Warblogs:
Mehrwert für die Nutzer oder individuelle Propaganda?
von Julia Sommerhäuser
Als das US-Magazin »Time« den einfachen Internetnutzer zum Menschen des Jahre 2006 kürte, würdigte die Zeitschrift damit die Bedeutung von sozialen Netzwerken im Internet. Geehrt wurden Betreiber von Webseiten, auf denen Nutzer eigene Inhalte generieren und sich miteinander vernetzen können. Bekannteste Vertreter solcher Seiten sind Weblogs: Diese einfach strukturierten Internet-Tagebücher kann grundsätzlich jeder erstellen, weil kaum technische Vorkenntnisse erforderlich sind. Beiträge werden online geschrieben und direkt veröffentlicht.
Viele Weblogs erfüllen keinen besonderen Anspruch; sie erzeugen nach Ansicht mancher Experten lediglich Datenmüll. Dennoch können sie in bestimmten Situationen neue Sichtweisen darstellen. In militärischen Konflikten beispielsweise eröffnen die als »Warblogs« bezeichneten Kriegstagebücher Einblicke in den vom Militär geprägten Alltag. Vor allem im Irakkrieg 2003 haben sich Warblogs zu einem öffentlich beachteten Format entwickelt. Für Krempl waren sie sogar die »Gewinner des Medienkriegs« (Krempl 2004, S.190). Bei den Lesern hinterließ ihr authentischer Stil einen anhaltenden Eindruck. Eine Alternative zur regierungstreuen Kriegsberichterstattung vieler US-Massenmedien schien gefunden. Doch welchen Mehrwert bieten die Online-Kriegstagebücher den Nutzern überhaupt?
Besonderheiten des Kriegsjournalismus
Militärische Auseinandersetzungen entwickeln sich immer mehr zu Informationskriegen. Neben Boden, See und Luft wird eine vierte Front eröffnet: die Informationsfront. An ihr wird nicht um den Sieg auf dem Schlachtfeld, sondern um »die Manipulation seiner medialen Repräsentation« (Bendrath 1999) gekämpft: »Den traditionellen Kriegsjournalismus gibt es [demzufolge] nicht mehr« (Foggensteiner 1993, S.31).
Durch das »Embedding-System«, das erstmals im Irakkrieg 2003 praktiziert wurde, veränderten sich die Arbeitsweisen der Kriegsreporter. Als eingebettete Kriegsteilnehmer erhielten Journalisten die Gelegenheit, die Soldaten zu begleiten. Dieses »Menscheln in den Schützengräben« eröffnete der Berichterstattung neue Perspektiven. Die Nähe zum Geschehen und die Chance auf exklusive Augenzeugenberichte bedeuteten einen Prestigegewinn für die Medien.
Andererseits verloren viele Reporter die für eine ausgewogene Kriegsberichterstattung nötige Distanz, weil sie vom persönlichen Verhältnis zu den Soldaten abhängig waren. Sie zeigten vielfach »erkennbare Schwierigkeiten mit ihrer Rolle als neutrale Beobachter« (Fleischhauer 2003, S.199). Von ihnen konnten kaum kritische Töne erwartet werden, denn wer fürs eigene Überleben auf die ihn umgebenden Soldaten angewiesen ist, »wird ihnen wohl kaum einen Beitrag später Mikrofon oder Bleistift in den Rücken rammen« (Bendrath 1999: 17).
Unter diesen Bedingungen erscheint es für professionelle Kriegsreporter schwierig, die politische Öffentlichkeit unabhängig zu informieren. Viele Nutzer sehen deswegen das Internet als Hoffnungsträger an. Dort finden neben professionellen auch partizipative Vermittler den Weg in die Öffentlichkeit.
