W&F 2008/4

Vorzeiten

Mutterrecht und Friedfertigkeit – revisited

von Monika Nehr

Schon einmal bewegte ich mich auf den Spuren femininer Vorzeiten – und ich bewegte mich nicht allein. Das Thema »weibliche Friedfertigkeit und patriarchaler Rüstungswahn« – zusammengefasst in der einfachen Frage: Sind Frauen friedlicher? – bewegte seinerzeit viele von uns, als das Inhalts- wie Sprachungetüm »NATO-Doppelbeschluss« vom 12. Dezember 1979 die weltweit wohl größte Friedensbewegung auslöste. Ende 1983 steuerte sie nach der zweiten Ungeheuerlichkeit, die »Nachrüstungsbeschluss« hieß, auch in der Bundesrepublik Deutschland auf ihren Höhepunkt zu und verebbte erst nach der Stationierung atomarer Raketen auf west- und ostdeutschem Territorium.

Mit dem Ende der großen Friedensbewegung, in der Frauengruppen eine wichtige Rolle inne hatten, begann unsere Arbeitsgruppe. Wir – drei Frauen1 – trafen uns regelmäßig Sonnabend nachmittags und studierten die FrauenFriedensFrage bei den Klassikern August Bebel und Friedrich Engels, bei dem Rechtshistoriker und Mythenforscher Jakob Bachofen, später noch »das Patriarchat« des Sexualforschers Ernest Bornemann … immer entlang der Frage: Wie verhielt es sich denn mit Krieg und Frieden, mit Mann und Frau und den Machtverhältnissen zwischen ihnen vor unserer Zeit? Ein Fazit lautete: Frauen sind nicht von Natur aus friedlicher, doch ist die Friedfertigkeit historisch in den Urgesellschaften verankert; nachweislich in den vorpatriarchalen Stammesgesellschaften der Jungsteinzeit, deren Siedlungen zum Beispiel ohne Befestigungsanlagen auskamen.2

Archäologische Befunde

Mein heutiges Augenmerk gilt Ausgrabungen und archäologischen Funden aus fast dreißigtausend Jahren prähistorischer Kunst, insbesondere den zahlreichen Frauenfigurinen und der von der »männlichen« Archäologie vernachlässigten Frage, was diese über die Friedfertigkeit urgesellschaftlicher Kulturen aussagen. Passt die »Fat Lady« von Saliágos ebenso zu Engels Evolutionstheorie wie die »Sleeping Lady« von Malta oder die Irokesin? Hat die neolithische Revolution der Männer die Goldenen Zeiten beendet?

Aus der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, sind ungefähr 1000 vollständige oder fragmentarische weibliche Bildnisse erhalten, darunter Skulpturen, Reliefs und Holzschnitte. Die frühesten entstanden während der letzten Phase der Altsteinzeit ungefähr ab dem 30. Jahrtausend vor Christus. Zahllos sind jedoch die bei Ausgrabungen entdeckten weiblichen Ton- und Marmorfiguren vorwiegend aus der neolithischen Periode etwa zwischen 7.000 und 3.000 v. unserer Zeitrechnung. Einige von ihnen möchte ich vorstellen.

Eine der ältesten Figurinen, die berühmte Venus von Willendorf, stammt noch aus der Altsteinzeit. Etwa 23 Tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung wurde sie aus Kalkstein gefertigt. Diese nur 10,5 cm hohe, stehende, nackte, üppig beleibte Frauenfigur mit dünnen, über die großen Brüste abgewinkelten Unterarmen und dem gesichtslosen, einer Brombeere gleichenden Kopf, fand man 1908 in einer Höhle im heutigen Österreich. Sehr ähnlich sieht ihr die 13 cm hohe, sogenannte Venus von Malta, eine stehende, ebenfalls nackte, jedoch kopflose Figurine aus gebranntem Ton (Werkstoff seit der Jungsteinzeit), die aber ungefähr 20.000 Jahre später im Neolithikum, ca. 3.300 Jahre vor Christus entstand und erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in einem megalithischen Tempel auf Malta gefunden wurde.

