W&F 1994/1

Wie weiter mit dem »Nichtverbreitungsvertrag«

Weg in die kernwaffenfreie Welt oder Eindämmung der Weiterverbreitung mit Fortschreibung der nuklearen Abschreckung?

von Wolfgang Liebert

1995 steht ein gewichtiges internationales Vertragswerk nach 25-jähriger Laufzeit zur Verlängerung an, der Nuclear Non-Proliferation Treaty (NPT), zu deutsch häufig Nichtverbreitungsvertrag genannt.

Dieser Beitrag1 will sich erneut mit dem Gehalt des NPT befassen, die aktuelle Situation der Verbreitung von Kernwaffen kurz beleuchten, an die historische Einbettung des NPT in die internationale Abrüstungsdebatte erinnern, sowie offensichtliche Mängel des Vertrages benennen und analysieren. Die Einschränkung wissenschaftlich-technisch erzeugter Voraussetzungen für jegliche Form der Proliferation (horizontal wie vertikal) wird betont. Daraus leiten sich Forderungen an die NPT-Mitgliedsländer ab, insbesondere an die etablierten Kernwaffenstaaten. Darüber hinaus werden Elemente einer glaubwürdigen, nichtdiskriminierenden und auf andere Staaten übertragbaren Non-Proliferationspolitik für die Bundesrepublik Deutschland vorgestellt. Das Ziel ist die Transformation des existierenden Non-Proliferationsregimes durch Einbettung in eine Konzeption der nuklearwaffenfreien Welt.

Die aktuelle Debatte um Vermeidung von Proliferation konzentriert sich zur Zeit auf Länder wie Nordkorea und Irak, denen die Bemühungen um Kernwaffen teils nachgewiesen wurde (so im Falle des Irak im Gefolge des Golfkrieges) oder teils mit gewichtigen Argumenten unterstellt wird (so gegenwärtig im Falle Nordkoreas). Weiterhin fokussiert sich die Debatte auf Nachfolgestaaten der Sowjetunion, hier insbesondere auf die Ukraine, von der erwartet wird, daß sie ihr – zur Zeit immer noch weltweit drittstärkstes – Nuklearpotential aufgibt, sowie auf die Gefahren eines Schwarzmarktes nuklearer, kernwaffenfähiger Materialien mit Quellen auf dem Gebiet der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Die horizontale Proliferation, also die Weiterverbreitung von Kernwaffen, steht im Vordergrund der Debatte, dementsprechend auch die Frage von effektiven Exportkontrollen aus den Industrie- und Kernwaffenstaaten in Empfängerländer mit möglichen Kernwaffenabsichten. Die Arsenale der bestehenden Kernwaffenstaaten geraten gegenwärtig kaum ins Blickfeld öffentlicher Diskussion, obwohl sie ebenfalls direkt den Kern des NPT berühren. Das diplomatische Tauziehen im Vorfeld der NPT-Verlängerungskonferenz, die im April/Mai 1995 stattfinden wird, scheint sich längst nur noch um prozedurale Fragen zu bekümmern. So werden »Freund« und »Feind« effektiver Non-Proliferation von diplomatischen Füchsen zunehmend an der Gretchenfrage geschieden: »Bist Du für die unendliche Verlängerung des NPT – ja oder nein?« Der Inhalt dessen, was da eigentlich auf unbegrenzt verlängert werden soll, gerät in Gefahr, unter Denk- und Diskussionsverbot gestellt zu werden. Die Verengung der Diskussion auf die Frage der Begrenztheit oder Unbegrenztheit der Verlängerung allein lenkt ab von den wesentlichen Problemen, die mit dem NPT selbst und der langfristigen Aufgabe der Proliferationsvermeidung und der Abrüstung verbunden sind.

Es scheint, daß mit dem Ergebnis der NPT-Verlängerungsdebatte auch über die zukünftige Rolle der Kernwaffen entschieden wird. Zwei wesentliche, differierende Optionen stehen zur Wahl. Die eine hieße Beibehaltung der Kernwaffen in den etablierten Kernwaffenstaaten unter Neudefinition ihrer »Aufgaben«. Eine Umwidmung der alten Abschreckung zwischen den Blöcken in eine Abschreckung gegen neu entstehende oder bereits existierende Massenvernichtungswaffen in anderen Ländern würde damit verbunden. Die zweite Option hieße, die Bedeutung von Kernwaffen in der internationalen Politik Schritt für Schritt auf Null zu reduzieren, den Anreiz, Kernwaffen zu besitzen, nahezu gleichzeitig für alle Staaten zu minimieren, und die Aufrechterhaltung technischer Voraussetzungen für Kernwaffenprogramme so klein wie möglich zu machen. Eine kernwaffenfreie Welt wäre das Ziel.

Der Nuclear Non-Proliferation Treaty (NPT)

Das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen führte 1968 zu folgendem Ergebnis2:

Verpflichtungen der Kernwaffenstaaten:

  • Weitergabe von Kernwaffen oder Kernsprengkörpern an andere oder Hilfe bei der Beschaffung, Übergabe der Verfügungsgewalt ist verboten (Artikel I).
  • Mögliche Vorteile aus »friedlichen Kernsprengungen« sollen den Vertragsparteien zugänglich gemacht werden (Artikel V).
  • Verhandlungen in redlicher Absicht über Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung, sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung (explizit genannt werden Kernwaffenteststopp, Einstellung der Kernwaffenproduktion) sollen geführt werden (Artikel VI und Präambel).

Verpflichtungen der Nicht-Kernwaffenstaaten:

  • Keine Annahme von Kernwaffen oder Kernsprengkörpern oder Verfügungsgewalt darüber, keine Herstellung oder Produktion, keine Unterstützung anderer oder Annahme von fremder Unterstützung (Artikel II).
  • Annahme von Sicherungsmaßnahmen (gemeint sind die Safeguards der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO), die auf alles Ausgangsmaterial und besondere spaltbare Materialien, sowie alle Nuklearaktivitäten angewandt werden (Artikel III).

Gemeinschaftliche Verpflichtungen:

  • Weitergabe von besonderem spaltbarem Material und entsprechenden Ausrüstungen an andere, nur wenn sie Sicherungsmaßnahmen unterliegen (Artikel III).
  • Erleichterung und Beförderung der weltweiten zivilen Kernenergienutzung, insbesondere durch internationalen wissenschaftlich-technologischen Austausch (Artikel IV und Präambel).

