W&F 2016/1

Weltbürgerrecht im Anthropozän

Ein Essay

von Till Bastian

Im Dezember 2015 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Welt in Paris zum großen Klimagipfel. Nach langem Ringen wurde erklärt: Die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius sei mit den nun vereinbarten Maßnahmen möglich. Selbst wenn es dabei bleibt wird der Klimawandel aber für viele Millionen Menschen katastrophale Folgen haben. Till Bastian denkt in diesem Essay darüber nach, wie den betroffenen Menschen in dieser Situation verbürgte Rechte garantiert werden können, um ihr Überleben zu sichern und Klimakriege zu verhindern. Mit seinem Vorschlag für ein ökologisches Weltbürgerrecht knüpft er an Kants Schrift »Zum ewigen Frieden« an.

Stefan Zweig, der vor über hundert Jahren den Beginn des ersten Weltkrieges als Augenzeuge miterlebte, schrieb über den damaligen, ihn zugleich faszinierenden und erschütternden Ausbruch plötzlicher, massenhafter Kriegsbereitschaft: „Wie nie fühlten Tausende und Hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: daß sie zusammengehörten […].“ (Zweig 1955, S.207)

Dieser Erste Weltkrieg mündete trotz aller Bemühungen um internationale Zusammenarbeit, die zum Beispiel 1919 zur Gründung des Völkerbundes geführt hatten, in eine höchst instabile Weltlage, die nach nur einundzwanzigjähriger Atempause in einen zweiten, noch viel blutigeren Weltkrieg führte, den die 1933 zur Macht gelangte nationalsozialistische Bewegung und ihr »Führer«, Adolf Hitler, als »Revanche« von vornherein angestrebt hatten. Aber just im Jahr dieser nationalsozialistischen »Machtergreifung« und nicht lange vor dem Ausbruch des neuen Krieges mahnte der Arzt und Kulturkritiker Sigmund Freud in der Antwort auf einen Brief des Pazifisten Albert Einstein, den dieser im Auftrag des Völkerbundes an ihn geschrieben hatte: „Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muß dem Krieg entgegenwirken […].“ (Freud 1933, S.26)

Nach dem Ende dieses Zweiten Weltkrieges, nach dem Sieg über Deutschland und Japan, der im letzteren Fall mit dem völkerrechtswidrigen, militärisch keineswegs notwendigen Einsatz der Atombombe besiegelt wurde, erstarrte die Welt alsbald im Kalten Krieg und erzitterte unter dem in wahnwitzige Dimensionen gesteigerten Rüstungswettlauf der einstigen Verbündeten, der atomaren Supermächte USA und UdSSR. Die angeblich friedensstiftende Atombombe erwies sich in dieser Zeitspanne von fast fünfzig Jahren keineswegs als kriegsverhindernd, sondern als bloß kriegsverlagernd – allenthalben, vor allem jedoch auf der Südhalbkugel, tobten grausame Stellvertreterkriege. Auch die direkte Verwicklung jener beiden Supermächte in militärische Abenteuer in Vietnam wie in Afghanistan, die – nach enormen Opfern vor allem unter der Zivilbevölkerung – in beiden Fällen mit einer Niederlage endeten, hatte die »atomare Abschreckung« nicht zu verhindern vermocht.

Doch auch nachdem die Pariser Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) im November des Jahres 1990 diesen Kalten Krieg und den von ihm in Gang gesetzten Rüstungswettlauf feierlich für beendet erklärte, als die Konfrontation der beiden Machtblöcke ebenso in sich zerfiel wie die Sowjetunion selber, wie der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW oder COMECON) und das Militärbündnis des Warschauer Paktes, bescherte dies der Welt noch keine Ära des Friedens. Weiterhin werden Jahr für Jahr in vielen Regionen der Erde blutige Kriege ausgefochten, die weltweit im langfristigen Jahresdurchschnitt etwa 500.000 Todesopfer fordern.

