Weltraum – ein Instrument europäischer Macht?
von Regina Hagen und Jürgen Scheffran
In seiner Rede vom 1. Mai betonte US-Präsident George W. Bush seine Entschlossenheit zum Aufbau eines weltumspannenden Raketenabwehrsystems auf der Erde, zur See, in der Luft und im All. Bereits zuvor kündigte sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Weltraumwaffen an, angeblich um die USA vor der Gefahr eines »Pearl Harbor« im Weltraum zu schützen. Und Europa – bleibt es auf die zivile Raumfahrt verpflichtet und ein Hort des Friedens im Weltraum? Leider nicht, wenn die jüngsten Planungen realisiert werden.
Raumfahrt hat in Europa einen anderen Stellenwert als in den USA oder in Russland. In diesen beiden Ländern sind die Weltraumaktivitäten seit 50 Jahren durch die gegenseitige Konkurrenz, durch den Drang nach technologischer und vor allem militärischer Vorherrschaft getrieben. Besonders das US Space Command versucht seit Jahren, die Dominanz der USA im Weltall auszubauen.1 Demgegenüber hinkte Europa immer hinterher. Dennoch haben sich einzelne Nationen und die Europäische Weltraumorganisation ESA (Europa Space Agency) mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln einen guten Ruf erarbeitet. Wissenschaftsprojekte, interplanetare Missionen, Sonnenerkundung, Erdbeobachtung, Katastrophenvorhersage sowie Klima- und Umweltforschung finden auf höchstem Niveau statt. Die Trägerrakete Ariane garantiert Europa nicht nur den Zugang zum Weltraum sondern hat sich längst zur wirtschaftlichen Erfolgsstory gemausert und ganz nebenbei einen Zuverlässigkeitsrekord aufgestellt.
Weltraumforschung für ausschließlich friedliche Zwecke…
Zweck der 1975 gegründeten ESA ist es laut Satzung, „die Zusammenarbeit europäischer Staaten für ausschließlich friedliche Zwecke auf dem Gebiet der Weltraumforschung, der Weltraumtechnologie und ihrer weltraumtechnischen Anwendungen (…) sicherzustellen und zu entwickeln.“2 Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Übermacht der USA – das Budget der US-Raumfahrtagentur NASA beträgt dieses Jahr rund 31 Mrd. Mark (14 Mrd. US Dollar), während sich die ESA mit etwas mehr als 5,5 Mrd. Mark (2.856 Mrd. Euro) begnügen muss3 – zielen die Bemühungen Europas vor allem darauf ab, technologisch den Anschluss nicht zu verlieren und der heimischen Industrie ein Stück des lukrativen Kuchens zukommen zu lassen.
Satellitengestützte Navigation, Fernaufklärung, Information und Kommunikation sowie die Bereitstellung entsprechender Transportkapazitäten stellen einen viel versprechenden Markt dar. Die Zukunft eröffnet ein gewaltiges Potenzial: Rohstoffausbeute auf dem Mond und auf Asteroiden, Gewinnung von Sonnenenergie durch Solaranlagen im All, die Gründung von bewohnten Stationen oder gar Kolonien auf Himmelskörpern, die gezielte Beeinflussung des irdischen Wettergeschehens aus dem Orbit und der Aufbau von Weltraumtourismus scheinen in greifbarer Nähe zu liegen.4 Dass Russland kürzlich mit dem hochbezahlten Flug von Dennis Tito zur Internationalen Raumstation die Nase wieder einmal vorne hatte, wurde von den USA mit beleidigten Kommentaren quittiert.Dieses Beispiel zeigt, dass die internationale Konkurrenz hart ist – ein Grund für die ständig fortschreitende »Konsolidierung« der beteiligten Industrieunternehmen.5 Die Entwicklung und der Bau von Weltraumtechnologie konzentrieren sich weit gehend auf einige Firmen, deren Namen aus Rüstung sowie Luft- und Raumfahrt bereits