W&F 1998/3

»Wider« Peacekeeping oder »Wilder« Peacekeeping

Möglichkeiten undGrenzen Kollektiver Sicherheit

von Wolfgang Biermann

Die Massaker serbischer Sicherheitskräfte an Kosovo-Albanern im Frühjahr 1998 und die darauf folgende Eskalation der Gewalt im Kosovo hat erneut die Diskussion um militärische Interventionen ausgelöst. Dabei laufen die Diskussionen nach dem gleichen Grundmuster ab wie zur Zeit der Eskalation in Bosnien: Erst große Worte von Intervention, dann die Einsicht, daß sich die Drohgebärden weder politisch noch militärisch realisieren lassen, und daß die Realität vor Ort komplexer ist als nur der Kampf zwischen Gut und Böse. Im Ergebnis läuft der Krieg weiter, mehr polarisiert als jemals zuvor.

Alle scheinen um die Konsequenzen einer staatlichen Unabhängigkeit des Kosovo zu wissen: Sie wäre der Anfang eines bewaffneten Kampfes zur Verwirklichung des Traums von der Vereinigung aller Albaner, eines Alptraums für Makedonien und Montenegro. Dennoch wurden Anfang Juni 1998 erneut die realistischen Möglichkeiten zu begrenzten Schritten der Konflikteindämmung vertan: Anstatt auf eine Verstärkung der präventiven UN Truppen in Makedonien und präventive Stationierung in Albanien zu setzen (die im Konsens im UN Sicherheitsrat möglich gewesen wäre), entschied man sich für Drohgebärden bis hin zu Forderungen nach einseitiger Intervention der NATO.

Trotz aller verbalen Bekenntnisse sind aber die meisten Staaten, auch die mächtigste Militärallianz der Welt, die NATO, in ihrer Bereitschaft zum Einsatz ihrer militärischen Kräfte genauso zurückhaltend wie die Vereinten Nationen, sobald dies mit größeren Risiken verbunden ist. Das gilt auch für die nach Abschluß des Dayton-Abkommens stationierte NATO-geführte Truppe, die die UN-Truppen ablöste.

„Warum soll ich Minderheit in Deinem Staat sein, wenn Du Minderheit in meinem werden kannst?“ (Der jugoslawische Schriftsteller Vladimir Gligorov über Motive seiner sezessionistischen Landsleute)

Die einen fühlten sich ermuntert in ihrem gerechten Kampf und glauben an eine baldige NATO-Intervention, die anderen, die existierende serbisch-jugoslawische Staatsmacht und Exponenten der serbischen Minderheit im Kosovo, fühlten sich provoziert in ihrem vermeintlich ebenso »gerechten« Kampf gegen die »Terroristen« der KLA. Die kompromißbereiten Kräfte beider Seiten drohen erneut auf der Strecke zu bleiben.

Bosnische Lehren für den Kosovo

Während des UNPROFOR-Einsatzes im ehemaligen Jugoslawien bestand eine offenkundige Korrelation zwischen den »scharfen« Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und der unzureichenden Bereitstellung von Menschen, Material und finanziellen Ressourcen. Statt dessen wurden symbolisch wirkende Resolutionen und Aktionen mit kontraproduktiver Wirkung beschlossen.

Die daraus resultierende Unmöglichkeit, gar bescheidene friedenserhaltende Maßnahmen effektiv durchzuführen, wurde dann der UN, den Offizieren, Soldaten und zivilen Mitarbeitern sowie den Hilfsorganisationen in die Schuhe geschoben, die ohne ausreichende Unterstützung oft ihr Bestes getan haben, um die Brandherde einzudämmen.

Mit der NATO-geführten IFOR/SFOR-Operation in Bosnien hat sich der Anspruch in Richtung auf Wirklichkeit verändert, weil die NATO im Unterschied zur UN in ihrer Existenz gefährdet wäre, würde sie sich so wie die UNO im ehemaligen Jugoslawien zum ohnmächtigen Prügelknaben für unerfüllbare Wunschvorstellungen einzelner Regierungen machen lassen.