Professionelle und partizipative Vermittler im Netz
Der Kriegsjournalismus im Internet ist durch ein Nebeneinander von traditionellen und innovativen Strukturen gekennzeichnet. Zum einen vermitteln professionelle Journalisten Nachrichten zum Kriegsverlauf. Die Online-Seiten traditioneller Medien entsprechen weitgehend den herkömmlichen Vorstellungen vom Journalismus. Sie sind für ein Massenpublikum gestaltet und basieren überwiegend auf einseitiger Kommunikation. Die Nutzer haben kaum Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Produziert werden diese Angebote von Online-Journalisten, deren Arbeit in Redaktionsabläufe integriert ist. Online-Nachrichtenseiten verzeichnen in Kriegszeiten einen hohen Zulauf: Während des Irakkrieges etwa lasen 56% der amerikanischen Internetuser Medien-Webseiten (vgl. Rainie/Fox/Fallows 2004). Grund für diese hohen Zahlen könnte die Unübersichtlichkeit der übrigen Webangebote sein. Die Nutzer sind damit überfordert und wenden sich lieber den vertrauten Onlinequellen bekannter Medienmarken zu. Diese bieten auch internationale Nachrichten, was die inhaltliche Bandbreite entscheidend erweitert.
Zum anderen prägen Laien die öffentliche Internet-Kommunikation im Krieg. Hier haben sich vor allem die Warblogger einen Namen gemacht. Warblogs sind Ausdruck eines Phänomens, das als »partizipatorischer Journalismus« bezeichnet wird (vgl. Bowmann/Willis 2003). Neuberger grenzt diese Art Journalismus von der professionellen Vermittlung ab (vgl. Neuberger 2006). So ist der Grad der Professionalisierung bei partizipativen Angeboten niedriger. Das Gros der Seiten wird von Laienkommunikatoren geführt. Neuberger hält darüber hinaus die Art der inhaltlichen Qualitätssicherung für different: Die Einhaltung journalistischer Standards wird bei Presse und Rundfunk auch online durch Redaktionen geregelt – eine Prüfung der Beiträge findet vor ihrer Veröffentlichung statt. Im partizipatorischen Journalismus gilt hingegen gilt: Informationen und Meinungen werden erst veröffentlicht, Korrekturen können anschließend hinzugefügt werden.
Diese Strukturen stellen die Routinen der Kriegsberichterstattung zweifellos in Frage. Ein journalistischer Vermittler ist nicht mehr zwingend vonnöten, da die Nutzer seine Aufgaben übernehmen können. Es entsteht gewissermaßen eine Kriegsberichterstattung »von unten«. Diese Aufwertung der Nutzeraktivitäten veranlasst Wissenschaftler dazu, Warblogs als Format einer »bewusste[n] Gegenöffentlichkeit« (Bendrath 1999: 86) anzusehen. Nach Scholl und Bobbenkamp (1993, S.233ff.) müssen dafür folgende Kriterien erfüllt sein:
- die Angebote sollten unabhängig sein,
- unterdrückte Nachrichten veröffentlichen,
- Kommunikation mit den Rezipienten herstellen,
- über die Betroffenen berichten,
- versteckte Missstände aufdecken,
- den Rezipienten Handlungsmöglichkeiten anbieten,
- eine verständliche Sprache gebrauchen und
- neue Arbeitsformen entwickeln.
Gerade in Krisenzeiten sind solche Angebote gefragt, weil sich die Betroffenen äußern. Ihr Ziel ist es, Themen außerhalb der medialen Agenda anzusprechen. Häufig stellen sie aber auch einfach ihre Sicht der Dinge dar, die ebenso propagandistisch gefärbt sein kann wie die Berichterstattung der traditionellen Medien.
Warblogs im Irakkrieg 2003
Warblogs gab es vereinzelt bereits im Kosovokrieg 1999, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht als eigenes Genre identifiziert wurden. Der Mönch Sava Janjíc etwa verbreitete seine Berichte aus einem Kloster an der albanischen Grenze. Vor allem nach dem 11. September 2001 entwickelten sich Warblogs zu einem öffentlichen Medienphänomen. Grund dafür war eine Politisierung der Weblogs nach den Anschlägen. Viele Weblogger diskutierten online über ihre Ängste und Sorgen. Die Gruppe der Onlinetagebücher, die sich mit Krieg und Terror auseinander setzten, wurde von da an als »war-related weblogs«, kurz Warblogs, bezeichnet. Die Terroranschläge in Amerika waren damit eine wichtige Zäsur in der Entwicklung des Angebotstyps.