bekannt sind. Um mit Boeing, TRW, Lockheed-Martin und Raytheon mithalten zu können, haben sich im vergangenen Jahr in Europa die Firmen Daimler Chrysler Aerospace AG (DASA, Deutschland; 47,5 %), Aerospatiale Matra (Frankreich; 47,5 %) and Construcciones Aeronáuticas S.A. (CASA, Spanien; seit 2000 zur DASA gehörig; 8,5 %) zur EADS (European Aeronautic Defence and Space Company; 75.000 Beschäftigte) zusammengeschlossen, die dadurch zum weltweit drittgrößten Luft- und Raumfahrtkonzern mit bedeutenden Rüstungsanteilen wurde. In Großbritannien fusionierten die Rüstungsfirmen British Aerospace (BAe) und General Electric (GEC) zur BAE Systems. Ebenfalls im vergangenen Jahr fusionierten Matra Marconi Space (Frankreich; 55 %) und die Weltraum-Divisions von DaimlerChrysler (Deutschland; 45 %) zu Astrium (7.500 Beschäftigte).6 Und vor wenigen Wochen schließlich schlossen sich die neuen Konsortien EADS und BAE Systems mit der italienischen Finmeccania zum weltweit zweitgrößten Raketenbauer MBDA zusammen.7… oder darf es auch etwas Militär sein?
Neben industriepolitischen und technologischen Erwägungen rückt in der neueren Raumfahrdiskussion in Europa seit einigen Jahren verstärkt auch die militärische Nutzung in den Mittelpunkt. Bereits zu Beginn der neunziger Jahre machte der Golfkrieg überdeutlich, welch enormen Anteil Weltraumtechnologie an militärischen Operationen hat. Mit dem Jugoslawienkrieg von 1999 war für den deutschen Verteidigungsminister das Fass übergelaufen. Er fordert seither energisch die Entwicklung und Stationierung eines deutschen Radarsatelliten.
Diese Idee ist allerdings nicht ganz neu. Schon die von Helmut Kohl geführte CDU/FDP-Regierung unterstützte 1985 nicht nur die Teilnahme am SDI-Programm der USA, sondern auch die Stationierung militärischer Satelliten. Europa hätte dazu die Erfahrungen mit zivilen Fernerkundungs- und Kommunikationssatelliten nutzen und die Programmleitung der Westeuropäischen Union (WEU) übertragen können.8 Da Tausende von Wissenschaftlern und die Friedensbewegung protestierten und die SDI-Pläne in den USA mit dem Ende des Kalten Krieges an Bedeutung verloren, ließ auch das öffentliche Interesse an den europäischen Weltraumplänen nach.Hinter den Kulissen ging die Überzeugungsarbeit aber weiter, dem weltpolitischen Wandel zum Trotz. 1986 hatte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) den Bericht »Deutsche Weltraumpolitik an der Jahrhundertschwelle« veröffentlicht. Darin wird u.a. gefordert, dass außen- und sicherheitspolitischen Aspekten ein höherer Stellenwert bei Entscheidungen über die Weltraumnutzung zukommen müsse und ein deutsch-französisches Aufklärungssystem aufgebaut werden solle. In einer zweiten Studie »Beobachtungssatelliten für Europa« von 1990 sind die entsprechenden Anforderungen präzisiert und die Vorteile aufgeführt, die sich aus einer Nutzung des Systems auch für den Schutz gegen Katastrophen und Umweltgefahren ergeben könnten.
Die hartnäckige Propagierung dieser Pläne führte 1994 zu einem gemeinsamen deutsch-französischen Satellitenprojekt. Dabei sollte sich Deutschland an einer neuen Generation der französischen optischen Aufklärungssatelliten Helios beteiligen, und im Gegenzug wollte Frankreich zur Entwicklung und Stationierung eines deutschen Radarsatelliten mit dem Namen Horus beitragen. Das Projekt platzte 1998, als die neue französische Regierung die Kooperation aus finanziellen Gründen wieder aufkündigte.
