W&F 2006/1

Wa(h)re »Sicherheit«

Zum kommerziellen Sicherheitsgewerbe in der BRD

von Volker Eick

Das exorbitante Wachstum des privaten Sicherheitsgewerbes ist mit erheblichen Folgen für das bundesrepublikanische Sicherheitsgefüge verbunden. Der folgende Beitrag beschreibt zunächst Wachstum, Umsatz und Umfang des Gewerbes. Der zweite Abschnitt stellt die gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitsfelder privater Sicherheitsdienste dar und verweist auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihren Einsatz. Weiter konzentriert sich der Beitrag auf den Einsatz des Gewerbes im öffentlichen Raum und die damit verbundenen Ausgrenzungs- und Einschließungsprozesse. Schließlich ordnet der letzte Abschnitt Handlungslogik und -auftrag des privaten Sicherheitsgewerbes – und der staatlichen Sicherheitsagenturen – in den Kontext eines neoliberalen Stadt- und Staatsumbaus ein, der im Zuge globaler Standortkonkurrenz »Sicherheit« zum Schmiermittel dieser Restrukturierung macht. Wachstum und Bedeutungsgewinn des privaten Sicherheitsgewerbes sind aus dieser Perspektive Ausdruck, nicht Auswuchs einer Neoliberalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse insgesamt.

Private oder, besser: kommerzielle Sicherheitsdienste1 sind in Deutschland kein neues Phänomen. Schon 1901 wurde der erste Wach- und Sicherheitsdienst in Hannover gegründet. In den vergangenen rund 20 Jahren jedoch hat die Branche ein exorbitantes Wachstum erlebt – in Hinblick auf deren rechtliche Einhegung, die (demokratische) Kontrolle, auf Zugangs- und Verweilrechte für so genannte Randgruppen vor allem in urbanen Räumen sowie schließlich unter dem Gesichtspunkt der (Re)Definition dessen, was als ein sozialpolitisches und was als ein sicherheitspolitisches Problem zu diskutieren sei. Zudem gilt die simple, aber prägende Logik des Profits: Wer die Ware »Sicherheit« verkaufen will, der wird sich bemühen, die entsprechende Nachfrage zu schaffen. Diese Perspektive bildet den Hintergrund der folgenden Anmerkungen zum kommerziellen Sicherheitsgewerbe. Zunächst seien Wachstum, Umsatz und Umfang konkreter beschrieben.

Das Zählen der Kohorten

Das exorbitante Wachstum der Unternehmen (und Mitarbeiter) der Sicherheitsbranche in den vergangenen rund 20 Jahren ist nicht nur beredter Ausdruck von Neoliberalisierung,2 sondern hat zudem diverse Sozialwissenschaftler veranlasst, von einer (Re)Feudalisierung der Kriminalpolitik zu sprechen: Erstens, weil staatliche Sicherheitsagenturen wie die gute alte »Polizey« aus privaten Agenturen entstanden und mit der Herausbildung von (National)Staaten eng verbunden sind (Knöbl, 1998) und diese Entwicklung zumindest in Teilen auf private Akteure zurückgedreht zu werden scheint (Murck, 1993; Ronneberger et al., 1999 m.w.N.; für den angelsächsischen Raum vgl. Rigakos, 2002; Shearing, 1997). Zweitens – darauf komme ich im dritten Teil zurück – ist mit diesem Begriff auch eine (Re)Orientierung an Zugangsrechten in den öffentlichen Raum und die Partikularisierung von Normen und Wertvorstellungen angesprochen, die auf ständischen Vorstellungen neofeudaler Prägung zu basieren scheint.

Folgende Tabelle mag zunächst für die Bundesrepublik einen Eindruck davon vermitteln, wie sich die Branche entwickelt hat (Tabelle 1).

