W&F 2016/1

Whistleblower-Preise 2015

Preisverleihung durch VDW und IALANA, 16. Oktober 2016, Karlsruhe

von Gerhard Baisch

Am 16.10.2015 wurden in Karlsruhe die Whistleblower-Preise des Jahres 2015 verliehen. Die gemeinsame Jury der Vereinigung Demokratischer Wissenschaftler (VDW) und der deutschen Sektion der internationalen Juristenorganisation IALANA hatte sich auf insgesamt drei Preisträger geeinigt: den amerikanischen ehemaligen Drohnenpiloten Brandon Bryant aus Missoula in Montana/USA, den französischen Molekularbiologen Prof. Dr. Gilles-Eric Séralini aus Caen und – mit einem erstmals verliehenen posthumen Whistleblower-Ehrenpreis – den 2004 verstorbenen Atomphysiker und Historiker Dr. Léon Gruenbaum.

Unter Vorsitz von Dr. Dieter Deiseroth hatte die Jury zuvor lebhafte Diskussionen geführt: Macht ein Posthum-Ehrenpreis Sinn? Darf man einen vielfach dekorierten Soldaten – auch wenn er sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat – mit einem Preis hervorheben? Und darf man einen Wissenschaftler, dessen Forschungsergebnisse in der aktuellen Diskussion um die Giftigkeit von Glysophat/Roundup heftig diskutiert und teilweise vehement abgelehnt werden, auszeichnen, ohne sich dabei in der wissenschaftlichen Kontroverse eindeutig auf einer Seite zu positionieren? Schließlich ging es auch um Fragen, was eigentlich einen Whistleblower ausmacht, wenn er seine beruflich erzielten Forschungsergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlichen und verteidigen kann.

Unmittelbar nach Bekanntgabe der Preisträger 2015 und noch vor Veröffentlichung der Jury-Begründung erschienen in FAZ, SZ und ZEIT teilweise übereinstimmende vernichtende Kritiken an der Preisverleihung an Prof. Séralini. Dieser sei wissenschaftlich eine Pfeife, habe nur »junk science« (Datenmüll) produziert und führe als Anti-Gentechnik-Aktivist einen Feldzug mit fragwürdigen Mitteln. Überraschend war dies für die Jury nicht. Die Diskussion um die Verlängerung der Marktzulassung für Roundup und ähnliche Pestizide in der EU, ein Milliardengeschäft für Unternehmen wie Monsanto, ist nach der Klassifikation dieser Produkte als „wahrscheinlich Krebs auslösend“ durch eine Unterorganisation der WHO im Frühjahr 2015 voll entbrannt, und die Forschergruppe um Séralini hat zu diesem Verdacht mit diversen Studien in den letzten Jahren wesentlich beigetragen.

In ihrer bewegenden Laudatio auf Séralini stellte Christine von Weizsäcker zunächst heraus, dass Séralini seit 1991 an der Universität Caen mit seiner Forschergruppe mehr als 100 Fachpublikationen veröffentlicht habe, davon ca. die Hälfte zu den Wirkungen von Pestiziden. Bis 2001 habe er in Würdigung seiner Forschungen drei angesehene Preise erhalten. Er sei u.a. neun Jahre lang Berater der französischen Regierung in Fragen der Gentechnik gewesen und 2008 zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt worden. In der Wissenschaft dürfe allein die offene Überprüfung von Hypothesen durch Kontrollexperimente zählen, Whistleblowing sei da eigentlich unnötig. Wenn aber die genaue Zusammensetzung von Produkten als vertrauliche Geschäftsinformation behandelt werde, käme es zu Asymmetrien im Wissenschaftsprozess. Mit Sorge müsse das Eindringen von »public-privat partnerships« in die Universitäten als Gefährdung der Unabhängigkeit der Forschung beobachtet werden. Sie erinnerte auch an die bedenkliche Rolle der Medien. Sie haben den Eindruck, dass es ein »Nest« gebe, aus dem in kürzester Zeit Simultaninformation für die Medien herauskämen, um bestimmte Forschungsergebnisse in Frage zu stellen. „Die Böcke haben das Sagen in den Gärten.“

Besonders problematisch sah sie den Mangel an eigener Expertise bei den Behörden, die zudem Herstellerstudien bevorzugten. Sie erinnerte daran, dass der Leiter des zuständigen Bundesinstituts für Risikoanalyse sich unlängst in einer Anhörung durch den Bundestagsausschuss von einem Sachverständigen sagen lassen musste, dass bei der vorgeschlagenen Entscheidung für die Weiterzulassung von glysophathaltigen Pestiziden nicht weniger als 44 einschlägige Publikationen unbeachtet geblieben seien, die toxische Effekte nachgewiesen hätten. Nach Auffassung der Laudatorin hätten die Behörden offenbar das Vorsorgeprinzip als Grundentscheidung hintangestellt und die Beweislast für die Ungefährlichkeit eines Produkts von den Produzenten weg und hin zu den Opfern geschoben, was fatal an die laufende TTIP-Debatte erinnere.