Im Juni 2000 änderte sich die Beschlusslage abermals, und Verteidigungsminister Scharping setzte seinen Willen durch: Frankreich und Deutschland schlossen ein neues Abkommen über die Zusammenarbeit bei der militärischen Aufklärung. Frankreich will wiederum seine optischen Helios-Satelliten beisteuern, Deutschland den neu zu entwickelnden licht- und wetterunabhängigen Radarsatelliten SAR-Lupe, der (unter Beteiligung von EADS) von der Bremer Firma OHB gebaut wird.9 Fortschritte in der Technologie ermöglichen inzwischen eine deutlich billigere Realisierung und machen die Umsetzung des Abkommens viel wahrscheinlicher. Dennoch sieht Scharping auch dieses Projekt durch den Sparzwang gefährdet und forderte daher die finanzielle Beteiligung des Außen- und des Entwicklungsministeriums. Begründung: Die Aufklärungsdaten könnten von den Kollegen auch bestens für ihre eigenen Zwecke genutzt werden.Die militärische Zusammenarbeit im Weltraum ist damit keineswegs ausgereizt. Im Januar 2001 kamen die Forschungs- und Verteidigungsminister von Frankreich und Italien überein, ein dual use-Fernerkundungssystem für militärische und zivile Zwecke aufzubauen. Frankreich will zwei Helios-, Italien vier Radarsatelliten beisteuern. Anderen europäischen Regierungen wollen die beiden Vertragspartner eine Minderheitsbeteiligung am Programm anbieten.10Auch ohne diese Kooperationspläne ist die Nutzung des Weltraums durch Europa längst nicht mehr auf friedliche Zwecke beschränkt. Neben zivilen Weltraumsystemen, deren Dienste und Daten vom Militär auf dem freien Markt aufgekauft und für eigene Zwecke ausgewertet werden,11 verfügt Großbritannien über militärische Kommunikationssatelliten des Typs Skynet auf geostationären Umlaufbahnen. Frankreich verfügt über die militärischen Helios-Satelliten und ist zusätzlich mit einer militärischen Kommunikationskomponente Untermieter in den ansonsten zivilen Satelliten von France Telecom.12
Gemeinsam plant es sich besser
Waren die Bestrebungen, Weltraumanwendungen in der Militärpolitik mehr Raum zu geben, bislang eher unkoordiniert und auf bilaterale Abkommen angewiesen, hat sich dies in den vergangenen Jahren deutlich geändert. 1999 beispielsweise stellte eine hochrangige ESA-Kommission fest, dass die Abhängigkeit im Bereich der Satellitennavigation von den USA (dessen Militär das Global Positioning System, GPS, betreibt) vollkommen inakzeptabel sei. Für die nationale Sicherheit und die Durchführung weltweiter Friedenseinsätze europäischer Truppen seien die Bereiche Aufklärung, Kommunikation und Befehlsübermittlung von größter Bedeutung. „Daher“, folgern die Berichterstatter, „sind Weltraumsysteme für Verteidigungsanforderungen ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Sicherheitsarchitektur und für ihren Beitrag zu den weltweiten Bemühungen für die Friedenserhaltung.“13
Im September 2000 verabschiedete die Europäische Kommission eine Mitteilung zur europäischen Raumfahrt, in der unter Bezug auf die „sicherheitspolitische Dimension“ des Weltraums dafür plädiert wird, mit dem mittlerweile in Planung befindlichen europäischen Satellitennavigationssystem GALILEO und dem globalen Umwelt- und Sicherheitsüberwachungsprogramm GMES ein Informationsnetz zu schaffen, „das den politischen Erfordernissen Europas entspricht“14. Dabei werden in allen offiziellen Dokumenten und Verlautbarungen die Bereiche Umwelt und Sicherheit nachdrücklich miteinander verknüpft. So soll GMES globale Beobachtungsmöglichkeiten zugleich für Sicherheits- und Umweltbelange bieten.