1970 1980 1990 2002 2005
Unternehmen 325 542 835 3.000 3.000
Mitarbeiter 47.400 61.700 105.000 145.000 200.000
Umsatz (Mio. Euro/Jahr) 314 507 1.200 4.000 6.000
Älteren Datums:
Absperrdienste Empfangsdienste Objektschutz Sicherheitsberatung
Alarmverfolgung Fahrzeugbewachung Personenbegleitschutz Sicherheitstransport
Altennotruf Fluggastdienste Pförtner-/Telefondienste Sicherungsposten
Arbeitssicherheit Geldbearbeitung Raumschutz (elektr.) Technische Meldung
Aufzugsnotruf Geld-/Werttransporte Revierkontrolldienste Türöffnungsdienste
Ausbildung Kurierdienste Schiffsbewachung Urlaubsdienste
Baubewachung Messedienste Schlüsselfunddienste Veranstaltungsdienste
Brandschutz Museumsdienste Separatbewachung Werksfeuerwehr
Datensicherheit Notrufzentralen Sicherheitsanalyse Werkschutz
Neueren Datums:
Abschiebegefängnisse Fahndung Psychiatrische Kliniken Verkehrsüberwachung
City-Points Justizvollzugsanstalten Quartiersmanagement Videoüberwachung
Facility Management OPNV Umweltschutz/Ranger Zweiter Arbeitsmarkt

Ich schreibe bewusst »Eindruck«, weil in diesem Beitrag verschiedene Probleme wie die (Nicht-)Berücksichtigung von nicht-sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, von Detekteien und Werkschutz, die nur zeitweise Beschäftigung von Mitarbeitern sowie unterschiedliche statistische Grundlagen hier nur erwähnt, aber nicht diskutiert werden können. Zutreffend scheint aber, dass die Zahl der Beschäftigten im deutschen Sicherheitsgewerbe – anders als etwa in den USA, Polen oder Großbritannien – unter der der staatlicher Polizeikräfte (ca. 265.000) liegt – dies freilich unter der Voraussetzung, dass nicht auch der elektronische und mechanische Sicherheitsbereich miteinbezogen werden (vgl. Stober/Olschok, 2004).

Der Markt des kommerziellen Sicherheitsgewerbes, das im Englischen treffend auch mit rent-a-cop umschrieben wird, ist dabei oligopolistisch organisiert: Die zehn größten Unternehmen halten einen Umsatzanteil von rund 50 Prozent oder anders formuliert: Zwölf Prozent der bundesweit inzwischen 3.000 gemeldeten Unternehmen teilen 81 Prozent des Umsatzes unter sich auf und beschäftigen zwei Drittel aller (registrierten) Mitarbeiter. Zu berücksichtigen sind weiter Konzentrations- und Globalisierungstendenzen: So hat der Weltmarktführer der Branche, die Group4Security, seinen Sitz in London, der Branchenzweite in Deutschland und der Welt, die Securitas AB, im schwedischen Stockholm. Richtig (und wichtig) ist weiter, dass es sich (mit den üblichen Ausnahmen wie etwa hoch spezialisierten Personenschutz- oder Sicherheitsanalyse-Diensten)3 um einen klassischen Niedriglohnsektor handelt, selbst wenn – was keinesfalls in allen Bundesländern der Fall ist – Tarifvereinbarungen existieren. Um wenigstens einen Einblick davon zu geben, sollen hier kursorisch einige (Tarif)Stundenlöhne genannt werden (alle Angaben brutto/Stunde, 2004): 4,73 Euro (Bereich Separatbewachung), 4,60 Euro (Veranstaltungsdienste), 5,33 Euro (Geld- und Werttransport). Das mag an Angaben zu Anzahl, Mitarbeitern und Umfang soweit genügen.

Von Alarmaufschaltung bis Zwangsernährung

Aus den Nachtwächtern des 16. und 17. Jahrhunderts und dem Werkschutz der fordistischen Großbetriebe des 20. Jahrhunderts ist mittlerweile eine Branche herangewachsen, die ein ausdifferenziertes Aufgabenspektrum (auch vormals staatlicher Aufgabenfelder) abdeckt – wie Tabelle 2 (in alphabetischer Reihenfolge) verdeutlichen mag.

