W&F 1991/3

Vor dem Durchbruch?

Die Genfer Verhandlungen über ein umfassendes Verbot chemischer Waffen

von Joachim Badelt

Die weltweite Bedrohung durch chemische Waffen (CW) nimmt ständig zu. Dabei sind zwei Tendenzen zu beobachten: Die Zahl der Staaten, die die Möglichkeit zur Herstellung chemischer Waffen erlangen, wächst stetig und die Hemmschwelle zu einem Einsatz scheint immer niedriger zu werden. Zwar wurden vom Irak im Krieg mit den USA und deren Verbündeten trotz unverhohlener Drohungen keine chemische Waffen eingesetzt. Doch im Krieg gegen den Iran hat der Irak ebensowenig vor dem Einsatz chemischer Waffen zurückgeschreckt wie in seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden und andere Bevölkerungsgruppen im eigenen Lande. Aber der Irak ist nur ein, wenn auch das brisanteste Beispiel für die weltweit zunehmende Gefahr eines CW-Einsatzes.

Seit vielen Jahren wird das bisher gültige Regime zur Verhinderung von Chemiewaffeneinsätzen, das Genfer Giftgasprotokoll von 1925, nicht mehr als ausreichend erachtet, einen Einsatz dieser furchtbaren Massenvernichtungswaffe zu verhindern. Vor allem, da durch das Genfer Giftgasprotokoll nur der Erst-Einsatz, nicht jedoch Entwicklung, Herstellung, Lagerung, Besitz und Weitergabe von chemischen Waffen untersagt werden.

Ein solch umfassendes Verbot soll durch ein neues Abkommen erreicht werden, über das in Genf im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament, CD) seit über zwanzig Jahren verhandelt wird.

Die CW-Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz

Die Genfer Abrüstungskonferenz ist das wichtigste Forum für die Bemühungen um die weltweite Eliminierung chemischer Waffen. Ihre Bedeutung liegt auch darin, daß sie das einzige auf Dauer angelegte multilaterale Verhandlungsforum ist, dessen 39 Verhandlungsteilnehmer die gesamte Staatengemeinschaft repräsentieren sollen.

Die Mitgliedsstaaten der Abrüstungskonferenz treten während der Sitzungsperioden, die jeweils von Februar bis April (»Frühjahrssitzung«) und von Juni bis August (»Sommersitzung«) dauern, zweimal wöchentlich in öffentlichen Plenarsitzungen zusammen, in denen alle formellen Beschlüsse gefaßt werden. Seit 1980 gibt es einen sog. »Ad-Hoc-Ausschuß für chemische Waffen«, dem alle Verhandlungsteilnehmer angehören. In diesem Gremium, das in nicht-öffentlichen Sitzungen tagt, werden die politischen und technischen Detailprobleme verhandelt.

Die in den Treffen des CW-Ad-Hoc-Ausschusses erreichten gemeinsamen Positionen werden zum Schluß der jeweiligen Sitzungsperiode in einem Bericht festgehalten. Dieser Bericht besteht im wesentlichen aus dem »Rolling Text«,1 der den aktuellen Stand der Verhandlungen wiedergibt. Der Rolling Text ist ein Entwurf des Konventionstextes. Er bildet eine Grundlage für die weitere Entwicklung der Konvention. Der Text hat im Laufe der letzten Jahre immer mehr Gestalt angenommen und enthält heute 20 Artikel mit Anhängen auf 245 Seiten. Er ist, was Länge und Detailregelungen anbetrifft, ohne Beispiel in der Geschichte von Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträgen. Obwohl er für keine der Verhandlungsdelegationen bindend ist, stellt er »kraft des Faktischen« eine solide Grundlage für den endgültigen Vertragstext dar.

Verhandlungsverlauf

Die CW-Verhandlungen auf der Genfer Abrüstungskonferenz begannen, wie es ein beteiligter Diplomat ausdrückte, „langsam und vorsichtig“. Erst im Jahr 1977 traten sie mit Beginn zusätzlicher bilateraler Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion in eine intensivere Phase.

Nach dem Amtsantritt von US-Präsident Reagan im Jahre 1980 ging eine Neuorientierung der Rüstungskontrollpolitik der US-Administration einher. Mit der allgemeinen Verschlechterung des politischen Klimas zwischen den beiden Großmächten kam es auch zu einer Stagnation der Verhandlungen. Es erwies sich jedoch, daß andere Staaten an einer Intensivierung zumindest aber an einer Aufrechterhaltung, des Verhandlungsprozesses interessiert waren. Dies zeigte sich u.a. in der Verlagerung der Verhandlungsbemühungen in den CW-Ad-Hoc-Ausschuß.