Zu den gemeinsamen Verpflichtungen gehören auch die angestrebten Verhandlungen zur Abrüstung (Artikel VI), die aber von der Sache her Vorleistungen der Kernwaffenstaaten erforderlich machen.

In Artikel VIII ist der Prozeß der alle fünf Jahre möglichen Überprüfungskonferenzen geregelt, in denen die Wirkungsweise des Vertrages und die Verwirklichung seiner Ziele (inklusive der Präambel) zur Diskussion stehen. Weiterhin wird dort geregelt, wie Vertragsänderungen möglich sind. Zustimmen müßten die Mehrheit aller Vertragsstaaten, alle Kernwaffenstaaten, die Mitglied des NPT sind3 , sowie alle Mitgliedsländer des Gouverneursrates der IAEO zum Zeitpunkt der Antragstellung. Artikel X gibt jedem Mitgliedsland das Recht, mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist wieder auszutreten. Dieser Artikel sieht weiterhin vor, daß nach 25-jähriger Laufzeit eine Verlängerungskonferenz einberufen wird, auf der die Mehrheit der Mitglieder über eine unbegrenzte oder über eine auf eine oder mehrere Frist/Fristen begrenzte Verlängerung befinden soll.

Einbettung des NPT in die Abrüstungsdebatte

Seit Existenz der Vereinten Nationen hat in ihren Debatten das Ziel einer abgerüsteten, friedlichen Welt besondere Bedeutung. Der Generalversammlungsbeschluß vom 13.12.1961, das Eighteen-Nations Committee on Disarmament (ENDC) mit der Aufgabe einzuberufen, entsprechende internationale Verträge vorzubereiten, diente dieser Zielsetzung. In der Folgezeit entwickelte sich das ENDC zu dem Gremium, in dem als erstem Schritt zur allgemeinen Abrüstung die Aushandlung von Schritten zur nuklearen Abrüstung und zur Eindämmung der Weiterverbreitung von Kernwaffen erfolgte, speziell die Aushandlung des NPT. Die Resolution 2028 (XX) der UN-Generalversammlung vom 19.11.19654 legte Prinzipien fest, aufgrund derer ein Vertrag zur Vermeidung der Proliferation von Kernwaffen zustande kommen sollte:

  1. Der Vertrag soll keine Schlupflöcher enthalten, die Kernwaffenstaaten oder Nicht-Kernwaffenstaaten erlauben könnten, direkt oder indirekt Kernwaffen in irgendeiner Form zu proliferieren;
  2. der Vertrag soll ein akzeptables Gleichmaß von Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen der Kernwaffen- und der Nicht-Kernwaffenstaaten enthalten;
  3. der Vertrag soll ein Schritt sein in Richtung auf die Erreichung der allgemeinen und vollständigen Abrüstung und insbesondere der nuklearen Abrüstung;
  4. akzeptable und handhabbare Vorkehrungen sollen die Effektivität des Vertrages sicherstellen;
  5. das Recht jeglicher Staatengruppe, regionale Verträge abzuschließen, die eine völlige Abwesenheit von Kernwaffen in den zugehörigen Territorien sicherstellen, soll durch den Vertrag nicht negativ berührt werden.

Die Resolution 2373 (XXII) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12.6.1968, mit der der endgültige Entwurf des NPT den Regierungen zur Unterzeichnung und Ratifizierung vorgelegt wurde, bekräftigte den klaren Standpunkt zur Abrüstungsfrage: Die Generalversammlung „fordert die Konferenz des Achtzehn-Nationen Kommitees für Abrüstung (ENDC) und die Kernwaffenstaaten auf, mit hoher Dringlichkeit Verhandlungen zu führen, die das Ende des Rüstungswettlaufs zu einem frühen Zeitpunkt betreffen, sowie die nukleare Abrüstung und einen Vertrag über allgemeine und vollständige Abrüstung unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle.“ Dieselbe Resolution betont allerdings die Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen und die Bedeutung der internationalen Kooperation bei der Entwicklung der zivilen Anwendungen der Atomenergie.

Der Bezug zur Abrüstung und insbesondere zur nuklearen Abrüstung ist jedenfalls eindeutig mit dem Prozeß der Aushandlung des NPT verbunden und hat sich in der Formulierung der Präambel und des Artikel VI des Vertrages niedergeschlagen. 1967 haben die blockfreien Mitglieder des ENDC zu Protokoll gegeben, daß sie im Austausch gegen die Zustimmung zum Ende der horizontalen Proliferation (Weiterverbereitung) von Kernwaffen die Kernwaffenstaaten auffordern, dem Ende der vertikalen Proliferation (Weiterentwicklung und Vermehrung) der Kernwaffen zuzustimmen. Insbesondere wurden fünf Forderungen erhoben (»Five Demands«), die bis heute unerfüllt sind: 1. vollständiges Ende des nuklearen Testens, 2. Produktionsstopp für kernwaffenfähige Materialien, 3. Einfrieren und schrittweise Reduktion der bestehenden Kernwaffenarsenale, 4. internationaler Bann des Gebrauchs von Kernwaffen, 5. ungeteilte Sicherheitsgarantien der Kernwaffenstaaten für Nicht-Kernwaffenstaaten.5

Kurz nach Fertigstellung des Vertragsentwurfes trafen sich (vom 28.August bis zum 28.September 1968) Vertreter von 69 Staaten zu einer Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten in Genf. Die Resolution C des dort erarbeiteten Abschlußdokuments liest sich ebenfalls eindeutig: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen wird aufgefordert, Verhandlungen innerhalb des ENDC zu empfehlen über 1. die Verhinderung der Weiterentwicklung und Verbesserung von Kernwaffen und Trägersystemen, 2. den Abschluß eines vollständigen Teststoppvertrages, 3. das sofortige Ende der Produktion spaltbaren Materials für Waffenzwecke und das Ende der Herstellung von Kernwaffen, 4. die Reduktion und nachfolgende Eliminierung aller Arsenale von Kernwaffen und Trägersystemen.

Die Entstehung des NPT in der existierenden Form ist das Ergebnis eines Kompromisses. Um überhaupt einen Fortschritt in Hinblick auf das Ziel der Abrüstung zu erreichen, wurde als erster erreichbarer Schritt die Proliferation von Kernwaffen angegangen, wobei die klareren Regelungen im Bereich der horizontalen Proliferation akzeptabel erschienen im Vertrauen darauf, daß die eingegangenen Abrüstungsverpflichtungen der etablierten Kernwaffenstaaten – und als Einstieg das vereinbarte Ende des technologisch dominierten Rüstungswettlaufes – mehr als nur Rhetorik wären.