Wie aus dieser Auflistung hervorgeht, sind seit etwa fünfzehn Jahren – den langen 1990er Jahren zwischen Mauerfall und 9/11 – vor allem zwei Bereiche zu Wachstumsmärkten für das kommerzielle Sicherheitsgewerbe avanciert: Zum einen das, was als »Randgruppen-Management« innerhalb von Institutionen (Gefängnisse, Anstalten etc.) bezeichnet (und hier nicht diskutiert) werden kann, zum anderen Aufgabenfelder, die im öffentlichen Raum angesiedelt sind – und damit in der klassischen Domäne staatlicher bzw. kommunaler Sicherheits- und Ordnungspolitik. Dieser Beitrag ist bemüht, nicht zu dramatisieren; gleichwohl ist mit der profitgetriebenen Suche nach neuen Aufgabenfeldern das permanente Bestreben verbunden, bisher bestehende Grenzen der Aufgabenwahrnehmung, wie sie etwa hoheitliche Regelungen darstellen, zu überwinden. Ein paar Sätze scheinen zu diesen Grenzen daher angebracht.

Bisher bedarf es faktisch keiner besonderen Qualifikation, um im Sicherheitsgewerbe tätig zu sein. Auch gibt es kein Gesetz, das Einsatzfelder festlegt,4 so dass lediglich die Übernahme hoheitlicher Aufgaben nicht bzw. nur unter der Bedingung der so genannten Beleihung erlaubt ist.5 Zu diesen hoheitlichen Aufgaben gehört (bisher) auch, was – an jeweiligem Ort – Zeitgeist sowie politischen und wirtschaftlichen Eliten als die zu gewährende Sicherheit und Ordnung gilt.

In Zeiten, in denen die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur, das Outsourcing von staatlichen Aufgaben, die Umwidmung von öffentlichem Raum in Ware dem Neoliberalismus Tür und Tor öffnen, erschließen sich auch neue Betätigungsfelder für das Sicherheitsgewerbe. Insgesamt betrachtet, wird die Zurichtung des Gemeinwesens Stadt in betriebswirtschaftlicher Logik (unter Zuhilfenahme von Partikularnormen) zum »Unternehmen Stadt« betrieben, mit immer neuen Aufgabenfeldern in der Dienstleistungsperipherie. Dem Sicherheitsgewerbe ist es – wie seinen öffentlichen (60%) und privaten (40%) Auftraggebern – unter den obwaltenden Umständen darum zu tun, die je eigenen Interessen einerseits als Allgemeininteresse zu »verkaufen« und sie andererseits unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit möglichst effizient und effektiv, d.h. ohne demokratische Zumutungen, umzusetzen. Derzeit wird, auf ebenfalls unzureichender Datenbasis, angenommen, dass zwischen sieben und 13 Prozent aller Beschäftigten der Branche im öffentlichen Raum tätig sind. Zwar sind auch hier ihre Befugnisse staatlich eingehegt, so dass ihnen keine anderen Rechte zustehen als allen Bürgern – die Notwehrrechte (§§ 32ff StGB), die Jedermannrechte und das Recht auf vorläufige Festnahme nach § 127 StPo (s. dazu bereits Hoffmann-Riem, 1977; vgl. Eick, 2005b). Recht(durch)setzung und Alltagspraxis stellen jedoch regelmäßig ein »umkämpftes Terrain« dar, zumal eben jene rechtlichen Begrenzungen häufig nicht bekannt bzw. mangels Lobby nicht durchsetzbar sind und durch das (harsche) Auftreten des Gewerbes sowie seiner Auftraggeber überformt werden. Schließlich sind hier Flächen in Privatbesitz zu nennen, die sich jedoch im Gemeingebrauch befinden (so genannte halböffentliche Räume oder mass private property), in denen Nutzungskonflikte ausgetragen, Ausgrenzungen manifest oder zu territorialen Kompromissen kleingearbeitet werden.