Ein weiterer Einschnitt war der Irakkrieg 2003, der das Format einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Beliebtestes Beispiel war das Onlinetagebuch »Dear Raed« (www.dear-raed.blogspot.com/), in dem ein irakischer Architekt unter dem Pseudonym Salam Pax seine Kriegseindrücke beschrieb. Die Webseite erlangte internationalen Ruhm – Salam Pax arbeitete zeitweise als Kolumnist beim britischen »Guardian« und veröffentliche sein Kriegstagebuch bei einem Verlag.
Der freie Journalist Christopher Allbritton sammelte in seinem Warblog Back to Iraq (www.back-to-iraq.com) Anfang 2003 Spendengelder für eine Reise in den Irak. Fast 14.000 US-Dollar kamen zusammen. Mit einem geliehenen Laptop trat Allbritton die Reise an; die Leser bewerteten während dieser Zeit seine Arbeit. Dieses Beispiel eines von Lesern finanzierten Individualjournalisten, der keiner Redaktion Rechenschaft schuldet, bezeichnete Allbritton (2003) als »genesis of a new form of journalism«.
Autor des Warblogs Live from the sandbox (http://lt-smash.us/) war L.T. Smash, angeblich ein amerikanischer Reserveoffizier. Er stellte das US-Militär als Befreier des unterdrückten irakischen Volkes dar und trat für den Krieg ein. Seine Authentizität wurde jedoch häufig angezweifelt. Die wenigen Beispiele zeigen, dass Warblogs verschiedene inhaltliche Schwerpunkte haben. Einige Autoren fokussieren auf persönliche Erlebnisse, andere diskutieren militärische oder politische Entscheidungen. Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung gibt es gemeinsame Merkmale: Warblogs thematisieren den Krieg im weitesten Sinne und betonen subjektive Stellungnahmen; sie werden regelmäßig aktualisiert und sind umgekehrt chronologisch geordnet. In den meisten Fällen können Nutzer Kommentare hinterlassen.
Stärken und Schwächen
Was die Kriegstagebücher beliebt macht, ist ihre persönliche Sichtweise. Auch die Augenzeugenberichte sind gefragt, weil sie Glaubwürdigkeit vermitteln und den Nutzern eine erweiterte Datenlage anbieten. Der Reiz dabei ist, dass die Leser das Gefühl haben, ins Geschehen involviert zu sein. Sie erhalten die Informationen nicht mehr medien-, sondern »1:1«-vermittelt. In Kriegssituationen hat dieses Konzept umso mehr Erfolg, da die Medienvermittlung propagandistisch beeinflusst erscheint.
Andererseits können die Nutzer niemals sicher sein, ob nicht auch Warblog-Berichte manipuliert sind. Über die Verfasser ist wenig bekannt, so dass ihre Authentizität kaum einzuschätzen ist. Die veröffentlichten Informationen sind selten geprüft und damit ein latenter Unsicherheitsfaktor. Zur Verunsicherung trägt auch die schiere Masse an Warblogs bei. Eine Orientierung fällt schwer und der Nutzer verliert schnell den Überblick. Deswegen werden Warblogs bislang eher verhalten rezipiert und haben wenig öffentliche Relevanz: Während des Irakkrieges nutzten nur vier Prozent der Amerikaner Warblogs (vgl. Bowmann/Willis 2003). Das mag daran liegen, dass auch Warblogger nicht vor »Korpsgeist und regierungs-amtliche[m] Konsens« (Prümm 1999, S.9) gefeit sind.
Angebot der Gegenöffentlichkeit?