Aktuelle Verbreitung von Kernwaffen und sensitiver Nukleartechnologie

Der Klub der fünf etablierten Nuklearmächte hat sich seit 1968 erweitert, ohne daß die Exklusivität dieser fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in Frage gestellt wäre. Tabelle 1 gibt einen Überblick über den nuklearen Status einer Reihe wichtiger Staaten und benennt die jeweilige Beziehung zum NPT.

Durch den Zerfall der Sowjetunion sind neben Rußland immer noch zwei weitere Staaten, Ukraine und Kasachstan, als Kernwaffenstaaten zu zählen. An Israels Besitz von Kernwaffen hegt wohl niemand mehr Zweifel. Indien hat mit seiner »friedlichen« Kernexplosion im Jahre 1974 der Welt seine nuklearen Fähigkeiten demonstriert, während Pakistan vor einigen Jahren regierungsamtlich verlauten ließ, man sei durchaus in der Lage Kernsprengkörper zu bauen. Diese drei Länder stehen immer noch abseits des NPT. In Südafrika wurden erklärtermaßen Kernwaffen produziert; sie sollen allerdings alle wieder vor dem Beitritt zum NPT zerstört worden sein. Daß die Mitgliedschaft im NPT allein noch nichts aussagt über eine mögliche Verfolgung von Forschungs- und Technologieprogrammen, die in Kernwaffenprogramme münden, zeigt unter anderem der berechtigte Verdacht, unter dem die NPT-Mitgliedsstaaten Taiwan, Irak und Nordkorea standen und teilweise noch stehen. Der Iran kommt neuerdings hinzu. Auch Libyen und Algerien verfolgen uneindeutige Nuklearprogramme, deren rein zivile Zielsetzung nicht klar ist. In anderen nicht NPT-Mitgliedsländern, wie Argentinien und Brasilien, wurden Technologien entwickelt (zum Teil unter Nutzung internationaler Kooperationsprogramme), die Voraussetzungen für Kernwaffenprogramme sind. Diese Staaten standen einige Jahre unter starkem und berechtigtem Verdacht, Kernwaffen entwickeln, testen und produzieren zu wollen. Wie im Falle von Schweden, das offenbar noch nach Unterzeichnung des NPT in den siebziger Jahren Anstrengungen in Richtung auf Kernwaffen unternommen hatte, ist ein Kernwaffenprogramm Brasiliens offiziell geworden. Daneben gibt es eine Reihe von Industriestaaten, die prinzipiell in der Lage wären, Kernwaffen zu bauen, da die wissenschaftlich-technologischen Möglichkeiten bereits weitgehend vorhanden sind. Zu dieser langen Liste von Staaten, in denen latente Proliferationsgefahren ausgemacht werden müssen, gehören die Länder Japan, Deutschland, Kanada und Belgien. Gleichwohl blockieren hier politische Entscheidungen gegen den Kernwaffenbesitz die technischen Möglichkeiten.

Eine wesentliche Quelle für die Gefahren der horizontalen und vertikalen Proliferation ist die zivil-militärische Ambivalenz der Nuklearforschung- und Technologie6. Die weltweit betriebenen »zivilen« Nuklearprogramme senken die Schwelle zu Waffenprogrammen7. Zur Betreibung der großen Kernenergieprogramme wird eine jährliche Anreicherungskapazität von wenigstens 10000 Tonnen schwach angereicherten, reaktortauglichen Urans benötigt. Etwa 70 Tonnen Plutonium werden jährlich in zivilen Leistungsreaktoren produziert. Die Überwachungsmaßnahmen der seit 1957 arbeitenden Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) reduzieren die daraus erwachsende Problematik zwar erheblich, aber die prinzipielle Nutzbarkeit von Anreicherungsanlagen zur Produktion hochangereicherten Urans (HEU) zu Waffenzwecken oder die Abzweigung abgetrennten Plutoniums für den Bau von Bomben8 kann so nicht aus der Welt geschafft werden.

Der Gebrauch von waffentauglichem HEU in Forschungsreaktoren ist weltweit nicht beendet, auch wenn seit Jahren internationale Bemühungen zur Umstellung von solchen Reaktoren auf die Verbrennung schwach angereicherten Urans gewisse Erfolge zeitigen. Plutonium ist in jeder Isotopenzusammensetzung waffentauglich. Das gilt nicht nur für das speziell produzierte sogenannte »Waffenplutonium«, sondern auch für das beim Betrieb von Kernreaktoren automatisch mitproduzierte sogenannte »Reaktorplutonium«.9 Weltweit sind etwa 270 Tonnen »Waffenplutonium« produziert worden; 100 Tonnen davon sollen bis zum Jahr 2003 gemäß den amerikanisch-russischen Abrüstungserklärungen »frei« werden. Demgegenüber wurden bislang etwa 850 Tonnen »Reaktorplutonium« produziert, von denen bis 1990 120 Tonnen vom abgebrannten Brennstoff absepariert wurden. Die Probleme mit dem Waffenstoff Plutonium werden demnach nicht mit der Zerstörung bzw. sicheren Endlagerung des »Waffenplutoniums« allein gelöst sein. Das »Reaktorplutonium« wird zunehmend zum langfristig wirksamen Problem.

Zumindest 19 Länder haben den Zugriff auf mindestens eine der sensitiven Nukleartechnologien Urananreicherung oder Wiederaufarbeitung erreicht, die eine Produktion waffenfähiger, spaltbarer Materialien prinzipiell ermöglicht und somit Voraussetzungen für Waffenprogramme schafft. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Verbreitung dieser sensitivsten Nukleartechnologien. Neue sensitive Nukleartechnologien werden sich im Nachvollzug der Hochtechnologieentwicklung der Industrieländer weiter verbreiten und wachsende Proliferationsrisiken auslösen.