Zwischen Exklusion und Containment

Es sind vor allem diese letztgenannten Flächen, in denen von Ausgrenzung bzw. Einschließung gesprochen werden muss. Die Deutsche Bahn AG ist dafür ein beredtes Beispiel, hat sie doch seit ihrer Privatisierung 1992 einen eigenen Sicherheitsdienst installiert, der, unterstützt vom (mittlerweile in Bundespolizei umbenannten) Bundesgrenzschutz, gegen Obdachlose, Trinker, Trebekids, (Migranten-)Jugendliche und Drogenkonsumenten vorgeht. Allein auf den Berliner Fern- und S-Bahnbahnhöfen kommt es so zu jährlich mehreren tausend Platzverweisen, Hausverboten und selbst Haftstrafen wegen unerwünschten Aufenthalts (Eick, 1998).

Der deutsche Einzelhandel betreibt nach Angaben seines Verbandes HDE rund 80 so genannte City-Streifen in innerstädtischen Arealen. Die diversen zu Interessensgemeinschaften zusammengeschlossenen Einzelhändler beschäftigen zudem weitere kommerzielle Sicherheitsdienste in »ihren« Fußgängerzonen, um diese von oben genannten Gruppen »sauber« zu halten. Darüber hinaus werden bundesweit gegenwärtig gesetzliche Grundlagen für die Installation so genannter Business Improvement Districts nach nordamerikanischem Vorbild geschaffen, die es den beteiligten Hauseigentümern in diesen abgegrenzten Arealen erlauben, zusätzlich zu den staatlichen oder kommunalen Institutionen eigene sauberkeits-, ordnungs- und sicherheitspolitische Strategien zu entwickeln und umzusetzen (Hoyt, 2004). Weiter ist das outgesourcte Sicherheitspersonal des öffentlichen Personennahverkehrs angehalten, ebenfalls gegen solche Randgruppen und darüber hinaus, animiert durch Kopfgelder, gegen Schwarzfahrer vorzugehen (Brunst, 2004). In allen genannten Bereichen sind überdies Körperverletzungen dokumentiert, und jeder durchschnittliche Wochentag auf einem Berliner, Hamburger oder Leipziger Hauptbahnhof verdeutlicht, dass sich hier nicht allein kleinräumig eigene Rechts- und Ordnungsvorstellungen durchgesetzt haben, sondern auch, mit welchen ebenfalls sehr eigenen Mitteln diesen Nachdruck verliehen wird. Damit sind einige innerstädtische Räume des Konsums benannt, in denen das Gewerbe die Ware »Sicherheit« an den Mann (und die Frau) bringt.

Darüber hinaus müssen mittlerweile auch Wohnquartiere in den Blick genommen werden. Denn mit der Privatisierung ehemaliger Sozialwohnungsbauquartiere (Eick/Sambale, 2005) und mit der Installierung des Bund-Länder-Programms »Soziale Stadt« haben sich neue Arbeitsfelder für das Sicherheitsgewerbe ergeben (DifU, 2003: 124, Fn 95). Sie laufen ebenfalls darauf hinaus, spezifischen Bevölkerungsgruppen den Zugang zu (privatisierten) Spielplätzen und Fußgängerzonen (Eick, 2004), zu öffentlichen Plätzen und Parks (und dabei gleich auch noch Obdachlosenhilfs- und Drogennotdiensten) zu verweigern bzw. ihnen spezifische Quartiere zuzuweisen, in denen sie sich noch aufhalten dürfen (Holm, 2001; Eick, 2005a; zusammenfassend Ronneberger et al., 1999). In allen genannten Fällen, zu deren empirischer Verdichtung hier der Raum fehlt, handelt es sich um die Durchsetzung von partikularen Norm- und Profit- bzw. Sauberkeits-, Ordnungs- und Sicherheitsvorstellungen, die auf einen Strukturwandel der Öffentlichkeit zu Lasten der Nichtkaufkräftigen oder der für den Verwertungszusammenhang »überflüssigen« hinauslaufen – gleichsam als Warnung für das Publikum. Offensichtlich geschieht dies unter weitgehender Zustimmung bzw. Duldung ebendieses Publikums. Dabei betont das Gewerbe – wie im Bereich Globalisierung oder Terrorismus – gerne die Unausweichlichkeit des eigenen Tuns und betreibt aktiv dessen Popularisierung. Im Folgenden soll diese Entwicklung in den polit-ökonomischen Kontext gegenwärtiger Neoliberalisierung eingebettet werden.