Einer der jüngsten Funde ist die nur ca. 6 cm hohe Keramikfigurine, genannt Fat Lady von Saliágos, eine üppig beleibte kopflose Figur mit untergeschlagenen Beinen. In der Vitrine in dem kleinen Archäologischen Museum von Paros spiegelt sie ihr rundes Hinterteil in einem kleinen runden Taschenspiegel. Die Fundstätte, die winzige nur 100 auf 50m messende Insel Saliágos zwischen den Kykladeninseln Paros und Antiparos, beherbergte eine der ältesten neolithischen Siedlungen der Ägäis.

Andere Figurinen sind bekleidet, wie die Sleeping Lady genannte kostbare Tonstatuette, etwa 3.300 v.u.Z., aus einem unterirdischen neolithischen Tempel von Malta; diese seitlich liegende rundliche Frauenfigur, nicht länger als 12 cm, bekleidet mit einem langen, gemusterten, körpernahen Gewand, scheint auf einer Art Liege zu schlafen. Der auf dem abgewinkelten Unterarm ruhende kleine Kopf und die aus dem Rock herragenden, kleinen spitz zulaufenden Füße stehen in auffallendem Kontrast zu dem runden Körper und den wulstigen Armen.

Die prähistorischen weiblichen Figuren werden häufig als Venusstatuetten, Idole, Votivfiguren oder Fruchtbarkeitssymbole bezeichnet. Für Marija Gimbutas, eine der seltenen Frauen in der Archäologie, stellen sie weibliche Gottheiten dar. Die auch in Anthropologie, Religionsgeschichte und alten Sprachen ausgewiesene Wissenschaftlerin, nennt diese Frauendarstellungen einfach Göttin von Malta, Göttin von Willendorf; die Mère von Catal Hüyük genannte Figur bezeichnet sie als eine majestätisch thronende Göttin beim Geburtsakt, die Sleeping Lady als schlafende Göttin, und männliche Figuren, deren Anzahl weitaus geringer ist, stellt sie ihnen als Götter an die Seite.

Apropos Götter: Im Archäologischen Museums in Athen stößt man auf eine mit etwa 50 cm relativ große sitzende nackte männliche Tonfigur aus Thessalien des späten Neolithikum. Die rechte Faust stützt den kantigen Kopf, während die linke Hand den auffallend großen, zum Teil abgebrochenen erigierten Penis hält. Diese »The Thinker« betitelte Figur wird im Museumsführer „zum frühesten Symbol männlicher Natur und männlichen Denkens“ emporgehoben. In meinen Notizen frage ich: beginnt mit dem »Thinker« der prähistorische Männlichkeitswahn? Doch in Gimbutas Systematik repräsentiert er nicht mehr und nicht weniger als irgend eine männliche Gottheit.

Symbolsprache

Bis zu ihrer Emeritierung 1989 lehrte die gebürtige Litauerin Archäologie zuerst in Harvard, später an der Universität von Kalifornien und leitete selbst umfangreiche Ausgrabungen in Jugoslawien, Italien, Mazedonien und Griechenland. Gimbutas Name ist untrennbar mit der systematischen Erforschung der prähistorischen Göttin verbunden. Ihre beiden wichtigsten Bücher »Die Sprache der Göttin« und »Die Zivilisation der Göttin« erschienen Mitte der 1990er Jahre auch auf deutsch.

