Westpapua
Am Rande Indonesiens, abseits der Nachrichten
von der Koordinationsstelle des Westpapua-Netzwerk
Der Konflikt in Westpapua ist seit über 60 Jahren ein vergessener Konflikt. Eine fortgeführte Kolonialisierung, ein Versagen der internationalen Politik und geopolitische sowie ökonomische Interessen steuern die (Un-)Sichtbarkeit des Konflikts. Verbunden ist dies alles mit nationaler politischer Propaganda und der Kontrolle über Informationen, Medien und dem durch die indonesische Regierung erschwerten physischen Zugang in die Region – auch unter Anwendung von Druck und Gewalt sowie der Steuerung der lokalen Politik.
Westpapua ist die östlichste Region Indonesiens und umfasst die westliche Hälfte der Insel Neuguinea, die in ihrem östlichen Teil den Nachbarstaat Papua-Neuguinea umfasst. Nach dem Ende der niederländischen Kolonialzeit strebte die indigene Bevölkerung die Gründung eines unabhängigen Staates an. Dies widersprach jedoch den Plänen des damaligen indonesischen Staatspräsidenten Sukarno, der 1961 dazu aufrief, Westpapua an Indonesien anzugliedern, und Truppen nach Westpapua entsandte. Unter Druck der USA, die im Kalten Krieg in Indonesien einen Verbündeten suchten, und unter Mithilfe der UN wurde im August 1962 das New Yorker Abkommen zwischen den Niederlanden und Indonesien unterzeichnet. Nach einer Übergangsverwaltung durch die UN sollte Westpapua an Indonesien übertragen werden. Ein in dem Abkommen vereinbartes Referendum über die Staatenzugehörigkeit Westpapuas wurde 1969 unter Androhung von Zwang und Gewalt und mit etwa 1.000 handverlesenen Stimmberechtigten abgehalten.
Das Ergebnis war eine Zustimmung zum Anschluss an das indonesische Staatsgebiet. Dieser »Act of Free Choice« wird seitdem als »Act of No Choice« bezeichnet. Trotz der offensichtlichen Manipulation wurde das Referendum von der UN anerkannt. In der Zwischenzeit hatte Sukarnos Nachfolger Suharto seine Militärdiktatur auch in Westpapua etabliert. Führende Papua wurden aus ihren Ämtern entfernt – wer nicht fliehen konnte, wurde ermordet. Schriften über die Geschichte Westpapuas sowie niederländische Schulbücher wurden systematisch vernichtet, Häuser wurden geplündert und Kulturgüter geraubt.
Zehntausende Papua wurden seitdem Opfer zahlloser und immer noch anhaltender Menschenrechtsverletzungen. Eine fortschreitende Militarisierung1, Gewalt gegen die indigene Zivilbevölkerung, eine Abholzung des Regenwaldes und eine nicht endende rassistische Diskriminierung der indigenen Papua kennzeichnen den Konflikt noch heute. Gleichzeitig ist er jedoch in aktuellen (eurozentrischen) Debatten kaum sichtbar und außenpolitische Interessen sowie innenpolitisch geförderte Stigmata hindern einen friedlichen Konfliktlösungsprozess.
Die Frage nach einer politischen Unabhängigkeit Westpapuas ist der Ursprung des Konflikts. Die koloniale Vergangenheit Westpapuas bildet dabei den kontextuellen Rahmen. Noch immer bezeichnen viele Papua die Zugehörigkeit Westpapuas zum indonesischen Staatsgebiet als fortgeführte Kolonialisierung. Über die Jahrzehnte hat die Anzahl an Akteur*innen und deren Interessen an und in Westpapua jedoch weiter zugenommen, wodurch sich die Komplexität des Konflikts erhöht hat. Identitätspolitik, die weiterhin mobilisierenden Charakter im Konfliktgeschehen in Westpapua hat, wurde um ökonomische Fragen erweitert.