Die sich im Juli/August 1998 abzeichnende »moderatere« Linie einiger Regierungen, die noch im Juni das Horn der militärischen Strafaktion bliesen, scheint anzudeuten, daß die Erfahrungen mit UNPROFOR und SFOR einen schnelleren Schwenk in Richtung »Moderation« erlauben.

Das ändert nichts daran, daß auch nach dem scheinbaren serbisch-jugoslawischen Sieg über die KLA eine neue Eskalation von Gewalt und Elend durchaus möglich ist. Auch wenn die KLA das Geschehen in der nächsten Zeit nicht stärker bestimmen kann, so gilt die einfache Logik des Guerillakrieges (oder des Volkskrieges nach Mao Tse-tung): Die Stärke der schwachen Guerilla liegt darin, die etablierte Militärmacht zu brutalen Überreaktionen und Massakern zu provozieren, mit der Folge einer Solidarisierung, die der Guerilla neue Kämpfer zuführt.

Anders als im sehr ähnlichen Konflikt zwischen der Türkei und aufständischen Kurden, wird es im Fall Kosovo wahrscheinlich immer wieder Rufe nach Intervention geben. Doch auch dann bleibt am Schluß wahrscheinlich als einzige realistische Option nur die politische Konfliktvermittlung und vielleicht eine Friedenstruppe im Konsens mit den Konfliktparteien.

Die Vermischung von Friedensmissionen mit militärischen Zwang endet meist im Chaos

Regierungen sind bei jedem internationalen militärischen Engagement von eigenem nationalen Interesse bestimmt. Sie sind für das Leben der eigenen Soldaten und Staatsbürger verantwortlich. Maßnahmen mit hohem Risiko für deren Leib und Leben werden nur dann riskiert, wenn es um existentielle Interessen, insbesondere um den Fall der nationalen Selbstverteidigung geht.

Diese zentrale Voraussetzung hat entscheidende Auswirkungen darauf, ob, wie und in welchem Ausmaß sich Nationen an Friedensmissionen beteiligen. Deshalb begrenzt die Abwägung des Risikos für die eigenen Soldaten jede Möglichkeit der Anwendung von Gewalt bei Peacekeeping-Missionen, selbst wenn sie mit Kap. VII der UN-Charta mandatiert sind. Die Hemmung demokratischer Gesellschaften, für »höhere« Ziele in den Krieg zu ziehen, ist an sich eine Errungenschaft der Zivilisation. Abgesehen davon gibt es auch andere Gründe dafür, das sich insbesondere bürgerkriegsähnliche Konflikte nicht mit Gewalt von außen lösen lassen, selbst wenn die gewaltsame Intervention moralisch oder völkerrechtlich legitimiert wäre.

Das Ignorieren der nur begrenzten Möglichkeiten einer Intervention, und der naive Glaube führender Politiker an die ordnende Kraft der von der UN legitimierten Gewaltanwendung, sind die Hauptursache für das Ende der UNOSOM in Somalia und der UNPROFOR in Kroatien und Bosnien-Herzegovina.

Generell hat die Einführung von militärischen Zwangselementen (enforcement) in UN-Peacekeeping-Missionen eine Reihe von operationellen und politischen Konsequenzen:

l<~>Die Einführung von militärischen Erzwingungselementen in UN-Blauhelm-Missionen erfordert größere und besser ausgebildete Einheiten, modernste Kommando-, Kontroll- und Kommunikationseinrichtungen, hochqualifizierte Spezialisten usw. Dies vergrößert die nationale Abhängigkeit der UN: Die Durchführung von UN-Operationen wird immer mehr abhängig von Regierungen, welche die erforderlichen Mittel liefern, aber auch aus eigenen nationalen Interessen darüber entscheiden können, ob, wann und wie sie die Vereinten Nationen mit ihren Mitteln ausstatten wollen.

l<~>Das erheblich größere Risiko solcher Operationen verstärkt nationale Einmischung in UN-Missionen, nicht zuletzt auch deshalb, weil Regierungen ein legitimes Interesse und eine legitime Verantwortung für das Leben ihrer Blauhelm-Soldaten haben. Die Effektivität multinationaler UN-Truppen wird aber durch die alltägliche Intervention nationaler Interessen verringert.

l<~>Darüber hinaus vergrößern wachsende Risiken und Kosten der UN-Friedensmissionen mit militärischen Erzwingungselementen die nationale Zurückhaltung bei der Bereitstellung von Truppen für UN-Missionen. Diese Zurückhaltung an sich trägt wiederum zum potentiellen Chaos und zur Ineffektivität von UN-Missionen bei.