Als ebenso problematisch wie GMES ist GALILEO zu sehen. Das europäische Satellitensystem soll die Navigationssysteme GPS und GLONASS der USA und Russlands einerseits ergänzen, andererseits die europäische Abhängigkeit von diesen Systemen durch die Stationierung von bis zu 30 eigenen Navigationssatelliten reduzieren.
Einer vom deutschen Forschungsministerium und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) geförderten interdisziplinären Studie zufolge wird mit GALILEO „die Souveränität und Unabhängigkeit Europas auch auf dem Gebiet der Satellitennavigation unterstrichen“.15Eigene Fähigkeiten der Navigation, Aufklärung und Kommunikation durch ein weltraumgestütztes System für „Friedenseinsätze von europäischen Streitkräften, an denen die NATO nicht beteiligt ist“, seien die Konsequenz des Ziels der Europäischen Union, „auch auf sicherheitspolitischem Gebiet eine eigene Identität zu entwickeln.“ Einerseits betont die Studie die Konzeption von GALILEO als „ziviles System unter gemeinsamer europäischer Kontrolle.“ Andererseits wird klargestellt, dass „im Krisenfall eine Nutzung von GALILEO-Signalen durch potenzielle Gegner durch aktive Funkstörungen und eine Signalverschlüsselung verhindert oder zumindest erschwert werden [kann].“
Die sicherheitspolitische Einschätzung, dass damit „insgesamt die politischen Handlungsoptionen Europas in Krisenzeiten erweitert“ werden, mag in die vorherrschende Militärstrategie passen, ist aus friedenspolitischer Sicht aber keineswegs wünschenswert, auch wenn sie von dem an der Studie beteiligten Friedensforschungsinstitut mitgetragen wurde.
Die offizielle Haltung zu diesem Punkt ist nicht ganz eindeutig. In einer Entschließung des Europäischen Rates vom 11. April 2001 wird ausdrücklich daran erinnert, „dass es sich bei GALILEO um ein ziviles Programm unter ziviler Kontrolle handelt“ und als eine der einschlägigen Anforderungen an das System die „Kontinuität der Dienstleistung in Krisensituationen“ benannt. Dennoch sieht auch dieser Text „von zivilen Behörden in Krisensitationen beschlossene Zugangsbeschränkungen oder sogar Zugangsverbote“ vor. 16 Einige Monate zuvor hatte die Europäische Kommission bereits mitgeteilt, dass im Krisenfall eine politische Instanz, die im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) der EU zu benennen sei, sicherheitsbedingte Zugangsbeschränkungen bis hin zum Entzug der Dienste von GALILEO organisieren müsse.17
In einem offenen Brief wiesen besorgte NaturwissenschaftlerInnen bereits 1999 darauf hin, dass keine militärischen Satellitenkapazitäten erforderlich seien und „Deutschlands neuer Verantwortung in der Welt (…) bestens gedient [wäre], wenn es seine wissenschaftliche und wirtschaftliche Kapazität in zukunftweisenden, innovativen Projekten bündelt, die wirksame Methoden für die Beilegung von innerstaatlichen und ethnischen Konflikten entwickeln.“ In seiner Antwort wies Walther Stützle, Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, die Forderung zum Verzicht auf militärisch nutzbare Satelliten zurück, weil Satellitenaufklärung für kein anderes Land eine Bedrohung darstelle und kein Schritt zur Weltraumrüstung sei.18
Schützenhilfe von den Drei Weisen