Der Ressourcenfluch Westpapuas
Westpapua beherbergt große Vorkommen an Gold, Kupfer und anderen Erzen. Noch unerschlossene Gasvorkommen, tropische Hölzer und das Potenzial für große Agrarflächen sind für nationale und internationale Bergbau- und Agrarkonzerne besonders reizvoll und resultieren in einem starken wirtschaftspolitischen Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo. Dessen vielversprechende Erträge lassen den indonesischen Staat seit über 60 Jahren massive Investitionen in Militär, Polizei und Infrastruktur vornehmen. Indigene Papua, die daran Kritik äußern, werden als Separatist*innen betitelt und mit dem Vorwurf des Hochverrats belegt.2
Dennoch scheint ein tatsächliches »Gewinnen«, und damit ein Ende des Konflikts in Westpapua, gar nicht das Ziel des indonesischen Staates zu sein. Vielmehr wird durch eine dauerhafte Gewaltspirale ein Umfeld geschaffen, das die Erreichung anderer Ziele begünstigt. Denn solange der indonesische Staat Militär nach Westpapua schickt und die Zivilbevölkerung einschüchtert oder auch Gewalt an ihr verübt, wird es (gewaltsame) Gegenreaktionen geben. Dies wiederum schafft eine Rechtfertigung für weiteres Militär, welches dann aber auch für andere Zwecke eingesetzt wird.
In Westpapua geht es also nicht mehr darum, mithilfe des Militärs den Konflikt zu lösen, sondern diesen immer wieder neu anzufachen, um durch vermehrte Militärpräsenz das mittlerweile primäre Ziel des wirtschaftlichen Gewinns in Westpapua abzusichern. So unterstützt das Militär derzeit auch Regierungsprogramme zur Ernährungssicherheit in Westpapua oder sichert andere wirtschaftliche Aktivitäten ab. Der Ressourcenreichtum Westpapuas kann mit Blick auf den Konflikt daher eher als Ressourcenfluch bezeichnet werden, der Gier, Korruption, Missstände und eine Schattenökonomie als negative Folge der Globalisierung fördert. Solange internationale Akteur*innen weiterhin ein Interesse an schnellem Extraktivismus haben, mit wenig Investment und großem Gewinn, fördert die Globalisierung als struktureller Faktor den Konflikt in Westpapua und bremst im scheinbaren Widerspruch dazu gleichzeitig seine Sichtbarkeit.
Horizontaler Konflikt
Seit Konfliktbeginn wird die Asymmetrie des Konflikts aufrechterhalten. Identitätspolitik wird dafür als treibender Motor weiterhin gezielt eingesetzt. Ein wichtiges Mittel ist hierbei, die Stimmen der indigenen Papua verstummen zu lassen. Seine Anfänge hatte dies mit dem Transmigrasi-Programm der indonesischen Regierung (ab 1969). Zehntausende Familien aus Java und Sumatra siedelten nach Westpapua über und veränderten den Bevölkerungsanteil der indigenen Papua zu einer Minderheit unter 50 %. Bis heute erhalten diese Transmigrant*innen schnelleren Zugang zu Krediten, können einfacher Geschäfte eröffnen oder erhalten Grundstücke in besseren Wohngegenden. Indigene Papua hingegen werden wirtschaftlich, sozial und kulturell benachteiligt. In den letzten Jahren mehren sich die Stimmen, die vor einer Verschiebung des Konflikts auf die horizontale Ebene warnen (vgl. Westpapua-Netzwerk 2024a, S. 33 und ab S. 40; Supriatma 2022, ab S. 13). Bereits jetzt führen wirtschaftliche, politische, religiöse und ideologische Fragen zu Konflikten zwischen indigenen Papua und indonesischen Migrant*innen. Sollten Korruption, Gier und Misstrauen anhalten, steigt das Risiko eines Konfliktes innerhalb der Zivilbevölkerung und damit auch das Risiko weiterer Massenverbrechen (vgl. Supriatma 2022). Der tief verwurzelte Rassismus gegen indigene Papua hält die Dynamik des Konflikts seit Jahrzehnten aufrecht.
Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte
Seit den 1960er-Jahren kommt es zu schweren Menschenrechtsverletzungen (u.a. Folter, Tötungen, Körperverletzungen, gewaltsames Verschwindenlassen) an indigenen Papua durch staatliche Sicherheitskräfte. Bürgerliche und politische Rechte werden eingeschränkt. Militärische Gewalt bleibt meist straflos. Während indonesische Sicherheitskräfte in den ersten Jahrzehnten des Konflikts noch sichtbare Massaker an der indigenen Bevölkerung Westpapuas verübten, ist ihre heutige Taktik subtiler und die Gewalt weniger sichtbar. Die Anwendung von struktureller Gewalt überwiegt die physische Gewalt. Der Entzug des Zugangs zu Bildung und Gesundheit häuft sich dabei ebenso wie die Verletzung indigener Landrechte.
