W&F 2002/1

Wege und Irrwege im Kampf gegen den Terrorismus

von Robert M. Bowman

Bei Redaktionsschluss, Ende November 2001, ist für manche der Krieg gegen den Terrorismus „doch vorbei“ (vgl. SZ vom 22.11.01, S. 12). Aber abgesehen davon, dass dieses angebliche »Nach dem Krieg«, wenn man die einschlägigen Erklärungen von George W. Bush und anderen Kriegsherren aufmerksam zur Kenntnis nimmt, ein ausdrückliches »Vor dem Krieg« bedeutet, ist die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus ganz sicher nicht vorbei. Daher erscheint uns eine andere »Stimme Amerikas«, die schon bald nach den Terrorattacken von New York und Washington (im Netz unter www.rmbowman.com) erhoben wurde, nach wie vor aktuell. Wir veröffentlichen diesen Beitrag mit Zustimmung des Autors.
Als Terroristen vor einigen Jahren zwei US-Botschaften zerstörten, schlug Präsident Clinton zurück und attackierte zwei verdächtigte Einrichtungen Osama bin Ladens. In seiner Fernsehansprache teilte der Präsident dem amerikanischen Volk mit, wir seien Ziele des Terrorismus, weil wir für Demokratie stünden, für Freiheit und Menschenrechte in der ganzen Welt. Aus diesem Anlass habe ich damals geschrieben:

„Sagen Sie den Leuten die Wahrheit, Herr Präsident (…) Sagen Sie ihnen die Wahrheit über den Terrorismus, nicht über die arme Monica! Wenn Ihre Lügen über den Terrorismus nicht in Zweifel gezogen werden, wird der Terrorkrieg, den Sie von der Leine gelassen haben, weitergehen, bis er uns vernichtet.

Die atomterroristische Bedrohung kommt näher, die chemieterroristische ist fast schon da und die bioterroristische wird zur Gefahr der Zukunft werden. Keine einzige unserer Tausenden Atomwaffen kann uns vor diesen Bedrohungen schützen. Diese Götzen aus Plutonium, Titan und Stahl sind machtlos. Der Kult um sie, den wir fünf Jahrzehnte lang zelebriert haben und immer noch zelebrieren, hat uns keine Sicherheit gebracht, nur größere Gefahren. Kein »Krieg der Sterne«-System kann uns auch nur vor einer Terroristenbombe schützen – egal, wie technisch entwickelt es ist, egal, wie viele Billionen Dollar schon hinein gepumpt wurden. Nicht eine einzige Waffe in unserem gesamten Arsenal kann uns abschirmen gegen eine Atombombe, die in einem Segelboot zu uns gelangt oder einer Cessna, einem Koffer oder einem Mietauto. Nicht ein Cent der 273 Milliarden Dollar jährlich, die wir für die so genannte Verteidigung ausgeben, kann uns gegen eine Terroristenbombe verteidigen. Nichts von unserem enormen militärischen Aufwand kann uns wirklich ein bisschen Sicherheit garantieren. Das ist eine militärische Tatsache.

Herr Präsident, Sie haben dem amerikanischen Volk nicht die Wahrheit gesagt, weshalb wir das Ziel des Terrorismus sind. Sie haben gesagt, wir seien das Ziel, weil wir für Demokratie stünden, für Freiheit und für Menschenrechte. Unsinn! Wir sind das Ziel der Terroristen, weil unsere Regierung fast weltweit für Diktatur, Sklaverei und Ausbeutung steht. Wir sind das Ziel der Terroristen, weil wir gehasst werden. Und wir werden gehasst, weil unsere Regierung hassenswerte Taten begangen hat.

In wievielen Ländern haben wir Führer, die von der Bevölkerung gewählt waren, abgesetzt und gegen Militärdiktatoren ausgetauscht, die nichts anderes waren als Marionetten, bereit, ihre eigenen Leute an amerikanische Großkonzerne zu verkaufen?

