Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl
Bleibt es bei der Ablehnung des Irak-Krieges?
von Clemens Ronnefeldt
Montag, 23. September: Die Wahl ist gelaufen, Rot-Grün kann mit der knappsten Mehrheit in der Geschichte des Bundestages weiterregieren, die konservative Opposition wurde gestärkt, während die linke Oppositionskraft an der 5%-Hürde scheiterte und nur noch über zwei Direktmandate im Bundestag vertreten ist.
Noch Mitte August 2002, während der verheerenden Unwetter und der Flutkatastrophe, hatten die Menschen in weiten Teilen Ostdeutschlands und die rot-grüne Bundesregierung auf unterschiedliche Art und Weise eines gemeinsam: Beiden stand das Wasser bis zum Hals. Es gibt wohl keinen Zweifel, dass dann das Krisenmanagement der Regierung und die schnellen Hilfszusagen an die Hochwasseropfer vor allem im Osten für die SPD einen Aufwärtstrend einleiteten. Entscheidend aber dafür, dass Stoiber in wahrlich letzter Minute noch abgefangen wurde, war eine andere Frage – nämlich die Antikriegsposition. Die Haltung der beiden großen Parteien zum drohenden Irak-Krieg spielte in den letzten Wochen zunehmend die zentrale Rolle und überlagerte andere wichtige Themen wie Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung oder Gesundheitswesen.
Selten hat bei einer Bundestagswahl das Thema »Krieg« eine so herausragende Rolle gespielt. Wie die New York Times und das Magazin Newsweek berichteten, soll der US-Präsident bei seinem Deutschland-Besuch im Mai diesen Jahres Gerhard Schröder versprochen haben, einen möglichen Feldzug gegen den Irak erst nach dem 22.9.02 zu verkünden. Nachdem der US-Präsident jedoch bereits im August immer offener den Krieg propagierte, gingen Kanzler und Außenminister auf Distanz. Sie trugen der Antikriegsstimmung im eigenen Land Rechnung und konnten damit dem bereits verloren geglaubten Wahlkampf noch einmal eine Wende geben.
Zur Erinnerung: Auf die Emnid-(Um-)Frage: „Wie finden Sie es, dass Deutschland einen Einsatz der Bundeswehr bei einem US-Militärschlag gegen den Irak kategorisch ablehnt?“, stimmten am 12.8.02 bereits 67% der Befragten mit »richtig«, am 4.9.02 sogar 71%. Mit diesem eindeutigen »Friedensvotum« im Rücken trieb der Kanzler sogar Edmund Stoiber zu Aussagen, die diesem ohne Wahlkampf wohl nie über die Lippen gekommen wären.
Mit dieser Entscheidung punktete der Kanzler – im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Stoiber – bei der Antikriegsposition vor allem auch im Osten und drückte damit gleichzeitig die PDS, die als einzige Partei in der letzten Legislaturperiode alle Militäreinsätze abgelehnt hatte, unter die 5%-Hürde.
Aus kriegskritischer Sicht ist ein weiteres Detail dieser Bundestagswahl von großem Interesse: Mit Hans-Christian Ströbele gewann in Berlin der erste Grüne ein Direktmandat. Angetreten war er als konsequenter Gegner von Bundeswehrkriegseinsätzen, das Direktmandat war seine einzige Chance, nachdem ihn die Partei bei der Listenaufstellung bewusst außen vor gelassen hatte.
Zweifel an der Durchhaltefähigkeit der Regierung
Ein altes Sprichwort sagt: Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl. Manche Politiker wechseln sehr schnell die Position. Vor weniger als einem Jahr verkündete Gerhard Schröder die „Enttabuisierung des Militärischen“, rechtfertigte die Bombardierung Afghanistans mit den Worten: „Wir verteidigen unsere Art zu leben, und das ist unser gutes Recht“ (FR,17.10.01). Joschka Fischer ergänzte, dass Friedenspolitik „global »Zonen der Ordnungslosigkeit«“ (FR, 12.10.01) beseitigen müsse. Damit lagen beide nicht sehr weit von den Positionen Georg W. Bushs entfernt.
Woher kam der wahlentscheidende Denk-Umschwung? Von den Umfragewerten allein? Oder liegt es daran, dass die Bundeswehr für einen Irak-Krieg sowieso keine einsatzfähigen Truppen mehr hat? Bewog den Kanzler, dass bei einem Irak-Feldzug ein starker Ölpreisanstieg droht?
Noch während des Wahlkampfes korrigierte der Kanzler Gernot Erler und Hans-Ulrich Klose, die sich beide einen Krieg unter bestimmten Bedingungen vorstellen konnten. Auf die Frage allerdings, ob denn nun die Bundesregierung der US-Air Force die Überflugrechte im Falle eines Irak-Krieges konsequenterweise verweigern würde, reagierte Gerhard Schröder gereizt und ausweichend.
Auch der Außen- und der Verteidigungsminister ließen sich frühzeitig in Bezug auf eine Irak-Kriegsbeteiligung eine Hintertür offen. Joschka Fischer, indem er „einen mit militärischer Intervention herbeigeführten Regimewechsel“ ablehnte, diese Ablehnung aber mit der Einschränkung versah, das gelte bei „einer nichtveränderten Bedrohungsanalyse bezogen auf Irak.“ Verteidigungsminister Struck meinte mit ähnlichem Tenor: „Wenn der Irak sich tatsächlich aktiv im Bereich des Terrorismus beteiligt, ist das natürlich eine neue Situation.“
In den nächsten Wochen und Monaten wird sich beweisen, wie lang die Halbwertzeit der rot-grünen Kriegsablehnung tatsächlich ist. Richtet sich die Regierung nach ihren Wahlversprechen und nach der Dreiviertel-Mehrheit aller Deutschen, die einen Angriffskrieg gegen den Irak ablehnen, oder gibt sie dem Druck der US-Regierung nach, wenn diese zwar keine deutschen Soldaten, aber die Infrastruktur in Deutschland für einen völkerrechtswidrigen Krieg nutzen möchte?
Die äußerst knappe Regierungsmehrheit kann einerseits disziplinierend wirken; andererseits genügen aber auch schon wenige Abgeordnete, um einen Beschluss zur Kriegs-Unterstützung zu kippen – falls nicht die CDU/CSU und FDP wieder die Mehrheit beschaffen sollten. Ein verstärkter Druck von Seiten der Kirchen, Gewerkschaften, der Friedensforschung und von NGOs in Richtung Antikriegspolitik scheint dringend notwendig.
Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.