Die Papua werden immer mehr ohne den direkten Einsatz von Waffengewalt diskriminiert, wofür die Manifestierung von Stigmata durch die Praxis von Beamten und Sicherheitskräften ein »probates« Mittel ist. Besonders im Hochland Westpapuas, das für externe Akteur*innen nahezu unzugänglich ist, kommt es im Kampf gegen bewaffnete Unabhängigkeitsgruppen jedoch weiterhin auch zu physischer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Dörfer werden niedergebrannt und bis zu 70.000 Papua sind auf der Flucht im eigenen Land. Die starke Stellung des Militärs in Westpapua bleibt ungebrochen. Besonders zu kritisieren ist daher auch die Einflussnahme des Militärs in Aufgaben, die über das bloße Mandat der Verteidigung hinausgehen. Neben der Absicherung wirtschaftlicher Aktivitäten werden Militärs in Westpapua z.B. auch als Lehrer*innen in Schulen eingesetzt.
Ziel der Innenpolitik: Winning hearts and minds
Gleichzeitig überzeugt der indonesische Staat seine eigenen Bürger*innen von der Notwendigkeit des militärischen Handelns in Westpapua. Vorurteile und rassistische Stigmata über Westpapua werden seit Jahrzehnten durch nationale politische Propaganda und die Kontrolle über den Informationsraum, Medien und den Zugang nach Westpapua aufrechterhalten und damit auch innenpolitisches Handeln legitimiert. Indonesien präsentiert sich als Akteur, der Westpapua in die Moderne führt und sein Vorgehen vor Ort legitimiert, indem er es als eine für die gesamt-indonesische Prosperität notwendige Handlung verklärt. Denn Wirtschaftsinvestitionen in Westpapua bedeuten wirtschaftlichen Wohlstand für alle in Indonesien und den Aufstieg Indonesiens zu einer wirtschaftspolitischen Regionalmacht.
Geopolitik und nationale Wirtschaftspolitik werden über eine Politik der menschlichen Sicherheit gestellt. Dabei kommt nicht darauf an, »wer« und »ob« diese Politik gestaltet, sondern nur noch »wie« sie sich konkret ausdrückt. Dies erklärt auch die Wahl des ehemaligen Militärgenerals Prabowo Subianto zum neuen Präsidenten Indonesiens. Prabowo versprach, den wirtschaftlichen Kurs seines Vorgängers Joko Widodo fortzuführen. Seine kritikwürdige Vergangenheit und seine Verwicklungen in Menschenrechtsverletzungen in Osttimor und in Westpapua schreckten seine Wähler*innen nicht ab. Welche tatsächlichen Auswirkungen die anhaltende Militarisierung und die Umweltzerstörungen für das indigene Leben und Überleben der Papua haben, ist aber auch kaum einem/r Indonesier*in außerhalb Westpapuas bekannt. Fragen nach Frieden, wirtschaftlicher Teilhabe und dem Schutz von Menschenrechten in Westpapua wird kein innenpolitischer Raum und Diskurs in Indonesien gegeben.
Ziel der Außenpolitik: Abschottung und Abhängigkeit
Der Zugang nach Westpapua ist seit Jahren für internationale politische Akteur*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen eingeschränkt und eine unabhängige Dokumentation der Situation vor Ort selbst für Vertreter*innen der UN nicht möglich. Pressefreiheit gibt es in Westpapua nicht und es ist die gefährlichste Region für (nationale) Journalist*innen in Indonesien. Ausländische Journalist*innen erhalten erst gar keinen Zugang. Auch für nationale Medien ist es schwierig, uneingeschränkt über Westpapua berichten zu können und Informationen zu erhalten. Falschmeldungen, Verfolgungen, Schikanen oder auch Internetsperren erschweren eine nationale Berichterstattung über die Region. Als eine Art Puffer zwischen Politik und Zivilgesellschaft fungieren seit Jahrzehnten die katholische und protestantische Kirche in Westpapua. Doch auch ihr Einfluss nimmt ab. Wenn die Gesamtzahl indigener Papua, die mehrheitlich Christ*innen sind, abnimmt und die Zahl der Transmigrant*innen, die der Glaubensrichtung des Islam angehören, weiter zunimmt, schwindet auch die politische Stimme der Kirche.