Marija Gimbutas entzifferte die Symbolsprache der prähistorischen Kunst. Sie entdeckte verschiedene, sich wiederholende Zeichen und entschlüsselte den Code, der sich hinter den scheinbar nur dekorativen Elementen der prähistorischen Weiblichkeitsdarstellungen verbirgt. So stellte sie eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen den Darstellungen der Göttin aus der Steinzeit und denjenigen von diversen Tieren und vor allem Wasservögeln fest. Diese Ähnlichkeiten gibt es bei den nahezu 30.000 Jahre alten Figuren ebenso wie auf neolithischen Abbildungen und Töpferarbeiten bis hinein in das bronzezeitliche Kreta, ca. 1.450 v. Christus. Gimbutas verglich auch die Symbole auf Rücken oder Beinen von Göttinnendarstellungen mit den Eigenschaften von Flüssigkeiten: Ein Doppel-V bedeutet fließendes Wasser, die senkrechten Linien auf den Göttinnen-Krügen und -Ikonen stellen Regen dar. Ähnliche Symbole auf den Brüsten bedeuten Milch, auf der Rückseite der Schenkel Fruchtwasser. Damit verband Gimbutas die prähistorische Göttin mit dem Urelement Wasser und legte den Grundstein zu ihrer Theorie einer paläolithischen Schöpferin, die sich selbst und die Welt aus der Urflüssigkeit erschuf.

Die Ähnlichkeit vieler paläolithischer Figurinen und Tierdarstellungen mit solchen aus dem Neolithikum verweise ihrer Ansicht nach auf die Möglichkeit eines religiösen Zusammenhangs und auf einen mehrere Jahrtausende währenden Göttinnenkult, zumindest im »alten Europa«, wie Gimbutas das Gebiet der Ägäis, Kreta, den Balkan und das östliche Zentraleuropa, die Mittelmeerländer und Westeuropa bezeichnet.

Mutterrecht

Die Vorstellung einer solchen prähistorischen weiblichen Gottheit als verbindendes religiöses Element über Jahrtausende hinweg wäre durchaus nach dem Geschmack von Johann Jakob Bachofen gewesen, der als Altertumswissenschaftler und Jurist zunächst Jurisprudenz in Basel lehrte und später seinen bis heute populären und kontroversen Forschungen zum sogenannten Mutterrecht nachging. Bachofen suchte und fand die Spuren eines matriarchalen oder mutterrechtlichen Urzustandes in den Mythen der antiken geschichtlichen und religiösen Überlieferungen. Für ihn bedeutete Mutterrecht Gynaikokratie, das ist das griechische Wort für Matriarchat oder Herrschaft der Frauen. Von den späteren archäologischen Entdeckungen ahnte er noch nichts, denn die eventuell seine Theorie unterstützenden Ausgrabungen begannen erst nach seiner Lebenszeit, die 1887 endete.

Einen anderen Zugang zum sogenannten Mutterrecht fand ein Zeitgenosse Bachofens, der amerikanische Ethnologe Henry Morgan, der eine Zeit lang bei den indianischen Irokesenstämmen im Staat New York lebte. Er entdeckte bei ihnen die matrilineare, matrilokale und matrifokale Gentilgesellschaft, deren Keimzelle die mütterliche Verwandtschaftsgruppe oder matrilokale Gens ist. Nach der Fachterminologie bedeutet matrilinear, matrilokal und matrifokal, dass sich Abstammung und das Erbrecht der Kinder sowie der Familienort nach der Mutter richteten und Frauen insgesamt sehr geachtet wurden. Es gibt noch den Sammelbegriff matristisch, der alle drei Aspekte beinhalten kann und auch synonym zu mutterrechtlich verwendet wird.

Nun glaubte Morgan ein allgemeingültiges historisches Entwicklungsgesetz gefunden zu haben, welches von den mutterrechtlichen Ordnungen der Urgesellschaften zu den vaterrechtlichen oder patriarchalen Strukturen der späteren Gesellschaften führt. Bis dahin kannte man nur die patrilinearen und patrilokalen, griechischen und römischen Gentilgesellschaften.