Alles in allem also läuft eine UN-Intervention mit mehr Zwangsmaßnahmen in einen Teufelskreis: mehr Zwangsmaßnahmen – weniger Unterstützung – mehr Chaos. Offenkundig versucht die NATO bei der von ihr im Auftrag der UN geführten militärischen Sicherung des Dayton-Abkommens diesen Teufelskreis der Vermischung von enforcement und peacekeeping zu vermeiden.

Obwohl selbst geprägt von Doktrin und Kampfaufgaben einer Organisation kollektiver Verteidigung, wendet die NATO in Bosnien Methoden an, die für Organisationen kollektiver Sicherheit typisch sind: Peacekeeping.

Grenzen und Möglichkeiten von Peacekeeping und friedlicher Konfliktschlichtung

Einem weitverbreiteten Vorurteil zufolge, ist die Geschichte der Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges einerseits eine Geschichte des Scheiterns der »schwachen« UNO und andererseits des Erfolges der NATO oder starker Koalitionen unter der Führung der USA.

Diese Argumentation verkennt

  • die Tatsache, daß die UN oder OSZE in der Regel weitaus kompliziertere Aufgaben (Wider Peacekeeping) wahrgenommen haben als sie von einer Verteidigungsorganisation wahrgenommen werden können;
  • <~>daß die UN nur das tun kann, was ihr die UN-Mitglieder erlauben. Die UN hängt zu hundert Prozent von den personellen und finanziellen Beiträgen und vor allem der politischen Unterstützung der Mitglieder, v.a. der ständigen Mitglieder der Sicherheitsrates (der Permanent Five »P 5«) ab;
  • <~>daß zahllose, oft unspektakuläre Aktionen oder Operationen der UN oder der OSZE in weit mehr Fällen zur friedlichen Beilegung von Konflikten beitrugen als Verteidigungsorganisationen dies hätten tun können.

Die UN-Blauhelmeinsätze – Peacekeeping – haben sich als eines der wirksamsten Mittel zur militärischen Sicherung der politisch-diplomatischen Maßnahmen zur Entspannung von Konflikten und zur Schaffung bzw. Erhaltung des Friedens erwiesen.

Peacekeeping ist vom Wesen her ein Mittel der kooperativen Sicherheit. Ohne Kooperation der verfeindeten Parteien und der größeren Mächte oder gar als Mittel der Konfrontation kann Peacekeeping nicht wirken. Deshalb beinhaltet Peacekeeping die drei Prinzipien: Konsens der Konfliktparteien, Unparteilichkeit der Friedenstruppen, militärische Gewaltanwendung nur zur Selbstverteidigung, keine Erzwingungsgewalt, bestenfalls »Show of Force«.

»Wider Peacekeeping« ist nicht »Wilder Peacekeeping«

Traditionelles »einfaches« Peacekeeping besteht überwiegend in der Umsetzung, Entmilitarisierung und Überwachung und Sicherung von Trennungslinien, die Kriegsparteien miteinander vereinbart haben. Also: Einsatz auf Basis einer Friedensvereinbarung.

Paradoxerweise sind es die klassischen Peacekeeping-Aufgaben, die die NATO nach Dayton der UN im ehemaligen Jugoslawien im wahrsten Sinne des Wortes abgenommen hat. So wie traditionell die UNO, hatte die NATO die Bereitschaft ihres Einsatzes von schwerbewaffneten Kampftruppen von einem Szenario abhängig gemacht, das klassischem Peacekeeping entspricht.