In seiner Dankesrede hob Séralini hervor, dass der Preis seinem ganzen Team zukomme. Er dankte seinen Kollegen in Caen und international, dass sie ihm in schwierigen Situationen beigestanden seien und ermutigt hätten, weiter zu machen. Hauptsächlich habe ihn bei seiner Forschung die Verantwortung gegenüber der Generation seiner Kinder und Enkel umgetrieben. Die Gefahren durch hormonelle Veränderungen seien enorm und – durch die schon eingetretene Pollution – ubiquitär.

Brandon Brayant war zur Preisverleihung aus den USA nach Karlsruhe gekommen. Am Tag zuvor hatte ihn der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeugen in Berlin gehört. Mit seiner Auszeichnung griff die Jury einmal mehr in die aktuelle politische Debatte ein: Immer mehr Menschen begehren in Deutschland dagegen auf, dass über die US-Luftwaffenbasis in Ramstein der gesamte US-Drohneneinsatz weltweit vernetzt ist, dass ohne die Erlaubnis, diese Relaisstation zu nutzen, gezielten Tötungen mit Drohnen nicht durchführbar wären, Deutschland also mitbeteiligt ist an vielfach völkerrechtswidrigen Aktionen. Drei Wochen vor der Preisverleihung war es erstmals zu Demonstrationen für die Schließung von Ramstein gekommen.

John Goetz, Mitglied im Rechercheteam von Süddeutsche Zeitung und NDR zu der Rolle Deutschlands im Krieg der USA gegen den Terror, hielt die Laudatio. Anschaulich schilderte er, wie das Team bei der Recherchearbeit immer wieder auf Detailinformationen stieß, z.B. Bauplanbeschreibungen für die Relaisstation in Ramstein oder Informationsnetze der Air Force, in denen Ramstein und die in Stuttgart angesiedelte US-Kommandozentrale AFRICOM auftauchten, auf die sie sich aber keinen rechten Reim machen konnten. So seien sie drauf und dran gewesen, die Recherche abzubrechen, als die Begegnung mit Brandon Bryant die Wendung brachte. Erst die vielen Gespräche mit ihm hätten es ihnen ermöglicht, das Ganze zu verstehen. Ein Schlüssel sei z.B. sein Satz gewesen, er habe bei seinen Einsätzen jeden Morgen erst mal in Ramstein angerufen und die Verbindung zu der jeweiligen Drohne und den in die Operation eingebundenen Instanzen hergestellt. Die Steuerungsinformationen seien von seinem Arbeitsplatz im Container in New Mexiko über Ramstein z.B. nach Afghanistan gesendet worden; auch die von der Drohne aufgenommenen Bilder seien über Ramstein zurück zu seinem Arbeitsplatz in den USA gelaufen. Er habe erstmals eine Anschauung davon vermittelt, wie in den Einsatz einer einzigen Drohne jeweils 75-100 Leute eingebunden seien. Bryant sei Teil der längeren Tradition von Whistleblowern aus der US-Armee. Ihr Wirken helfe, die Welt besser zu verstehen.

Bryant dankte mit bewegenden Worten für die Ehrung, erinnerte an die Grundüberzeugungen, die ihm Mutter und Großvater vermittelt hätten. Er sei durch eine schwere Zeit gegangen, bis er wieder zu sich gefunden habe. Jetzt begreife er sich in Relation zu früheren und aktuellen Whistleblowern und sei wieder mit sich einig geworden.