Unterstützung für die indigenen Papua kommt jedoch aus Ozeanien. Die dortige Zivilgesellschaft, die Kirche (z.B. aus Papua-Neuguinea) und auch einzelne Staaten der Region (z.B. Marshallinseln, Vanuatu) erheben regelmäßig ihre Stimme für die Belange der Papua, kritisieren die Menschenrechtsverletzungen in Westpapua oder stellen Forderungen an die indonesische Innenpolitik (z.B. im Rahmen der UN-Generalversammlung oder in den regelmäßigen Überprüfungsverfahren des UN-Menschenrechtsrates in Genf). Ein Verständnis von der kulturellen Zugehörigkeit der indigenen Papua zu Melanesien anstatt zu Südostasien schafft hier eine Verbindung und Solidarität.
Indonesiens geo- und wirtschaftspolitischer Arm streckt sich jedoch auch mehr und mehr in diese Region aus und bedient sich der Soft-Power-Maßnahmen, um Verbündete zu gewinnen (vgl. Westpapua-Netzwerk 2024b, ab S. 16). Indonesien nutzt zudem auch seine militärischen Ressourcen, um seine außenpolitische Attraktivität zu steigern. Erst Ende August 2024 schlossen Indonesien und Australien ein neues Verteidigungsabkommen. Kritik daran wird zum einen geäußert, da Australien bereits seit Jahren indonesisches Militär trainiert und gleichzeitig Recherchen offengelegt haben, dass von Australien nach Indonesien exportierte Rüstungsgüter in Westpapua gegen Zivilist*innen eingesetzt werden (vgl. War on West Papua 2024).
Auch Deutschland baut seine Rüstungsexporte nach Indonesien wieder aus (vgl. Spiegel Online 2023) und verstärkt sein Engagement im Indo-Pazifik (vgl. Bundesministerium der Verteidigung 2024). Die Logik dahinter scheint zu sein: Geopolitische Spannungen wie im Südchinesischen Meer, die militärische Aufrüstung aller großen Staaten im Indo-Pazifik aber auch der Klimawandel sind Risiken, die nicht nur die regionale, sondern auch die globale Sicherheit gefährden. Gleichzeitig nimmt die strategische Konkurrenz über den Einfluss in der Region zu. Um einen „Schlüssel für die Ausgestaltung der internationalen Ordnung“ (ebd.) im 21. Jahrhundert zu haben, meint auch Deutschland im Indo-Pazifik mitspielen zu müssen – und Indonesien diktiert dabei erkennbar die Regeln. Deutliche Kritik der deutschen Regierung an Indonesiens Westpapua-Politik wird es daher erwartbar auch zukünftig nicht geben.
Sichtbarkeit als Weg zur Konfliktlösung?
Der Konflikt in Westpapua startete als vertikaler Konflikt zwischen der indonesischen Regierung und den indigenen Papua, mit der Frage nach der Unabhängigkeit Westpapuas. Über die vergangenen Jahrzehnte hat er an Reichweite und neuen Konfliktakteur*innen gewonnen und wird sukzessive zu einem horizontalen Konflikt, der mittlerweile tief in den Vorurteilen und Einstellungen der Bevölkerungsgruppen verankert ist.
Während der indonesische Staat, wie oben erwähnt, gar nicht das Ziel verfolgt, zu »gewinnen« und den Konflikt zu lösen, ist dies jedoch genau das Ziel, das die Papua eint. Sie sind fest entschlossen zu »gewinnen«, den Konflikt zu beenden und ein friedliches und unabhängiges3 Westpapua zu schaffen. Genau diese Entschlossenheit stärkt ihre Position (vgl. Mack 1975). Im Gegensatz zur indonesischen Regierung hängt ihr Überleben von diesem angestrebten Erfolg ab. Viele Papua befürchten daher, dass Indonesien die Ausbeutung, Transmigration und militarisierte Besatzung so lange fortführt, bis keine kritischen Stimmen mehr da sind. Für den (bewaffneten) Widerstand der Papua ist es jedoch keine Alternative, das eigene Handeln so anzupassen, dass dieses keine Gegengewalt mehr hervorruft. Aus einer externen Perspektive betrachtet könnte diese Handlungsanpassung ein Mittel sein, um Indonesien jegliche Rechtfertigung für den Einsatz militärischer Gewalt in Westpapua zu nehmen und so Raum für mehr politische Kritik und Sichtbarkeit geben. Die Papua würden ein Ende ihres aktiven Widerstandes jedoch als eigenes Scheitern betrachten.