Tabelle 3 gibt die Zahl der Sprengköpfe in den Arsenalen der Kernwaffenstaaten (Stand Ende 1993) an. Die Gesamtzahl von weltweit 27.500 Sprengköpfen ist eine untere Abschätzung, da in den beiden Supermächten zwar eine große Anzahl taktischer (und auch einiger strategischer) Sprengköpfe den Arsenalen entzogen wurde, diese allerdings zu einem großen Teil – getrennt von den Trägersystemen aber immer noch intakt – weiter gebrauchsfähig lagern und ihre Zerstörung erst (viel) später erfolgen wird. Die endgültigen Entscheidungen gegen eine geplante Erweiterung oder Modernisierung der britischen und französischen Nuklearstreitkräfte stehen noch aus. Die vertikale Proliferation in den Ländern China, Israel, Indien und Pakistan scheint noch ungebremst zu sein. Auch nach der für das Jahr 2003 angekündigten Reduktion der amerikanischen und russischen strategischen Potentiale auf 3500 bzw. 3000 Sprengköpfe hat die Welt noch immer eine mehrfache Overkill-Kapazität zu gewärtigen.

Mängel und Schwachstellen des NPT

Von verschiedener Seite wird immer wieder betont, der NPT sei sehr erfolgreich bei der Einschränkung der Weiterverbreitung von Kernwaffen gewesen. Auch wenn eingeräumt werden kann, daß die erwartete explosionsartige Vermehrung der absoluten Zahl von Kernwaffenstaaten in den siebziger und achtziger Jahren tatsächlich ausgeblieben ist, so bleiben doch einige gewichtige Mängel des NPT zu konstatieren, die langfristig kontraproduktiv wirken:

  1. Der NPT ist de-facto und de-jure diskriminatorisch. Er schreibt fünf Kernwaffenstaaten auf Dauer fest, sieht keinerlei Kontrollen in diesen Staaten vor und baut in der Praxis ein Dreiklassensystem des Technologiezugangs auf. Einer ersten Gruppe von Staaten ist der Besitz von Kernwaffen auf Dauer erlaubt. Einer zweiten Gruppe von (Industrie-)Staaten ist zwar der Zugriff auf Kernwaffen verwehrt, aber alle sensitiven Technologien können genutzt oder innerhalb dieser Gruppe exportiert werden. Einer dritten Gruppe von Staaten ist sowohl der Zugriff auf Kernwaffen als auch auf bestimmte sensitive Technologien verwehrt, die hier als Ausdruck einer Kernwaffenoption interpretiert werden.
  2. Kein verbindlicher Weg zur Abrüstung und insbesondere zur nuklearen Abrüstung ist festgelegt. Zwar wird in der Präambel und im Artikel VI des NPT das Ziel deutlich angegeben, aber die Schritte zur Verwirklichung bleiben unverbindlich. Noch 25 Jahre nach Aushandlung des NPT scheinen einige Kernwaffenstaaten die im NPT enthaltenen Formulierungen eher als unverbindliche nebulöse Absichtserklärungen für eine ferne Zukunft als eine dringliche Verpflichtung wahrzunehmen.
  3. Der NPT zielt auf die Verhinderung des militärischen Gebrauchs der Kernenergie und entsprechender Materialien in Nicht-Kernwaffenstaaten und erlaubt und befördert den zivilen Gebrauch der Kernenergie. Die Nichtbeachtung der zivil-militärischen Ambivalenz und der Doppelverwendbarkeit (Dual-use) der Nuklearforschung und -technologie ist ein zentraler Mangel des NPT. Die Propagierung der zivilen Nutzung der Kernenergie und ihrer ungebremsten Fortentwicklung kann nicht losgelöst betrachtet werden von der dadurch immer auch erfolgenden Weiterverbreitung, Beibehaltung oder Verbesserung der technisch-wissenschaftlichen Grundlagen für Kernwaffenoptionen.
  4. Die Zulassung »ziviler« Kernsprengungen ist nicht nur nach den erzeugten Umweltkatastrophen – vor allem auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion –, sondern insbesondere auch in Hinblick auf die damit ermöglichte Entwicklung bis hin zu einem funktionsfähigen Kernsprengkörper ein eklatanter Widerspruch zum Ziel des NPT. Wer, wie Indien, außerhalb des NPT steht und sich keine »zivile« Nutzanwendung von Kernsprengkörpern bei den etablierten Kernwaffenstaaten »kaufen« will, kann immer darauf verweisen, mit der De-facto-Entwicklung einer Kernwaffe lediglich zivile Ziele verfolgen zu wollen.
  5. Es sind keine Prozeduren vorgesehen, wie und mit welchem Status De-facto-Kernwaffenstaaten oder Schwellenländer, die außerhalb des Vertrages stehen, für den Vertrag gewonnen werden können. Ebenso sind keine Prozeduren vorgesehen zur verifizierbaren, transparenten und effektiven Denuklearisierung von Kernwaffenstaaten innerhalb des NPT oder von beitretenden Staaten, die den Schritt zu Kernwaffen bereits erreicht hatten (wie im Falle Südafrikas).
  6. In Verbindung mit dem NPT, wenn auch nicht als direkter Mangel des NPT festzumachen, steht die Doppelrolle der IAEO als Kernenergiepromotor und -kontrolleur. Diese Doppelrolle hat zu vielen mangelhaften Aktivitäten der IAEO geführt, so zuletzt besonders augenfällig angesichts der schon lange erkennbaren Doppelbödigkeit des irakischen Nuklearprogrammes. Eine tiefgreifende Reform der IAEO stünde an10 . Ein weiterer Mangel der IAEO-Sicherungsmaßnahmen ist die ausschließliche Beschränkung auf den Materialfluß, obgleich hier tatsächlich versucht wird, ein wesentliches und im Prinzip kontrollierbares Element zu erfassen11

Diese offensichtlichen Mängel und Widersprüche des NPT müßten angegangen werden, wenn tatsächlich eine erfolgreiche Verlängerung und Fortentwicklung des Vertragsregimes unter globaler Perspektive angestrebt ist. Hier ist nicht der Raum, alle diese Schwachstellen im Detail zu besprechen. Von größter Bedeutung ist sicherlich die Verpflichtung zur Abrüstung durch die Kernwaffenstaaten, die immer wieder von Vertretern der Nicht-Kernwaffenstaaten, vorrangig aus Ländern der Dritten Welt, angemahnt wird. Wann, wenn nicht jetzt – in der Debatte um die Verlängerung des Vertrages – müssen diese inhaltlichen Mängel des NPT deutlich zur Sprache gebracht werden, um schiefliegenden Argumentationsmustern vorzubeugen, die nur den Vertrag als solchen ohne Ansehung des Inhaltes »retten« wollen. Man sollte schon sehr genau hinsehen, bevor der Ruf nach einer unbegrenzten Verlängerung allein als das Postulat der Stunde verbindliche Politik wird. Die Zukunft des NPT hängt davon ab, ob mit den genannten Widersprüchen und Mängeln in einer zufriedenstellenden und nicht-diskriminierenden Art umgegangen werden kann.

