst in solchen Gebieten, über die eine genügend dicke Rauchschicht hinwegzieht, mit drastischen Temperaturstürzen und Frosteinbrüchen gerechnet werden muß.

Der Frage, wo die tiefsten Temperaturen auftreten und wie lange sie anhalten, wird in den CCAS-Simulationen in Abb. 4 nachgegangen. Danach kommen noch 40 Tage nach einem Atomkrieg Temperaturen um – 50° C im nördlichen Skandinavien und dem nördlichen Sibirien und Temperaturen zwischen – 30° C und – 40° C über dem amerikanischen Kontinent, dem Mittleren Osten und Nordostsibirien vor. Auffällig ist auch hier, wie in den NCAR-Simulationen, daß einige küstennahe Regionen, wie z. B. in Europa, einen etwas abgemilderten Frost haben. Am schwerwiegendeten wären jedoch die starken Temperaturabnahmen bis hin zum Frost in südlichen Breiten und auf der Südhalbkugel. Nicht nur die empfindliche Pflanzen- und Tierwelt, sondern auch die auf solch niedrige Temperaturen nicht eingestellte Bevölkerung hätten wohl kaum eine Überlebenschance.

Am 243. Tag nach einem atomaren Holocaust sind die Temperaturen zwar nicht mehr ganz so tief, aber die gesamte nördliche Halbkugel und auch große Teile der südlichen Halbkugel sind immer noch im Frost erstarrt. Sollte bis dahin überhaupt noch jemand überlebt haben, käme neue Ungemach. Jetzt macht sich die starke Aufheizung in der oberen Troposphäre voll bemerkbar. Die gestrichelten Isolinien zeigen, daß sich die in ewigem Schnee und Gletschereis liegenden Gebirgszüge des Himalaya auf 19° C, der Rocky Mountains auf 7° C und der Anden auf 5° C erwärmen. Das Abschmelzen der Schnee- und Eismassen könnte in den angrenzenden Tiefländern zu sintflutartigen Überschwemmungen führen.

Die Frostverteilungen unterstellen, daß auch Nationen fernab vom eigentlichen „Kriegsschauplatz“, ob sie nun in tropischen Regionen der nördlichen Halbkugel oder auf der südlichen Halbkugel liegen, an den Folgen eines atomaren Schlagabtausches teilhaben müssen. Diese Unterstellung wäre dann plausibel, wenn die Rauchmengen auch auf die südliche Halbkugel verfrachtet würden. Dazu bedarf es einer einschneidenden Änderung der atmosphärischen Zirkulation. Abb. 5 zeigt die mit Hilfe des CCAS-Modells simulierte zonal gemittelte atmosphärische Zirkulation dargestellt als Massenstrom (in 1010 kg/ sec) über der geographischen Breite bis zu einer Höhe von 12 km. Die normale Situation vor einem Atomkrieg (Tag 0) zeigt den typischen zweizelligen Aufbau (Hadley-Zelle auf der nördlichen und Walker-Zelle auf der südlichen Halbkugel) mit aufsteigenden Luftmassen am Äquator, absinkenden Luftmassen in den Roßbreiten (30° N und 30° S) und Rückfluß am Boden durch den Nordost- und Südostpassat. Der Austausch von Luftmassen über den Äquator hinweg ist unter Normalbedingungen gering. Die Simulation fr den 35. Tag nach einem Atomkrieg zeigt, daß die durch den Raucheintrag ausgelöste starke Aufheizung der Troposphäre das meridionale Zirkulationssystem vollkommen abändern kann. Durch die Ausbildung einer einzigen großen interhemisphärischen Zirkulationszelle kann jetzt der Rauch relativ ungehindert auf die südliche Halbkugel verfrachtet werden und dort zu den in Abb. 4 gezeigten Frostverhältnissen führen. Damit sieht es in der Tat so aus, daß es nach einem atomaren Holocaust nirgendwo auf dieser Welt vor dem Nuklearwinter ein Entrinnen gibt.