Hoffnungen, den Konflikt in Westpapua im Zuge der »#BlackLivesMatter« und »#PapuanLivesMatter« Bewegung (auch digital) sichtbarer zu machen und durch gesellschaftlichen Druck einen politischen und moralischen Wandel anzustoßen, scheiterten. Zu tief verwurzelt sind rassistische Narrative. Zu groß ist auch das Nicht-Wissen über diese Region. Zu gering ist der Einfluss von Diaspora-Gruppen und Solidaritätsbewegungen im Ausland. Der lange Schatten der seit Jahrzehnten verfolgten »winning hearts and minds«-Strategie der indonesischen Regierung führte zu einer Ignoranz global-westlicher Gerechtigkeitsbemühungen und schafft es daher auch, globale und nationale Anti-Rassismus-Bewegungen verstummen zu lassen. Denn warum soll man sich überhaupt globalen Gerechtigkeitsbewegungen anschließen, wenn man den Sinn bzw. die Notwendigkeit dahinter nicht (er-)kennt?
Über einen Weg zur Konfliktlösung in Westpapua sind sich jedoch sowohl die Papua als auch internationale Akteur*innen einig: Dialog. Die Papua fordern einen von einer neutralen Konfliktpartei gesteuerten Dialog, bisher ohne Erfolg. Die UN erhält weiterhin keinen Zugang nach Westpapua und würde als neutraler Akteur für einen Dialog von indonesischer Seite keine Zustimmung erhalten. Innerstaatliche Einrichtungen wie die Nationale Menschenrechtskommission (»Komnas HAM«) sind von staatlichen Geldern abhängig und führen selbst nur ungenügend eigene Untersuchungen in Westpapua durch. Ihnen würden die Papua als Dialogleitende nicht zustimmen, denn bislang hatte sich die Kommission nicht als hilfreich, gar als dysfunktional erwiesen. Das zeigte sich 2023, als die Kommission von einer mit der Vereinigten Befreiungsbewegung für Westpapua (ULMWP) und dem Volksrat der Provinz Papua (MRP) unterzeichneten Vereinbarung zur Umsetzung einer humanitären Pause in Westpapua zurücktrat. Akteur*innen in Westpapua zeigten sich zutiefst enttäuscht darüber, dass Komnas HAM und die zuständigen Stellen in der indonesischen Regierung keinerlei Engagement für ein Festhalten an der Vereinbarung zeigten (vgl. Westpapua-Netzwerk 2023, S. 15).
Der Aufbau von Vertrauen zwischen den Konfliktparteien könnte ein weiteres Mittel der Konfliktlösung sein. Die 2001 beschlossene Sonderautonomie für Westpapua, die den Papua mehr politische Selbstverwaltung versprach, schien ihre Hoffnungen vor über zwanzig Jahren erstmals zu erfüllen. Sie stellten jedoch schnell fest, dass die Zentralregierung in Jakarta Westpapuas Zukunft weiter nach eigenem Interesse bestimmt. Die Aufteilung Westpapuas in zwei Provinzen im Jahr 2003 gegen den Willen der Papua und die weitere Aufteilung in nun sechs Provinzen im Jahr 2022 sind Beispiele dafür, wie die Sonderautonomie zu Lasten der Papua ausgestaltet wurde. 2021 wurde auch die Entscheidungsgewalt über Finanzmittel, die nach Westpapua fließen, und über deren Einsatz endgültig zurück in die Hände Jakartas gelegt. Eine politische Teilhabe durch die Gründung eigener Parteien ist den Papua weiter untersagt. Der Aufbau von Vertrauen durch die Sonderautonomie als ein politisches Werkzeug zur Konfliktlösung in Westpapua ist damit nicht gelungen.
Anstatt jedoch zu fragen, wie der Konflikt gelöst werden kann, sollte daran gearbeitet werden, »wer« sichtbarer gemacht werden muss. Dies können als Konfliktpartei nur die indigenen Papua sein. Denn es geht um sie und ihr Überleben.