Gleichwohl, Änderungen oder Ergänzungen des NPT durchzusetzen, sind nach der obigen Darstellung der Vertragslage (Artikel VIII) wohl kaum erfolgversprechend. Welche tiefgreifenden Änderungen wären wohl mit der Einwilligung der fünf etablierten Kernwaffenstaaten und allen Mitgliedern des Gouverneursrates der IAEO zu erwirken? Zu bedenken ist, daß der NPT der bislang einzige weltweit gültige Vertrag ist, der sich mit der Proliferation von Kernwaffen befaßt. Demnach erscheint er trotz aller Mängel zur Zeit erhaltenswert. Wie soll man also weiterverfahren? Wie sollen die Länder mit Nuklearoptionen außerhalb des NPT für die Ziele einer ungeteilten Non-Proliferationspolitik gewonnen werden, insbesondere solche Staaten, die den NPT – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – als diskriminatorisch ablehnen? Könnte sich die Überstimmung einer gewichtigen Minderheit bei der Entscheidung über die Verlängerung nicht als Sprengstoff für eine möglichst globale Zugehörigkeit zum Vertrag herausstellen?

Perspektive für eine nuklearwaffenfreie Welt

Idealtypisch lassen sich zwei differierende Sichtweisen der Stellung des NPT innerhalb der internationalen Politik unterscheiden.

Die eine Position sieht den NPT als einen ersten, notwendigen Schritt in einer Kette von Abrüstungsvereinbarungen, die eine abgerüstete, »friedliche« Welt als Vision ansteuert. Diese Sichtweise kann als Bild in konzentrischen Kreisen dargestellt werden: Leicht exzentrisch im Mittelpunkt steht der NPT eingebettet vom Kreis weiterer Bemühungen, Abmachungen, Regelwerke mit dem Ziel der Non-Proliferation. Der endlich in Verhandlung befindliche vollständige Teststoppvertrag verlagert sich mit seinem Schwerpunkt mehr in den Halbkreis der vertikalen Proliferation während der NPT seinen Schwerpunkt mehr im Bereich der horizontalen Proliferation besitzt. Darum schließen sich die Kreise der nuklearen Abrüstung (beispielsweise die START-Verträge enthaltend) und der angestrebten nuklearwaffenfreien Welt. In den äußeren Schalen des Bildes werden diese Bemühungen ergänzt durch weitere internationale (oder auch regionale) Abkommen, wie die C-Waffen- und B-Waffen-Konvention oder nuklearwaffenfreie Zonen. Das Bild wird abgerundet durch den Kreis, der die weiteren Bemühungen um vollständige Abrüstung symbolisiert. Präventive Rüstungskontrolle, die auch die Kontrolle wissenschaftlich-technologischer Innovation in den Blickwinkel nimmt, hat in diesem Bild entscheidende Bedeutung. So wird der NPT langfristig nur sinnvoll in Hinblick auf das weiterreichende Ziel der Abrüstung. Hegemonialen Machtgefällen innerhalb dieser Abrüstungskonzeption sowie dem Fortbestand der nuklearen Abschreckung wird eine Absage erteilt.

Die zweite Position sieht den NPT als wesentlichen Kern eines sich verdichtenden Regel- und Vertragswerkes eines internationalen Nichtweiterverbreitungsregimes. Der horizontale Aspekt der Proliferation wird betont. Daneben – im Grunde losgelöst davon – steht die internationale Abrüstungsdebatte. Im Kern ist die nukleare Abrüstung angeordnet, ergänzt um weitere Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich von Massenvernichtungswaffen. Ob vollständige nukleare Abrüstung angestrebt wird, bleibt bereits offen. Ein neues Konzept der nuklearen Abschreckung (beispielsweise gegen »mögliche Proliferateure«) erscheint bedenkenswert oder sogar als sinnvoll. Das Ziel der vollständigen Abrüstung wird als unrealistisch oder sogar als nicht wünschbar bezeichnet. Das Non-Proliferationsregime wird in seiner Wirksamkeit zwar auch kritisch betrachtet, aber im Prinzip als unter allen Umständen in dieser Architektur als erhaltenswert und fortentwickelbar betrachtet. Schon die hohe Anzahl der Mitglieder (inzwischen über 160 Staaten) wird als unterstützendes Argument herangezogen. Daß es sich in dann der bestehenden Form mehr um ein Nichtweiterverbreitungsregime als um ein Nichtverbreitungsregime für Kernwaffen handelt, wird in Kauf genommen. Ebenso wird die Hegemonie der etablierten Kernwaffenstaaten – wenn auch manchmal zähneknirschend – akzeptiert. Sie erscheint wünschenswert in Hinblick auf die Politik der Stärke gegenüber nuklearen Schwellenländern in der Dritten Welt. Teilweise werden auch militärisch dominierte Gegenmaßnahmen gegen erfolgte oder befürchtete Weiterverbreitung empfohlen. Dieses Bild ist äußerst pragmatisch und keinesfalls visionär. Zum Teil ist diese Sichtweise sicher auch eine enttäuschte Reaktion auf die innerhalb internationaler Gremien betriebene reine »Abrüstungsrhetorik« der vergangenen Jahrzehnte.

Tatsächlich ist der NPT in einer bestimmten historischen Situation entstanden. Die UN-Debatten über nukleare und vollständige Abrüstung mit dem Ziel eines friedlichen und gerechten Weltsystems standen der Konzeption der nuklearen Abschreckung innerhalb der wachsenden Blockkonfrontation und dem damit verbundenen Rüstungswettlauf in der Ost-West-Konkurrenz gegenüber. Das Hegemoniestreben der Supermächte und seiner Verbündeten konnte mit dem NPT nicht gebrochen werden.