Die aus den ein- bis dreidimensionalen Modellsimulationen gewonnenen Erkenntnisse stimmen – auch über alle ideologischen Barrieren hinweg – im wesentlichen überein. Die hier benutzten Modelle haben seit vielen Jahren, z. B. in der CO2-Klimaforschung, gute Dienste geleistet. Trotzdem müssen die Ergebnisse wegen der vielfältigen Vereinfachungen mit der nötigen Vorsicht interpretiert werden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen der horizontale und vertikale Transport sowie die Durchmischung, Koagulation und Entfernung der Rauchmengen, die Wirkung von Rauch auf die Infrarotstrahlung, die Streuung der solaren Strahlung, die Behandlung des tageszeitlichen Zyklus und die Wirkung mesoskaliger Phänomene. (MacCracken und Walton, 1985) Andererseits werden wohl eine Reihe von Aspekten des Nukearwinters nicht zu verifizieren sein, denn ohne das tatsächliche Ereignis vieler riesiger Stadtbrände werden wohl die dabei entstehenden Mengen an Rauch und ihre Ausbreitungen niemals definitiv abgeschätzt werden können (Schneider, 1985). Aber bei dem von aßen Forschergruppen befolgten Credo des konservativen Vorgehens ist bei möglichen zukünftigen Revisionen der Erkenntnisse und der unvermindert fortschreitenden Vor- und Nachrüstung eher mit noch schlimmeren klimatischen Auswirkungen zu rechnen.

Ökologische Auswirkungen

Mit den Langzeitwirkungen eines Atomkrieges haben sich u.a. die US Akademie der Wissenschaften (US NAS, 1975) und ein internationales Gremium von Wissenschaftlern in einer Sondernummer der Zeitschrift Ambio (1982) beschäftigt. Auf einer im April 1983 in Cambridge, Massachusetts stattgefundenen Konferenz haben sich insbesondere Biologen mit den weltweiten ökologischen Langzeitfolgen eines Atomkriegs auseinandergesetzt (Ehrlich et al., 1983). Falls es zu den angenommenen Atomkriegsszenarien kommen sollte, wäre mit folgenden Ökologischen Auswirkungen zu rechnen.

- Beeinflussung der natürlichen terrestrischen

Ôkosysteme: Durch die Druck-, Hitze- und Strahlungswelle würde in unmittelbarer Nähe das Ökosystem zerstört bzw. langfristig geschädigt. Was den Feuerstürmen entkäme, unterläge extremem Streß durch die drastische Lichtreduktion und die andauernden Frostperioden. Zu den feindlichen Umweltbedingungen gesellten sich weiterhin Dürre, gefrorenes Grundwasser und orkanartige Stürme in Küstenregionen. Radioaktiv verseuchte Aerosole und Pyrotoxine führten das Zerstörungswerk fort. Sollten nach Wochen oder Monaten die Rauchwolken entfernt sein, würde eine möglicherweise noch vorhandene Pflanzen- und Tierwelt von hohen Dosen der schädlichen UV-B Strahlung bombardiert, die nach der Zerstörung der stratosphärischen Ozonschntzschicht ungehindert zur Erdoberfläche vordringen könnte. Insgesamt wäre die Produktivität stark herabgesetzt, die Reproduktion gestört und Massenerkrankung sowie Absterben weit verbreitet.

- Beeinflussung der landwirtschaftlichen Ökosysteme: Ohne Zweifel hätte ein Atomkrieg während der Wachstumsperiode im Frühjahr und Sommer größere Auswirkungen als im Winter. Mit den riesigen Stadt- und Waldbränden würden auch die umliegenden Getreidefelder in Flammen aufgehen. Die extrem niedrigen Licht und Temperaturverhältnisse schlössen eine Nettoproduktivität der Nutzpflanzen praktisch aus. Die radioaktive und chemische Verseuchung von Boden, Wasser und Luft würde, wenn überhaupt etwas wachsen sollte, zu ungenießbaren Produkten führen. Die vermehrt einfallende UV- B Strahlung würde bei Tieren Blindheit verursachen und bei den im kurzwelligen Bereich sehenden Insekten durch die neue Lichtzusammensetzung zu Verhaltensstörungen führen, so daß sie die Blüten nicht mehr bestäuben können. Bei dem gestörten ökologischen Gleichgewicht könnten einige strahlungswiderstandsfähigere Tierarten epidemieartig zunehmen. Durch die Schwächung des Immunsystems wäre die Anfälligkeit gegenüber Krankheitserregern und Schädlingen erhöht. Genetische Schäden wären zu erwarten. Nahrungsmittelvorräte wären bald aufgebraucht oder verseucht. Eine organisierte Landwirtschaft mit Nahrungsmittelproduktion und Nahrungsmittelexport wäre höchst unwahrscheinlich.