Derzeit haben allerdings nicht nur Krieg und Gewalt, sondern vor allem auch die immer rasanter verlaufenden, überwiegend destruktiven Veränderungen der Umwelt nicht nur zu zahlreichen Todesopfern, sondern auch zu einer weltweiten Migration geführt, die 2015 zu einem traurigen Rekord anstieg: Fast 60 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr auf der Flucht, so viele wie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, also vor 70 Jahren, nicht mehr (Stiftung Weltbevölkerung nach: SPIEGEL ONLINE, 3. Dezember 2015).

Wie wäre nun in dieser bedrohlichen Lage Abhilfe und Prävention möglich?

Der in diesem Essay erläuterte Weg, um den Gefahrenpotenzialen von Umweltzerstörung, Militarismus und Krieg zu begegnen, ist jener einer globalen Partnerschaft, ist der Weg des Weltbürgertums.

Dieses Weltbürgertum beruht, ganz im Sinne der zitierten Sätze von Stefan Zweig und Sigmund Freud, auf der Erkenntnis, dass letzten Endes nicht diplomatische Prozesse und vertragliche Regelungen, sondern die Bindungen zwischen den Menschen dem Krieg dauerhaft entgegenwirken, und dass nur Menschen, die schon im Frieden gefühlt haben, dass sie zusammengehören, in der Lage sein werden, auf Dauer auf Krieg zu verzichten.

An dieser Stelle scheint mir ein kurzer Verweis auf das Werk und Wirken von Immanuel Kant unabdingbar.

»Zum ewigen Frieden «und das Weltbürgerrecht

Kant gilt weltweit als der größte Philosoph deutscher Sprache. Sein Traktat »Zum ewigen Frieden« erschien erstmals im Jahre 1795. Der Königsberger Denker – bei der Veröffentlichung dieser Schrift schon über siebzig Jahre alt – formulierte in diesem Essay drei „Definitivartikel“ zur Gewährleistung eines ewigen Friedens. Im ersten dieser Artikel wird gefordert, dass die Verfassung aller Staaten republikanisch sein, also auf der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus fußen solle; im zweiten, dass sich die Staaten der Erde zu einer Föderation, einem Völkerbund zusammenschließen mögen (eine einheitliche Weltrepublik hielt Kant für eher nachteilig und der Despotie förderlich). Zweihundert Jahre später kann gesagt werden, dass die Welt diesen beiden Definitivartikeln gewiss näher gekommen ist. Von den 193 souveränen Staaten, die derzeit Mitglied der Vereinten Nationen sind, ist eine sehr viel größere Zahl zumindest dem Buchstaben nach republikanisch verfasst als zu Kants Zeit, zu der dies ja im strengen Sinne nur auf die Vereinigten Staaten von Amerika und auf Frankreich nach dem Sturz der jakobinischen Terrorherrschaft zutraf. Und jene übernationale Staatenföderation, die Kant seinerzeit angeregt hatte, wurde wie von US-Präsident Woodrow Wilson 1917, im Jahr des Eintrittes der USA in den Weltkrieg, im letzten seiner berühmten »14 Punkte« gefordert, 1919 in Form des Völkerbundes geschaffen. Nach dem unrühmlichen Scheitern des Völkerbundes wurden 1945 die Vereinten Nationen gegründet – eine Organisation, der fast alle souveränen Staaten dieser Erde angehören und an deren Existenzberechtigung, trotz aller berechtigten Kritik en detail (zum Beispiel Zumach 2015), im Grundsatz nicht mehr gezweifelt wird. Der Königsberger Gelehrte hat sich somit als weit vorausblickender Realist erwiesen, obschon er seinerzeit einräumen musste, dass eine Friedensphilosophie wie die seine wohl allgemein verlacht werde.

