Welche Weltordnung wollen wir?
von Paul Schäfer
Der französische Historiker Emmanuel Todd hat in den siebziger Jahren den Niedergang des »sowjetischen Imperiums« vorausgesagt. Nun hat er einen Nachruf auf die Weltmacht USA verfasst. Gegenwärtig könne studiert werden, „wie zuverlässig negative Gegenreaktionen erfolgen, wenn ein strategischer Akteur ein Ziel ansteuert, das zu groß für ihn geworden ist.“
Und tatsächlich, was als Machtvollkommenheit erscheint, gleicht einer Flucht nach vorne – ohne große Erfolgsaussicht:
Der Nahe und Mittlere Osten droht immer mehr außer Kontrolle zu geraten, nun soll eine usurpatorische Neuordnung den Weg zu einer regionalen Stabilisierung bringen. Der Weg dazu kann nur über eine gerechte Lösung des Palästina-Problems, über die Förderung nachhaltiger Entwicklung und über die Unterstützung eines demokratischen Emanzipationsprozesses von innen her, führen. All dies soll eine Besatzungsmacht leisten, die bisher eine eher gegenteilige Politik verfolgt hat und die mit weiteren Kriegen droht?
Der Krieg soll aus dem krisenhaften Zustand der Weltökonomie herausführen. Von der Verbilligung des Erdöls erhofft man sich einen neuen Wachstumsschub – vor allem in den USA selbst. Doch an den strukturellen Merkmalen der Krise, die durch eine sozial polarisierende Globalisierung und innergesellschaftlichen Sozialabbau, beständig verschärft wird, ändert sich nichts. Die Kosten des Krieges und seiner Folgen tragen eher dazu bei, die Lage zu verschlechtern.
Die mittels neuer entsetzlicher Zerstörungswaffen dem Irak zugedachte »Schocktherapie«, gilt auch der übrigen Welt. Diese Abschreckungslogik wird nicht dazu führen, dass alle anderen Nationen die Waffen strecken. Sie wird im Gegenteil das Streben, sich mit modernen Waffen mehr Selbständigkeit zu erkämpfen, verstärken. Von der Zunahme terroristischer und fundamentalistischer Gewalt gar nicht zu reden.
Die Mobilisierung für den Krieg soll die Dominanz der westlichen Führungsmacht befestigen; und hat doch bereits zur weiteren Erosion ihrer Stellung beigetragen. Die UNO scheint desavouiert, aber noch nie nahmen so viele Menschen an den Beratungen in New York Anteil und konnten die Blamage der Kriegstreiber verfolgen. Und wer hätte noch vor einiger Zeit eine »Achse Paris-Berlin-Moskau-Peking« für möglich gehalten, oder dass sich ein kleines Land wie Belgien innerhalb der NATO derart renitent zeigen würde?
Dass die USA selbstherrlich in den Krieg gegen den Irak ziehen und diesen Krieg gewinnen können, zeigt ihre Stärke. Dass sie nahezu isoliert sind und ihre »Koalition der Willigen« nur durch Bestechung, Erpressung und Manipulation zusammenfügen konnten, zeigt ihre Schwäche.
Der im geostrategischen Denken geübte Zbigniew Brzezinski hat formuliert, dass es gegenwärtig nicht um den Irak gehe, sondern um die globale Rolle der USA im 21. Jahrhundert. Die »eine Weltmacht« möchte die »günstige Gelegenheit« nach ElevenNine nützen, um diese Position auf Dauer zu halten. Doch den moralischen Kredit, den sie nach dem Terroranschlag geltend machen konnte, hat sie schon aufgebraucht. Nur einmal in ihrer jüngeren Geschichte – in der Endphase des Vietnam-Krieges nämlich – standen die USA in der Weltöffentlichkeit derart isoliert da. Es ist ein Krieg, der die Weltordnung definieren soll und dies auch tut. »Weltordnung« ist vor allem eine historisch spezifische Machtkonstellation. Es zeigt sich, welche Dominanz die USA noch auszuüben in der Lage sind, aber auch, welche »gegenhegemonialen« Kräfte auf den Plan treten – die zur Veränderung dieser Machtkonstellation beitragen werden. Die Auseinandersetzung um das »US-Empire« wird in diesem Jahrzehnt zur Schlüsselfrage – und sie wird geführt werden müssen, nicht zuletzt in Amerika selbst.
Für uns muss es um eine Weltordnung gehen, die strikt auf dem Gewaltverbot des geltenden Völkerrechts und gestärkten Vereinten Nationen gründet, eine Weltordnung, die den »sustained war« hinter sich lässt und stattdessen auf »sustained development«, also auf Gerechtigkeit, setzt.
Machtfragen ist der Titel dieses Hefts. Als wir die Ausgabe planten und fertigstellten, hofften wir noch auf eine Vermeidung des Krieges und hatten keine Vorstellung von dem Ausmaß Verwerfungen, das die Irak-Krise hervorrufen wird. Nahezu alle Fragen der künftigen Weltordnung sind auf dem Prüfstand. Was wird aus den Vereinten Nationen? Was aus der NATO? Wird es in absehbarer Zeit eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU geben, die Europa zu einem wirklichen Machtfaktor werden lässt? Wie wird die arabisch-muslimische Welt auf die Besetzung des Irak reagieren? Das vorliegende Heft kann nur einen Einstieg in diese Debatte darstellen. Friedensforschung und Friedensbewegung sind durch die neue Lage herausgefordert.
Paul Schäfer