W&F 2014/1

„Wer betrügt, der fliegt“

von Jürgen Nieth

Seit Franz-Josef Strauß ist das Dreikönigstreffen der CSU in Wildbad Kreuth bekannt für markige, oft nationalistische, die Stammtischdebatten befeuernde Sprüche. So auch in diesem Jahr: Es geht gegen die »uneingeschränkte Freizügigkeit« bei der Arbeitsplatzwahl für Bulgaren und Rumänen seit dem 1. Januar. „Wer betrügt, der fliegt“, heißt es schon vor dem Kreuther Treffen, von einem drohenden fortgesetzten „Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutseinwanderung“ wird gesprochen (Zeit, 02.01.14). In der Bild-Zeitung (03.01.14) ergänzt der Chef des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, der CDU-Abgeordnete Elmar Brock: „Zuwanderer, die nur wegen Hartz IV, Kindergeld und Krankenversicherung nach Deutschland kommen, müssen schnell zurück in ihre Heimatländer geschickt werden. Um Mehrfacheinreisen zu verhindern, sollte man darüber nachdenken, Fingerabdrücke zu nehmen.“ Und FDP-Chef Lindner sekundiert, man müsse „ergänzend zur Integration diejenigen abschieben, die weder integrationswillig noch -fähig“ seien (Die Welt 12.0114).

Begleitet wird die Kampagne durch eine Berichterstattung über Städte, wie Duisburg, Dortmund und Berlin, in denen sich »unqualifizierte« Zuwanderer konzentrieren. Dazu Heinz Buschkowsky, SPD-Bürgermeister in Berlin-Neukölln in der Bild-Zeitung (07.01.14): „Bei uns leben inzwischen rund 10.000 Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien – überwiegend Menschen aus der Volksgruppe der Roma. Leider sind sie oft ohne berufliche Qualifikation und bildungsfern bis zum Analphabetismus. Sie haben so gut wie keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Deswegen ist eine Hartz-IV-Quote von knapp unter 40 Prozent bei den offiziell Gemeldeten nicht verwunderlich.“

Angst vor »Armutsflüchtlingen«

Die Angstkampagne vor so genannten Armutsflüchtlingen zeigt Wirkung. Bild am Sonntag berichtet über eine von ihr in Auftrag gegebene Umfrage des Kölner Meinungsforschungsinstituts YouGov. Danach „sprechen sich 80 Prozent der Befragten dagegen aus, dass Zuwanderer bei sozialen und familienpolitischen Leistungen sofort mit Deutschen gleichgestellt werden […] 71 Prozent unterstützen die Forderung, dass Leistungen wie das Kindergeld an Zuwanderer erst nach einer Wartezeit von mindestens einem halben Jahr gezahlt werden […] jeder zweite Deutsche [ist] besorgt über Zuwanderer aus Osteuropa.“ (BAMS 05.01.14)

Gegenwind

Angesichts solcher Umfragen mag es überraschen, dass alle (durchgesehenen) Tageszeitungen die CSU-Kampagne kritisieren. Einige der Überschriften: „Wider den Populismus“ (Handelsblatt 06.01.14), „Armutszuwanderung klingt pervers“ (BAMS 05.01.14), „Einwanderer? Ein Segen“ (Welt am Sonntag 05.01.14), „Unwürdiger Debattenstil“ (Stuttgarter Zeitung 04.01.14).

Weniger überraschend ist die Argumentation. Einerseits wird registriert, dass die ganz große Mehrheit zu uns kommt, um zu arbeiten, dementsprechend niedrig sind die Arbeitslosenzahlen. „Im November waren in Deutschland 15.000 Rumänen und Bulgaren arbeitslos […] Für die beiden Nationalitäten beträgt die Quote nur 7,4 Prozent, […] niedriger als jene der Gesamtbevölkerung (7,7 Prozent).“ (Süddeutsche Zeitung 04.01.14)

Häufig wird darauf hingewiesen, dass wir Fachkräfte brauchen. „Viele deutsche Krankenhäuser und Altersheime […] wären ohne Ärzte und Pfleger aus Osteuropa und dem Rest der Welt schon jetzt längst zusammengebrochen.“ (taz 03.01.14) Es geht „uns erstaunlich gut, nicht zuletzt dank Hunderttausender qualifizierter Einwanderer aus EU-Mitgliedsländern, die mehr als manch eingeborene Bundesbürger täglich damit befasst sind, das Bruttosozialprodukt zu steigern“ (Welt am Sonntag 12.01.14). Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner, im Handelsblatt (06.01.14): „[…] ein Zugang von qualifizierten Fachkräften in allen Bereichen des Wirtschaftslebens, nicht zuletzt in der Bauwirtschaft oder im Dienstleistungsgewerbe, [wird] Vorteile mit sich bringen“.

Die Zuwanderer „finanzieren unter anderem das teure deutsche Rentensystem mit, haben aber selbst […] wenig von der Alterssicherung zu erwarten […] Gesamtwirtschaftlich sind die Zuwanderer so ein Zugewinn. Auch weil ihre Ausbildung – 65 Prozent von ihnen haben mindestens eine Berufsausbildung absolviert – nicht von den deutschen, sondern rumänischen und bulgarischen Steuerzahlern finanziert wurde.“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 05.01.14)

Feindbild Roma

Der alltägliche Rassismus, den die CSU mit dieser Kampagne befördert, wird dagegen seltener aufgegriffen. Wer „prophezeit, mit der vollen Freizügigkeit […] drohe ‚fortgesetzter Missbrauch […] durch Armutseinwanderung’, will in Wirklichkeit sagen: Roma wollen wir hier nicht. Das ist der in unsichtbarer Tinte geschriebene Untertitel der Debatte.“ (Die Zeit 02.01.14) Der Freitag (09.01.14) zitiert den Ex-Vorsitzenden des Sachverständigenrates der Stiftung für Integration und Migration, Klaus Bade: Mit der „Schmähformel […] ‚Wer betrügt, fliegt’ […] versucht die CSU die NPD rechts zu überholen, die mit Wahlslogans wie ‚Geld für die Oma, nicht für Sinti und Roma’ wirbt. Beides ist Kulturrassismus pur […] und ]stellt] die denunziativen ‚Ausländerdiskussionen’ zu Wahlkampfzeiten in früheren Jahrzehnten in den Schatten.“

Die FAZ (03.01.14) stellt den Zusammenhang zwischen den Wahlen zum EU-Parlament sowie den Kommunalwahlen in Bayern und der Kampagne her. Angesichts der AfD gehöre es zum Selbstverständnis der CSU, „rechts von sich keine Konkurrenz entstehen lassen“ zu wollen.

Wie weiter?

„Deutschland […] ist angewiesen auf den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte, soll seine Wirtschaft weiterhin eine führende Rolle in der Welt spielen […] Deshalb birgt die Debatte über ‚Armutszuwanderung’ erhebliche Gefahr“, warnt die FAZ (04.01.14) Doch die Debatte ist nicht vom Tisch. Die große Koalition hat einen Staatssekretärsausschuss eingesetzt, der sich des Themas annehmen soll. Dazu der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU): „Die Arbeitsgruppe sollte praxistaugliche Vorschläge erarbeiten, die sicherstellen, dass aus der Freizügigkeit für Arbeitnehmer der EU keine Freizügigkeit bei der Zuwanderung in unsere Sozialsysteme wird.“ (Freitag 09.01.14)

Das erinnert an die Debatte um die Maut: Ja zum EU-Recht – aber nur so lange, wie es uns nutzt. Die CSU wird’s freuen.

Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/1 Konfliktdynamik im »Globalen Norden«, Seite 4