Warblogs können also kein Allheilmittel für die unzureichende Herstellung von Öffentlichkeit in den Massenmedien sein. Sie können jedoch die Bildung von Gegenöffentlichkeit fördern (vgl. Blood 2000, S.16). Die von Scholl und Bobbenkamp genannten Kriterien werden augenscheinlich erfüllt: Die Unabhängigkeit von jeglichen Institutionen ist bei einem Großteil der Warblogs gewährleistet, da es überwiegend private Angebote sind. Die Veröffentlichung unterdrückter oder übersehener Nachrichten ergibt sich aus dem persönlichen Sichtfeld der Warblogger als Augenzeugen. Sie haben einen direkten Zugang zum Geschehen und sind – bestenfalls – nicht der Propaganda ausgesetzt. Im Gegensatz zu den traditionellen Medien stellen Warblogs eine Öffentlichkeit her, in der die Kommunikation mit den Rezipienten dauerhaft gewährleistet ist. In den meisten Fällen geschieht dies über Kommentare. Auch berücksichtigen Warblogs die Erlebnisse der Betroffenen und schreiben darüber. So finden sich in vielen Tagebüchern Augenzeugenberichte. Teilweise gelingt es den Warbloggern, Missstände zu enthüllen: Salam Pax beispielsweise prangerte die Bombardierung ziviler Ziele an.
Handlungsmöglichkeiten für die Rezipienten bieten Warblogs nur indirekt. Manchmal werden Möglichkeiten vorgestellt, wie die Nutzer aktiv werden können. Darüber hinaus können sich die Nutzer in ihren Kommentaren gegenseitig Hinweise geben. Dass die Tagebuch-Schreiber eine für den Laien verständliche Sprache gebrauchen, ist in den meisten Fällen Tatsache, da Warblogger selbst überwiegend Amateure ohne entsprechende Ausbildung sind. Ihnen liegt vor allem daran, ihre Eindrücke durch Stilmittel wie Ironie oder Zynismus zu vermitteln. Warblogs entwickeln außerdem neue Arbeitsformen. Sie sind – obwohl jedes einzelne zunächst ein selbstverwaltetes Angebot darstellt – in die Gemeinschaft der Blogosphäre integriert. Sie verweisen aufeinander, lesen die Angebote anderer Anbieter und überprüfen sich gegenseitig. Diese Netzwerkbildung geschieht bei professionellen Medien-Webseiten nicht.
Warblogs erfüllen also – zumindest theoretisch – die Bedingungen eines Angebotes der Gegenöffentlichkeit. Dennoch stellt sich die Frage, welchen Mehrwert sie in der Praxis bieten.
Fallstudien: Warblogs im Kosovo und Libanon – ein Mehrwert für die Nutzer?
Die Besonderheiten der Online-Formate treten vor allem im direkten Vergleich zu Tage. Deswegen werden die Berichte zweier Kriegstagebücher den Nachrichten von CNN gegenübergestellt. Aufgrund der geringen Fallzahl wurde ein qualitatives Analyseverfahren gewählt. Um die zeitliche Entwicklung zu berücksichtigen, werden Kosovo- und Libanonkrieg untersucht. Beide Konflikte sind bedeutsam, weil der Kosovokrieg als erste Auseinandersetzung gilt, in der Warblogs eine Rolle spielten. Der Libanonkonflikt ist dem gegenüber das aktuellste Beispiel, an dem man das Wirken der Warblogs festmachen kann.
Der Kosovokonflikt 1999
Am 27. März 1999 wurde über Belgrad ein Tarnkappenbomber abgeschossen. Der Pilot konnte von US-Spezialeinheiten gerettet werden. Am 27. und 28. März 1999 berichtete ein 21-jähriger Programmierer aus Belgrad in seinem Kriegstagebuch »Members Tripod« (http://members.tripod.com/CodeMage/top.htm) über das Geschehen. Auch CNN griff die Ereignisse auf.