Statt zur Sicherung einer Friedensvereinbarung, wurden die »Peacekeeper« der Vereinten Nationen in Bosnien 1992 in einen laufenden Krieg geschickt, mit Truppen, die für Peacekeeping ausgebildet und ausgerüstet waren. 1993 war nur ein einziges NATO-Land bereit, Kampftruppen zur Durchsetzung von Friedensvereinbarungen zu entsenden. UNPROFOR mußte unter Kriegsbedingungen im wahrsten Sinne des Wortes »erweitertes Peacekeeping« leisten, welches die IFOR/SFOR-Truppen unter Friedensbedingungen, auf militärische Aufgaben begrenzt, wahrnehmen. Die »erweiterten Peacekeeping-Aufgaben« werden der OSZE, den zivilen UN-Organisationen und der internationalen Polizisten-Taskforce (IPTF) der UN überlassen: Schutz der Zivilbevölkerung, humanitäre Aufgaben, (von der Registrierung von Flüchtlingen bis hin zu ihrer vollständigen Versorgung mit Nahrung, Essen, Kleidung …), zivile Aufgaben (z.B. Aufbau von Infrastruktur), zivilpolizeiliche Aufgaben (Demokratiebildung, Menschenrechte überwachen usw.).

Instrumente dafür waren unter dem UNPROFOR-Kommando neben den militärischen Peacekeeping-Einheiten (Blauhelmen): UNMOs (unbewaffnete UN-Beobachter), CivPol (unbewaffnete Polizisten), eine Civil Affairs Organisation für Menschenrechtsüberwachung, ein umfangreiches Liaisonsystem mit den Kriegsparteien auf allen Ebenen, UNHCR als Führungsorganisation für zahlreiche humanitäre Gruppen: Internationales Rotes Kreuz, WFP (Welternährungsprogramm), zahlreiche lokale Projekte von NGOs, soziale Dienste usw.

UNMOs, Civpol und UN-Gruppen zur Menschenrechtsüberwachung konnten in tausenden von Fällen Gewalt und Menschenrechtsverletzungen verhüten, was in internen UN-Berichten, aber nicht in den Medien zu lesen war.

Die qualitativ völlig neuen Anforderungen erforderten eine zivil-militärisch integrierte Struktur der UN-Mission, um die zivile und militärische Arbeit überhaupt koordinieren zu können. Beispielsweise im Sektor Süd von UNPROFOR in Kroatien bestand der Stab des Kommandos zu 30<-10> <0>% aus Militärs und zu 70% aus zivilen Mitarbeitern.

Der zivile Chef von UNPROFOR, Akashi, koordinierte die zivile wie militärische Arbeit von UNPROFOR. Er war dafür verantwortlich, daß die Gesamtmission funktionierte, v.a. die humanitäre Seite, die Hunderttausenden das Leben rettete. »Wider« Peacekeeping konnte sich mit seiner verwundbaren Struktur keineswegs auf »wilder« peacekeeping einlassen. Bombardierungen aus der Luft hatten stets unmittelbare Auswirkungen auf die Gesamtmission. Die oft geübte Kritik an Akashi und der UN ist naiv oder ungerecht: Militärische Gewalt ist kein Zauberstab aus dem Märchen »Knüppel aus dem Sack«.

Erst als die UNO seit Ende Juni 1995 tausende von Mitarbeitern aus ihren verwundbaren Strukturen zurückzog, wurde die Eskalation des Krieges auf dem Boden und aus der Luft möglich: Die UN beschloß den Abzug »verwundbarer« Blauhelme, insbesondere der UNMOs, Konzentrierung der UN-Truppen auf möglichst wenige befestigte Positionen und die Einführung der Schnellen Eingreiftruppen. Dies ebnete den Weg für ein zweischneidiges Resultat:

Einerseits eröffnete der Rückzug der UN und die anschließende Konfrontation eine »Frontbegradigung« nach den grausamen Eroberungen Srebenicas und Zepas durch bosnische Serben, der perfekten ethnischen Säuberung der Krajina durch die kroatische Armee und anderen empfindlichen Niederlagen der Serben. Andererseits erleichterte die militärische Machtverschiebung den Dayton-Kompromiß, der allen Parteien in Bosnien etwas gab: Er gab den bosnischen Serben ihr Kriegsziel, die Autonomie, den bosnischen Muslimen ganz Sarajevo und den bosnischen Kroaten Territorium auf Kosten der Muslime, die nach Dayton in der muslimisch-kroatischen Föderation weniger Territorium (ca.29<-10> <0>%) kontrollieren als mit ihnen im September 1993 im Stoltenberg-Owen-Plan (33<-10> <0>%) vereinbart war.

Der Unterschied zwischen kollektiver Sicherheit und kollektiver Verteidigung

Es gibt grundsätzlich zwei Typen von internationalen Organisationen, deren Unterschied häufig verwechselt wird: Organisationen a) der »kollektiven Sicherheit« und b) der »kollektiven Verteidigung«.

Als internationale Organisationen der kollektiven Sicherheit sind UNO und OSZE universale, d.h. im Prinzip für alle offene Organisationen. Sie sind zuständig für die Sicherheit ihrer Mitglieder untereinander und richten sich nicht gegen andere. Sie sind in der Regel groß an Mitgliedern, aber schwach an Finanzen und militärischer Macht. Da alle, Freund wie Feind, Mitglied sind, müssen Organisationen kollektiver Sicherheit unparteiisch handeln, um ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Das macht Entscheidungen schwierig.

Der potentiell starke UN-Sicherheitsrat als Organ der »kollektiven Sicherheit« ist schwach durch das Vetorecht der »Permanent Five« und abhängig von der (oft mangelnden) Einhaltung seiner Beschlüsse. Die Möglichkeiten militärischer Machtausübung der UNO und OSZE sind praktisch sehr begrenzt, obwohl sie als Organisationen kollektiver Sicherheit theoretisch für die globale bzw. regionale Sicherheit zuständig sind.

Die Grenzen ihres Aufgabenbereiches sind dennoch denkbar weit gefächert für alle Aufgaben, die die Sicherheit der Menschen global im weitesten Sinne bedrohen: Internationale Konferenzen zu Umwelt und Entwicklung (Rio 1992), Menschenrechten (Wien 1993), Naturkatastrophen (Jokohama 1994), Bevölkerung (Kairo 1994), Armut und Arbeitslosigkeit (Kopenhagen 1995), Rechte der Frauen (Peking 1995), Wohnen (Istanbul 1996), Landminen (Genf 1996).

Im Bereich der Friedenssicherung reicht das Spektrum der UN und OSZE bekanntlich von präventiver Diplomatie zur Entspannung von latenten Konflikten, aktiver Streitschlichtung, bis hin zum Spektrum von gemischt zivil-militärischen Blauhelmeinsätzen. Die Ressourcen, die der UN und der OSZE für ihr breites Spektrum an Aufgaben bereitgestellt sind, sind trotz ihrer zahlreichen Aufgaben extrem niedrig:

1995, also in der Zeit umfangreichen UN-Engagements (rund 75.000 Soldaten und Polizisten im Einsatz) machten die Kosten für alle weltweiten UN-Peacekeeping Missionen mit 3,1 Mrd. USD nicht einmal ein halbes Prozent des US-Verteidigungshaushaltes aus. Die Schulden der (meist reichen) UN-Mitglieder für den Peacekeeping-Etat betrugen zum 5.3.1996 rund 1,8 Milliarden US-Dollar. Mit anderen Worten: Viele Mitglieder, übersteigerte Anforderungen und wenig Geld, das beschreibt den Handlungsrahmen der UNO und der OSZE als internationale Organisationen kollektiver Sicherheit.

Dennoch – ihre Schwächen machen aber auch ihre Stärke aus: UNO und OSZE besitzen ein breites Feld diplomatischer und »sanfter« militärischer Maßnahmen. Was sie beispielsweise »kosteneffektiv« leisten, wird weiter unten illustriert.

