W&F 2019/3

Wie hybrid ist Europa?

von Jürgen Scheffran

Die knappe Wahl der früheren deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission war ein Signal für die militärische Ausrichtung Europas. Vergessen sind die Skandale wegen überteuerter Beraterverträge oder dysfunktionaler Rüstungsprojekte. Für die europäischen Staatschefs war dies kein Hindernis, und Europas Rüstungslobby sah die Chance, die militärische Zusammenarbeit in der Europäischen Verteidigungsunion voranzutreiben. Die neue deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer versucht, den militärischen Fußabdruck ihrer Vorgängerin noch auszuweiten, indem sie eine erhebliche Steigerung des Rüstungsetats forciert. Nachdem bereits ein Anstieg von 32,4 Mrd. € 2014 auf knapp 43 Mrd. € 2019 erfolgte, fordert sie nicht nur den Zuwachs auf 1,5 % des Bruttosozialprodukts (ca. 60 Mrd. € bis 2024), sondern eine weitere Zunahme auf das 2 %-Ziel der NATO, was mehr als 80 Mrd. € jährlich entspricht, mehr als Russland für Militär ausgibt.

Ein starker Mittelzuwachs führt nicht zu mehr Effizienz und Funktionsfähigkeit, eher zu Verschwendung, Schlampigkeit und Bestechung. Sicher mangelt es nicht an Ideen für milliardenschwere Rüstungsprojekte, wie das Mehrzweckkampfschiff MKS180 oder das Taktische Luftverteidigungssystem. Weiter gibt es Vorschläge für ein deutsch-französisches Kampfflugzeug (Future Combat Air System) nebst einem Flugzeugträger. Dass die Kosten hier leicht hundert Mrd. € überschreiten können ist absehbar, ebenso weitere Rüstungsexporte in die Krisenherde der Welt. Die USA sind trotz enormer Rüstungsausgaben nicht in der Lage, diese Krisenherde zu befrieden. Die Militärinterventionen vom Irak über Kosovo bis nach Afghanistan haben gezeigt, dass Hightech-Kriege die Probleme nicht lösen, im Gegenteil. In den Konflikten in Syrien, Jemen, Nordkorea, der Ukraine, mit dem Iran oder in Afrika hat den USA ihre militärische Dominanz nicht viel genutzt. Es wird nicht besser, wenn die EU dies dupliziert.

Da kommen die »hybriden Kriege« gerade recht – so bezeichnen Militärs die Verschmelzung ziviler und militärischer Kampfformen in der Grauzone zwischen Krieg und Frieden. Der Ukraine-Konflikt wurde zum Brandbeschleuniger für die hybride Kriegführung, wobei Russland vor allem Mittel einsetzte, die die USA schon lange verwenden. Dies reicht von der Beeinflussung der Bevölkerung durch Radio Free Europe im Kalten Krieg über die Unterstützung von Contragruppen in Lateinamerika bis zum Einsatz irregulärer Spezialkräfte und Informationskriege in jüngeren Krisen (auch in der Ukraine). Neben USA und Russland haben auch China und andere Mächte ihr hybrides Repertoire erweitert, das Drohnenangriffe, Cyberkriege, Attacken auf zivile Infrastrukturen ebenso umfasst wie Meinungsmache durch Fake News und Hate Speech in sozialen Medien, oder die Unterstützung von Oppositionsgruppen.

Der Westen erlebt, dass die mit der Globalisierung verbreiteten Mittel und Technologien auf ihn zurückfallen und dabei die Verwundbarkeit der Industrie- und Kommunikationsgesellschaft offenkundig wird. Fast scheint es, als rüste der Westen sich für eine durch Chinas Seidenstraßen und Landinvestitionen zunehmend vernetzte Welt, in der er nur noch knapp ein Zehntel der Weltbevölkerung ausmacht. EU und NATO bauen ihre Zusammenarbeit gegen hybride Bedrohungen aus. In Finnland gibt es ein EU-NATO-Exzellenz-Zentrum zur Abwehr hybrider Bedrohungen. Auch die Hybridisierung der Bundeswehr schreitet voran, z.B. durch die Zusammenarbeit mit Privatfirmen, Übungen zum Schutz kritischer Infrastrukturen oder beim Umgang mit Migration. Angesichts der Vielfalt und Beliebigkeit hybrider Kriege scheinen Strategieplaner ein Thema gefunden zu habe, das dem zivil-militärischen gesellschaftlich-industriellen Komplex eine dauerhafte Förderung garantiert. Eine so legitimierte Bundeswehr kann auch im zivilen Raum präsentiert werden, in öffentlichen Gelöbnissen, zur Terrorabwehr, zur Verteidigung digitaler Mobilfunknetze oder zum Schutz europäischer Handelswege im Persischen Golf.

So wird es möglich, hybride Kriege ohne räumliche und zeitliche Begrenzung, mit allen Mitteln und gegen jede(n) zu führen. Alle könnten potentielle »Täter« und »Opfer« werden und die ganze Gesellschaft zum Schlachtfeld vernetzter Kriege. Statt reguläre Kriege zurückzudrängen, könnten hybride Kriege zum Türöffner werden für eine neue Gewaltspirale. Hier zeigt sich der Januskopf eines permanenten und totalen »Krieges aller gegen alle« (frei nach Hobbes), der selbst Clausewitz überrascht hätte.

Dabei sind Auswege eines vernetzten Friedens erkennbar, bedürfen aber der Mobilisierung. Während die Regierung danach strebt, das 1,5- bzw. 2 %-Ziel zu erreichen, droht sie die Klimaziele von 1,5 bis 2 Grad zu verpassen, wie »­Fridays for Future« deutlich macht. Mit den enormen Rüstungsausgauben fehlen Mittel für die Klimawende. So werden in doppelter Weise Krisen angeheizt: Klimawandel und andere globale Probleme erzeugen weltweit neue Konfliktherde, während mit der Aufrüstung noch Öl ins Feuer gegossen wird. Ein Europa des Friedens könnte dem entgegenwirken.

Ihr Jürgen Scheffran

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/3 Hybrider Krieg?, Seite 2