Während bei den Irokesen in Nordamerika die gesellschaftlichen Triebkräfte zum Umsturz des Mutterrechts fehlten und sie bis heute mehr oder weniger mutterrechtlich geblieben sind, konnten die im Neolithikum sesshaft gewordenen einstigen Jäger- und Sammlergesellschaften in der Alten Welt mit Ackerbau und Viehzucht zum ersten Mal Vorräte und Überschuss produzieren. So begannen die für die Züchtung von Viehherden zuständigen Männer mit dem Zuwachs an Vieh auch Besitz anzusammeln, den sie nicht mehr kollektiv verteilen, sondern sich privat aneignen wollten. Über diese neuen Reichtümer konnte der Mann als Besitzer bisher nicht verfügen und ihn auch nicht an seine Kinder vererben. Das war Grund genug, das Mutterrecht umzustoßen und Vaterrecht in der gesellschaftlichen Gemeinschaft einzuführen. Das bedeutete Patrilokalität und die Möglichkeit, den Reichtum an die eigenen Kinder zu vererben. Die weibliche Abstammungslinie war zugunsten der väterlichen abgesetzt.

Von der vaterrechtlichen Gens zum patriarchalischen und kriegerischen Staat war es dann nur noch ein verhältnismäßig kurzer Weg, schreibt Friedrich Engels in seinem 1884 erschienen Werk über den »Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates«. Engels, der wesentlich auf Bachofens und Morgans Forschungen gründet, spricht von Umsturz des Mutterrechts, und nennt diesen Umsturz eine der einschneidensten Revolutionen der Menschheit und die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts.

Bachofen hat indes nicht wie Engels oder Morgan den mutterrechtlichen Urgesellschaften nachgetrauert – im Gegenteil: er begrüßt den Umsturz als Fortschritt und formulierte es philosophisch: „Die Seele steigt aus den Niederungen des Stoffs empor zum Licht, zur Unsterblichkeit. Das ist der Weg vom Mutterrecht zum Vaterrecht.“ Mit den „Niederungen des Stoffs“ ist das Weibliche gemeint; „Unsterblichkeit“ verweist auf die griechische Götterwelt und den Umsturz der Großen-Göttin-Religion.

Den Umsturztheorien wurde jedoch heftig widersprochen. Uwe Wesel, der bekannte Rechtshistoriker, präsentierte 1980 in seinem Buch »Der Mythos vom Matriarchat« die internationale Diskussion zu Bachofen, Engels und Morgan bis zum Ende der 1970er Jahre. Nach dieser Forschungslage habe es in der vorzeitlichen Entwicklung keine allgemeine Kulturstufe des Mutterrechts gegeben und entsprechend auch keinen Umsturz zum Vatererrecht. Es habe auch nirgendwo Matriarchate im Sinne von Frauenherrschaft existiert, sondern einige wenige Stammesgesellschaften, in denen sich die Abstammung und das Erbrecht der Kinder sowie der Familienort nach der Mutter richteten und Frauen auch geachtet wurden. Eben die Gesellschaften, die von den »Klassikern« beschrieben wurden, und vielleicht noch ein paar andere; wie die Ethnologie auch heute noch etwa einhundert matrilineare Völker in Nord- und Südamerika, in Afrika, in Asien und in der Südsee kennt, von denen einige auch matrilokal leben. Die mutterrechtlichen Gentilgesellschaften der Vorzeit sollen synchron mit den vielen patriarchalen Stämmen existiert haben.

Der Einfluss Gimbutas

Als um 2.500 v.Chr. die ersten griechischen Stämme aus dem Norden nach Theassalien einströmten, fanden sie auch dort eine ausgebildete Kultur vor, doch trafen sie mit diesen Menschen offenbar nicht friedlich zusammen, so formuliert es vorsichtig die Herausgeberin des Museumsführers vom Athener Nationalmuseum. Marija Gimbutas drückt es drastischer aus und spricht von den indogermanischen und patriarchalen Stämmen aus Griechenland, die die friedfertigen, egalitär und mutterrechtlich geprägten Kulturen der Alten Welt unterwarfen.