Die normative Kraft der Erfahrungen von UN und OSZE

Die größte historische Erfolgsbilanz haben UNO und OSZE als Organisationen zu bieten, weil sie weltweit generelle Normen im Bereich der Sicherheit und der Menschenrechte gesetzt haben: Der Krieg ist als Mittel der Politik zur Durchsetzung von Interessen entlegitimiert, und die Menschenrechte sind als generelle Normen akzeptiert. Die Verwirklichung dieser Normen ist zwar ein schmerzhafter, widersprüchlicher Prozeß, aber zum Beispiel die Legitimation von Bürgerrechtsbewegungen und der weitgehend unblutige Zusammenbruch des autoritären Kommunismus wäre ohne die KSZE-Schlußakte kaum denkbar gewesen.

Anders als die »inklusiven« Organisationen kollektiver Sicherheit UNO bzw. OSZE sind die mächtige NATO oder die (weniger mächtige) WEU Organisationen kollektiver Verteidigung und im Prinzip »exklusive« Organisationen. Sie sind nicht für alle offen, sondern wurden im Gegenteil gegründet, um für ihre Mitglieder Sicherheit gegen äußere Feinde zu gewährleisten.

Da nur »Freunde« Mitglieder sind, ist Verteidigungsbündnissen das UN-Prinzip der »Unparteilichkeit« fremd: Organisationen kollektiver Verteidigung müssen als Partei im Interesse ihrer Mitglieder handeln, um ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Diese Parteilichkeit erleichtert Entscheidungen gegen andere.

<-2>Anders als UNO und OSZE sind Bündnisse in der Regel reich und stark an militärischer Macht wenn auch relativ klein an Mitgliedern. Die »exklusive« Mitgliedschaft ist in der Regel sehr teuer, denn für die kollektive Verteidigung gegen den äußeren Feind müssen potentiell alle erforderlichen Ressourcen mobilisiert werden.<0>

<-2>Trotz ihr<0>es Reichtums an Ressourcen sind die Aufgabenbereiche kollektiver Verteidigungsorganisationen viel begrenzter als bei Organisationen kollektiver Sicherheit: Hauptaufgabe bleibt die Verteidigung, andere Aufgaben wie Streitschlichtung und rein politische und universelle Aufgaben bleiben bei einem Verteidigungsbündnis sehr begrenzt.

Das heißt aber auch: Je mehr eine Organisation kollektiver Verteidigung sich für Aufgaben kollektiver Sicherheit (z.B. Unterstützung von UN-Friedensmissionen oder IFOR oder die Nachfolgetruppe SFOR im Auftrag der UN) öffnet, desto mehr entwickelt sie »Schwächen«, die den Organisationen kollektiver Sicherheit UNO und OSZE ähneln: weniger Geld (Kürzungen im Verteidigungshaushalt, denn der Feind fehlt), nur begrenzte Risikobereitschaft (wenn es nicht mehr um existentielle nationale Interessen geht).

NATO, SFOR und die Bescheidenheit kollektiver Sicherheit

<-2>»Plötzlich«, seit ihrem UN-Mandat für die »Implementation Force« (IFOR), entwickelt die NATO-geführte Truppe in Bosnien Eigenarten, die typisch für eine UN-Truppe sind, aber UNPROFOR oft vorgeworfen wurden: Konsenssuche, Unparteilichkeit und militärische Zurückhaltung auch gegenüber den potentiellen Gegnern. Robuste Ausrüstung und Mandat ändern nichts daran, daß die NATO-Truppe in Bosnien – ebenso wie traditionelle UN-Blauhelme – Konsens und Kooperation der ehemaligen Kriegsparteien zur Voraussetzung ihres Einsatzes gemacht hat.<0>

IFOR/SFOR hat trotz der Stärke der NATO ähnliche Grenzen militärischer Erzwingung wie UNPROFOR. Genausowenig wie UNPROFOR kann IFOR/SFOR mit militärischer Gewalt ethnische Säuberungen rückgängig machen, Flüchtlinge rücksiedeln oder ihnen dauerhaften Schutz geben.