Gerade unter den oben skizzierten Verhältnissen der Gegenwart mag es angeraten sein, sich Kants »Dritten Definitivartikel« näher zu betrachten. In diesem Artikel forderte Kant ein „Weltbürgerrecht“, dessen Kern eine „allgemeine Hospitalität“ sein solle – ein Recht „welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden müssen“.1

Kant erkannte deutlich, welche Art von Realpolitik diesem Weltbürgerrecht entgegensteht, denn im Gegensatz zu vielen anderen Philosophen seiner Zeit hatte er einen klaren Begriff von der Brisanz jenes Verhältnisses, das wir heute »Nord-Süd-Konflikt« zu nennen pflegen. Vergleiche man, so meinte er, mit der von ihm geforderten weltweiten Hospitalität „das inhospitale Betragen der gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Weltteils, so geht die Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker (welches ihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) beweisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerländer, die Gewürzinseln, das Kap etc. waren, bei ihrer Entdeckung, für sie Länder, die keinem angehörten; denn die Einwohner rechneten sie für nichts.“

Es sei noch erwähnt, dass Kant sich anno 1795 vor allem von zwei Entwicklungstendenzen Unterstützung für sein Programm erhoffte: von der Entstehung der Weltwirtschaft mit der friedensstiftenden Kraft des Handels, insbesondere von „der Geldmacht“, desgleichen von der Herstellung der „Weltöffentlichkeit“ und einem Gemeinsamkeitsempfinden, mit dem es soweit gekommen sei, „daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“. Unter solchen Bedingungen, so der Königsberger, sei „die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschrieben Kodex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.“

Immanuel Kants Ethik, aus der sein von der französischen Revolution inspiriertes Kosmopolitentum folgt, ist Gesinnungsethik – sie ist jedem machiavellistischen Erfolgsdenken (»Der Zweck heiligt die Mittel«) diametral entgegengesetzt. Die universelle Gestalt dieser Ethik wird über den »Dritten Definitivartikel« des Friedenstraktates hinaus am deutlichsten in der dritten Fassung seines »Kategorischen Imperatives«, die laut seiner 1785 erschienenen »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« von uns fordert, so zu handeln, „daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“.

Globale Partnerschaft im Anthropozän

Diese Maxime ist nichts anderes als der Umriss globaler Partnerschaft. Eben diese wird heute dringender benötigt denn je, denn wir sind mit der letzten Jahrhundertwende endgültig in ein neues Zeitalter eingetreten. Es kann nach einem Vorschlag des Chemikers und Nobelpreisträgers Paul Crutzen (ehedem Universität Mainz) als »Anthropozän« bezeichnet werden (Crutzen 2000). Dieses neue Zeitalter ist die Epoche der menschengemachten, zivilisationsbedingten Klimaerwärmung.

Dieser Klimawandel samt seinen heute bereits in aller Klarheit erkennbaren, äußerst schwerwiegenden Folgen – um sie noch einmal kursorisch zu nennen: Abschmelzen der Polkappen, Anstieg des Meeresspiegels, Ausbreitung der Wüsten, Trinkwasserverknappung und sich verstärkende Flüchtlingsbewegungen – lässt sich nicht mehr aufhalten. Der Wandel zum Schlechteren lässt sich allenfalls noch ein wenig abbremsen, und auch dies nur bei gewaltigen Anstrengungen, von denen – trotz des Abkommens von Paris im Dezember 2015, das noch seiner konkreten Umsetzung harrt! – bisher nur zögerliche Ansätze zu registrieren sind.

Es gilt mithin, sich auf diese globale Entwicklung einzustellen und sich an sie anzupassen. Was bedeutet das, und was bedeutet es insbesondere dann, wenn wir unsere Träume von Frieden und weltweiter Gerechtigkeit nicht einfach auf den Müllhaufen der Geschichte werfen wollen? Denn es droht eine weltweite ökologische Apartheid, wenn nicht weltweit größte Bemühungen unternommen werden, um gerade den Ärmsten der Armen neue Wege zu öffnen, auf denen sie sich vor den Folgen des unvermeidlichen ökologischen Desasters einigermaßen wirksam schützen können. Für die reiche, privilegierte Minderheit in den Metropolen der Industrienationen auf der Nordhalbkugel – also für uns – wird das Leben unter veränderten klimatischen Bedingungen möglicherweise etwas weniger komfortabel werden (zum Beispiel durch den Verlust gewohnter Skisport-Gebiete!), etwas mehr Aufwand und etwas mehr ökologische Rücksicht erfordern. Die Armen in den übervölkerten Ländern des Südens werden Wetterunbill, Wassermangel, steigende Nahrungsmittelpreise und Überflutung der Küstenregionen vom Nildelta bis zum Golf von Bengalen in voller Härte zu spüren bekommen. Gerade sie verfügen nur in sehr begrenztem Umfang über die Mittel, sich gegen dieses Schicksal zu wappnen. Es droht somit eine Zwei-Klassen-Welt, eine »Öko-Apartheid«. Pointiert zusammengefasst: Den Reichen droht eine verminderte Lebensqualität – den Armen der Tod.