Der Schwenk von kommerzieller und forschungsgetriebener Raumfahrt hin zur militärischen Weltraumnutzung würde vor allem für die ESA einen spürbaren Bruch mit bisherigen Traditionen bedeuten. Zur argumentativen Untermauerung des beabsichtigten Schwenks holte sich die ESA Schützenhilfe von renommierten Persönlichkeiten. Angekündigt als »drei Weise« präsentierten im November 2000 der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, der Präsident der Crédit Lyonnaise Jean Peyrelevade und der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, heute Chef von Jenoptik, im ESA-Hauptquartier in Paris unter dem Titel »Towards a Space Agency for the European Union« ihre Empfehlungen zur Neuausrichtung der europäischen Weltraumaktivitäten.19
Das Vorwort kommt nach einführenden Bemerkungen zur wachsenden Rolle von Satelliten „für die Umwelt- und sonstige Sicherheit“ rasch zu dem Punkt, der für die europäische Raumfahrt deutliche Konsequenzen haben dürfte: „Die Europäische Union hat sich auf eine historische Erweiterung eingelassen, entwickelt eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik und strebt an, die konkurrenzfähigste wissensbasierte Wirtschaft in der Welt aufzubauen. Dem Weltraum kommt bei all diesen Herausforderungen eine wichtige Bedeutung zu.“
Nur mit einer neuen Weltraumstrategie lasse sich Unabhängigkeit von den USA erreichen und verhindern, dass „andere Wettbewerber (vor allem aus Asien)“ eine eigene Infrastruktur für die Raumfahrt aufbauen. Außerdem empfiehlt der Bericht, „Programme im Zusammenhang mit der Friedenserhaltung [peace keeping] innerhalb des ESA-Rahmens“ zu implementieren. „Daher sehen wir es als logisch an, die Fähigkeiten der ESA auch für die Entwicklung der eher sicherheitsorientierten Aspekte der europäischen Weltraumpolitik einzusetzen. Da die Anstrengungen der Europäischen Union in diesen Bereichen auf die sogenannten Petersberger Aufgaben der Friedensstärkung durch Konfliktprävention und des Krisenmanagements, einschließlich bei zivilen und Umweltkatastrophen, abgestimmt sind, sehen wir kein Problem mit der Satzung der ESA.“ Ein bemerkenswerter Versuch, den Einsatz militärischer Gewaltmittel als friedliche Handlung zu definieren, um nicht in Konflikt mit der ESA-Satzung zu kommen.
Die Vorschläge der ESA und die Forderungen der Europäischen Kommission finden massive politische Unterstützung. Im Februar 2001 kündigte der europäische Forschungskommissar Philippe Busquin die Bildung einer »Task Force« von EU und ESA an.20 Die Task Force soll u.a. ein Konzept zur Einbindung der ESA in die Strukturen der EU vorbereiten. Im November 2001 soll die Umsetzung des Konzepts auf der ESA-Ministerratstagung in Edinburgh beschlossen werden. Eine entsprechende Beschlussfassung ist etwa gleichzeitig auf Ebene der EU-Kommission geplant.Europäische Weltraummilitarisierung hat Konsequenzen
Forscher und Wissenschaftler, die Weltraumwaffen zur Zerstörung irdischer Ziele bauen und Uniformen tragen, werde es in der ESA auch in Zukunft nicht geben. Eher, so die Pressesprecherin des Satellitenkontrollzentrums der ESA in Darmstadt, Jacqueline Landeau, werde die ESA zum „Lieferanten des Militärs“. Diese Entwicklung ist aus ihrer Sicht folgerichtig. Nachdem sich Europa auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Normengebung, der Anerkennung von Diplomen und der Politik zusammengefunden habe, sei der nächste Schritt ganz logisch, denn: „Was kommt nach der Währung? Armeen!“ 21 Und die Weltraumkomponente gehöre nun mal dazu.