Bei der Berichterstattung über den Abschuss zeigt sich, dass CNN das Ereignis detaillierter darstellt. Einem Warblog-Beitrag stehen mehrere CNN-Berichte gegenüber. Die Journalisten berichten zeitnah über den Ort des Abschusses, den Verlauf der Rettungsaktion und das Befinden des Piloten. Außerdem liefern sie in zwei Reportagen über die US-Rettungseinheiten und die verschiedenen Flugzeugtypen zusätzliche Informationen. Auch die Reaktionen von Politikern und Militär-Experten werden dargestellt. So erfährt der Leser von Spekulationen, dass der vermeintliche Abschuss unter Umständen nur ein Absturz war, der auf einen technischen Defekt zurückzuführen ist. Diese Informationsfülle bei CNN bedeutet jedoch nicht, dass der Warblog-Bericht nicht aussagekräftig ist.
Im Gegenteil: der Warblogger vermittelt viele Emotionen und bezieht deutlich Stellung. Zunächst schreibt er über das Stimmungsklima vor Ort; er stellt den Tag als frühlingshaft und sonnig dar. Der Duft der Pflaumenblüte macht ihn glücklich, auch wenn die Menschen in seiner Umgebung ihm eher depressiv erscheinen. Dieser positiven Stimmung am Tag stellt er die Probleme während der Nacht gegenüber. Der Sirenenlärm hält ihn vom Schlafen ab und zermürbt seine Geduld1. Als er vom Abschuss der US-Maschine hört, mutmaßt er, dass die Bombardierungen aufgrund des verletzten Stolzes der NATO-Verbündeten von nun an verschärft werden. Bei CNN ist hingegen zu lesen, dass die zusätzlichen Attacken Teil einer bereits festgelegten Strategie der NATO seien.
Der Warblogger nimmt in diesem Zusammenhang klar Stellung gegen die NATO, die er für Angriffe auf nicht-militärische Ziele verantwortlich macht. Konsequent bezeichnet er die Einwohner des Kriegsgebiet als »we« und grenzt sie so von den NATO-Verantwortlichen ab2. Bei CNN überwiegt hingegen ein neutraler Stil, dem es vor allem um die Beantwortung der journalistischen W-Fragen und weniger um Meinungsdarstellung geht. CNN verlinkt in den Beiträgen ausschließlich auf eigene Nachrichtenseiten und bietet keine Verweise auf andere Onlinemedien an. Der Warblogger hingegen verlinkt auch externe Seiten, um dem Leser weitere Sichtweisen anzubieten.
Der Libanonkonflikt 2006
Beim Luftangriff auf die Ortschaft Kana sollen am 30. Juli 2006 circa 54 Menschen getötet worden sein, darunter auch Kinder. Das Bombardement war am 30. und 31. Juli 2006 Thema im Warblog »Anecdotes from a Banana Republic«3, in dem eine Bewohnerin aus Beirut regelmäßig über ihre Eindrücke berichtete. Auch CNN meldete das Ereignis auf seinen Onlineseiten. Das Warblog liefert über Kana einen eindringlichen Augenzeugenbericht. Die Autorin schildert ihre Eindrücke auf dem Weg zum Ort des Geschehens. Aufgrund der vielen zerstörten Straßen benötigt sie für eine Strecke von 70 Kilometern rund sechs Stunden und kommt erst nach den internationalen Pressevertretern in Kana an. Dort hört sie sich die Schicksale einzelner Überlebender an, etwa eines jungen Mannes, der seine kleinen Kusinen in den Trümmern verloren hat.
Die Bilder, die sich ihr beim Anblick des zerstörten Hauses bieten, schildert sie emotional: »Amidst the concrete remains of the house were (…) baby photos, teddybears«4. Besonders betroffen zeigt sie sich von umherfliegenden Zetteln mit Hausaufgaben, die die getöteten Kinder gemacht haben. Sie findet »one essay which was neatly transcribed into a school notebook tackled the issue if women and men are capable of performing the same jobs«5. Die Berichte von CNN beschränken sich hingegen meist auf die Wiedergabe von Fakten: Opferzahlen, Ursachen, Verlauf. Vor allem die politischen Reaktionen im In- und Ausland nehmen einen hohen Stellenwert ein. Daran angeschlossen sind Berichte über die nach Kana verstärkten Friedensbemühungen sowie ein Überblick über die mögliche Gestaltung eines Friedensvertrags.