Ich will dies kurz anhand des so genannten Tuvalu-Problems illustrieren. Der Staat Tuvalu, seit dem 1. Oktober 1978 unabhängig (zuvor eine britische Kolonie mit dem Namen Ellice Islands), besteht aus neun Inseln mit einer Gesamtfläche von 26 Quadratkilometern, die von rund 13.000 Menschen bewohnt werden. Die Inseln erheben sich maximal fünf Meter über die Meeresoberfläche; es lässt sich mithin absehen, wann sie – wie andere Inseln auch – durch den für die Ära des Anthropozän charakteristischen Meeresspiegelanstieg größtenteils überflutet und damit unbewohnbar sein werden.

Der deutsche Jurist Hinrich Bartels, ein pensionierter Richter, der seit Jahren am Entwurf eines internationalen Umweltstatuts arbeitet, schrieb dazu: „Die Völkerrechtler suchen zurzeit verhältnismäßig hilflos nach einer Lösung des Tuvalu-Problems. Dass ein Staat nicht durch militärische Gewalt um seine Existenz gebracht wird, ist für sie neu. Man begnügt sich zurzeit damit, zu prüfen, ob die Umweltflüchtlinge aus Tuvalu nicht den Kriegsflüchtlingen gleichgestellt werden müssen. Zur Rettung der Insel fällt ihnen nichts ein. Wären die USA oder wäre auch China in gleicher Weise betroffen wie heute schon der Inselstaat Tuvalu, dann würden sie nicht zögern, alle Staaten mit militärischem Druck zu einem umweltverträglichen Handeln zu zwingen.“ (Bartels 2010, S.36)

Neues Völkerrecht für bedrohte Menschen

Es gibt meines Erachtens nur einen einzigen Lösungsweg in dieser bedrohlichen Lage, und es wäre höchste Zeit, die ersten Schritte auf diesem Weg zu wagen: Es ist eben jene Entwicklung eines ökologisch orientierten Weltbürgerrechts. Nur die Schaffung neuer rechtlicher Möglichkeiten kann für die bedrohten Menschen des Südens in ihrer nicht selbst verschuldeten, aber äußerst misslichen Lage Abhilfe schaffen. Nach derzeitiger Rechtslage ist nämlich weder die Menschheit in ihrer Gesamtheit noch der bedrohte Einzelne ein Völkerrechtssubjekt, das von den Reichen und Mächtigen mehr erwarten darf als allfällige Almosen. Das Völkerrecht, auch das in Ansätzen ja durchaus schon existierende Umweltvölkerrecht, ist ein Recht von Staaten, kein Recht der Menschheit oder ihr zugehöriger Gruppen oder Einzelpersonen. Das Recht, „im Recht zu leben“, das die aus Deutschland vertriebene Philosophin Hannah Arendt einst sehr treffend als das fundamentalste aller Menschenrechte bezeichnet hatte, ist auf dem Feld der ökologischen Menschheitsbedrohung gegenwärtig noch weitgehend inexistent.