Die vertikale Proliferation ging nach Abschluß des NPT in den siebziger und achtziger Jahren sogar verstärkt weiter. Ein weiteres wesentliches Gegensatzpaar bildete die Sorge um die beschleunigte Weiterverbreitung der Kernwaffen im Weltmaßstab bei gleichzeitigem Wunsch der Proliferation im Bereich ziviler Kerntechnik. Die Kernenergie-Euphorie der sechziger Jahre wurde von ökonomischen Interessen der Industrieländer und Entwicklungshoffnungen der Entwicklungs- und Schwellenländer gleichermaßen gespeist. So war der NPT im Kern ein doppeltes »Geschäft«. Ein Hauptaspekt war der Verzicht der »Entwicklungsländer« auf eigene Kernwaffen gegen Unterstützung bei der »zivilen« Nutzung der Kernenergie bei gleichzeitigem Versprechen der Kernwaffenstaaten auf Stopp der Kernwaffenweiterentwicklung und Einleitung von Schritten zur vollständigen Abrüstung. Mindestens genauso wesentlich, wenn auch nicht so deutlich ausgesprochen, war der Verzicht der industrialisierten Nationen, wie Deutschland, Japan, Canada, Schweden, auf Zugang zu Kernwaffen bei gleichzeitiger unbeschränkter Nutzung der Kernenergie im »zivilen« Bereich und bei Zulassung eines exzessiven (kontrollierten) nuklearen Exportgeschäfts. Diese doppelte Strategie, die deutlich erkennbar nicht nur Sicherheitsinteressen sondern ganz entscheidend auch Geschäftsinteressen diente, hat großenteils nicht zum Erfolg geführt. Neben den bereits erwähnten Fakten, sollte man sich vor Augen halten, daß seit 1970 keine nennenswerte Stromproduktion aus Nuklearenergie in Ländern der sogenannten Dritten Welt zu verzeichnen ist.

Die Zeiten der ungehemmten Propagierung der Kernenergie sind aus verschiedensten (ökonomischen, sicherheitstechnischen, umweltpolitischen, entsorgungstechnischen, entwicklungspolitischen) Erwägungen weltweit zu Ende gegangen; ebenso ist der Ost-West-Konflikt begraben. Ist es da nicht Zeit, über eine neue Einbettung des NPT in die internationale Politik nachzudenken? Die alte Block-Konfrontation führte wie üblich zu einer Festschreibung des Status quo der Machtverhältnisse, so auch im NPT, der den fortdauernden Besitz von Kernwaffen für wenige im Kern trägt, sofern nicht mit der nuklearen Abrüstung auf Null Ernst gemacht wird. Die längst überholte Kernenergieeuphorie führte zu der widersprüchlichen und fatalen Grundannahme des NPT, die Weiterverbreitung von Kernwaffen könne bei gleichzeitiger Proliferation im Bereich »ziviler« Nukleartechnologie aufgehalten werden. Ein Umdenken wäre nach Beilegung des Ost-West-Gegensatzes und bereits erfolgten ersten Schritten zur nuklearen Abrüstung der Supermächte, sowie bei einer dringend nötigen Entmystifizierung des angeblich unverzichtbar notwendigen Zugangs zu fortgeschrittener Nukleartechnologie möglich. Das oben erwähnte Dreiklassensystem des Zugangs zu nuklearen Technologien und die damit verbundenen Einfluß- und Technologiebarrieren müßte aufgebrochen werden. Bei Einführung eines weitgehenderen Souveränitätsverzichts aller Staaten und von Selbstbeschränkungen im Gebrauch der Nukleartechnologie wäre die im Grunde künstliche (einseitige) Beschränkung des Exportes nur noch für eine Übergangszeit erforderlich und würde die Glaubwürdigkeit einer dann »ungeteilten« Non-Proliferationspolitik der »Habenden« erhöhen. Kontraproduktiv und widersinnig erscheint dagegen die Aufrechterhaltung der Drohung mit Kernwaffen als Mittel gegen die Verbreitung von Kernwaffen.

Die Debatten über die Verlängerung des NPT im Jahre 1995 bergen die historische Chance in sich, die diskriminierende Interpretation des NPT, die lediglich den horizontalen Aspekt der Proliferation betont, radikal zu verändern. Der NPT Verlängerungsprozeß könnte zum Wendepunkt des »nuklearen Zeitalters« werden. Der Glaube an die Rationalität von Kernwaffen, wo auch immer auf der Welt, könnte endgültig gebrochen werden. Das Konzept der nuklearen Abschreckung, das für Jahrzehnte die Welt bedroht, muß bald verschwinden. Die nuklearwaffenfreie Welt, wie im NPT bereits anvisiert, sollte zum erreichbaren Ziel werden.12 Die Transformation des Non-Proliferations-Regimes, in dessen Kern der NPT steht, zu einer Konzeption einer nuklearwaffenfreien Welt sollte schrittweise betrieben werden.13

Vorschläge für Maßnahmen

Eine Fülle von Vorschlägen kann in Hinblick auf die Bearbeitung der Gefahren der horizontalen und vertikalen Proliferation und dem Ziel nuklearer Abrüstung gemacht werden14. Hier soll im Wesentlichen auf eine mögliche Politik der Kernwaffenstaaten und der im Prinzip nuklearwaffenfähigen Industriestaaten, wie Deutschland, eingegangen werden.

Unter Beibehaltung des NPT auf Zeit sollten begleitende Schritte zur Transformation des Non-Proliferationsregimes eingeleitet werden. Dies könnte auch ein Weg sein, wesentliche Staaten, die dauerhaft außerhalb des NPT stehen, zunehmend in die Bemühung um Non-Proliferation und Abrüstung einzubinden, ohne ihnen die Zustimmung zum abgelehnten NPT aufzuzwingen. Ein hilfreicher Weg in der aktuellen Situation wären einseitige, völkerrechtlich verbindliche Erklärungen der Kernwaffenstaaten und wichtiger Industrienationen. Das können auch zusätzliche internationale Verträge mit Bezug zum NPT sein oder Initiativen, die kurz- oder mittelfristig dahin führen sollen, um breitere multinationale Unterstützung zu erreichen.

Darin sollten sich die Kernwaffenstaaten verpflichten

  1. zu einem vollständigen Teststopp (unter Ausschluß von Umgehungstechnologien)15 ;
  2. zu einem Ende der Produktion waffengrädiger Materialien in Mengen, die für Kernwaffen relevant sind (HEU, Plutonium in jeglicher Isotopenzusammensetzung, Tritium)16 ;
  3. zu weiteren einschneidenden Reduzierungen der Kernwaffenarsenale mit Angabe eines verbindlichen zeitlichen »Fahrplans« zur nuklearen Abrüstung (nicht nur in den USA und Rußland)17;
  4. zu full-scope safeguards in allen ihren von Kontrollen bisher ausgenommenen Nuklearanlagen;
  5. zum Ende aller kernwaffenrelevanten Forschung und Entwicklung.