Ab 1984 kam es zu einer vorsichtigen Annäherung zwischen den beiden Großmächten. Im Jahr 1986 wurden dann wieder regelmäßige, bilaterale Gespräche zwischen den USA und der Sowjetunion aufgenommen. Gleichzeitig zeichnete sich ein Einlenken der Sowjetunion in der Verifikationsproblematik ab. Die Veränderung der sowjetischen Rüstungskontrollpolitik unter Michail Gorbatschow führte dazu, daß die Sowjetunion im Laufe des Jahres 1987 allen Forderungen der USA, insbesondere in der umstrittenen Frage der Vor-Ort-Inspektionen, im wesentlichen zustimmte.

Zu Beginn der Frühjahrsitzung 1988 zeigte sich jedoch, daß nicht mit dem baldigen Abschluß einer CW-Konvention zu rechnen war. Vor allem neue Vorbehalte der US-amerikanischen und der französischen Regierung, die mit der Produktionsaufnahme binärer C-Waffen durch die USA und französischen Plänen für den Beginn einer CW-Produktion einhergingen, verlangsamten den Fortgang der Verhandlungen.

Wesentliche Fortschritte waren auch 1989 und 1990 nicht zu erkennen. Zwar wurde der Vertragstext in wichtigen Teilen fortgeschrieben und es wurden bilaterale Vereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion getroffen; dennoch blieben wesentliche politische Fragen ungelöst.

Die Frühjahrssitzung 1991 stand unter dem Eindruck des Golfkrieges. Die Folgen eines möglichen Einsatzes von C-Waffen auf den Fortgang der Verhandlungen waren nicht abzusehen. Es wurde sogar ein endgültiges Scheitern der Verhandlungen befürchtet. Es stellte sich jedoch heraus, daß nach Ende des Golfkrieges die Rolle von C-Waffen in militärischen Auseinandersetzungen neu beurteilt wurde. Die Tatsache, daß der Irak selbst bei der sich abzeichnenden Niederlage nicht auf seine großen Arsenale an chemischen Waffen zurückgriff, führte in den USA zu einer Revision der Politik, die eine Existenz von CW-Beständen zur Abschreckung und Vergeltung von CW-Angriffen für notwendig erachtete. Als Folge kam es zu Beginn der Sommersitzung im Mai 1991 zu einer politischen »Initiative« von US-Präsident Bush,2 die soweit es die Position der Vereinigten Staaten anbetrifft, eine deutliche Bereitschaft zum baldigen Abschluß des Vertrages signalisierte und eine Revision ihrer hinhaltenden Verhandlungsführung bedeutete.

Wichtige Verhandlungsgegenstände

Definition von Chemiewaffen

Bei der Definition von chemischen Waffen besteht weitgehende Einigkeit unter den Verhandlungsdelegationen. So werden unter chemischen Waffen verstanden: (1) Toxische Chemikalien und ihre Vorprodukte, außer Chemikalien für solche Zwecke, die von der Konvention nicht verboten werden; (2) Munition und sonstige Vorrichtungen, die dazu dienen, die oben genannten Chemikalien freizusetzen; (3) Ausrüstungen, die für die Anwendung der oben genannten Munition oder Vorrichtungen besonders konstruiert sind. Dabei wird auch bereits dann von einer »chemischen Waffe« gesprochen, wenn nur eines der genannten Kriterien vorliegt.

Umstritten ist allerdings die Zuordnung von Reizgasen (CS, CN, CR) und Pflanzenvernichtungsmitteln (Herbizide). Die Einbeziehung von Reizgasen stößt bei vielen Regierungen auf Widerstand, da sie ihre Polizeikräfte damit ausstatten und nicht auf dieses innerstaatliche Gewaltmittel verzichten wollen. Gegen die Einbeziehung von Herbiziden wenden sich vor allem die USA. Es ist davon auszugehen, daß diese Giftstoffe nicht in die Verbotskonvention aufgenommen werden, da gegen den erklärten Widerstand einiger Staaten in dieser Frage kein Abkommen möglich sein wird.