Dies lässt sich am Beispiel einer – an sich gewiss begrüßenswerten – Entscheidung der UN-Vollversammlung vom 28. Juli 2010 zeigen. An jenem Mittwoch hatte nämlich das Plenum der Vereinten Nationen auf Antrag Boliviens einmütig (das heißt ohne eine Gegenstimme, aber bei 41 Enthaltungen) entschieden, das Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser in den Katalog der Menschenrechte aufzunehmen. Diese Entscheidung weist in einer Zeit, in der geschätzte 884 Millionen Menschen über einen solchen Zugang nicht verfügen (und die Zahl der derart Benachteiligten wächst jeden Tag weiter an), ohne Zweifel in die richtige Richtung. Sie bleibt aber zunächst ohne unmittelbare Konsequenzen, da der am Zugang zu sauberen Wasser gehinderte Mensch bislang eben kein Völkerrechtssubjekt ist und aus seinem abstrakten Menschenrecht auf sauberes Wasser deshalb keinen konkreten, alltagspraktisch wirksamen Rechtsanspruch ableiten kann, nun auch wirklich mit sauberem Wasser versorgt zu werden.

Das Grundprinzip eines diesen eklatanten Mangel beseitigenden Weltbürgerrechtes wäre, wie gesagt, der konkrete und damit auch vor Gericht verfolgbare Rechtsanspruch, sich gegen die Folgen des ökologischen Desasters – etwa die Überflutung meines Wohnortes – zur Wehr setzen zu dürfen. Es ist ja bekannt, dass die Einwohner des pazifischen Inselstaates Kiribati bereits vor geraumer Zeit bei den Vereinten Nationen einen kollektiven Antrag auf Asyl gestellt haben – für den in Bälde zu erwartenden Ernstfall der Überflutung ihres Heimatlandes. Dies ist derzeit nicht mehr als ein reiner Appell ohne rechtliche Bindungswirkung, und der Asylantrag, den Ioane Teitiota, Einwohner von Kiribati, an die Behörden in Neuseeland gerichtet hatte, wurde von einem dortigen Gericht im September 2015 abgelehnt (taz online, 11. Dezember 2015). Die formal zutreffende Begründung dafür: In der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist zwar von der Verfolgung aus ethnischen, religiösen und anderen Gründen die Rede, nicht aber von ökologischen Problemen.

An eben dieser misslichen Situation, diesem die globalen Umweltprobleme betreffenden völkerrechtlichen Vakuum, muss sich etwas ändern, wenn die Menschheit die gegenwärtige Krise meistern will. Wer, wie die reichen Industrienationen dieser Welt, durch einen luxuriösen Lebensstil leichtfertig und wider besseres Wissen die Lebensgrundlagen anderer ruiniert, muss dazu verpflichtet werden, diesen anderen im Ernstfall auch bei der Bewältigung ihrer Notlage behilflich zu sein. Dies wäre im Grunde nichts anderes als eine völkerrechtliche Umsetzung des Verursacher-Prinzips: »Polluter pays«.

Diese Umsetzung ist freilich erst dann möglich, wenn erstens der ökologisch benachteiligte Mensch zum Rechtssubjekt mit konkreten Rechten geworden ist (eben durch das zu schaffende Weltbürgerrecht), und wenn zweitens Instanzen geschaffen werden, vor denen er rechtliches Gehör finden und sein Recht gegebenenfalls auch durchsetzen kann, nötigenfalls auch gegen Widerstreben. Selbstverständlich müssen dazu unter dem Dach der Vereinten Nationen entsprechende neuartige Institutionen geschaffen werden. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum dies grundsätzlich unmöglich sein sollte, schließlich hat die Weltgemeinschaft es ja auch geschafft, den 1998 gegründeten Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC) Wirklichkeit werden zu lassen.

Ein ökologisch orientiertes Weltbürgerrecht wäre somit ein wesentliches – zugleich freilich ein in seiner konkreten Gestaltung erst noch zu konstruierendes – Werkzeug, wenn es darum gehen soll, die Anpassung an den unaufhaltsamen Klimawandel in einer Art und Weise zu bewältigen, die weltweit Frieden und Gerechtigkeit nicht beeinträchtigt, sondern, wo immer nötig, weiterhin stärkt und festigt. Als globale Bewältigungsstrategie wäre ein solches Weltbürgerrecht wohl mindestens ebenso wichtig wie der Handel mit Emissionsrechten, die Förderung von erneuerbaren Energien und der Aufbau eines von fossilen Kraftstoffen unabhängigen Verkehrswesens.