Im Prinzip nuklearwaffenfähige Industriestaaten und die Kernwaffenstaaten sollten sich verpflichten zum Verzicht auf Nutzung spezifischer sensitiver Technologien, wie Wiederaufarbeitung (obwohl der NPT die Nutzung jeglicher »ziviler« Nukleartechnologie erlaubt); zum Verzicht auf jegliche Plutoniumnutzung im Brennstoffkreislauf; zum Verzicht auf Nutzung hochangereicherten Urans (HEU) in allen Reaktoren und Bemühung um Internationalisierung der Anreicherung jenseits nationaler Oberhoheiten; zur Internationalisierung aller Lager waffengrädiger Spaltstoffe unter Einschluß von Tritium; zum Verzicht auf die Entwicklung neuer sensitiver Nukleartechnologien, wie Laserisotopentrennung, Trägheitseinschlußfusion, schnellen Brutreaktoren, beschleunigergestützter Materialproduktion; zur Bereitstellung von erheblichen Finanzmitteln für die Ausstattung einer Internationalen Energiebehörde, die die Entwicklung und Verbreitung nicht-nuklearer Energieträger in offener internationaler Kooperation anstrebt.

Das wären erste Schritte, die jetzt sofort möglich wären, und deutliche Signale setzen würden. Was spräche dagegen, daß sich beispielsweise Indien und Pakistan an einem von den USA und Rußland initiierten Produktionsstopp für waffenfähige Materialien (zunächst vielleicht begrenzt auf das für die letzteren kaum empfindlich spürbare Verbot der Neuproduktion waffengrädiger spaltbarer Materialien, die in Hülle und Fülle vorhanden sind) anschließen, ohne dem abgelehnten NPT beizutreten? Sie wären so aber endlich eingebunden in internationale, streng verifizierte Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungsmaßnahmen, die ungeteilt und universell (ohne Diskriminierung) anwendbar sind. Was spräche gegen ein beispielsweise von Deutschland, Schweden, USA und Belgien initiiertes Abkommen, das den Verzicht auf Plutoniumnutzung bekannt gibt, und das u.a. Brasilien, Nordkorea und Japan ein überzeugendes Vorbild für einen gleichartigen Schritt gäbe? Ist mit dem Angebot der partnerschaftlichen Entwicklung alternativer, regenerativer Energieträger dem Ziel der Nichtweiterverbreitung von sensitiver Nukleartechnologie mittel- und langfristig nicht mehr gedient, als mit dem Beharren auf dem Sinn großer nationaler Nuklearprogramme (und dem Lippenbekenntnis zu ungeteilter internationaler Kooperation) bei gleichzeitiger Teilung des Technologiezugangs mithilfe von Exportbeschränkungen?

Wer eine »unendliche« Verlängerung des NPT fordert, so wie es beispielsweise die wichtigsten NATO-Länder tun, muß entschiedene Schritte zur Abrüstung ergreifen und das Dual-use Problem im Bereich sensitiver Technologien über Exportkontrollen hinaus durch Selbstbeschränkung im eigenen Gebrauch und offene internationale Kooperation in überlebenswichtigen Technologiebereichen angehen. Ohne daß sich hier erhebliche Fortschritte in den nächsten zwei Jahren wenigstens andeuten, wird es unwahrscheinlicher, das der NPT im Einvernehmen der ganzen Völkergemeinschaft erfolgreich verlängert werden kann.

Vorschläge für eine deutsche Position in Bezug zum NPT

Die Bundesregierung sollte »Druck« auf die Kernwaffenstaaten, der ja zum Teil »partnerschaftlicher Druck« wäre, ausüben, die im letzten Abschnitt aufgelisteten Schritte der Kernwaffenstaaten zu erreichen. Dabei sollten die außerhalb des NPT stehenden De-facto-Kernwaffenstaaten miteinbezogen werden. Deutschland könnte partiell eine Moderatorrolle zukommen, die versucht, die Kernwaffenstaaten und Schwellenländer mit großer Distanz zum NPT zu überzeugen, unabhängig davon gemeinsame Begrenzungs- und Abrüstungsschritte mit (oder ohne) den etablierten Fünf (und anderen) auszuhandeln. Weiterhin sollten insbesondere die industrialisierten NPT-Mitgliedsländer, die nicht selber Kernwaffen besitzen, zu den im vorausgegangenen Abschnitt angegebenen Schritten überzeugt werden.

So könnte die deutsche Regierung

  1. für eine Verlängerung des NPT unter Einschluß eines regelmäßigen Review-Prozesses eintreten (der »Hebel« des Artikel VI sollte nicht aus der Hand gegeben werden);
  2. für entsprechende völkerrechtlich verbindliche Zusatzerklärungen und -vereinbarungen mit Bezug zum NPT werben;
  3. eine tiefgreifende Reform der IAEO anregen (unter Einschluß der Gründung einer Internationalen Energieagentur);
  4. die Transformation des Non-Proliferationsregimes durch Einbettung in eine Konzeption der nuklearwaffenfreien Welt propagieren.

Überzeugend würde eine solche deutsche Position allerdings erst, wenn eigene entschiedene Schritte in die anvisierte Richtung ergriffen würden. Ein solcher deutscher Maßnahmenkatalog sollte den Zielen dienen:

  • Schritte zur Aufhebung der Wahrnehmung des NPT als eines diskriminatorischen Vertrages;
  • Bearbeitung der NPT-inhärenten Ambivalenz- und Dual-use-Problematik;
  • Glaubwürdigkeit und Übertragbarkeit der Position auf alle Staaten durch eindeutigen Selbstverzicht;
  • Erreichung maximaler Proliferationsresistenz des genutzten Brennstoffkreislaufes, insbesondere Vermeidung des Erhaltes wissenschaftlich-technologischer Optionen, die für Kernwaffen wesentliche Voraussetzungen sind;
  • Internationalisierung des Prozesses, der die Transformation des NPT will.