Sicherheit im »Unternehmen Stadt«

Seit etwa Mitte der 1970er Jahre lässt sich, ausgehend von den USA, ein ideologischer Feldzug gegen die Errungenschaften keynesianischer Wohlfahrtsstaatlichkeit beobachten. Diese von einigen Autoren als Proto-Neoliberalismus beschriebene Phase (Brenner/Theodore, 2002) wurde in den 1980er Jahren von einer Periode abgelöst, in der ebendiese Artefakte und Vereinbarungen (Sozialer Wohnungsbau, Gewerkschaftskorporatismus, staatliche Umverteilung, öffentliche Infrastruktur) zerschlagen bzw. aufgekündigt werden (roll back). Im Zuge dieser unter den Bedingungen der Globalisierung stattfindenden Neoliberalisierung gewannen nicht nur Städte an Bedeutung (vgl. etwa Sassen, 1991). In dieser Phase wurde auch offensichtlich, dass die vom Neoliberalismus angerichteten Verwüstungen dessen Reproduktion zu gefährden begannen. Vor diesem Hintergrund bildeten sich alternative Strategien für einen »nachhaltigen Neoliberalismus« heraus, wie man – in sich widersprüchlich – sagen könnte. Das kann hier nicht diskutiert werden, ebenso wenig wie aktuelle Gegenstrategien und -entwürfe (Hamel et al., 2000; Pickvance, 2003). Entsprechend sind die langen 1990er Jahre von einer Rejustierung bzw. Neuschaffung von Instrumenten und Arrangements geprägt, in die bestehende alternative Handlungsansätze (partizipative Elemente, lokale Ökonomie, ökologische Aspekte etc.) kooptiert und für eine neoliberale Handlungslogik in den Dienst genommen wurden. Dem Neoliberalismus wird so ein eigenständiges, wenn auch vielfältiges Gesicht gegeben (roll out), das zudem regional und im Zeitverlauf höchst verschiedene Ausprägungen annehmen kann (Jessop, 2002; Harvey, 2005) – und offenbar annehmen soll, wenn wir die gegenwärtigen Debatten in der Bundesrepublik betrachten.

Der bisher bestehende und grundgesetzlich fundierte Konsens, gleiche Lebensbedingungen in allen Teilen des Landes sicherzustellen, wird ein ums andere Mal von unserem IWF-Bundespräsidenten in Frage gestellt. Das Land Brandenburg will seine Fördergelder nur noch auf »Ankerstädte« konzentrieren. Kleinräumig von Ort zu Ort und von Fall zu Fall soll von Arbeitszeit bis Zugangsrecht entschieden werden, was noch finanzierbar und tolerabel ist. In der Jugend- und Sozialpolitik wird sozialräumlichen Ansätzen das Wort geredet und in der Stadt- und Kriminalpolitik geht es um »soziale Brennpunkte«, »gefährliche Orte«, »problemorientierte Kieze«, »Betretungsverbots-« sowie »Hochsicherheitszonen«. In dem Maße wie solche kleinräumigen, quasi-kontraktuellen Inseln von Wert und Nicht-Wert an Gewicht gewinnen und der Logik des Profit-Center unterworfen werden, wächst auch der Spielraum gewinnorientierter Akteure zu Lasten eines (wie fragil, fragmentarisch und fragwürdig auch immer) sozialen Zusammenhalts. Im kriminalpolitischen Bereich haben die Bundes- und Landesinnenministerien bereits Mitte der 1990er Jahre signalisiert, dass sie sich einer solchen Logik anschließen werden und entsprechende Vereinbarungen mit der Sicherheitsbranche geschlossen. Auf kommunaler Ebene gibt es angesichts vermeintlich leerer Kassen nahezu Begeisterung für solcherart Zusammenarbeit. Die Ware »Sicherheit« hat sich als solche fest etablieren können und bestimmt zunehmend auch die Handlungslogik staatlicher Kriminalpolitik.

