Was wir brauchen. GEW-Kongreß in Göttingen
von Jürgen Schutte
Die Gewerkschaften und die Friedensbewegung befinden sich auch im Wissenschaftsbereich noch in einem langwierigen und zeitweise deprimierend komplizierten Prozeß der Annäherung Der Umgang der einen mit den anderen kann aber wesentlich gefördert werden, wenn wir mehr und inhaltlich intensiver miteinander reden. Dies zeigte sich auch auf dem Kongreß „Hochschule in der Demokratie – Demokratie in der Hochschule den die GEW in Zusammenarbeit mit dem DGB, seinen Mitgliedsgewerkschaften und der Hans-Böckler-Stiftung vom 7.-10. Dezember 1984 in Göttingen durchgeführt hat.
Hier wurde in der Arbeitsgruppe „Für Frieden und Abrüstung – gegen eine Wissenschaft, die sich dem Problem der Bedrohung von Frieden und Arbeit nicht stellt“ u. a. eine intensive Diskussion über die Frage geführt, welche Forderungen die Gewerkschaften und die Friedensbewegung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, wie sich das Verhältnis von Gewerkschaft, Friedensbewegung und Wissenschaft in Zukunft produktiv weiterentwickeln ließe
Beide Teile, Gewerkschaften wie Friedensbewegung, wären erst einmal aufgefordert, die jeweils eigene, aus der Tradition des politischen Handelns entstandene Auffassung und Verhaltensform so offen und erkennbar wie möglich in der Öffentlichkeit darzustellen, gegebenenfalls auch kritisch zu hinterfragen und immer wieder auch dem jeweiligen Handlungspartner nahezubringen. Die immer wieder zutagetretenden Probleme lassen sich nicht durch einfachen Appell beseitigen; wir sind im Interesse der gemeinsamen Sache aufgefordert, das Zusammengehen als einen beiderseitigen Lernprozeß zu organisieren, bei dem zunächst nicht mehr – aber auch nicht weniger – gefordert ist als Respekt vor dem Anderen. Es läßt sich ja doch beobachten, daß die Unkenntnis der Gedanken und Motive einen Leerraum schafft, in den unhabachtet und nicht selten unbewußt die gesellschaftlich verbreiteten von den herrschenden Kreisen sorgsam gepflegten Ängste und Vorurteile einwandern. Das lähmt uns gegebenenfalls und nützt in letzter Instanz nur denjenigen, die von der nächsten Runde des Wettrüstens mit ihren gefährlichen und teuren Projekten politisch oder finanziell profitieren wollen.
Sicherlich ist, das zeigte der Erfahrungsaustausch in Göttingen ebenfalls ganz deutlich, die Zusammenarbeit vor Ort, an den einzelnen Hochschulen und Wissenschaftsinstitutionen, schon weitgehend selbstverständlich und gewohnt. Zahllose Ringvorlesungen, Vortragsreihen, Workshops, Initiativen mit ganz unterschiedlichen Veranstaltungsformen und Adressaten, werden von gewerkschaftlich organisierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mitgetragen.
Die Forderung des DGB-Bundeskongresses von 1982, „auf allen Ebenen eigene Maßnahmen (zu) organisieren und weiter(zu)führen" sowie „das Bewußtsein für eine aktive Friedenspolitik zu stärken“, ist ohne weitreichende Mobilisierung der gewerkschaftlich orientierten und organisierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht zu erfüllen. Aus der Geschichte und Erfahrung der Gewerkschaftsbewegung ist vor allem der Gedanke beizutragen, daß es einen unauflösbaren Zusammenhang gibt zwischen der Gesellschafts- und Sozialpolitik sowie den Fragen von Aufrüstung und Abrüstung, Frieden und Krieg. Beide Aspekte der Sache, die durchaus nicht in allen Gruppen der Friedensbewegung zusammengesehen werden, sind uns z. B. vertraut als die Frage nach den in der Abrüstungsdiskussion infragestehenden Arbeitsplatzinteressen. Auch zu diesen noch durchaus nicht zufriedenstellend geklärten Problemen wurde in der Arbeitsgruppe des Kongresses sehr konkret diskutiert. Was sagen wir jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eine Beschäftigungsmöglichkeit im Zusammenhang von Rüstungsforschung angeboten bekommen? Wie sprechen wir mit Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeitsplätze an der Aufnahme oder Fortführung von Panzer- oder Flugzeugproduktion hängen? Alle diese Fragen, die sich schnell zu einer Diskussion über gesellschaftspolitische Alternativen überhaupt ausweiten, bedürfen einer kontinuierlichen und verantwortungsbewußten Diskussion, in der wir auf keinen noch so utopischen Vorschlag vorab verzichten können. Diese Diskussion und eine große Anstrengung öffentlicher Verbreitung solcher Fragen und unserer – vorläufigen – Antworten sind die Voraussetzung dafür, daß es uns wirklich gelingt, die friedenspolitischen Forderungen des DGB in die Tat umzusetzen.