Zuletzt ist auf Dr. Léon Gruenbaum einzugehen. Dessen posthume Ehrung gab den Ausschlag dafür, die Preisverleihung statt wie sonst in Berlin in Karlsruhe vorzunehmen. Hier hatte im damaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) alles angefangen. Der bei Heisenberg in München promovierte junge Atomphysiker, als Kind jüdischer Eltern nur mit Unterstützung der französischen Résistance knapp dem Tod entkommen, traf im KfK auf den Geschäftsführer Dr. Greifeld und andere NS-belastete Leitungsfiguren. Als Greifeld mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen Proteste des Betriebsrats auslöste, diese dann noch bestritt, stellte ihn auch Gruenbaum zur Rede. Das führte dazu, dass sein auf drei Jahre befristeter Arbeitsvertrag 1973 nicht verlängert wurde, obwohl sogar das Bundesforschungsministerium dagegen protestierte. Gruenbaum konnte die NS-Aktivitäten Greifelds mithilfe des Ehepaares Klarsfeld nach Recherchen in Pariser Archiven aufdecken und beweisen. Er erreichte, dass Greifeld nach Protesten von mehr als 400 Wissenschaftlern als Mitglied des Lenkungsausschusses im europäischen Laue-Langevin-Kernforschungsinstitut zurücktreten musste. Anschließend erlitt aber Gruenbaum das Schicksal vieler Whistleblower: Er fand im Atomforschungsbereich keine adäquate Anstellung mehr und wurde so erneut zum Opfer von Nazis.

Er übersiedelte nach Paris und arbeitete bis zu seinem Tode an einer umfassenden historischen Dissertation »Genese der Plutoniumsgesellschaft – Politische Konspirationen und Geschäfte«. Seine Erkenntnisse zu Verbindungslinien zwischen dem KfK und einem Atombombenprogramm in Argentinien sowie Anreicherungsprogrammen in Brasilien und Südafrika machte er oppositionellen Gruppen zugänglich. In Karlsruhe bildete sich nach seinem Tod ein Unterstützerkreis um Dietrich Schulze, der einerseits versucht, die bisher unveröffentlichte Dissertation in deutscher Übersetzung herauszubringen. Zum anderen will sich der Kreis nicht mit dem Skandal abfinden, dass Greifeld noch heute als Ehrensenator des KfK (bzw. seines Nachfolgeinstituts KIT) fungiert.

In Vorbereitung der Preisverleihung wurde ein Video-Interview mit Serge Klarsfeld über seine Recherchen für Gruenbaum gedreht und bei der Preisverleihung eingespielt. Anschließend würdigte der Physiker Dr. Philipp Sonntag den Preisträger. Nach Kräften habe er versucht, Pläne von Minister Strauß u.a. offenzulegen, in Deutschland zumindest die technische Infrastruktur zu erwerben für den Bau von Atombomben. Damit habe er zu seiner Zeit geholfen, uns vor der Gefahr eines Atomkrieges zu bewahren. Aber die Gefahr bestehe immer noch. Rechtliche Schranken wie das Potsdamer Abkommen oder der Atomwaffensperrvertrag von 1968 hätten nicht verhindert, dass sich deutsche Wissenschaftler in den 1970er Jahren an der Proliferation von Atomwaffen beteiligten und Schwellenländer bei der Entwicklung bzw. Produktion eigener Atomwaffen unterstützten. Bis heute sei der Griff nach der Atombombe real: In Verletzung des Atomwaffensperrvertrags habe Deutschland in Form von US-amerikanischen Atombomben, die in Büchel stationiert sind, atomaren Mitbesitz an Atomwaffen. Und die Fähigkeit, binnen kurzer Zeit Atomwaffen zu produzieren, habe Deutschland ohnehin auch.

In beeindruckender Weise erinnerte Dr. Sonntag an die spezifischen Verletzungen, die Gruenbaum als »child survivor« in der Konfrontation mit dem Nazi Greifeld erneut erleben musste, an seine Sensibilität für Unterdrückung und Unrecht aufgrund des als Kind erlittenen Traumas. Für sein Whistleblowing musste er einen hohen Preis zahlen. Wie er Robert Jungk seinerzeit einmal gesagt habe, habe er nicht nur seine Arbeit erst in Deutschland, dann auch in Frankreich verloren, sondern schließlich auch seine Frau, die ihn verlassen habe, weil er an nichts anderes mehr habe denken können. Sein früher Tod mahne uns, sein Werk fortzuführen.

Mit dem Festsaal im Rathaus gab Karlsruhe durch seinen Bürgermeister Dr. Mentrup der Preisverleihung den würdigen Rahmen und tat allein dadurch auch der in dieser Stadt erfolgten schweren Misshandlung von Dr. Léon Gruenbaum sichtbar Abbitte. Mehr als 150 Menschen aus In- und Ausland nahmen an der Preisverleihung teil und werden daran bewegt zurückdenken.

Gerhard Baisch

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/1 Forschen für den Frieden, Seite 61–62