Welchen Einfluss haben heute Marija Gimbutas 30jährige Feldforschung und ihre zahlreichen Veröffentlichungen auf Archäologie und Vorgeschichte? Schauen wir zum Beispiel nach Malta, dessen vorzeitliche megalithische oder großsteinige Tempelkultur noch gar nicht lange bekannt ist. Erst seit wenigen Jahren gibt es Gewissheit: Die sieben Haupttempel, die in den 1980er Jahren ins Weltkulturerbe aufgenommen wurden, sind die ältesten freistehenden Steinbauten der Welt, mehr als 1000 Jahre älter als die Pyramiden Ägyptens.

Nicht zufällig tagte daher im Jahr 1985 in Malta die erste Konferenz über Archäologie und Fruchtbarkeitskult im Alten Mittelmeerraum, zu der auch Marija Gimbutas mit einem Vortrag über »Frauenfigurinen in der Vorgeschichte« eingeladen war; und sie wird vermutlich auch eine ihrer Entdeckungen erwähnt haben, nach der die Tempelgrundrisse augenscheinlich die voluminösen Körper der Göttinnendarstellungen repräsentieren. Ein Teilnehmer dieser Konferenz wundert sich jedenfalls 14 Jahre später, dass der interessante Vortrag Gimbutas nicht in dem von Anthony Bonanno 1986 edierten Tagungsband erschien (vgl. Mifsud & Ventura 1999).

Bei meinem Aufenthalt auf Malta im Oktober 2000 erzählte mir Stephen Cini, der noch junge Leiter des kleinen archäologischen Museums in der Zitadelle von Victoria auf Gozo, von der ablehnenden Haltung des auch für die Museen maßgeblichen maltesischen Archäologen Anthony Bonanno gegenüber allen Deutungen in Richtung femininer Kulturhoheit des Tempelvolkes und diktierte mir unter vorgehaltener Hand den Namen Marija Gimbutas und den Titel ihres Buch »The Language of the Goddess« in den Block – eine fast konspirative Empfehlung. Im archäologischen Museum von La Valetta auf Malta wohnte ich zufällig einer Schulklassenführung maltesischer Schüler bei. Der Lehrer zeigt den etwa 14jährigen Schülern die vielen Frauenfigurinen in den Vitrinen und nennt sie Zeuginnen einer femininen Kultur; Bonannos Verdikt scheint subversive Reaktionen hervorzubringen!

Maltas Archäologie und Prähistorie wird sich einer Neuinterpretation der künstlerischen Darstellungen wie der gesamten Tempelkultur auf Dauer nicht verschließen können. Die Friedlichkeit der mehrere Tausend Jahre währenden Tempelperiode ist unbestritten; die archäologischen Evidenzen sind eindeutig; nirgendwo fand man Festungsmauern oder Waffen; auch keine Ansammlungen von Skeletten mit Spuren gewaltsamer Todesarten.

Ähnliches gilt zum Beispiel auch für die neolithische Siedlung von Catal Hüyük in der heutigen Türkei, dem Fundort der majestätisch thronenden Göttin beim Geburtsakt oder für das wesentliche spätere minoische Kreta. Doch die unstrittige Friedfertigkeit dieser Kulturen befindet sich keineswegs im Fokus der prähistorischen Forschung. Joseph Magro Conti ist eine der wenigen Ausnahmen: „Eine Kultur manifestiert sich nicht einfach durch Bauwerke und künstlerische Darstellungen, sondern auch in ihrer Einstellung zu Gewalt und Aggression.“ 3 Doch woher kam die Friedfertigkeit? War sie eine natürliche Eigenschaft der Vorzeit-Menschen, wie Conti vermutet: „Krieg ist unnatürlich, denn er ist ein Ergebnis der Zivilisation. Die Menschen des Neolithikum und das Tempelvolk waren wahrscheinlich von Natur aus friedlich… doch die Menschen des Bronzezeitalters waren zweifellos an Krieg und Aggression gewöhnt.“