Wer also im »Unternehmen Stadt« nicht gebraucht wird oder zu diesen Bedingungen nicht mitspielen kann (oder will), gilt als überflüssiger Mitarbeiter – und mithin als Problem. Dessen Bearbeitung wird zunehmend auch Aufgabenfeld kommerzieller Sicherheitsdienste – von Rechtsverstoß bis Normabweichung. Aus dieser Perspektive steht nicht nur ein neuer Feudalismus ins Haus, sondern erhält auch der Begriff Werkschutz eine neue Dimension.

Anmerkungen

Literatur

Brenner, N./Theodore, N. (2002): Cities and the geographies of »actually existing neoliberalism«. Antipode, 34, 349-379.

Brunst, Th. (2004): Die private Stadtsicherheit. Unter: http://www.trend.infopartisan.net/trd0804/050804.html [29. 11. 05].

Crespo, D./Scahill, J. (2005): Overkill in New Orleans. Unter: http://www.alternet.org/module/printversion/25320 [12. 10. 05].

Deutsches Institut für Urbanistik (DifU) (Hg.) (2003): Strategien für die Soziale Stadt. Berlin.

Eick, V. (1998): Der deutsche Bahnhof – Zentrale oder Filiale der panoptischen Stadt des 21. Jahrhunderts? Unter: http://www.big-brother-award.de/2000/.gov/add.html [17. 03. 05].

Eick, V. (2004): Jenseits des Rechtsstaats. In T. Müller-Heidelberg et al. (Hg.): Grundrechte-Report 2004 (S. 148-151). Frankfurt/M.

Eick, V. (2005a): Neoliberaler Truppenaufmarsch? Nonprofits als Sicherheitsdienste in »benachteiligten« Quartieren. In G. Glasze et al. (Hg.): Diskurs – Stadt – Kriminalität (S. 167-202). Bielefeld.

Eick, V. (2005b): Private Sicherheitsdienste. In H.-J. Lange (Hg.): Begriffe der Sicherheitspolitik. Opladen [im Erscheinen].

Eick, V./Sambale, J. (Hg.) (2005): Sozialer Wohnungsbau, Arbeitsmarkt(re)integration und der neoliberale Wohlfahrtsstaat in der Bundesrepublik und Nordamerika. Berlin.

Hamel, P. et al. (Hg.) (2000): Urban movements in a globalizing world. London.

Harvey, D. (2004): Die Geographie des »neuen« Imperialismus. In C. Zeller (Hg.): Die globale Enteignungsökonomie (S. 183-215). Munster.

Hoffmann-Riem, W. (1977): Übergang der Polizeigewalt auf Private? Zeitschrift für Rechtspolitik, 11, 277-284.

Holm, A. (2001): Ausgrenzende Einbeziehung – Flexible Kontrollstrategien am Helmholtzplatz. Berliner MieterEcho, Nr. 288, 8-9.

Hoyt, L. (2004): Collecting private funds for safer public spaces. Environment & Planning B: Planning and Design, 31, 367-380.

Jessop, B. (2002): Liberalism, neoliberalism, and urban governance. In N. Brenner/N. Theodore (Eds.): Spaces of neoliberalism (pp. 105-125). Oxford.

Knöbl, W. (1998): Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozess. Frankfurt/M.

Murck, M. (1993): Zurück zum Feudalismus? Über gesellschaftspolitische Gefahren des privaten Sicherheitsgewerbes. Deutsche Polizei, 9, 10-12.