Das haben wir im Iran getan, als wir Mossadegh absetzten, weil er die Ölindustrie nationalisieren wollte. Wir haben ihn durch den Schah ersetzt und dessen verhasste Geheimpolizei Savak, die die Menschen im Iran versklavte und terrorisierte, bewaffnet, trainiert und bezahlt. Das alles, um die wirtschaftlichen Interessen unserer Ölkonzerne zu schützen. Ist es ein Wunder, dass Leute im Iran uns hassen?

Wir haben es in Chile getan, als wir Allende absetzten, obwohl er vom Volk demokratisch dazu gewählt worden war, den Sozialismus einzuführen. Wir haben ihn durch den brutalen rechten Militärdiktator General Pinochet ersetzt. Davon hat sich Chile immer noch nicht erholt.

Wir haben es in Vietnam getan, als wir im Süden demokratische Wahlen, die das Land unter Ho Chi Minh geeint hätten, hintertrieben. Wir haben ihn durch eine ganze Reihe unfähiger Marionetten ersetzt, die uns dazu einluden, ihr Volk abzuschlachten. Und das haben wir getan! (Ich selbst bin in diesem Krieg, dem Sie sich, wie es sich eigentlich gehörte, widersetzt haben, 101 Kampfeinsätze geflogen.)

Wir haben es im Irak getan, wo wir eine viertel Million Zivilisten getötet haben in dem vergeblichen Versuch, Saddam Hussein zu stürzen, und wo wir seitdem noch eine Million mit unseren Sanktionen getötet haben – ungefähr die Hälfte dieser unschuldigen Opfer Kinder unter fünf Jahren.

Und natürlich, wie oft haben wir es in Nicaragua getan und in all den anderen lateinamerikanischen Bananenrepubliken? Wieder und wieder haben wir angesehene Führer verdrängt, die die Reichtümer des Landes unter denen aufgeteilt sehen wollten, die sie erarbeiteten. Wir haben sie durch mörderische Tyrannen ersetzt, die ihre eigenen Leute zu verkaufen versprachen, so dass die Reichtümer durch Domino Sugar, die United Fruit Company, Folgers und Chiquita Banana ausgebeutet werden konnten.

In einem Land nach dem anderen hat unsere Regierung Demokratie vereitelt, Freiheit unterdrückt und die Menschenrechte zertrampelt. Deswegen werden wir rund um die Welt gehasst. Und deswegen sind wir das Ziel der Terroristen.

In Kanada genießen die Menschen eine gesündere Demokratie, mehr Freiheit und weiter reichende Menschenrechte als wir. Ebenso die Menschen in Norwegen und Schweden. Hat man schon mal davon gehört, dass eine kanadische Botschaft bombardiert wurde? Oder eine norwegische? Oder eine schwedische?

Wir werden nicht gehasst, weil wir Demokratie, Freiheit und Menschenrechte praktizieren. Wir werden gehasst, weil die amerikanische Regierung diese Dinge den Menschen in den Dritte-Welt-Ländern versagt, deren Rohstoffe unsere Großkonzerne begehren. Und der Hass, den wir gesät haben, kommt in der Gestalt des Terrorismus zurück, um uns zu quälen – und demnächst in der Gestalt des Atomterrorismus!

Sobald erkannt ist, warum diese Bedrohung besteht, wird die Lösung klar: Wir müssen die ganze Richtung unserer Regierung ändern. Statt unsere Söhne und Töchter zum Töten von Arabern um die Welt zu schicken, damit unsere Ölmultis das Öl unter deren Sand verkaufen können, sollten wir sie entsenden, damit sie deren Infrastruktur wieder in Stand setzen, sie mit sauberem Wasser versorgen und die hungernden Kinder füttern. Statt weiterhin tagtäglich Hunderte von irakischen Kindern durch unsere Sanktionen umzubringen, sollten wir den Irakern helfen, ihre Elektrizitätswerke, Wasseraufbereitungsanlagen und Krankenhäuser wieder aufzubauen ­ alles Dinge, die wir in unserem Krieg gegen sie zerstört haben und deren Wiederaufbau wir verhindern.