Im Unterschied zu UNPROFOR kann sich IFOR/SFOR (wie beim klassischen UN peacekeeping) auf einen Friedensvertrag stützen und erfreut sich einer überwiegend freundlichen Presse sowie vor allem einhelliger politischer Unterstützung der Großmächte. Davon konnten Friedensvermittler Vance, Owen, Stoltenberg und UN-Kommandeure wie Michael Rose nur träumen. Darüber hinaus hat IFOR/SFOR ein auf wenige militärische Aufgaben begrenztes »klares« Mandat, das noch enger als klassisches Peacekeeping ist. Zivile und humanitäre Aufgaben werden weitestgehend der UN oder der OSZE überlassen, koordiniert vom »Hohen Repräsentanten«.

Die NATO-geführte Truppe in Bosnien hat ein Mandat, das robuste Selbstverteidigung einschließt und hat daher durchaus auch einen abschreckenden Wert. Aber IFOR/SFOR ist mit dem Konsens der Parteien mandatiert und betreibt keine militärische Zwangsmaßnahme (enforcement), auch keine erweiterte Friedenserhaltung (wider peacekeeping). Sie begrenzt sich auf Aufgaben und Prinzipien, die typisch für klassische Friedenserhaltung (peacekeeping) sind: Überwachung der Demarkationslinie und Sicherung der militärischen Vereinbarungen eines Friedensvertrages zwischen ehemaligen Kriegsparteien. Diese Begrenzung, verbunden mit einer optimalen materiellen Ausstattung und uneingeschränkten Unterstützung Europas und der USA, dürften ein »Geheimnis« des bisherigen Erfolges von IFOR/SFOR sein.

Für »erweitertes Peacekeeping« hat die NATO kein Mandat, auch dürfte sie als Militärbündnis allein dazu strukturell weniger in der Lage sein als die UN. Sollte sich die Nachfolgetruppe SFOR auf den Versuch einlassen, die Mängel in der Erfüllung des Dayton-Friedensabkommens durch »enforcement«, also Zwangsmaßnahmen und Kampfeinsätze, zu beseitigen, dürfte sie ein ähnliches Schicksal wie UNPROFOR erleiden: Verlust der einhelligen internationalen Unterstützung und der Kooperationsbereitschaft mindestens einer Konfliktpartei und Legitimationskrise in den Entsendestaaten.

Mit anderen Worten: Auch die Möglichkeiten von IFOR/SFOR sind begrenzt auf Friedenssicherung – Peacekeeping – im klassischen Sinne. Jedoch hat die NATO in Bosnien in hervorragender Weise eine Kooperation mit der UN (und ihrer unbewaffneten Polizeitruppe IPTF), dem OHR, der OSZE und zahlreichen anderen staatlichen wie nichtstaatlichen internationalen Organisationen entwickelt. Gemeinsam betreiben sie alle »Wider«, aber nicht »Wilder Peacekeeping«.

Schlußfolgerungen

Es ist an der Zeit, ganz bescheiden sich auf die Kunst des Möglichen zu besinnen, die im Kalten Krieg zur Vermeidung von Krieg gelernt wurde: Politik der kleinen Schritte, der menschlichen Erleichterungen, der Verständigung, der Kooperation. Damit haben OSZE und UN erfolgreich Kriege verhindert. Als Ergänzungsteil dieser Realpolitik dienen strikt unparteiische Blauhelmeinsätze als Beitrag zum Deeskalieren, Einfrieren und zuweilen gar Lösen von Konflikten. Jahrzehntelange Blauhelmeinsätze in Sinai, Libanon, Golan, Kaschmir, Zypern, usw. haben Konflikte deeskaliert, eingefroren und große Kriege verhindert. Insofern waren sie erfolgreich. Sie konnten zwar keine »endgültige Lösung« bringen, wenn oder weil die Parteien keine Kompromißlösung wollten, aber sie haben tausendfach Leben gerettet.