Für die ESA ist dies ein nahezu revolutionärer Umbruch. Noch vor zwei Jahren begründete Frau Landeau die Absage, an einer Tagung an der TU Darmstadt zur Diskussion ethischer Aspekte der Weltraumnutzung teilzunehmen, damit, dass „uns die Veranstalter in Zusammenhang mit Militärsatelliten gebracht haben und sehr voreingenommen sind.“22
Die ESA wie auch das DLR haben allen Grund, einen solchen Zusammenhang zu fürchten. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der Industrie (Stichwort: private-public partnership) wird durch eine militärische Ausrichtung von Weltraumprogrammen gefährdet. So waren die Unternehmen bislang trotz der zu erwartenden Gewinne nicht bereit, das GALILEO-Programm mitzufinanzieren. Sie drängen auf eine rein zivile Ausrichtung des Projektes, um zu verhindern, dass das System im Krisenfall abgeschaltet oder in seiner Genauigkeit eingeschränkt werden könnte. Für die europäische Raumfahrt wäre die Teilnahmeverweigerung der Industrie ein schwerer Rückschlag, soll das Projekt doch belegen, dass Europa technisch und politisch in der Lage ist, ein so komplexes Weltraumsystem aufzubauen und den USA Paroli zu bieten.
Mit der Erweiterung der Zuständigkeit für militärische Satelliten müssten die Weltraum-Wissenschaftler überdies befürchten, in ein militärisches Geheimhaltungs- und Sicherheitskonzept eingebunden zu werden. Sollen beispielsweise die militärischen Satelliten von den bisherigen Kontrollzentren von ESA und DLR mitbetreut werden? Sind ESA-Forscher dann in die Definition und Entwicklung militärischer Satelliten eingebunden? Die Tragweite solcher Entscheidungen für das Arbeitsumfeld der Betroffenen darf nicht unterschätzt werden
Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen ist das Argument, dass sich Drittstaaten bei zunehmender militärischer Weltraumnutzung in ihrer Sicherheit gefährdet fühlen und Gegenmaßnahmen ergreifen könnten, die zu einer neuen Rüstungsdynamik im Weltraum und auf der Erde führen – vor allem bei den USA, die ihre »Dominanz im Weltraum« sicherstellen wollen.Schon jetzt halten die USA zur Vorbeugung eines »Pearl Harbor im Weltraum« die Entwicklung von Antisatellitenwaffen für erforderlich. Sollten andere Länder ebenfalls zu diesen »Abwehrmaßnahmen« greifen, wäre die friedliche Nutzung des Weltraums endgültig gefährdet.Von unten Einfluss nehmen
Raketenabwehr und zunehmende Weltraummilitarisierung erfordern eine eindeutige Antwort Europas. Aber dem Schild der USA einen Schild Europas hinzuzufügen, wird kaum zur Verringerung der globalen Spannungen führen. Gerade Deutschland, das mit der Entwicklung der Schreckenswaffe V2 vor fast 60 Jahren der Raumfahrt den Weg bereitete, hätte allen Grund seinen Teil dazu beizutragen, dass im Weltraum Kooperation, Forschung und die Lösung dringender irdischer Probleme den Vorrang behalten.
Um der zunehmenden Militarisierung und der beginnenden Bewaffnung des Weltraums entgegenzuwirken, wurden von Friedens- und anderen Nichtregierungsorganisationen bereits einige Initiativen auf den Weg gebracht:
- Ausgangspunkt für ein Verbot von Weltraumwaffen könnte der »Göttinger Vertragsentwurf zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums«sein, der 1984 bei einem Kongress von NaturwissenschaftlerInnen vorgestellt, im Bundestag erörtert und bei einer Fachtagung zur Raketenabwehr in Göttingen im November 2000 mit einem neuen Kommentar wieder in die Diskussion gebracht wurde.23 Auf der gleichen Tagung wurde auch ein internationaler Appell an die UNO-Generalversammlung verabschiedet, der das Verbot von Weltraumwaffen fordert und mittlerweile von einigen tausend Personen unterzeichnet wurde.
- Die deutsche Sektion des Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space startete im Spätherbst 2000 eine Brief- und Unterschriftenaktion, in der die deutsche Forschungsministerin Edelgard Bulmahn, zur Zeit amtierende ESA-Präsidentin, aufgefordert wird, der Einbindung der ESA in militärische Weltraumprojekte entgegenzuwirken. Aufgrund der Aktion wurde den InitiatorInnen vom Raumfahrtreferat des Ministeriums inzwischen ein Gesprächstermin angeboten, weil – so das Einladungsschreiben – „die Ministerin in der Frage der friedlichen Weltraumnutzung derzeit viele Briefe [erreichen]“.