Statt der Herr aller sein zu wollen, müssen wir ein verantwortliches Mitglied der Staatenfamilie werden. Statt Hunderttausende Truppen um die ganze Welt zu stationieren, damit sie die wirtschaftlichen Interessen unserer Multis schützen, müssen wir sie zurückholen und Peace Corps ausbauen.

Statt Terroristen und Todesschwadronen Folter- und Mordtechniken beizubringen, sollten wir die School of Americas (oder wie immer sie sich gerade nennt) schließen. Statt Militärdiktaturen müssen wir echte Demokratie unterstützen – das Recht aller Menschen, ihre eigene Führung zu bestimmen. Statt Aufstand, Zerrüttung, Mord und Terror weltweit zu fördern, müssen wir die CIA abschaffen und das Geld Hilfsorganisationen geben.

Kurzum: Wir tun Gutes statt Böses. Wir werden gute Kerle, endlich einmal. Die Bedrohung des Terrorismus würde verschwinden. Das ist die Wahrheit, Herr Präsident. Das ist es, was das amerikanische Volk gesagt bekommen muss. Wir sind gute Menschen. Man muss uns nur die Wahrheit sagen und uns eine Vision geben. Sie können das tun, Herr Präsident. Beenden Sie das Töten. Beenden Sie die Vergeltung. Beenden Sie das Rechtfertigungsgerede. Stellen Sie das Volk an die erste Stelle und sagen Sie ihm die Wahrheit.“

Überflüssig zu sagen, dass er es nicht getan hat… und auch nicht George W. Bush. So ist der Samen unser Politik aufgegangen und trägt seine bittere Frucht. Das World Trade Center ist ausgelöscht. Das Pentagon ist beschädigt. Und Tausende Amerikaner sind tot. Fast jeder Fernseh-Experte schreit nach einem massiven militärischen Gegenschlag gegen wer auch immer es getan hat (angeblich derselbe Osama bin Laden) und wer auch immer den Terroristen hilft oder Schutz gewährt (höchstwahrscheinlich die Taliban-Regierung Afghanistans). Steve Dunleavy von der New York Post kreischt: „Tötet diese Bastarde! Trainiert Mörder, mietet am besten gedungene Killer, setzt ein paar Millionen Dollar als Prämie aus, um sie tot oder lebendig zu kriegen, am besten tot. Und die Städte und Länder, die diese Würmer beherbergen, bombt sie zu Basketballfeldern zusammen.“

Es ist sehr verlockend, dem zuzustimmen. Ich habe keinerlei Sympathie für die Psychopathen, die Tausende Menschen getötet haben. Es gibt keine Entschuldigung für diese Taten. Wenn ich wieder zum aktiven Dienst gerufen würde, würde ich gehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Zur selben Zeit lehren mich all mein militärisches Wissen und meine Erfahrung, dass uns Vergeltung in der Vergangenheit nicht von dem Problem befreit hat und das auch dieses Mal nicht schaffen wird.

Über den weltweit weitaus besten Anti-Terror-Apparat verfügt Israel. Nach militärischen Maßstäben gemessen war er äußerst erfolgreich. Und doch leidet Israel immer noch unter mehr Terroranschlägen als alle anderen Nationen zusammen. Wenn Vergeltung funktionieren würde, wären die Israelis das sicherste Volk auf der ganzen Welt.

Nur ein Mittel hat jemals eine terroristische Kampagne beendet: der Terrororganisation die Unterstützung der größeren Gemeinschaft zu entziehen, die sie repräsentiert. Und der einzige Weg dies zu erreichen ist die berechtigten Klagen der Menschen zu hören und die Überstände zu beheben. Wenn Osama bin Laden tatsächlich hinter den vier Flugzeugentführungen und dem anschließenden Blutbad steckt, heißt dies sich um die Sorgen der Araber und Muslime im Allgemeinen und die der Palästinenser im Besonderen kümmern. Das bedeutet nicht, Israel im Stich zu lassen. Aber es kann sehr wohl heißen, die finanzielle und militärische Unterstützung zurückzustellen, bis sie die Siedlungen in den besetzten Gebieten aufgeben und zu den Grenzen von 1967 zurückkehren. Es mag ebenso bedeuten, arabische Länder Führer ihrer eigenen Wahl haben zu lassen statt handverlesene, CIA-installierte Diktatoren, die möglichst bereit sind, mit westlichen Ölfirmen zu kooperieren.