Vor über fünfundzwanzig Jahren, im Herbst 1990, legte ich für die kurz zuvor mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Weltföderation der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) die Studie »Naturzerstörung: Die Quelle der künftigen Kriege« vor. Damals hätte es noch die Möglichkeit gegeben, vorbeugend gegen den drohenden Klimawandel zu agieren – gut zwei Jahrzehnte später ist diese Chance vertan. Der Klimawandel ist da und lässt sich allenfalls noch abmildern – das heißt aber keinesfalls, dass er zwangsläufig in neue Kriege münden muss. Ein zentraler Satz meiner Studie von 1990 hatte gelautet:

„Zeiten wachsender Not und Verelendung und offenkundiger Ausweglosigkeit für Millionen Menschen in einer immer ungerechteren Welt sind ein idealer Nährboden für Schwarmgeister, Eiferer, Fanatiker und Terroristen. Wer sich allerdings bloß vordergründig über deren Worte und Taten empört, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, inwieweit er selber die Entstehung eines solchen gewaltschwangeren Klimas herbeigeführt oder zumindest geduldet hat – der setzt sich vor der Geschichte doppelt ins Unrecht.“ (Bastian 1990, S.49 – eine Wiederaufnahme des damaligen Gedankengangs in Bastian 2010).

Solche Worte waren 1990 offenkundig in den Wind gesprochen, in den Sand geschrieben. Wollen wir noch einmal zwei Jahrzehnte ungenutzt verstreichen lassen? Oder werden wir es endlich fertig bringen, die notwendigen Konsequenzen aus der unumgänglichen Erkenntnis zu ziehen, dass sich die Folgen der globalen ökologischen Veränderung nur dann friedlich bewältigen lassen, wenn wir Millionen von Menschen das Recht, »im Recht zu leben«, nicht länger verweigern, indem wir starrköpfig auf unseren lieb gewordenen Privilegien beharren?

Den Klimawandel zu verhindern, liegt nicht mehr in Bereich unserer Möglichkeiten. Wie wir seinen Folgen begegnen wollen, sehr wohl.

Anmerkungen

1) Kants Friedenstraktat wird zitiert nach Weischedel 1971; die einzelnen Zitate werden der Übersichtlichkeit halber im obigen Text nicht weiter ausgewiesen.

Literatur

Hinrich Bartels (2010): Unveröffentlichtes Manuskript. Nordenham.

Till Bastian (1990): Naturzerstörung – Die Quelle der künftigen Kriege. Berlin: IPPNW.

Till Bastian (2010): Überleben im Treibhaus – Strategien gegen Naturzerstörung und Kriegsgefahr. Oberursel: Verlag Publik-Forum.

Paul Crutzen (2000): The Antropocene. IGB-Newsletter.

Sigmund Freud (1933): Warum Krieg? Gesammelte Werke Bd. 16, Frankfurt a.M: S. Fischer, S.13-27.

Immanuel Kant (1795): Zum ewigen Frieden. In: Werkausgabe in zwölf Bänden, 1971 herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Bd. XII. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Immanuel Kant (1797): Die Metaphysik der Sitten. In: Werkausgabe, op.cit, Bd. VIII.

SPIEGEL ONLINE: Rekordzahlen – Fast 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. 3.12.2015.

taz.de: Vertreibung durch Klimawandel – Wenn der Meeresspiegel steigt. 11.12.2015.

Andreas Zumach (2015): Globales Chaos und machtlose UNO – Ist die Weltorganisation überflüssig geworden? Berlin: Rotpunkt-Verlag.

Stefan Zweig (1955): Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt a.M.: S. Fischer.

Dr. Till Bastian, Arzt und Friedensforscher, ist langjähriges Vorstandsmitglied der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW). Er arbeitet an einer Fachklinik in der Nähe von Ravensburg.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/1 Forschen für den Frieden, Seite 34–37