- Im Herbst 1999 führte die UNESCO gemeinsam mit der ESA einen Workshop zur Ethik der Weltraumnutzung durch. Die vorbereitende Arbeitsgruppe hatte allerdings beschlossen, „die spezielle militärische Dimension der Weltraumeroberung“ in den Diskussionen auszuklammern.24 Die ESA muss dazu gedrängt werden, diesen Aspekt offen anzugehen und sich mit den Konsequenzen einer Einbindung in militärische Strukturen zu stellen.
- Die Initiativen gegen die Weltraumbewaffnung stehen in Zusammenhang mit der Kritik an der Raketenabwehr. Zu erwähnen ist das Memorandum der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler vom November 2000 sowie der von der deutschen Kampagne »Atomwaffen Abschaffen« am 24. März verabschiedete Appell »Raketen abrüsten statt abwehren!«. Darin wird, wie auch in einem kurz zuvor vom ver.di-Gründungskongress verabschiedeten Aufruf, die Bundesregierung aufgefordert, sich nicht an den Planungen für eine Raketenabwehr zu beteiligen, sondern sich für internationale Initiativen für Raketenabrüstung einzusetzen.25 Wie solche Initiativen aussehen könnten, wird in einem vom International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) im März gestarteten Projekt untersucht.
Anmerkungen
1) Siehe R. Hagen, Raketenabwehr – Ein Spielstein für das US Space Command, W&F 1/2001.
2) Artikel II im Übereinkommen zur Gründung einer Europäischen Weltraumorganisation, Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1976, Teil II, Seite 1863.
3) NASA’s Budget, Februar 2000 (www.hq.nasa.gov/office/pao/facts/HTML/FS-003-HQ.html). Der Gesamtetat für Weltraumfahrt ist allerdings höher. In Europa müssen außer dem Anteil an den nationalen Verteidigungshaushalten auch die nationalen Raumfahrtbudgets einberechnet werden. Der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) verwaltete Jahresetat für die deutsche Raumfahrt beträgt etwa 1,5 Mrd. Mark (www.dlr.de/oeffentlichkeit/jahresbericht).
4) Entsprechende Beurteilungen finden sich z.B. in: ESA, Long-Term Space Policy Committee, Investing in Space, Second Report (SP-2000), Noordwijk,1999.
5) Siehe z.B. Konkurrenz im All, WZB-Mitteilungen 80, Juni 1998.
6) Informationen zu EADS unter www.eads.net, zu Astrium unter www.astrium-space.com. Zu den Verflechtungen und Beteiligungen siehe S. Gose, Vaterlandslose Gesellen – Die europäische Luftfahrtindustrie, in: U. Cremer, D. S. Lutz (Hrsg.), Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung, VSA-Verlag, 2000.
7) Europäisches Trio macht Raketenbauer startklar, Frankfurter Rundschau, 27.4.2001.
8) Zur Weltraum-Diskussion der achtziger Jahre siehe D. Engels, J. Scheffran, E. Sieker (Hrsg.), SDI – Falle für Westeuropa, Köln 1987. Zu den neunziger Jahren siehe D. Engels, Europäische Pläne zur militärischen Nutzung des Weltraums, in: U. Cremer, D. S. Lutz (Hrsg.), Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung, Hamburg, 2000; D. Engels, J. Scheffran, Westeuropas Augen im All, Wissenschaft und Frieden, 4/94, S. 39-43.
9) H.-H. Bremer, Berlin und Paris demonstrieren Einigkeit. Länder vereinbaren bei Gipfeltreffen Rüstungsprojekte, Frankfurter Rundschau, 10.6.2000; Firmenprospekt SAR-Lupe der Firma Orbital und Hydrotechnologie Bremen – System GmbH (OHB) aus Bremen von 2000.