Über die Herrschaft und Kriege seit der Bronzezeit wissen wir in der Tat fast alles, denn mit dem patriarchalischen Griechenland beginnt auch bald die geschriebene Geschichte und Literatur. Homers Epen geben erste Zeugnisse dieser Kriege. Aus der Vorzeit gibt es keine schriftlichen Zeugnisse. Frauenfigurinen und andere Weiblichkeitsdarstellungen werden bisher noch nicht als Zeugnisse gesellschaftlicher Lebensformen und einer besonderen Rolle der Frauen in Betracht gezogen. Sie werden bewundert, beschrieben und in Museen ausgestellt; doch fallen plausible Theorien für egalitäre und gewaltfreie Gesellschaften mit einer möglichen Kulturhoheit der Frauen meistens unter einen Konsens des Verschweigens.

Über das warum darf spekuliert werden: Handelt es sich nur um die übliche männliche Ignoranz in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen gegenüber abweichenden Erkenntnissen aus weiblichen Quellen? Geht es um die Vermeidung von Diskursen über egalitäre und nicht- hierarchische, gar urkommunistische Gesellschaften, wie es auch die jüngste internationale Irokesenforschung4 nahe legt? Ist es gar die Sorge vor einer neuen feministischen Matriarchats-Debatte? Immerhin fand 2003 der erste Weltkongress für Matriarchatsforschung statt. Oder bangen die monotheistischen Religionen um ihre männliche Vorherrschaft? Für letztere gibt Gimbutas teilweise Entwarnung. Obwohl Männer in der prähistorischen Kunst weitaus seltener dargestellt sind, waren die Urgesellschaften keine Frauenkulturen, in denen es nur Göttinnen und keine Götter gab. In allen Mythologien findet man neben der Mutter- oder Erdgöttin ihren göttlichen Begleiter. Auch im politischen Leben besteht eine egalitäre Situation: An der Seite der Königin, die auch gleichzeitig die Hohe Priesterin ist, sitzt gleichberechtigt entweder ihr Ehepartner, Bruder oder Onkel.

Gimbutas Überzeugungen gründen auf ihrem Lebenswerk: „Der Ursprung Europas war eine kooperative und friedliche neolithische Göttin-Kultur.“ Das klingt nach »Goldenen Vorzeiten«! Simone de Beauvoir, die noch nichts über Gimbutas Erkenntnisse wissen konnte, schrieb 1949, dass in Wirklichkeit das Goldene Zeitalter der Frau nur ein Mythos sei.

Pazifismus und FrauenFriedensFrage heute

Auf dem Europäischen Sozialforum im Jahr 2006 in Athen ist die Friedensfrage in der Feministischen Sektion nicht präsent. Andere, alte Probleme stehen wieder neu auf der Agenda. Die bekannte ehemalige schwedische Linkspolitikerin Gudrun Schymann vermittelte zum Beispiel ein düsteres Bild über die reale Stellung der Frau in Schweden und forderte die Frauen auf, für Geschlechtergerechtigkeit in der Politik zu kämpfen. Männliche Strukturen verhinderten die Gleichberechtigung der Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft. Und mit Verweis auf den Tagungsort Athen erinnerte sie daran, dass die berühmte griechische Demokratie eine Männerdemokratie war, die vollständig ohne Frauen auskam; abgesehen davon war die Unterdrückung der Frauen in der damaligen Antike ohne Beispiel, besonders in Athen. Weltweit soll die Frauenfriedensfrage durch die UN-Resolution 1325 des Weltsicherheitsrates vom 8. März (!) 2000 verankert werden. Erinnern wir uns: Die UNO ruft das Jahr 1975 zum Internationalen Jahr der Frau aus. Auf der ersten Weltfrauenkonferenz, die noch im selben Jahr in Mexico City stattfindet, wird ein Welt-Aktionsplan verabschiedet und die UNO-Dekade der Frau unter dem Motto »Gleichheit – Entwicklung und Frieden« eingeleitet. Die letzte und größte der vier Weltfrauenkonferenz findet 1995 in Peking statt. Mit der UN-Resolution 1325 sollte eine Art Ersatz institutionalisiert werden.