Hoffnung für eine solche Sichtbarkeit gab das »Permanent People’s Tribunal on State and Environmental Violence in West Papua«, das Ende Juni 2024 in London stattfand.4 An insgesamt drei Tagen berichteten knapp 30 Zeug*innen über die Menschenrechtslage und die Umweltzerstörungen in Westpapua. Aktuelle Geschehnisse wie die Gewalt der Sicherheitskräfte und die anhaltende Stationierung von Militär in Westpapua, die Situation der Binnenflüchtlinge und die Auswirkungen der Umweltzerstörungen auf indigenes Leben und Überleben wurden ebenso thematisiert wie vergangene Menschenrechtsverbrechen. Im Oktober 2024 wurde dann das Urteil des PPT im Rahmen der Sitzungen des UN-Menschenrechtsrates in Genf vorgestellt: Staatliche Verbrechen, die Gewährung von Straffreiheit und die Verbindung von staatlichen und unternehmerischen Interessen, die zu einer „Auslöschung“ der Papua führen (»slow genocide«), sind nur einige Punkte des Urteils, die den Aussagen der Papua Gehör verschaffen (vgl. PPT 2024, S. 14). Die Verflechtung zwischen Unternehmen, Staat und Militär führe zu einem „Regime des Terrors“, so das Urteil, und schränke menschliche Handlungsspielräume ein (ebd., S. 12). Dennoch werden in dem Urteil nicht nur der indonesische Staat, sondern auch die Staaten, in denen in Westpapua aktive Unternehmen ansässig sind, sowie die Staaten, die an der Ausbildung indonesischer Sicherheitskräfte beteiligt sind, zur Verantwortung gezogen (ebd., ab S. 25).
Das Tribunal hatte für die Papua große Bedeutung. Auch wenn es keine rechtsverbindliche Wirkung entfaltet, wurde Indonesien erstmals für sein Handeln in Westpapua »verurteilt«. Die Aussagen der indigenen Papua rückten dafür in den Mittelpunkt und dem einzigen relevanten »Wer« wurde eine Stimme gegeben. Sie machten Menschenrechtsverletzungen in Westpapua und deren Täter*innen sichtbar (»naming and shaming«). Wenn also ihre Stimmen sichtbar werden können, erhält auch der Konflikt in Westpapua international ein Gesicht, das nicht mehr vergessen wird.
Anmerkungen
1) Offizielle Zahlen, wie viel Militär in Westpapua stationiert ist, liegen nicht vor.
2) Im bewaffneten Konflikt stehen sich die TPNPB-OPM (Nationale Befreiungsarmee für Westpapua und die Organisation für ein unabhängiges Westpapua) und indonesische Sicherheitskräfte gegenüber. Friedlichen Widerstand übt die Zivilbevölkerung durch Demonstrationen und andere Proteste aus.
3) Eine kleine Papua-Elite sieht jedoch auch den ökonomischen (Eigen-)Nutzen in der Zugehörigkeit zum indonesischen Staatsgebiet.
4) Das »Permanent People’s Tribunal« (PPT) wurde 1979 auf private Initiative eingerichtet, um weltweit ungehörte Fälle von Menschenrechtsverletzungen aufzuklären.
Literatur
Bundesministerium der Verteidigung (2024): Engagement im Indo-Pazifik. Online Dossier, 11.12.2024.
Mack, A. (1975): Why big nations lose small wars: The politics of asymmetric conflict. World Politics 27(2), S. 175-200.
Permanent People’s Tribunal (PPT) (2024): Session on state and environmental violence in West Papua. London, 27th-29th June 2024. Judgement. Online verfügbar: permanentpeoplestribunal.org
Spiegel Online (2023): Pistorius stellt Indonesien zwei A400-Militärflieger in Aussicht. 5.6.2023.
Supriatma, M. (2022): “Don’t Abandon Us”. Preventing mass atrocities in Papua, Indonesia. Simon-Skjodt Center for the Prevention of Genocide: United States Holocaust Memorial Museum. Washington D.C., Juli 2022.
War on West Papua (2024): Australia. Online verfügbar: waronwestpapua.org/australia.
Westpapua-Netzwerk (2023): Westpapua im Jahr 2023: Geschichte, Menschenrechte und aktuelle politische Situation. Wuppertal, November 2023.
Westpapua-Netzwerk (2024a): Briefe aus Westpapua, Westpapua-Journal 2/2024.
Westpapua-Netzwerk (2024b): Westpapua im Jahr 2024. Geschichte, Menschenrechte und aktuelle politische Situation. Wuppertal, November 2024.
Das Westpapua-Netzwerk setzt sich seit den 1990er Jahren für eine größere zivilgesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit in Deutschland zu Westpapua ein und befasst sich mit der politischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Situation in Westpapua. Das Westpapua-Netzwerk nimmt keine eigene Position zum politischen Status und zu Fragen der Unabhängigkeit Westpapuas ein.
Die Koordinationsstelle in Wuppertal koordiniert die Öffentlichkeits- und Advocacyarbeit des Netzwerkes und trägt die Stimme der Papua nach Deutschland.