Wie bei der US-geführten Friedensmission im Libanon 1982, in Somalia 1994 und in Bosnien 1995, scheiterten Blauhelmeinsätze stets, wenn sie Partei ergriffen. Das gleiche Schicksal würde auch IFOR/SFOR drohen, falls sie Partei ergreift oder sich dazu provozieren läßt. Der Erfolg von IFOR/SFOR ist die Verhinderung von Krieg, die Kooperation und Erarbeitung von Konsens der Parteien, gewiß auch mit militärischem Druck, aber nicht die Erzwingung von Bestimmungen des Dayton-Vertrages, wenn die Kriegsparteien sie nicht erfüllen wollen. Das ist tragisch und zugleich eine Herausforderung zu einer zähen Politik des »langen Atems«, die nicht an einem geplanten Abzugsdatum enden darf.

Der für Blauhelmmissionen verantwortliche UN-Untergeneralsekretär, der deutsche General Manfred Eisele, erklärte im Februar 1995, die Analyse der UN-Friedensmissionen habe gezeigt, daß Friedensmissionen der UN „dort erfolgreich waren, wo sie sich an die Peacekeeping-Prinzipien gehalten haben“ und dort „am wenigsten Erfolg haben, wo eines oder mehrere dieser Prinzipien mißachtet wurde.“ Die Prinzipien sind: „Konsens der Parteien, Unparteilichkeit, Nichtanwendung von Gewalt außer im Fall der Selbstverteidigung.“

IFOR/SFOR ist zwar weit robuster und teurer als UNPROFOR, aber dennoch keine Erzwingungsstreitmacht. IFOR/SFOR handelt nach den gleichen Prinzipien wie eine UN-Truppe. Die Kernvoraussetzung für IFOR/SFOR ist sogar noch strenger als die für jede traditionelle Blauhelmmission: Friedensvertrag, Konsens der Parteien, schriftliche Sicherheitsgarantien für die IFOR/SFOR.

Es wäre ungerecht, die UN mit ihren Blauhelmen dafür zu kritisieren, daß sie nicht das Maß an Kampf- und Risikobereitschaft hatte, was die Militärmacht NATO aus Sorge um die Sicherheit ihrer Soldaten nicht einzugehen wagt.

Unrealistisch war und ist eine militärische Intervention des Westens jenseits der Friedenssicherung, für die IFOR die UN abgelöst hat. Denn kein Außenstehender will oder kann einen Krieg führen, d.h. ein Land besetzen, die eigenen Verluste akzeptieren, um dann – nach einem Abzug nach 2, 5 oder 10 Jahren – das Land wieder seinem Schicksal zu überlassen. Vietnam und Afghanistan sind nur die bekanntesten der Lehrstücke der Aussichtslosigkeit bös- oder wohlmeinender Interventionen von Großmächten in einem bürgerkriegsähnlichen Konflikt. Ähnliches gilt für den Kosovo.

Peacekeeping, als Konzept der Vereinten Nationen aus der militärischen Schwäche geboren, hat sich zu einem Konzept entwickelt, zu dem es keine Alternative gibt. Trotz aller Fehlschläge hat Peacekeeping Zukunft als Hauptinstrument der UN zur Eindämmung von bürgerkriegsähnlichen Konflikten und zur Unterstützung des politischen Vermittlungsprozesses. Aber nur wenn die Weltgemeinschaft und die verantwortlichen Politiker der Nationen an einem Strang ziehen, um jede Kriegspartei zum Verzicht auf die (wie auch immer begründete) Kriegsoption zu bewegen, kann das Schweigen der Waffen und die faktische Anerkennung des status quo zum Ausgangspunkt zur Veränderung auch ungerechter Verhältnisse genutzt werden. Um es mit Willy Brandt auszudrücken, der jenen, die einen ungerechten Frieden nicht akzeptieren wollen, sagte: „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Dr. Wolfgang Biermann, Referent für intern. Sicherheitspolitik beim SPD-PV, z.Z. beurlaubt für UN-Forschungsarbeiten in Dänemark und Norwegen, Oslo

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/3 Friedenskonzepte, Seite