10) H.-A. Marsiske, Doppelte Nutzung von Satelliten. Dual Use wird zum Schlagwort der schleichenden Militarisierung der europäischen Raumfahrt, Telepolis, 24.2.2001 (www.telepolis.de/deutsch/special/raum/4989/1.html).
11) Zur zivil-militärischen Nutzbarkeit von Satellitentechnik siehe W. von Kries, Dual-Use of Satellite Remote Sensing, in: W. Bender, R. Hagen, M. Kalinowski, J. Scheffran (Hrsg.), Space Use and Ethics, Münster, 2001 (in print) sowie H. Spitzer, Dual-Use Character of Satellites. A Challenge for Arms Control in Space, in: W. Liebert, J. Scheffran (Hrsg.), Against Proliferation – Towards General Disarmament, Münster, 1995.
12) V. Liebig, K.-U. Schrogl, Space Applications and Policies for the New Century, Frankfurt a. M., 2000.
13) ESA, Investing in Space, op.cit.
14) Mitteilung der Kommission an den Rat und das europäische Parlament: Ein neues Kapitel der europäischen Raumfahrt, Brüssel, 27.9.2000, KOM(2000) 597 (europa.eu.int/eur-lex/de/com/cnc/2000/com2000-0597de02.pdf). Siehe auch: Europäische Kommission, In Richtung eines kohärenten europäischen Ansatzes für die Raumfahrt, 1999 (europa.eu.int/comm/hrc/space/approach99.toc_de.html). Informationen zu GMES in Global Monitoring for Environment and Security, European Community, Jan. 2000.
15) Wirtschaftsstrategische und sicherheitspolitische Bedeutung des europäischen Satellitennavigationssystems GALILEO und seine Auswirkungen auf die zivile Infrastruktur. Zusammenfassung und Ergebnis einer interdisziplinären Studie, gefördert durch das BMBF und die DLR, 27.11.2000. Leiter der Studie war Prof. Dr.-Ing. G. W. Hein von der Universität der Bundeswehr München.
16) Rat der Europäischen Union, Entschließung des Rates zu GALILEO, 11. April 2001, Drucksache des Deutschen Bundestages 14-405.
17) Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Über GALILEO, Brüssel, 22.11.2000, KOM(2000) 750.
18) Zur Entwicklung militärischer Aufklärungssatelliten in Europa, Briefwechsel der NaturwissenschaftlerInnen-Initiatve – Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit mit dem BMVg, dokumentiert in Wissenschaft und Frieden 3/1999.
19) Towards a Space Agency for The European Union. Report by C. Bildt, J. Peyrelevade, L. Späth to the ESA Director General, vorgestellt am 9.11.1999 in Paris (ravel.esrin.esa.it/docs/wisemen_report.pdf).
20) DLR, Presse-Information Nr. 8/2001 vom 12.2.2001.
21) J. Landeau, Pressesprecherin des European Space Operation Centre, in einem Interview zur neuen ESA-Strategie in Radio Darmstadt am 22.2.2001.
22) Raumfahrttagung ohne Merbold, Darmstädter Echo, 4.3.1999.
23) Der von J. Scheffran redaktionell bearbeitete Vertragsentwurf findet sich im Reader der NaturwissenschaftlerInnen-Initative zur Fachtagung ebenso wie der Göttinger Appell, der auch in W&F 2/2001 abgedruckt wurde.
24) A. Pompidou in: The Ethics of Space Policy, UNESCO 2000.
25) Beide Aufrufe sind abgedruckt in Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2001.
Regina Hagen ist technische Übersetzerin und Vorstandsmitglied im Global Network Against Weapons And Nuclear Power in Space. Sie koordiniert das internationale Wissenschaftlernetzwerk INESAP an der Technischen Universität Darmstadt.
Dr. Jürgen Scheffran hat das INESAP-Projekt »Moving Beyond Missile Defense« mit initiiert und ist Redakteur von Wissenschaft und Frieden.