Chester Gillings hat dies sehr gut in Worte gefasst: „Wie wollen wir gegen Bin Laden zurückschlagen? Was wir uns zunächst selber fragen müssen, ist, was wir eigentlich zu erreichen hoffen: Sicherheit oder Rache? Die beiden Ziele schließen sich gegenseitig aus. Streben wir nach Rache, verringern wir unsere Sicherheit. Wenn wir aber wirklich Sicherheit wollen, müssen wir anfangen, einige schwierige Fragen zu beantworten: Was genau sind die Vorwürfe der Palästinenser und der arabischen Welt gegen die Vereinigten Staaten und wieweit sind wir für die Übelstände wirklich verantwortlich? Wo wir wirklich verantwortlich sind, müssen wir das Elend, soweit möglich, beheben. Wo wir weder eine Schuld eingestehen noch Abhilfe schaffen können, müssen wir unsere Position ehrlich und offen der arabischen Bevölkerung mitteilen. Kurz: Der beste Kurs wäre, uns als Konfliktpartei aus den Auseinandersetzungen in der Region zurückzuziehen.“

Bin Laden zu töten würde ihn zum Märtyrer auf ewig machen. Tausende würden aufstehen, um seinen Platz einzunehmen. In einem Jahr wären wir mit einer neuen Runde terroristischer Angriffe konfrontiert, höchstwahrscheinlich einer schlimmeren als dieser. Aber es gibt noch einen anderen Weg.

Kurzfristig müssen wir uns vor denen beschützen, die uns bereits hassen. Das bedeutet weitere Sicherheitsmaßnahmen und bessere Aufklärung. Ich habe Kongressmitgliedern im März vorgeschlagen, alle Mittel für das »Krieg der Sterne«-Programm abzulehnen, bis die Exekutive gezeigt hat, dass sie alles Menschenmögliche dafür tut, dass heimlich ins Land geschaffte Massenvernichtungs-Waffen – eine wesentlich größere Bedrohung als ballistische Raketen – entdeckt und aus dem Verkehr gezogen werden. Es gibt eine ganze Reihe von möglichen Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit ohne Einschränkung der Bürgerrechte. Auf längere Sicht aber müssen wir unsere Politik ändern, um den Hass und die Angst zu beenden, die neue Terroristen hervorbringen. Wenn wir von fremdem Öl möglichst unabhängig werden – durch Wiederverwertung von Stoffen, effizientere Energienutzung, Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen und einen Übergang zu umweltfreundlicheren Transportmitteln – können wir auch zu einer rationaleren Politik gegenüber dem Mittleren Osten finden.

Die meisten Muslime und Araber sind gute und friedfertige Menschen. Aber ausreichend viele haben sich aus Verzweiflung, Wut und Angst erst Arafat und nun bin Laden in der Erwartung zugewandt, dass diese ihrem Elend abhelfen. Beseitigt die Hoffnungslosigkeit, gebt ihnen eine Perspektive, und die Unterstützung des Terrorismus wird sich in Luft auflösen. Dann wird Bin Laden gezwungen sein, den Terrorismus aufzugeben (wie Arafat ihn aufgegeben hat), oder man wird ihn wie einen gemeinen Kriminellen behandeln. In jedem Fall werden er und sein Geld aufhören, eine Bedrohung darzustellen. Wir können Sicherheit haben oder Rache. Nicht beides.

Dr. Robert M. Bowman, seinerzeit Kampfflieger in Vietnam, ist heute Bischof der Vereinigten Katholischen Kirche in Melbourne Beach, Florida/USA.
Übersetzung aus dem Englischen Simone Fuchs.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/1 Terror – Krieg – Kriegsterror, Seite