Stimmungen werden auch bei CNN vermittelt, wenn auch auf weniger eindringliche Art. Durch Zitate von Betroffenen oder Politikern erfährt der Leser mehr über das Meinungsklima. So vertritt beispielsweise ein Botschafter den Standpunkt, dass die Bomben auf Kana US-Fabrikat seien – eine Technik, die in diesem Falle nicht »laser-guided«, sondern »hatred-guided«6 funktioniert habe.
Insgesamt sind die Warblog-Berichte emotionaler gestaltet. Vor allem negative Gefühle werden beschrieben. Einige Nutzer bezeichnen Israels Vorgehen in Kana als »cold blooded murder«7 und vergleichen es mit der Nazi-Diktatur in Deutschland. Diese Parallele zum NS-Regime wird in den Warblog-Kommentaren häufig gezogen. Auch ausländische Warblogger melden sich zu Wort. Ein Israeli entschuldigt sich für den Angriff; andere Nutzer bewerten die Auseinandersetzung neutral8. Die Beiträge der Leser zeichnen ein facettenreiches Bild.
Hinsichtlich der Verlinkungen setzt CNN erneut auf interne Links. In den Warblog-Postings werden keine Verlinkungen angeboten; die Nutzer verweisen aber in einigen ihrer Kommentare auf externe Nachrichten- und Bilderquellen zum Vorfall in Kana.
Fazit
Wie die Analyse zeigt, ist die Berichterstattung in Warblogs durch einen eigenen Stil geprägt. Die wichtigsten Ergebnisse werden nun vereinfacht dargestellt:
- Oszillations- versus Inselmedium: Warblogs bieten Links zu externen Webseiten an, um dem Leser zusätzliche Informationen bereitzustellen. Durch das Setzen von Hyperlinks machen sie ihre Beiträge zu »Textformen, die tatsächlich keinen Rand mehr« (Eigner 2003, S.121) haben. Eigner bezeichnet diese Angebote als Oszillationsmedien, weil sie zwischen dem in sich geschlossenen Beitrag und den nach außen offenen Hyperlinks oszillieren. Dem entgegen stellt er Internetseiten, die über keine Links nach außen verfügen und in sich eine kompakte Einheit darstellen. Da diese »Sites zu Inseln geworden« sind, bezeichnet Eigner sie als Inselmedien. CNN stellt hier ein klassisches Beispiel für ein Inselmedium dar.
- Stimmungen versus Sachlichkeit: Bei CNN überwiegt die nüchterne Berichterstattung; Stimmungen werden selten vermittelt; allenfalls in Zitaten werden Meinungen und Emotionen erkennbar. Ansonsten beschränkt sich die Berichterstattung von CNN auf die vom professionellen Journalismus erwartete Sachlichkeit. Anders bei Warblogs: Die Autoren verwenden zahlreiche wertende Adjektive, um ihre Eindrücke zu übermitteln. Sie sind weniger auf die Wiedergabe von Informationen bedacht als auf die Darstellung eines Standpunktes. Ob der Leser damit übereinstimmt, spielt keine Rolle, da er sich ggf. mit einer abweichenden Meinung selbst zu Wort melden kann.
- Eindrücke versus Detailinformationen: Beide Angebotsformen unterscheiden sich weniger in ihrem Informationsgehalt als in der Art der angebotenen Auskünfte. Während Onlinemedien zahlreiche Fakten und Details nennen, liegt das Augenmerk der Warblogger auf der Schilderung von Eindrücken. Sie liefern weniger Sachinformationen, beschreiben dafür aber scheinbare Nichtigkeiten wie das Wetter oder die Stimmung vor Ort ausführlich. Auch das kann für den Leser sehr informativ sein.
