W&F 2024/1

Dirk-M. Harmsen✝, Stefan Maaß, Horst Scheffler, Theodor Ziegler (Hrsg.) (2023): Weltinnenpolitik und Internationale Polizei – Neues Denken in der Friedens- und Sicherheitspolitik. Göttingen: V&R unipress. ISBN 978-3-8471-1526-7, 233 S., 40 €.

Abb. Buch

Unter dem Zukunft versprechenden Titel »Weltinnenpolitik und Internationale Polizei« hat eine kleine »Fachgruppe Internationale Polizei« (Ralf Becker, Horst Scheffler, Dirk M. Harmsen✝ und Theodor Ziegler) begonnen, über die Notwendigkeit einer Internationalen Polizei (IP) anstelle des Militärs nachzudenken. Das ist ein anspruchsvoller Versuch, gegen den aktuellen Mainstream einer militäraffinen öffentlichen Meinung eine Internationale Polizei als „einen Baustein ziviler Sicherheitsarchitektur (S. 15) auf Weltebene zu konzipieren. Der Versuch entspringt dem Beschluss der Evangelischen Landeskirche in Baden vom 24. Oktober 2013 »Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens«. Darin ist das Szenario »Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik« mit fünf Säulen angelegt, wovon eine die »Internationale Sicherheitsarchitektur« inklusive der gemeinsamen Internationalen Polizei ist. Ermutigt dazu wurde die Fachgruppe von Carl Friedrich von Weizsäcker, der angesichts der nuklearen Vernichtungspotentiale 1963 von der Notwendigkeit einer „Weltinnenpolitik“ sprach und wünschte, dass die „globale Abrüstung eines Tages in die Übertragung des Polizeimonopols an eine internationale Behörde einmünden muss.“ (S. 13)

Der nun vorliegende Sammelband greift die bisherige, nicht zu Ende geführte Debatte1 über die Substitution militärischer Gewalt mit einem ganzen Bündel nachdenklichen Positionen zum Pro und Contra auf. Der Teil A des Bandes beschäftigt sich mit Fragen zum Militär, der Teil B mit Weltinnenpolitik und internationaler Polizei, Teil C mit den Erfahrungen gewaltfreier Konfliktbearbeitung. Teil D äußert sich zur Idee und den Perspektiven, Teil E schließlich mit den Perspektiven zum Weiterdenken in Kirche, Gesellschaft und Politik.

Ein erster Beitrag über die »Zielperspektive Internationale Polizei und Realisierungsaspekte« präsentiert das thematische Tableau des Dialogprojektes Internationale Polizei auf der Grundlage der Ergebnisse einer ersten grundlegenden Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Herrenalb (22. bis 24.9.2021). Es sind dies die Zielvorstellungen, die Aufgabenbereiche, die Rekrutierung und der Einsatz Internationaler Polizeikräfte, die Bewaffnung, das Profil des Berufs als Internationale Polizeikraft sowie die ausstehenden Regelungen und Klärungen.

Unter anderem nehmen Ullrich Hahn und Thomas Hoppe zur grundsätzlichen Problematik des Militärs aus pazifistischer Perspektive Stellung und skizzieren ihre Perspektive des Vorrangs für Gewaltprävention. Klaus Moegling plädiert für eine „gesellschaftliche Pazifizierung“ „vor dem Hintergrund einer grundlegenden Neuordnung des multilateralen Systems und insbesondere der Vereinten Nationen“ (S. 76). Wolfgang Heinrich, Christine Schweitzer, Marie-Noëlle Koyara und Hubert Heindl informieren in ihren Beiträgen detailliert über Ansätze für eine Internationale Polizei mit Erfahrungen in Somaliland, zum Zivilen Peacekeeping und zur Zivilen Krisenprävention in der deutschen internationalen Zusammenarbeit. Thomas Nauerth liefert den theologisch kritischen und deshalb wichtigen Beitrag des Bandes aus friedensethischer Sicht: „Die Internationale Polizei ist aus friedensethischer Sicht […] höchstens ein Mittel unter vielen, mit sehr begrenzten Möglichkeiten, einsetzbar im Rahmen kluger Prävention, in heiß gelaufenen Konflikten aber keine Alternative“ (S. 163). Friedensethisch und friedenstheologisch sei die „wirkliche Herausforderung“, die Internationale Polizei möglichst gewaltfrei zu gestalten, als „wesensverschieden“ von militärischer Gewalt (S. 163f.). Jochen Cornelius-Bundschuh formuliert auf der Grundlage vom Leitbild des gerechten Friedens Thesen zur zivilen Sicherheitspolitik. Der Beitrag von Oberst Matthias Rogg will Soldat*innen nicht durch Polizist*innen ersetzen, sondern sinnvoll neben militärischen Kräften platzieren. Alle Kapitel bereichert am Ende Traugott Schlächtele mit kontrastierenden Gedichten, die den Blick über die Sachfragen hinaus weiten.

Die Fachgruppe Internationale Polizei ist mit anderen ähnlichen Institutionen verbunden. In ihr arbeiten in Zukunft auch Fachleute aus Institutionen von Politik, Polizei, Militärseelsorge, Friedensbewegung und Friedensforschung mit. Beispielhaft für das Wirken der Fachgruppe ist das Eckpunktepapier »Initiative zur Verbesserung und Stärkung des vorhandenen deutschen internationalen Polizeiengagements«, verfasst von Fachkräften der Deutschen Hochschule der Polizei als Zwischenprodukt der Kooperation.

Trotz des hohen Preises lohnt sich der Kauf des vorliegenden Sammelbandes. Das Buch inspiriert zum Nachdenken und Beraten über den Versuch, eine bislang nur innerstaatliche rechtsstaatlich organisierte Polizei als ein Instrument der Weltinnenpolitik zu verfassen. Der erweiterten Fachgruppe ist für die nächsten Schritte im kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskurs viel Erfolg und besonders empathisches, mutiges Mitdenken zu wünschen.

Anmerkung

1) Vgl. das frühere Gutachten zu »Just Policing« von Ines Jacqueline Werkner, FEST; abrufbar über die Seite der evangelischen Landeskirche in Baden (ekiba.de)

Ulrich Frey war langjähriger Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF) und ist Mitglied des Vorstandes der Martin-Niemöller-Stiftung e.V. sowie des Ökumenischen Instituts für Friedenstheologie.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/1 Konflikte im »ewigen« Eis, Seite 59