Vernichtung von Chemiewaffen und Produktionsanlagen

Die Verhandlungsdelegationen haben sich im wesentlichen über die Vorgehensweise bei der Vernichtung der chemischen Waffen geeinigt. Dabei besteht Übereinstimmung darüber, daß die Sicherheit keines Staates während der Vernichtungsperiode beeinträchtigt werden darf. Dies bedeutet, daß nach den im Rolling Text festgelegten Modalitäten der CW-Vernichtung alle Staaten mit vergleichbaren Beständen dem Abkommen in etwa gleichzeitig beitreten müßten, wenn das »Prinzip der gleichen Sicherheit« gewahrt bleiben soll. Die mit Abstand größten CW-Besitzer, USA und Sowjetunion, haben übereinstimmend erklärt, zu den Erstunterzeichnern der Konvention gehören zu wollen. Das Prinzip der gleichen Sicherheit stellt jedoch besondere Anforderungen an Regionen wie beispielsweise den Nahen und Mittleren Osten. Es ist unvorstellbar, daß beispielsweise Syrien das Abkommen unterzeichnet, solange nicht auch Israel beigetreten ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Staaten, von denen angenommen wird, daß sie über C-Waffen verfügen, auch tatsächlich im Besitz solcher Waffen sind. Allerdings könnte das Problem des gleichzeitigen Beitritts dadurch gelöst werden, daß alle Staaten, die dem Abkommen beitreten wollen, auf einer regionalen oder internationalen Beitrittskonferenz die Konvention gemeinsam unterzeichnen.

Was die bestehenden C-Waffen und Produktionsanlagen anbetrifft, müßten sie innerhalb von 30 Tagen nach Inkrafttreten der Konvention deklariert werden. Sie werden dann unter ständige internationale Überwachung gestellt. Innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren sind alle chemischen Waffen und CW-Produktionsanlagen nach einem festgelegten Modus vollständig zu vernichten.

Die USA und Frankreich erhoben zeitweise die Forderung, solange sog. »Sicherheitsbestände« zu behalten, bis alle Staaten, die über die Möglichkeit verfügen, C-Waffen herzustellen (etwa 60), dem Abkommen beigetreten sind. Diese Forderung war wegen ihres diskriminierenden Charakter ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem Vertragsabschluß. Viele Staaten waren nicht bereit zu akzeptieren, daß einige Staaten einen Teil ihrer CW-Bestände behalten und alle anderen mit dem Beitritt zu Konvention völlig auf sie verzichten müßten. Außerdem hätte eine solche Regelung Staaten ohne CW-Bestände zum Aufbau eigener »Sicherheitsbestände« provoziert. Dies wurde offensichtlich auch erkannt, und so wurde diese Position von Frankreich im September 1989 und von den USA im Mai 1991 aufgegeben.

Es muß an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, daß das Problem einer umweltverträglichen Vernichtung großer Mengen chemischer Waffen nach wie vor nicht gelöst ist. Die Verbrennungsanlage der USA auf dem Johnston Atoll im Südpazifik soll inzwischen zwar relativ störungsfrei arbeiten, es wird jedoch kaum gelingen, die angestrebten Vernichtungszeiträume einzuhalten. Die Sowjetunion verfügt bislang über keine einzige funktionierende Anlage zur Vernichtung größerer Mengen chemischer Waffen. Wenn schon die industrialisierten Staaten solche Probleme mit der Vernichtung haben, ist davon auszugehen, daß CW-Besitzer in der Dritten Welt über keinerlei Kapazitäten zur umweltverträglichen Vernichtung verfügen.

Verifikation

Im Mittelpunkt des Interesses bei den CW-Verhandlungen steht die Frage, wie die Einhaltung der Vertragsbestimmungen überwacht werden kann. Die Besonderheiten von chemischen Waffen erfordern ein System von Verifikationsmaßnahmen, das bislang in rüstungskontrollpolitischen Vereinbarungen kein Beispiel kennt. Zum einen ist die Vernichtung der CW-Bestände und Produktionsanlagen zu kontrollieren; zum anderen geht es darum, die Einhaltung des Produktionsverbots chemischer Waffen sicherzustellen. Das bedeutet, daß auch diejenigen Produktionsanlagen der chemischen Industrie zu überwachen sind, die zivile Produkte herstellen. Zahlreiche in der zivilen Produktion verwandte Chemikalien sind hoch-toxisch. Ihre Produktion wird aber weiterhin erlaubt sein. Im Vertragstext wird in diesem Zusammenhang von „nicht verbotenen Aktivitäten“ gesprochen. Diese sind jedoch daraufhin zu kontrollieren, ob nicht unter dem Deckmantel ziviler Produktion chemische Waffen hergestellt werden.

Wir leben in einer Welt voll von chemischen Anlagen, von denen viele, rein technisch gesehen, für die Produktion von chemischen Waffen mißbraucht werden könnten. Es wird vor allem aus Kostengründen nicht möglich sein, alle potentiellen CW-Produktionsanlagen regelmäßig zu kontrollieren. Um dennoch die Einhaltung der Vertragsbestimmungen zu gewährleisten, soll ein System von Routine- und Verdachtskontrollen eingerichtet werden.