- Beeinflussung des Gesellschaftssystems: Diejenigen, die die Hitze-, Druck- und Strahlungswelle überlebt haben sollten, sähen sich nach dem psychologischen Schock, daß das Undenkbare doch passiert ist, in den folgenden Tagen und Wochen zunehmendem physiologischem Streß sowohl durch Dunkelheit und Kälte als auch durch radioaktive und chemische Verseuchung ausgesetzt. Die nach dem Verschwinden der Rauchwolken ungehindert einfallende UV-B Strahlung würde zusätzlich zu den Strahlenschäden aus den Atombombenexplosionen und den zerstörten Atomanlagen zu einer Zunahme der Krebsrate führen. Die medizinische Versorgung wäre überlastet und bräche zusammen. Die Energieversorgungssysteme wären zerstört. Ein Verkehrssystem existierte nicht mehr. Das Trinkwasser wäre ungenießbar. Auch die Nahrungsmittel wären zum größten Teil radioaktiv verseucht. Die noch genießbaren Vorräte wären bald aufgebraucht, und mit Nachschub von „außen“ wäre nicht zu rechnen. Mit am schlimmsten zu ertragen wäre wahrscheinlich die Ungewißheit über das Ausmaß des Geschehens und was von einer Zukunft noch zu erwarten wäre. Bei dem zusammengebrochenen Kommunikationssystem (weder Radio, Fernsehen noch Zeitungen) bildeten Gesprächsfetzen und Gerüchte aus den Erzählungen einzelner Vorbeiziehender die einzige Information. Ein Rechts- und Strafsystem gäbe es nicht mehr. Es käme zu Bandenbildung, und es würde das Faustrecht gelten. Der Kampf ums nackte Überleben vollzöge sich in kleinen isolierten Siedlungen (Pausewang, 1984). Neben Hungersnöten käme es bei dem geschwächten Immunsystem zu häufig wiederkehrenden Epidemien und Pandemien. Von den in ihren Befehlsbunkern überlebenden Führungsspitzen wäre keine Hilfe zu erwarten.

Zusammenfassung der Erkenntnisse

Bis vor kurzem ließen sich noch viele Kriegsstrategen und Militärberater von der Annahme leiten, daß man einen Atomkrieg begrenzen, gewinnen und überleben könne. Aber die jüngsten Forschungsergebnisse in den USA und der UdSSR, die weltweit bestätigt worden sind, haben uns gezwungen, unsere Vorstellungen vom Ausmaß der katastrophalen Folgen eines Atomkrieges vollkommen zu revidieren.

Die Forscher übersahen bisher die drastische Beeinflussung des Weltklimas durch die großen Mengen von Rauch, Ruß und Staub, die durch die riesigen Stadt- und Waldbrände, ausgelöst durch Atombombenexplosionen, entstünden. Erst die detaillierten Untersuchungen eines deutsch/ amerikanischen Forscherteams haben uns bewußt gemacht, welch riesige Mengen an Rauch und Ruß sich dadurch in der unteren Atmosphäre, der Troposphäre, ausbreiten würden. Gleichzeitig würden je nach Explosionshöhe enorme Mengen an Feinstäuben und auch erhitzte Rauchschwaden in die oberen Atmosphärenschichten, die Stratosphäre, emporgeschleudert. Die Absorption der Sonnenenergie an den dunklen Rauch- und Rußteilchen würde zwar zu einer starken Erwärmung der Troposphäre führen. Aber die Abblockung der Sonnenstrahlen durch die Staub- und Rauchmengen in der Stratosphäre und ihre Absorption durch die Rußschicht in der Troposphäre würden dagegen an der Erdoberfläche die Temperaturen drastisch senken mit katastrophalen Folgen für alle Lebewesen. Sollte das eintreten, dann hätten die Überlebenden mit der Abfolge folgender Ereignisse zu rechnen:

Nach der Hitze-, Druck- und Strahlungswelle würden weite Gebiete in eine tiefe, langandauernde Dunkelheit gehüllt. Etwa nur 1 % des Lichts eines Sonnentages erreichte die Erdoberfläche (in einer dunklen Fichtenschonung kommen immerhin noch 4 bis 5 % am Boden an). Dadurch würde die Photosynthese so stark beeinträchtigt, daß wohl die meisten Pflanzen eingingen. In einer Welt mit einer stark dezimierten und radioaktiv verseuchten Pflanzen- und Tierwelt hätten die Überlebenden kaum eine Chance, dem Hungertod zu entgehen.

Die fehlende Sonnenenergie ließe die Temperaturen über großen Gebieten der Landflächen in Frostbereiche von minus 20° C und darunter absacken. Die Folgen sind klar: Pflanzen und Tiere sterben den Kältetod, insbesondere bei einem Kriegsanbruch in den wärmeren Jahreszeiten. Strahlen- und seuchengeschwächte Menschen würden bei der zusammengebrochenen Energieversorgung der Eiseskälte nicht lange widerstehen können.

Die Kälte am Boden und die Wärme in der Troposphäre ließe superstabile Inversionen entstehen, wie wir sie z. T. auch von den Smogwetterlagen her kennen. Dadurch blieben die bei den Bränden entstehenden Giftstoffe lange in der Atemluft. Wegen der fehlenden Feuchtigkeit könnten sie auch nicht, entgegen anderslautenden Behauptungen, schnell aus der Luft ausgewaschen werden. Zu der verpesteten Luft und den zugefrorenen Gewässern käme noch völlige Trockenheit hinzu.

Wegen der höheren Wärmekapazität würde sich der Ozean wahrscheinlich nur um 2 bis 3° C abkühlen. Dadurch entstünden in den Küstenregionen scharfe Temperaturgegensätze mit heftigen Stürmen und starkem Schneefall. Schnee- und gletscherbedeckte Gebirge, die in die besonders warmen oberen Troposphärenschichten hineinragen, würden abschmelzen. Dadurch käme es zu großflächigen Überschwemmungen, die zerstörte Vegetation und der nackte Boden der Wassermassen nicht Herr werden könnten.

Die intensive Aufheizung der Troposphäre würde das atmosphärische Zirkulationssystem drastisch ändern. Rauchschwaden gelangten deshalb nicht nur in tropische Bereiche, sondern auch mit einiger Verzögerung auf die südliche Halbkugel, so daß auch diese Regionen an den unmittelbaren Folgen eines Atomkrieges teilhaben müßten. Es ist möglich, daß dies nur in Einzelschüben geschähe. Die daraus resultierenden kurzfristigen Frosteinbrüche reichten in den tropischen Regionen aber aus, um auch hier die gesamte Vegetation und damit die Lebensgrundlage zu vernichten. Damit fiele auch die südliche Halbkugel als Zufluchtsstätte aus. Die Auswirkungen des Nuklearwinters wären global. Für Homo sapiens bliebe keine ökologische Nische in einer postnuklearen Welt.

Zusätzlich zur Dunkelheit, Eiseskälte und vergifteten Atemluft wären die Opfer eines Atomkriegs auch noch ständig radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Die radioaktive Verseuchung würde noch um ein Vielfaches durch die Zerstörung der unzähligen Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen und Atommülldeponien verstärkt. Dadurch würde das Abwehrsystem der Überlebenden so stark geschwächt, daß außer den Hungersnöten auch noch mit weltweiten Epidemien zu rechnen wäre. Auch wenn unter solchen Bedingungen ein Überleben für einige Zeit möglich sein sollte, würde die Wahrscheinlichkeit, gesunde Kinder auf die Welt zu bringen, wegen der geschädigten Erbanlagen drastisch sinken.

Mit dem Ende der Dunkelheit käme jedoch neue Ungemach auf die Überlebenden zu. Die durch die Atombombenexplosionen geschädigte Ozonschutzschicht in der Stratosphäre ließe jetzt über Jahre hinweg einen größeren Anteil der schädlichen Ultraviolettstrahlung zur Erde durch. Das hätte drei Hauptauswirkungen: Die Hautkrebsrate würde sich drastisch erhöhen, die im kurzwelligen Bereich sehenden Insekten würden durch die neue Lichtzusammensetzung so gestört, daß sie die Blüten nicht mehr befruchten können und die Meerespflanzen im Ozeanoberflächenwasser gingen ein.

Jedes der hier beschriebenen Phänomene reichte allein schon aus, die Lebensgrundlage der Menschheit empfindlich zu stören. Bei Betrachtung der Gesamteffekte bedeutet das unweigerlich das Ende der Menschheit. Am schockierendsten ist dabei die Erkenntnis, mit welch geringem Einsatz von Atomwaffen eine solche Schreckensvision Wirklichkeit werden kann. Selbst der kleinste denkbare Atomkrieg, bei dem nur rd. 100 Mt TNT (das sind weniger als 1 % der gegenwärtigen Atomwaffenarsenale) auf Städte und Industrieanlagen zum Einsatz kämen, würde zur Klimakatastrophe führen. Für den atomaren Holocaust reichen ein bis zwei Atom-U-Boote der modernen Ohio-Klasse aus.

Die ursprünglich mit den einfacheren eindimensionalen Klimamodellen gewonnenen Ergebnisse konnten inzwischen von den vollständigsten dreidimensionalen Zirkulationsmodellen mit dynamischen Rückkopplungsmechanismen im wesentlichen bestätigt werden. Der Nuklearwinter ist also kein Phantasiegebilde von Wissenschaftlern. Obwohl zugegebenermaßen Manches sicher noch unbekannt und Vieles unsicher ist und folglich weiterer Klärung bedarf, ist doch keine der gegenwärtigen Unsicherheiten groß genug, um folgende Schlußfolgerung in Frage zu stellen, nämlich: In einem Atomkrieg gibt es keinen Gewinner auch wenn die angegriffene Nation zu einem Gegenschlag nicht mehr in der Lage sein sollte. In einem Nuklearwinter ist die Überlebenschance auch auf der primitivsten Kulturstufe äußerst gering. Aber im Gegensatz zum unvermeidlichen normalen Winter, ist der Nuklearwinter vermeidbar, da dieser von unseren eigenen Entschlüssen abhängt. Wenn wir also überleben wollen, müssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, daß der Nuklearwinter jemals grausame Wirklichkeit wird.

Verantwortung der Wissenschaftler

Mit diesen Erkenntnissen erhält die Idee der Abschreckung eine neue politische und moralische Dimension. Vor der Erforschung des Nuklearwinters erschien ein begrenzter Atomkrieg zwischen den beiden Machtblöcken möglich. Jetzt ist die gesamte menschliche Zivilisation, ob sie will oder nicht, in den garantierten Untergang miteinbezogen.

Das erfordert eine neue Friedensstrategie mit einer neuen Moral. Vor allem die Wissenschaftler sind dieser neuen Moral verpflichtet und können deshalb die politischen Konsequenzen ihrer Arbeit nicht länger ignorieren. Denn mit ihrem Beitrag zu den militärtechnischen Entwicklungen sind Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker an der von Jahr zu Jahr zunehmenden Bedrohung der Menschheit beteiligt. Es sind die Wissenschaftler, die überhaupt erst den Grundstein zur Herstellung von Atomwaffen gelegt haben, und die nach wie vor direkt an ihrer Herstellung mitwirken.

Je mehr Atomwaffen hergestellt werden und je perfekter und damit zerstörerischer sie sind, um so unsicherer wird diese Welt. Atomwaffen, und mit ihnen die chemischen und biologischen Waffen, dienen keinem militärischen Zweck. Sie taugen nur zum kollektiven Selbstmord.

Diese Erkenntnis und die neue Moral zwingen dazu, dem Appell des Papstes an die Wissenschaftler in aller Welt Folge zu leisten, nämlich ihre „Entdeckungen nicht in den Dienst des Krieges“ zu stellen und deshalb „aus den Laboratorien und Werkstätten des Todes zu desertieren“ und statt dessen in den „Werkstätten des Lebens“ zu arbeiten. Erst wenn Wissenschaftler mit dieser Aufforderung Ernst machen, kann die Rüstungsspirale durchbrochen werden. Jeder muß bei sich selbst damit anfangen. Wird auf diese Weise die Entwicklung immer perfekterer Waffensysteme unterbunden, ist damit gleichzeitig den Politikern der Weg für erfolgversprechende Abrüstungsverhandlungen gebahnt.

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Prof. Dr. Wilfrid Bach ist Direktor der Forschungsstelle für angewandte Klimatologie und Umweltstudien am Institut für Geographie Westfälische Wilhelms-Universität Münster

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1985/2 1985-2, Seite