- Erwähnung versus Einbettung: Besonders auffällig ist bei CNN die Einbettung der Informationen in einen größeren Kontext. Im konkreten Fall wurde die Vorgeschichte des Angriffs auf Kana bis zum eigentlichen Kriegsbeginn noch einmal reflektiert. Dieser Kontext wird in Warblogs selten gegeben. Hier wird das konkrete Ereignis erwähnt, Reflexionen finden jedoch kaum statt. Das aktuelle Geschehen wird vielmehr als Anlass genommen, um eine eigene Einschätzung der Lage zu geben.
Ob diese Besonderheiten der Warblogs einen Mehrwert für den Nutzer darstellen, hängt von seinen Bedürfnissen ab. Es kommt darauf an, ob er sich sachlich informieren oder Eindrücke sammeln möchte. Warblogs legen den Schwerpunkt auf persönliche Sichtweisen und stellen in diesem Sinne durchaus zusätzliche Informationen zur Verfügung. Solange sich der Nutzer dieser Subjektivität bewusst ist, kann er dort auf relevante, öffentlich kaum berücksichtigte Standpunkte stoßen. Den größten Mehrwert werden Nutzer wohl erzielen, wenn sie traditionelle (Online-)Medien und Warblogs lesen.
Literatur
Allbritton, C. (2003): Hearts and Minds. http://www.back-to-iraq.com/archives/Files/book_ proposal.pdf.
Bendrath, R. (1999): Der Kosovo-Krieg im Cyberspace. In: Telepolis, http://www.heise.de/bin/tp/issue/dlartikel.cgi?artikelnr=6449&rub_ordner=special&mode=html
Blood, R. (2000): Weblogs: A History and Perspective. In: Rodzvilla, J. (2002) (Hrsg.): We‘ve got blog. Cambridge.
Bowmann, S./Willis, C. (2003): We Media. http://www.hypergene.net/wemedia/weblog.php.
Eigner, C. (2003): Wenn Medien zu oszillieren beginnen: (Dann macht es) BLOG! In: Ders. et al. (Hrsg.): Online-Communities, Weblogs und die soziale Rückeroberung des Netzes. Graz
Fleischhauer, J. (2003): Reporter in Kampfmontur. In: Der Spiegel, 57. Jg., Nr. 14
Foggensteiner, A. (1993): Reporter im Krieg. Wien
Krempl, S. (2004): Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda? Hannover
Neuberger, Christoph (2006): Weblogs=Journalismus? Kritik einer populären These. In: Diemand, Vanessa/Mangold, Michael/Weibel, Peter (Hrsg.): Weblogs, Podcasting und Videojournalismus. Heidelberg: dpunkt.verlag, S.107-137.
Prümm, K. (1999): Wo ist die Wahrheit? In: epd medien, Nr. 72
Rainie, L./ Fox, S./ Fallows, D. (2004): The Internet and the Iraq War. In: PEW Internet & American Life Project, http://www.pewinternet.org/reports/pdfs/PIP_Iraq_War_Report.pdf
Scholl, A./ Bobbenkamp, C. (1993): Gibt es einen Dritten Weg? In: Löffelholz, M. (Hrsg.): Krieg als Medienereignis. Opladen
Anmerkungen
1) vgl. http://members.tripod.com/CodeMage/day4.htm
2) vgl. http://members.tripod.com/CodeMage/day5.htm
3) http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/
4) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/2006/07/to-qana-and-back.html
5) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/2006/07/to-qana-and-back.html
6) vgl. http://www.cnn.com/2006/WORLD/ meast/07/30/mideast.un/index.html
7) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic.blogspot.com/2006/07/qana-mathematics-of-war.html# c115435868160209850
8) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic.blogspot.com/2006/07/qana-mathematics-of-war.html# c115432422084604997
Julia Sommerhäuser ist Doktorandin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster