W&F 1984/2

Wer den Weltraum beherrscht, beherrscht die Erde

von Jürgen Scheffran

John F. Kennedy, der diesen Satz prägte, dachte dabei schon an die militärische Nutzung des Weltalls. Seit der „Star-Wars“-Rede von Ronald Reagan am 23. März 1983 bekommt dieser Satz einen weit gefährlicheren Klang. Die Militarisierung des Weltraums soll den entscheidenden Durchbruch zu Erlangung der Erstschlagsfähigkeit bringen. Selbst treue NATO-Verbündete der USA scheinen auf Distanz zu gehen. Die Weltraumrüstung wird zum „Thema der nächsten Jahre“.(Wörner)

„Mondrakete? - Das wird ein Ferngeschütz!“

Dieser Satz, ausgesprochen vom Leiter der „Chemisch-Technischen Reichsanstalt“ Ritter an den um Unterstützung suchenden Raketentechniker Rudolf Nebel im Juli 19301, markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Raumfahrt und drückt auf drastische Weise das Spannungsverhältnis zwischen friedlicher und militärischer Weltraumnutzung aus. Zwar wurden zu allen Zeiten raketenähnliche Geschosse auf Feinde abgefeuert, doch waren die Höhenraketen, mit denen die „Väter der Raumfahrt“, der Russe Ziolkowski, der Amerikaner Goddard und der Deutsche Oberth ihre Träume einer Reise zu den „Planetenräumen“ zu verwirklichen suchten, ein Sprung nach vorn. Kämpften die als Phantasten verschrieenen Pioniere noch mit großen finanziellen Schwierigkeiten, so hatten ihre deutschen Nachfolger bessere Bedingungen, allerdings erst nachdem sie das Militär, das den Versailler Vertrag umgehen wollte, auf ihrer Seite hatten. Dieser Pakt zwischen Wissenschaft und Militär, personifiziert in Gestalt des Forschers Wernher von Braun und des Offiziers Walter Dornberger (vergleichbar dem Paar Oppenheimer - Grooves beim Bau der ersten Atombombe)2, brachte zunächst nicht Raketen zum Mond hervor, sondern Vernichtungswaffen. Trotz gelegentlicher Verständnisschwierigkeiten mit der politischen Führung unter Hitler, die erst angesichts der bevorstehenden Niederlage auf solche Wunderwaffen setzte3, gelang am 3. Oktober 1942 auf der Versuchsstation Peenemünde mit dem Aggregat 4 (später V 2) die erste erfolgreiche Berührung mit dem Weltraum in 85 km Höhe4. Dies wurde möglich durch eines der ersten wissenschaftlichen Großprojekte der Geschichte (18 000 Beschäftigte, darunter 5000 Wissenschaftler) und eine Massenfertigung, die Tausende von KZ-Häftingen das Leben kostetet.

Nach dem Krieg entwickelten die deutschen Raketenwissenschaftler - wegen ihres know hows kurzerhand in die USA entführt - im Redstone Arsenal der Army in Huntsville die V2 zu den Interkontinentalraketen weiter. Sie waren wie die gesamte westliche Welt überrascht, als die Sowjetunion am 4.10.1957 den Start ihres ersten Satelliten Sputnik zum geophysikalischen Jahr bekanntgab und damit ihre angebliche Rückständigkeit widerlegte. Dieser Prestigeverlust durfte nicht hingenommen werden. Eilig schickte die Gruppe um von Braun ihren Explorer-Satelliten mit einer Redstone-Rakete hinterher, ein Programm MISS (Man in Space Soonest) wurde gestartet. Trotzdem war der erste Mensch im Weltraum ein Russe (Gagarin). Darauf startete Kennedy das Apollo-Mondlandeprogramm. Für das Militär hatte das russische Raumfahrtprogramm lediglich „düstere Implikationen“- angeblich soll sogar ein „Zittern durch das Pentagon“ gegangen sein, angesichts der roten Gefahr im Weltraum, obwohl der Sputnik kaum eine militärische Bedeutung hatte. Dornberger forderte in einem Bericht „Die nächsten zehn Jahre im Weltraum 1959-1969“ ein ganzes Arsenal von Weltraumwaffen und folgerte: „Wie diese Waffensysteme letztlich aussehen und bis zu welcher Höhe sie operieren werden, weiß ich noch nicht, aber ich weiß, daß wir sie früher haben müssen als unser potentieller Gegner.“ 5

In der Folgezeit wurde dieses Arsenal schrittweise realisiert. Die Aufklärungssatelliten Discoverer und SAMOS, die IDCSP Kommunikations- und die Transit-Navigationssatelliten standen ganz am Anfang.

Die Sowjetunion folgte bei all diesen Systemen mit mehrjährigem Rückstand, nachdem ihr Vorschlag eines vollständigen Verbots aller Rüstung im Weltraum abgelehnt wurde. Immerhin konnte in einem allgemein günstigen Klima der Weltraumvertrag von 1967 verabschiedet werden. Der Vertrag beschränkte sich jedoch auf Massenvernichtungswaffen. Satelliten allein genügten den US-Militärs nicht, es sollten auch Waffen sein. Doch zwei Ereignisse verhinderten vorerst Schlimmeres: das Prestigeobjekt Apollo der NASA und der Vietnam-Krieg. Enorme Summen mußten hierfür aufgebracht werden; für kostspielige Weltraumprogramme der Militärs - wie das SAINT-Antisatellitensystem, das Kampfraumschiff X 20 oder das bemannte Orbitallabor (MOL) - war kein Geld übrig. (Siehe Tabelle am Ende des Beitrags).

Der Übergang von der Entspannnungs- zu einer neuen Konfrontationspolitik in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verschaffte den Weltraumplänen eine neue Chance. Der „gesellschaftliche Abstieg“ der NASA nach dem abgeschlossenen Mondprojekt wurde genutzt, um die zivile NASA für militärische Zwecke einzuspannen. Die Raumfähre Space Shuttle, ein Nachfahre des Orbitalbombers Eugen Sängers im 2. Weltkrieg und von X 20 wurde in enger Abstimmung mit den Militärs geplant. Etwa die Hälfte der zukünftigen Starts bleibt dem Pentagon überlassen6.

Neue Technologien - Neue Waffen

Weltraumtechnologie ist Spitzen- und Großtechnologie zugleich. Daher gilt für sie in besonderem Maße, was für die technologische Entwicklung insgesamt gilt: Durchbrüche im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, von der Grundlagenforschung bis zur anwendungsorientierten Forschung, fuhren in der gegenwärtigen weltpolitischen Konstellation und bei der engen Verflechtung von Wissenschaft und Militär zu Durchbrüchen in der Waffentechnik, die die Kriegsgefahr zusätzlich erhöhen.

Waffensysteme mit neuen Qualitäten fördern den Rüstungswettlauf und begünstigen neue militärische und politische Strategien, die einen Vorteil in der Offensive sehen. Qualitative Sprünge im Bereich der Weltraumtechnologie sind in absehbarer Zeit auf folgenden Gebieten zu erwarten:7

- An erster Stelle ist hier die Mikroelektronik zu nennen, die durch den Prozeß der Miniaturisierung die Verarbeitung großer Informationsmengen mit Hilfe geeigneter Software in kürzester Zeit ermöglicht.

- Eng damit verbunden sind Fortschritte in der Halbleiterphysik, die u.a. Verwendung findet in Detektoren, Infrarotsuchsystemen und Solarzellen.

- Besonders gravierende technologische Umwälzungen werden vom Laser erhofft.

Da das gesamte Gebiet der Weltraumrüstung inzwischen fast unüberschaubar geworden ist, sei auf eine begriffliche Klassifikation von Din verwiesen8, die auch für eine vertragliche Regelung nützlich ist. Er unterscheidet grob zwischen direkten Waffen mit einem grundlegenden destruktiven Mechanismus und indirekten Waffen zur Verarbeitung militärischer Information im weitesten Sinne. Die direkten Waffen gliedern sich weiter in konventionelle Waffen (Anti-Satelliten, Interkontinentalraketen, Raumfähre) und unkonventionelle Waffen (Strahlenwaffen, bemannte Raumstationen), die indirekten Waffen in Kriegsführungssysteme (Navigation und Kommunikation) und informationssammelnde Systeme (Überwachung und Beobachtung im weitesten Sinn). So problematisch eine solche Einteilung auch sein mag, erleichtert sie doch die wissenschaftliche Analyse.

Satelliten im C3I - System

Das Kernstück der militärischen Weltraumnutzung ist das C3I-System (Command, Control, Communication, Intelligence), das als eine Art militärisches Nervensystem vor allem eine Aufgabe hat: die Gewinnung, Weitergabe und Verarbeitung von Information zwischen „Kopf“ (Entscheidungsträger) und „Ausführungsorganen“ (Waffen, Soldaten) des militärisch-politischen Komplexes. Träger dieses C3I-Systems sind in wachsendem Maße Satelliten, deren Bahnen wie ein Netz den gesamten Globus umspannen und die nach folgenden Funktionen unterschieden werden: 9 10 11 Überwachungssatelliten (etwa 55%) liefern das Wissen über das Können und die Absichten des Gegners und stellen damit die militärisch-logische Ausdehnung des Feldherrnhügels früherer Zeiten auf den Weltraum dar, von dem aus erstmals eine vollständige Erfassung der gesamten Erde möglich ist. Die Benutzung der gewonnenen Information macht auch ihren Doppelcharakter aus:

sie kann sowohl zur besseren Kriegsführung im Hinterland des Gegners (eine Voraussetzung für die Air Land Battle Doktrin), als auch zur Vertragskontrolle (z.B. Teststopp-Abkommen, SALT) verwendet werden.

Überwachungssatelliten bieten fast unglaubliche Möglichkeiten der Beobachtung und Kontrolle aller erkennbaren Vorgänge auf der Erde. Das größte Hindernis für einen „Großen Bruder“ im Weltraum regt allerdings in der Schwierigkeit begründet, die große Menge anfallender Information auszuwerten. Neuere Entwicklungen (Mustererkennung, Supercomputer) lassen auch hier nichts mehr unmöglich erscheinen.

Da die Aufnahmequalität der Aufklärungssatelliten mit der Höhe der Umlaufbahn abnimmt, wurden zwei sich ergänzende Aufnahmeverfahren entwickelt: das „Area Surveillance System“ (ASS) zur schnellen Großraumüberwachung mittels elektronischer Abtastung und das „Close Look System“ (CLS) zur detaillierten Objektfotographie. Die amerikanische Keyhole Reihe aus Großsatelliten von mehreren Tonnen (Big Bird, KH II) vereinigt beide Prinzipien. Mit der angeblich besten erreichten Auflösung von etwa 10 Zentimetern (Tennisballgröße) aus 160 km Höhe sollen Fahrzeugtypen, Raketen und sogar Zivilpersonen identifizierbar sein. Eine wesentliche Aufgabe besteht darin, Zielkataloge für Raketen zu bestimmen, insbesondere auch für Pershing II und Cruise missile. Mit Hilfe spezieller Ozean-Überwachungssatelliten soll durch Radargeräte die weltweite Kontrolle aller Schiffsbewegungen unter und Über Wasser gewährleistet werden. Infrarotsensoren mit hoher Temperatur-Auflösung (angeblich bei 0,01° C) eignen sich zur Lokalisierung getauchter U-Boote aufgrund der Verwirbelung warmer Wasserschichten. Elektronische Ferret-Satelliten können Radar- und Funkverkehr abhören. Eine stabilisierende Rolle wird den Frühwarnsatelliten zugeschrieben, da sie aus großer Höhe mit Hilfe von Infrarot-Sensoren die heißen Abgase startender lnterkontinentalraketen erfassen und die Vorwarnzeit gegen einen nuklearen Überraschungsangriff von 15 auf 30 Minuten verdoppeln. Die Entwicklung ganzer Felder aus tausenden solcher Sensoren (sog. charged coupled devices - CCD) ermöglicht eine genaue Lokalisierung der Raketen - aber auch für die geplanten Laserkampfstationen!

Die Informationen aller Frühwarnsysteme der USA laufen im „Intergrated Ballistic Missile Early Warning System“ (IMEWS) zusammen und werden im strategischen Lagezentrum NORAD von einem Großrechner ausgewertet.

Daß Satelliten für Wettervorhersagen und Erdvermessung eingesetzt werden, ist bekannt. Weniger bekannt ist die Verflechtung mit militärischen Interessen. So ist wegen der Wetterabhängigkeit vieler Waffensysteme (Laser, Sensoren) die Vorhersage (und Manipulation'?) des Wetters in globalem Maßstab wichtig. Die USA betreiben zusätzlich zu den zivilen Programmen ein „Defense Meteorological Satellite Programm“ (DMSP), das auf zwei Satelliten in 800 km Höhe basiert. Die größte Bedeutung der Satelliten-Geodäsie liegt darin, Geländerkenntnisse für selbstlenkende Flugkörper wie Pershing II und Cruise missile zu liefern und damit die Zielgenauigkeit zu erhöhen.

Um in einem globalen Krieg den Einsatz sämtlicher eigener Mittel zu koordinieren, muß ihre Position bekannt sein. Die USA beabsichtigen durch ihr Global Positioning System (GPS) aus 18 NAVSTAR-Satelliten dieses Problem noch in den achtziger Jahren vollständig zu lösen. Die durch Atomuhren extrem genau synchronisierten Signale mit zwei Frequenzen und zwei Geheimcodes können über entsprechend geeignete Benutzergeräte von Zehntausenden zivilen und militärischen Bedarfsträgern im gesamten Erdbereich empfangen und in eine höchstgenaue Orts-, Zeit- und Geschwindigkeitsbestimmung umgesetzt werden.12 Während ausgewählten militärischen Benutzern eine Ortsgenauigkeit von einigen 10 Metern zugestanden wird, müssen sich zivile Benutzer mit der absichtlich schlechteren Genauigkeit von einigen 100 Metern zufrieden geben. Da selbst diese Genauigkeit dem Pentagon noch zu hoch ist, behält es sich vor, Fremdbenutzern die Erlaubnis zu verweigern, was für die Europäer, die doch im Geschäft mit den Benutzergeräten voll beteiligt sind, einige Unsicherheiten schafft.13 Sie setzen deiner neuerdings allerdings auf ein ähnlich klingendes eigenes NAVSAT-System.14 Neben verschiedenen speziellen Benützergeräten gibt es auch ein besonderes kompaktes, das in den Kopf einer Rakete eingebaut werden kann und damit selbst alte Raketen oder U-Boot-Raketen erstschlagfähig macht.

Am unübersichtlichsten ist der Bereich der Kommunikations- und Nachrichtensatelliten, gerade auch weil hier zivile und militärische Aufgaben ineinanderfließen. Sie sind eine unbedingte Voraussetzung für eine schnelle, effiziente und zuverlässige Kriegführung über weite Gebiete, wie sie Air Land Battle fordert.

Die USA erproben seit 1979 die dritte Generation ihres Defense Satellite Communication System (DSCS III) mit erheblich gesteigerter Speicher- und Übertragungskapazität. Air Force (AFSATCOM) und Navy (FLISATCOM) benutzen ihre eigenen Nachrichtensatellitensysteme. Letzteres verbessert die Kommunikation zwischen Schiffen, U-Booten und Bodenstationen und gefährdet durch eine effektive und schnelle integrierte U-Boot-Verfolgung und -Bekämpfung auf die Zweitschlagskapazität auf See. Alle diese Systeme sind in das „Worldwide Military Command and Control System“ WWMCS) einbezogen, das auch zivile und kommerzielle Einrichtungen enthält (z.B. INTELSAT Comsat), die im Ernstfall als Reserve herangezogen werden können. Da einerseits die verwendeten Frequenzbänder begrenzt sind und sich überlappen und andererseits die besonders günstige geostationäre Umlaufbahn fast überfüllt ist, sind in Zukunft Auseinandersetzungen mit aufstrebenden Weltraumnationen gerade auch aus der 3. Welt zu erwarten.15 Die Europäische Raumfahrt-Agentur (ESA) mit dem ETS-Satelliten sowie die deutsche Bundespost mit ihrem Fernsehsatelliten haben sich bereits günstige Plätze gesichert.

Im Übergangsbereich zwischen indirekten und direkten Waffen befindet sich die Raumfähre Space Shuttle, Als wiederverwendbarer Raumtransporter konzipiert, dient sie dem Aufbau komplexerer Strukturen im Weltraum wie der geplanten Raumstation oder den Laserkampfstationen sowie zur Erprobung militärischen Geräte (Infrarot-Instrumente, Zielvorrichtungen für Laserwaffen). Ähnliches gilt auch für benannte Raumstationen wie die sowjetische Salyut oder die geplante amerikanische Raumstation. Ein militärischer Mißbrauch selbst einer zivilen Anlage ist schwierig zu kontrollieren.

Anti-Satelliten-Waffen

Das C3I-System ist von höchster Komplexität und dementsprechend anfällig gegen interne und externe Störungen. Zu den internen Störungen gehören Computerfehler durch den Ausfall der Elektronik oder Programmierfehler, das Versagen der Trägermittel (Verglühen, Kollision von Satelliten), eine Selbststörung der Kommunikationssysteme durch Überlagerung der Frequenzbänder und nicht zuletzt menschliches Versagen. Externe Störungen können durch (Natur)Katastrophen, Sabotage und schließlich durch direkte Waffen hervorgerufen werden, auf die im folgenden näher eingegangen werden soll.16 Unter Anti-Satellitenwaffen (ASAT) versteht man ganz allgemein boden-, luft- oder weltraumgestützte Systeme mit der Aufgabe, gegnerische Satelliten zu zerstören oder an der Erfüllung ihrer Mission zu hindern. Dabei wurden in den USA folgende Möglichkeiten diskutiert: Entfernung von Teilen und Kidnapping durch Raumfähren, Schädigung der Elektronik und Sensoren durch Strahlung von Lasern und Nuklearexplosionen (EMP), Ablenken aus der Flugbahn und Verglühen, Raumminen, Explosionsladungen und Schrappnell-Geschosse, Kollision mit Killer-Satelliten (Interzeptor-Methode) und mit kleinen Lenkraketen. Bisher haben zwar beide Großmächte ASAT-Verfahren getestet, doch besitzt bis jetzt keine Seite ein funktionsfähiges System, das für die Gegenseite eine ernsthafte Gefahr bedeuten würde. Die Thor-Raketen der US-Air Force, von 1964 bis 1975 einsatzbereit gehalten, hätten mit einer Nuklearexplosion im Weltraum ihre eigenen Satelliten gleichermaßen außer Kraft gesetzt. Die Orbital-Annäherungstests der UdSSR, die seit 1968 mit speziellen Kosmos-Satelliten durchgeführt wurden, blieben recht erfolglos und erscheinen wegen des hohen Aufwandes wenig wirkungsvoll.17 Demgegenüber müssen die in Entwicklung und Test befindlichen neuen und erheblich leistungsfähigeren ASAT-Systeme der USA als ernsthafte Bedrohung für sowjetische Satelliten angesehen werden, gerade auch weil die UdSSR im Vergleich zu den USA erheblich mehr strategisch wichtige Satelliten in niedrigeren Umlaufbahnen plaziert hat. Es handelt sich bei dem ASAT-Programm „Prototype Miniature Air Launched System“ (PMALS) im wesentlichen um eine von hochfliegenden F-15 Kampfflugzeugen aus abgeschossene Zwei-Stufen-Kleinrakete mit einem etwa 10 cm langen Gefechtskopf „Miniature Homing Vehicle“ (MHV), der über einen wärmesuchenden Sensor den Satelliten anfliegt und durch Kollision zerstört. Jüngsten Berichten zufolge wurde die erste Rakete am 21.1.1984 im Flug getestet. Bis 1987 soll die operationelle Fähigkeit vorhanden sein: 28 MHV in einer ersten Phase, 112 in der zweiten Phase. Gegenwärtig werden die Kosten auf 3,6 Mrd. Dollar geschätzt, einschließlich der gesamten Infrastruktur auf mehrere 10 Mrd. Dollar. Zusätzlich sind bereits fortgeschrittene Versionen in Entwicklung: AMALS und AMGLS bis zum geostationären Orbit in 36 000 km Höhe. Das besondere an diesem Verfahren ist die hohe Flexibilität, Geschwindigkeit und Reichweite, die kurze Vorwarnzeit von wenigen Minuten, die große Wirksamkeit, die Möglichkeit des Masseneinsatzes, die relativ zuverlässige Technologie und die Schwierigkeit der Verifikation. Dadurch könnte erstmals die Möglichkeit zu einem umfassenden koordinierten ASAT-Masseneinsatz in allen relevanten Höhen und Umlaufbahnen im Rahmen eines Erstschlags geschaffen werden.18 Die Situation wird noch dadurch komplizierter, daß es schwierig ist, den Ausfall eines Satelliten zu interpretieren: war es ein Unfall oder ein Angriff? Eine solche Situation könnte angesichts der strategischen Bedeutung von Satelliten in einer Krisensituation leicht zum Atomkrieg führen.

Um angesichts solcher Aussichten die Überlebensfähigkeit der eigenen Satelliten zu erhöhen, werden verschiedene Möglichkeiten der Härtung von Satelliten erforscht. In Frage kommen z. B. die Abschirmung von Sensoren und Elektronik gegen EMP und Laserblendung, die Verwendung kodierter Frequenzen, Radar-Detektoren und Wärmesensoren zum Feststellen eines Angriffs, Ausweichmanöver und Veränderung der Umlaufbahn, Erhöhung der Satellitenzahl und redundante Mehrfachstrukturen, Scheinsysteme und schließlich Verteidigungssatelliten (DSAT). Ein Rüstungswettlauf mit ASAT-Maßnahmen und Gegenmaßnahmen würde für beide Seiten ernsthafte Gefahren mit sich bringen und die Gefahr eines Atomkrieges weiter erhöhen.

Da bislang noch kein bedrohliches ASAT Potential existiert, muß die Entwicklung jetzt gestoppt werden. Den beiden Vertragsentwürfen des Physikers R.Garwin 19 Lind der UdSSR 20 steht die Reagan-Regierung ablehnend gegenüber, u.a. wegen angeblich ungenügender Kontroll- und Verifikationsmöglichkeiten.21 Dagegen argumentiert ein aktueller Bericht der Federation of American Scientists, daß gegenwärtig eine Überprüfung eines ASAT-Verbots noch möglich ist, solange die USA auf ihr schwierig nachweisbares System verzichtet.22 Daher ist die dringendste Forderung ein Moratorium oder Freeze für ASAT-Programme.

Systemtyp/Jahr der Einführung USA UdSSR
Communications satellites 1958 1964
Photographic reconnaissance satellites 1959 1962
Navigation satellites 1959 1970
Meteorological satellites 1960 1963
Electronic reconnaissance satellites 1962 1967
Geodetic satellites 1962 1968
Anti-satellite systems 1963 1967
Early-warning satellites 1966 1967
Ocean-surveillance satellites 1971 1967
Die Schritte der UdSSR waren, mit Ausnahme der Ozeanüberwachungssatelliten, Gegenreaktionen.

NASA - Forschung für das Department of Defense

Eine Analyse des Research and Development-Haushalts der NASA zeigt, daß ein beträchtlicher Teil der hier aufgewandten Mittel militärischen Zwecken dient. Bei einer Aufgliederung des Forschungs- und Entwickungsbudgetvorschlags 1983 der NASA, die zwischen ziviler Forschung, militärischer Forschung und einer dritten, beiden Bereichen zugeordneten Kategorie unterscheidet, ist der amerikanische Bundesrechungshof GAO) zu folgendem Ergebnis gekommen: nur noch 71,8 % des NASA-Budgets gelten ziviler Forschung, doch bereits 1,1 Milliarden Dollar etwa 20,5 % des Budgets der NASA werden für ausschließlich militärische Weltraumforschung ausgegeben; weitere 7,7 % des Budgets dienen sowohl militärischer als auch ziviler Forschung. Die NASA selbst dagegen gibt ihren Anteil an militärischer Forschung mit nur 0,1 % an. Sie geht andererseits davon aus, daß 66,3% der NASA-Mittel ziviler und militärischer Forschung dienen. (Analysis of NASA's Fiscal Year 1983 Budget Request for Research and Development to Determine the Amount that Supports DoD's Programs, MASAD-82-33, GAO, Washingtom 1982).

Anmerkungen

1 F.Seibert, Zu den Sternen -wohin sonst? Raumfahrt und Raketentechnik der Weltmächte, Dortmund 1982 Zurück

2 A. Rost, Als Raketen fliegen lernten, GEO-Special Weltraum 8/1983 Zurück

3 R. W. Reid, Wissenschaft und Gewissen. Forscher im Dienst der Rüstung, München 1972 Zurück

4 W. Büdeler, Zum Tode von Wernher von Braun, bild der wissenschaft 7/1977 Zurück

5 D. Ritchie, Space War - Der Krieg im Weltraum hat schon begonnen, Kabel-Verlag 1983 Zurück

6 T. E. Bett, Americas Other Space Programm, The Sciences, Dez.1979, S. 6 Zurück

7 Altmann, J,. Scheffran, J., Ist militärische Überlegenheit erreichbar? Die neuen Rüstungstechnologien, in: Dürr, H.-P. u. (Hrsg.), Verantwortung für den Frieden, Reineke bei Hamburg, 1983. Zurück

8 Din, A.M., Steps towards a Demilitarization of Outer Space; in Transnational Perspectives, Vol. 9, No. 3, 1983. Zurück

9 Es sei hier nur auf drei Übersichtsquellen verwiesen: Jasani, B., SIPRI-Yearbook: Outer Space - Battlefield of the Future? London and New York, 1978. Zurück

10 Engels, D., Militarisierung des Weltraums, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/1984, S. 288. Zurück

11 Wandzeitung Nr. 3 des Forums Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung: Militarisierung des Weltraums.Zurück

12 Parkinson, B.W.,Gilbert, S.W., NAVSTAR: Global Positioning System - Ten Years Later, Proc. of the IEEE, Sonderheft zu „global navigation system“, oct. 1983, S. 1177. Zurück

13 Sundaram, G.S., GPS Navstar, in: Internat. Weltrevue 7/1979. Zurück

14 Lane, H.A., The NAVSAT Aeronavigation System in: esa-bulletin, no. 33, february 1983, S. 18. Zurück

15 Scheffran, J., Das verwundbare Netz - Satelliten im Dienste des Krieges, in: Chips + Kabel, April 1984.Zurück

16 Noll, G., Überwachungs- und Informationssysteme, Satelliten, in: Physik und Rüstung, Marburg, 3. Auflage 1983.Zurück

17 Meyer, S., Anti-Satelliten-Weapons and Discentives from Soviet and American Perspectives, International Journal, Vol. 6, No. 3, 198 1.Zurück

18 Scheffran, J., Anti-Satelliten-Waffen, erscheint in der Broschüre des Forums Naturwissenschaftler für den Frieden und Abrüstung über die Militarisierung des Weltraums.Zurück

19 Garwin, R., Keine Waffen ins All, Vertragsentwurf in: Dürr u. a., a. a. O., 1983. Zurück

20 Vertragsentwurf in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/1983. Zurück

21 Reagan gegen Stopp der Weltraumrüstung, Frankfurter Rundschau vom 4.4.1984. Zurück

22 Pike, J., Space Weapons Race - Stop it now, F.A.S. Public Interest Report, nov. 1983. Zurück

Jürgen Scheffran ist Diplomphysiker in Marburg

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/2 1984-2, Seite