Routinekontrollen sollen in regelmäßigen Abständen in den deklarierten Anlagen stattfinden. Um die Routinekontrollen möglichst effektiv zu gestalten, wurden drei Kategorien von Stoffen geschaffen. In Kategorie 1 sind diejenigen Substanzen aufgelistet, die für die Produktion von chemischen Waffen (u.a. aufgrund ihrer hohen Toxizität) das höchste Risiko darstellen und deren Verwendung für zivile Zwecke nur in relativ geringen Mengen notwendig ist. Stoffe, die in diese Kategorie fallen, dürfen nur in dafür bestimmten Produktionsanlagen in sehr geringen Mengen (1 Tonne pro Jahr und Staat) hergestellt werden und unterliegen einer sehr strengen Überwachung, die auch regelmäßige Vor-Ort-Kontrollen beinhaltet. In Kategorie 2 sind Stoffe erfaßt, die ein beträchtliches Risiko für einen Mißbrauch darstellen, die jedoch in der zivilen Produktion weitgehend Verwendung finden. Die Kontrollen werden weniger intensiv als für Kategorie-1-Stoffe ausfallen, jedoch auch regelmäßige Vor-Ort-Kontrollen einschließen. In Kategorie 3 sind Chemikalien und chemische Vorprodukte enthalten, die in der chemischen Industrie in sehr großen Mengen für zivile Produkte verarbeitet werden. Über diese Chemikalien müssen jährliche Mengenangaben hinsichtlich Produktion und Weiterverarbeitung gemacht werden, allerdings sind keine routinemäßigen Vor-Ort-Kontrollen vorgesehen.

Durch Routinekontrollen wird es jedoch nicht möglich sein, alle in Frage kommenden Anlagen so regelmäßig zu überprüfen, daß ein Mißbrauch weitgehend ausgeschlossen werden kann. Vor allem werden durch das System der Routinekontrollen nur alle deklarierten Anlagen erfaßt. Um aber alle, d.h auch nicht-deklarierte, Anlagen kontrollieren zu können, wurde das Instrument der sog. Verdachtskontrollen geschaffen. Sie sollen Vor-Ort-Inspektionen „zu jeder Zeit“ und „an jedem Ort“ erlauben, wenn ein Vertragsstaat dies fordert. So wäre es z.B. möglich gewesen, vorausgesetzt Libyen und die USA wären Vertragsstaaten einer schon bestehenden Konvention gewesen, auf Ersuchen der USA innerhalb von 24 Stunden ein internationales Inspektionsteam nach Rabta zu entsenden. Die Inspektoren hätten vor Ort überprüfen können, ob dort chemische Waffen oder tatsächlich nur pharmazeutische Stoffe produziert worden sind.

Die Verdachtskontrollen gehören zu den Verhandlungsgegenständen, die nach wie vor umstritten sind. Insbesondere die Staaten in der Dritten Welt befürchten einen Mißbrauch für politische oder geheimdienstliche Zwecke. Aber auch die chemischen Industrien in den Industriestaaten und die Militärs stehen den Verdachtskontrollen skeptisch gegenüber. Erstere fürchten um ihre Geschäftsgeheimnisse und letztere einen möglichen Mißbrauch zur nachrichtendienstlichen Ausforschung. Zwar wurden in der Vergangenheit verschiedene Vorschläge unterbreitet, die den geäußerten Bedenken Rechnung tragen und trotzdem eine effektive Durchführung von Verdachtskontrollen ermöglichen sollen; dennoch ist immer noch nicht absehbar, wann und wie dieses Problem gelöst werden kann. Es könnte sich somit als großer »Stolperstein« auf dem Weg zu einem Vertragsabschluß erweisen.

Etablierung einer internationalen Verifikationsorganisation

Die zahlreichen Verifikationsaufgaben werden von einer internationalen Organisation wahrgenommen werden, die speziell zu diesem Zweck geschaffen werden soll. Sie würde vermutlich mehrere hundert Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben und über ein Jahresbudget von mehreren hundert Millionen DM verfügen.

Die Organisaton soll aus drei Sub-Organen bestehen: der »Konferenz der Vertragsstaaten«, dem »Exekutivrat« und einem »Technischen Sekretariat«. Die Staatenkonferenz bildet das oberste Organ, dem alle Unterzeichnerstaaten angehören werden. Die wichtigen Entscheidungen sollen allerdings im Exekutivrat getroffen werden, der im Gegensatz zur Generalkonferenz ein ständiges Organ sein wird, dessen Mitgliederzahl begrenzt bleibt. Dies wirft die schwierige Frage einer angemessenen Repräsentation aller Vertragsstaaten auf, die bis heute nicht gelöst wurde. Es gibt auch noch erhebliche Meinungsunterschiede über die konkrete Aufgabenverteilung und Entscheidungsbefugnisse innerhalb der neuzubildenden Organisation, insbesondere darüber, wieviel Macht von der Staatenkonferenz an den Exekutivrat delegiert werden soll.