Die Frage nach der Bedeutung der Wissenschaft für die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Friedensbewegung hängt darüber hinaus unmittelbar zusammen mit dem Gesamtthema des GEW-Kongresses, insofern die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen über den Charakter der an ihnen erzielten wissenschaftlichen Ergebnisse mitentscheiden. Dies war ein weiterer Gesichtspunkt der Diskussion in der Arbeitsgruppe. Als ein wenn nicht beabsichtigter, so doch gerne akzeptierter Nebeneffekt der von der CDU/F.D.P.
Koalition geplanten Novellierung des Hochschulrahmengesetzes ist die weitere Erschwerung sowohl kritischer Wissenschaft als auch ihrer Vermittlung in die Öffentlichkeit analysierbar. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes, der beruflichen und sozialen Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Mitbestimmung an den Hochschulen und Forschungsinstitutionen entscheiden wesentlich darüber, ob es eine „Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung" noch geben wird – oder eine in unternehmerischer Regie. Die gegenwärtig gegebenen Möglichkeiten friedenspolitischen Engagements in der Hochschule sind nicht zuletzt auf die durch die wie immer in Ansätzen steckengebliebene Hochschulreform der siebziger Jahre mitbestimmt.
Über die in den Erfahrungsberichten aus den Hochschulen dokumentierten Veranstaltungen und Handlungsformen hinaus wären für die weitere Arbeit u.a. denkbar:
- die Erstellung einer Referentenliste für die Gruppen der Friedensbewegung;
- ein Verzeichnis der gewerkschaftlichen Friedensarbeitskreise und einschlägigen Projekte, damit örtliche Kontaktaufnahme ermöglicht wird;
- Verankerung friedenspolitischer Themen und Projekte in bestehenden Kooperationsverträgen zwischen Gewerkschaften und Hochschulen;
- verstärkte Einbeziehung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern von „außerhalb“ in Hochschulveranstaltungen zum Thema Frieden und Abrüstung;
- kontinuierlichere Zusammenarbeit von örtlichen und regionalen Gewerkschaftsgliederungen – über die ÖTV hinaus – mit Selbstverwaltungsgremien der Hochschulen einschließlich der Allgemeinen Studentenausschüsse;
- stärkere Verbreitung der Forschungsergebnisse zu Fragen friedenspolitischer Bedeutung in den Gewerkschaften (Gewerkschaftspresse);
- friedenspolitische Akzentuierung von „Prüfsteinen“ und Veranstaltungen zu den anstehenden Landtagswahlen wie zur Zeit in Berlin von der Hochschullehrer-lnitiative „Wählen Sie keine Parteien, die das Wettrüsten unterstützen!“ vorgeführt.
Ein ausführlicher Bericht des GEW-Kongresses „Hochschule in der Demokratie – Demokratie in der Hochschule“ von 7.-10.12.1984 in Göttingen mit der Dokumentation der wichtigsten Materialien wird voraussichtlich im April 1985 erscheinen und kann dann über den Buchhandel bzw. beim GEW-Hauptvorstand. Referat Hochschule und Forschung, Unterlindau 58, 6000 Frankfurt/Main, bezogen werden.
Jürgen Schulte ist Vorsitzender des Fachgruppenausschusses „Hochschule und Forschung“ und Mitglied im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Er ist Privatdozent und lehrt an der FU Berlin.