Im Wesentlichen geht es in der Resolution jedoch wohl darum, die Auswirkungen von Kriegshandlungen für die Frauen vor Ort zu mildern, auch wenn als vorrangiges Ziel die Verhinderung von Kriegen genannt wird. In Deutschland hat sich daraufhin im Jahr 2003 ein sogenannter Frauensicherheitsrat gegründet, der von Einzelpersonen und Vertreterinnen einiger Frauenorganisationen, darunter die altehrwürdige pazifistische Internationale Frauenliga Frieden und Freiheit (IFFF), getragen wird. Die Vertreterin der Internationalen Frauenliga nennt es in einem Interview schon einen Erfolg, wenn zum Beispiel statt eines Mannes ein weiblicher Offizier der Bundeswehr in einem Krisengebiet wie Sudan oder Afghanistan die Frauen vor Ort schützen kann. Nationale Aktionspläne für die Umsetzung der Resolution gibt es bisher nur in England und den skandinavischen Ländern Dänemark, Schweden und Norwegen. Die Bundesregierung verweigert bis heute strikt einen solchen Aktionsplan. Auch deswegen hat eine Organisation wie der Frauensicherheitsrat kaum Einfluss und Beratungsmöglichkeiten.

Das eigene Selbstverständnis dieses Frauengremiums lässt zudem alle Fragen nach frauen- und friedenspolitischer Standortbestimmung offen. Auch historische Orientierungen sind nicht auszumachen. Wo bleiben die großen Vordenkerinnen und Friedensaktivistinnen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg gewarnt haben. Ich denke an Pazifistinnen wie Lyda Gustava Heymann, eine der deutschen Gründerinnen der Internationalen Frauenliga, an Bertha von Suttner, die vor 100 Jahren den Friedensnobelpreis bekam und im vergangenen Jahr immerhin mit einer Briefmarke geehrt wurde. Und wo bleiben die Sozialistinnen und Kriegsgegnerinnen Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg, ebenso wie Margarete Mitscherlichs Bücher »Die friedfertige Frau« oder »Die Zukunft ist weiblich« und Christa Wolfs Roman »Kassandra«? In der Friedensbewegung der 1980er Jahre waren sie nicht nur in aller Frauen Munde! – Alles vergessen? Da wage ich es kaum, noch an unsere »Goldenen Vorzeiten« zu erinnern…

Literatur

Bonanno, Anthony (2000): Malta – ein archäologisches Paradies. Valletta.

Bachofen. J.J. (1975): Das Mutterrecht. Frankfurt/Main.

Bornemann, Ernest (1981): Das Patriarchat. Frankfurt/Main.

Bebel, August (1974): Die Frau und der Sozialismus. Berlin.

Engels, Friedrich (1970): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. Berlin.

Gimbutas Marija (2001): The Language of the Goddess. London.

Mifsud, Anton & Ventura, Charles Savona (Eds.) (1999): Facets of Maltese Prehistory. Valletta.

Wesel, Uwe (1980): Der Mythos vom Matriarchat. Frankfurt/Main.

Wesel, Uwe (1997): Geschichte des Rechts. München.

Anmerkungen

1) mit Dr. Eva Förster und – in memoriam – Dr. Claudia Hoffmann.

2) Vgl. Nehr, Monika (1985): Mutterrecht und Friedfertigkeit. Informationsdienst Wissenschaft und Frieden 3/1985, S.18-19.

3) Conti, Joseph Magro (1999): Aggression and Defence in Prehistoric Malta; in: Mifsud & Ventura, S.191-205.

4) Vgl. Wagner, Thomas (2004): Irokesen und Demokratie. Münster.

Dr.phil Monika Nehr ist Linguistin, leitete bis 2005 bilinguale Schulprojekte in Berlin und forscht derzeit zur Biographie der Antifaschistin Johanna Weitz.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/4 Friedenswissenschaft – Friedensbewegung – Friedenspolitik, Seite