Perspektiven

Angesichts der zunehmenden Weiterverbreitung chemischer Waffen gibt es keine Alternativen zu der angestrebten Konvention, die für ein umfassendes Verbot dieser Massenvernichtungswaffen sorgen soll. Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung dieses Vorhabens besteht allerdings in der Universalität des Abkommens. Das bedeutet, daß nicht nur alle CW-Besitzer Vertragsparteien werden müssen, sondern auch möglichst alle Staaten, die über die Fähigkeit zur Herstellung chemischer Waffen verfügen. In dieser Hinsicht »relevante« Staaten sind neben allen Industriestaaten auch viele Staaten in der Dritten Welt. Es genügt also nicht, wenn sich die beiden Großmächte USA und Sowjetunion einig sind, ihre CW-Arsenale abzurüsten. Darüber hinaus sind Maßnahmen zu ergreifen, die es für alle relevanten Staaten günstiger erscheinen läßt, der Konvention beizutreten.

Die Chancen stehen nicht schlecht

Die meisten Industriestaaten scheinen inzwischen willens zu sein, den Vertrag baldmöglichst bis zur Unterschriftsreife fertigzustellen. Auch die chemischen Industrien haben, wie die Industrie-Regierungs-Konferenz im australischen Canberra im September 1989 zeigte, anfängliche Widerstände gegen die geplanten Verifikationsmaßnahmen aufgegeben. Auch ist davon auszugehen, daß das militärische Establishment seine Bedenken zurückgestellt hat. Beiden Gruppen wird nachgesagt, daß sie in der Vergangenheit durch ihren Einfluß auf Regierungspositionen wesentlichen Anteil an Verzögerungstaktiken mancher Staaten hatten.

Nach vielen Jahren des Verhandelns ist es nun höchste Zeit, die verbleibenden Probleme zu lösen. Dies sind, neben der bereits erwähnten Durchführung der Verdachtskontrollen, der Errichtung einer internationalen Verifikations-Organisation oder dem Zeitpunktes des Beitritts, Probleme wie der Einsatz von C-Waffen im Inneren eines Staates und die Frage von Sanktionen gegen Staaten, die das Abkommen verletzen. Ungelöst ist auch noch die Frage, wie viele oder welche Staaten der Konvention beitreten müssen, damit sie in Kraft tritt.

Neben der Lösung dieser Probleme, geht es jetzt vor allem darum, Anreize zu schaffen, die die Staaten in der Dritten Welt in das Abkommen einbinden. Dies könnte erreicht werden, indem verbindliche Regelungen über technische und wirtschaftliche Hilfe beim Aufbau einer eigenen zivilen chemischen Industrie in diesen Staaten getroffen werden. Umgekehrt könnten Staaten, die der angestrebten Konvention nicht beitreten, vom internationalen Handel mit Chemikalien und Anlagenteilen ausgeschlossen werden, die für die Produktion von chemischen Waffen mißbraucht werden können. Darüberhinaus sollte Staaten und Bevölkerungsgruppen internationale Hilfe für den Fall zugesichert werden, daß sie mit chemischen Waffen bedroht oder angegriffen werden.

Nach den neuen Vorschlägen der USA vom Mai 1991 sind die Aussichten für das baldige Zustandekommen einer Verbotskonvention wieder optimistischer zu beurteilen. Nach den Erfahrungen des Golfkrieges scheinen sie entschlossen, baldmöglichst ein umfassendes Abkommen durchzusetzen. Es muß aber noch gelingen, durch praktische Maßnahmen die meisten Staaten aus der Dritten Welt und besonders sensiblen Regionen, wie etwa dem Nahen und Mittleren Osten, in das Abkommen einzubeziehen. Dann könnte die Konvention 1992 zur Unterschriftsreife gediehen sein und in einigen Jahren in Kraft treten.

Anmerkungen

1) Zuletzt: CD/1033 vom 10.8.1990, Report of the Ad-hoc Committee on Chemical Weapons to the Conference on Disarmament Zurück

2) Siehe cbw-Chronologie (13. Mai 1991) in diesem Heft Zurück

Dr. Joachim Badelt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin. Mitglied der Naturwissenschaftler-Initiative Verantwortung für den Frieden.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/3 Zukunft der Rüstung, Seite