Nitz, G. (2000): Private und öffentliche Sicherheit. Berlin.

Nogala, D. (1995): Was ist eigentlich so privat an der Privatisierung sozialer Kontrolle? In F. Sack et al. (Hg.): Privatisierung staatlicher Kontrolle (S. 234-260). Baden-Baden.

Olschok, H. (1999): Sicherheitsdienstleister im Jahr 2005. Vortrag auf dem SiTech-Kongress (28. Okt.). Berlin.

Olschok, H. (2004): Entwicklung und Perspektiven des Wach- und Sicherheitsgewerbes auf nationaler und europäischer Ebene. In R. Stober/H. Olschok (Hg.): Handbuch des Sicherheitsgewerberechts (S. 13–34). München.

Pickvance, C. (2003): From urban social movements to urban movements. International Journal of Urban and Regional Research, 27, 102-109.

Rigakos, G. (2002): The new parapolice. Toronto.

Ronneberger, K. et al. (1999): Die Stadt als Beute. Bonn.

Sassen, S. (1991): The Global City. New York.

Shearing, C. (1997): Gewalt und die neue Kunst des Regierens und Herrschens. In T. v. Trotha (Hg.): Soziologie der Gewalt (S. 263-278). Köln.

Stober, R./Olschok, H. (Hg.) (2004): Handbuch des Sicherheitsgewerberechts. München.

Willenbrock, H. (1998): Ein Fall für Jaitner. Neue Zürcher Zeitung/Folio, 7. Unter: http://www-x.nzz.ch/folio/archiv/1998/07/ articles/willenbrock.html [23. 11. 05].

Anmerkungen

1) Der Begriff »kommerzielle« Sicherheitsdienste hat m. E. zwei Vorteile: Erstens kann damit unterschieden werden zwischen den vielgestaltigen »zivilgesellschaftlichen« oder vigilanten Formen des Polizierens (wie Neighborhood Watch, Bürgerwehren, Sicherheitspartnern) auf der einen und kommerziellen Sicherheitsdiensten auf der anderen Seite. Zweitens verdeutlicht der Begriff »kommerziell« zudem Ziel und Handlungsorientierung solcher Dienste: Gewinnorientierung und Profitmaximierung (vgl. Nogala, 1995).

2) Unter Neoliberalismus verstehe ich mit Jessop (2002) die Stärkung des freien Wettbewerbs, das Zurückdrängen der Rolle von Recht und Staat, den (Aus)Verkauf der öffentlichen Infrastruktur, die Verbreitung der Marktlogik im verbliebenen öffentlichen Sektor und den »freien« Handel nach Innen. Der Begriff Neoliberalisierung soll darauf verweisen, dass es sich dabei um ein aktiv gestaltetes politisches Projekt handelt.

3) Für die Befreiung des in Geiselhaft befindlichen Jan Philipp Reemtsma etwa wurde ein privater Sicherheitsdienst zur Lösegeldübergabe beauftragt (vgl. Willenbrock, 1998) und auch zur Blütezeit der Terroristenhatz in den bleiernen 1970er Jahren ist deren Einsatz belegt. Wie sehr zudem die Grenzen zwischen zivilem und militärischen Einsatz Privater verschwimmen können, zeigt eindrücklich der Einsatz der Söldnerfirma Blackwater, die Kontingente ihrer Truppen aus dem Irak abzog, um sie nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans einzusetzen (Crespo/Scahill, 2005).

4) Geplante Gesetzesvorhaben scheitern regelmäßig an den Lobby-Organisationen der Branche – und dem willfährigen Bundeswirtschaftsministerium.

5) Diese spezifische Rechtsfigur sowie einige andere Ausnahmetatbestände sollen hier nicht entwickelt werden; vgl. dazu Nitz (2000).

Volker Eick ist Politikwissenschaftler und arbeitet in Berlin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2006/1 Privatisierte Gewalt, Seite