Der Katalog möglicher Maßnahmen für die deutsche Exekutive enthält (unter Angabe der Handlungs-Konsequenzen):

  1. Verzichtserklärung: kein Interesse an der Nutzung ziviler Kernsprengungen (außer Abgabe der Erklärung im direkten Bezug zum NPT keine Handlungskonsequenzen);
  2. erklärter Verzicht auf HEU-Produktion und HEU-Nutzung (Verzicht auf die gegenwärtige Konzeption des geplanten neuen Garchinger Forschungsreaktors FRM II);
  3. Verzicht auf Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente auf deutschem Boden (zur Zeit de-facto keine weitere Handlungskonsequenz)
  4. Verzicht auf Plutoniumnutzung (Konsequenzen: 1. Kündigung der Wiederaufarbeitungsverträge im Ausland, insbesondere mit der französischen Cogema und der britischen THORP; 2. Ende der Mischoxidnutzung (MOX) in deutschen Reaktoren; 3. »Aus« für die neue Hanauer Brennelementefabrik);
  5. allgemeine Erklärung der Nicht-Produktion und Nicht-Nutzung waffengrädigen Nuklearmaterials in für Kernwaffen relevanten Mengen (Konsequenzen wie oben; hinzu käme die Nichtnutzung von Tritium);
  6. nationale Schritte zur Internationalisierung aller Lager waffenfähigen Materials (Übergabe deutscher Plutoniumvorräte an eine internationale Behörde)
  7. Verzicht auf Weiterentwicklung neuer proliferationsträchtiger Nukleartechnologie (forschungs- und technologiepolitische Konsequenzen mit Einfluß auf Programme zur Trägheitseinschlußfusion, zur Laserisotopentrennung, zu bestimmten Beschleunigerentwicklungen, zur Brüterentwicklung);
  8. Aufrechterhaltung der strikter gewordenen Exportkontrolle und ihre ungeteilte Anwendung bis das Prinzip »exportiert werden kann, was auch im eigenen Land für unverzichtbar gehalten wird« maßgeblicher werden kann (Konsequenzen: keine Aufweichung der Gesetzgebung im Dual-use Bereich oder im Rahmen der anstehenden euröpäischen »Harmonisierung« der Kontrollrichtlinien; keine Exporte mehr, die im Zusammenhang mit Kernwaffenprogrammen von Kernwaffenstaaten stehen)
  9. Eintreten für die Einrichtung einer nuklearwaffenfreien Zone in Mitteleuropa (Konsequenzen: Abzugsforderung für die noch immer auf deutschem Boden stationierten Kernwaffen);
  10. massive Entwicklung von Alternativen zur Kernenergienutzung insbesondere in Kooperation mit sich entwicklenden Ländern (institutionelle und forschungs- und technologiepolitische Konsequenzen unter Einschluß internationaler Kooperationsprogramme; Initiative für eine entsprechende Internationale Behörde; (Fort-)Entwicklung von Aus- und Umstiegsszenarien);
  11. Förderung der Entwicklung von Wegen zur Zerstörung von Plutonium (forschungs- und technologiepolitische Konsequenzen).

Dies wären eindeutige und glaubwürdige Schritte auf dem Weg in eine nuklearwaffenfreie Welt. Eine Umsetzung im nationalen Rahmen – zunächst fokussiert auf einige der Vorschläge18 – wäre anzustreben. International sollte (gerade auch durch konkrete eigene Schritte) für eine solche Neukonzeption im Bereich Non-Proliferation und Abrüstung geworben werden. Dazu gehört mittelfristig die Aushandlung eines neuen, erweiterten Vertrages (»Konvention über die Erreichung einer kernwaffenfreien Welt«), der den NPT eines Tages ersetzen kann und den Übergang in die nuklearwaffenfreie Welt international verbindlich regelt.

Schlußbemerkung

Carl Friedrich von Weizsäcker hat immer wieder betont, daß die Bedrohung der Welt mit Kernwaffen höchstens dann irgendeinen Sinn haben könnte, wenn in der Atempause, die diese tatsächlich schaffen könnte, Anstrengungen erfolgreich würden, die Institution des Krieges überhaupt zu überwinden. Nach Ende des Kalten Krieges ist die Zeit reif, diese Bemühung dringlich einzufordern. Der Abrüstungsprozeß für die bereits existierenden Kernwaffen wird allein schon aus technischen Gründen mindestens ein bis zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen (vermutlich mehr). Die verbleibende »Atempause« unter Fortexistenz von Kernwaffen ist also notgedrungen lang. Die Entscheidung für das Ziel einer kernwaffenfreien Welt muß aber bereits jetzt fallen, ansonsten werden die Kernwaffen von den »Habenden« auf Dauer als Macht- und Drohmittel eingesetzt und bleiben begehrlich für andere Staaten. Die politische und technische Realisierung dieses Ziel bleibt eine Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte.

Anmerkungen

1) Eine Grundlage ist die »Stellungnahme zu aktuellen Problemen der nuklearen Non-Proliferation aus naturwissenschaftlicher Blickrichting«, die mit Datum vom 10.3.1993 von W.Liebert und M.Kalinowski für die Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« erarbeitet wurde. (Abgedruckt im »Dossier Verbreitung von Atomwaffen«, Wissenschaft und Frieden, 11. Jg. 1/1993.) Dort wird wird die Weiterverbreitungsproblematik ausgiebiger behandelt. Zurück

2) Für den vollständigen Text, vergl. Bundesgesetzblatt, Jg. 1974, Teil II, Nr.32 (8.6.1974), S.785-793. Zurück

3) Als Kernwaffenstaat gilt, wer vor dem 1.1.1967 eine Kernwaffe hergestellt oder gezündet hat (Artikel IX). Nach dieser definitorischen Festlegung sind seit 1992 »alle« Kernwaffenstaaten, nämlich USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich und China, Mitglieder des NPT. Zurück

4) UN-Dokumente werden zitiert nach: UN Department of Political and Security Council Affairs, The United Nations and Disarmament 1945-1970, United Nations, New York, 1970. Zurück

5) Zitiert nach W.Epstein, The Non-Proliferation Treaty and the Review Conferences – 1965 to the Present, in: R.D.Burns (ed.), Encyclopedia of Arms Control and Disarmament, New York: Charles Scribners's Sons, 1993, S. 855-875. Zurück

6) Vergleiche dazu ausführlicher W.Liebert, Proliferationsgefahren durch moderne Nukleartechnologie, in: E.Müller, G.Neuneck (Hrsg.), Rüstungsmodernisierung und Rüstungskontrolle, Baden-Baden: Nomos, 1991, S.147-167; W.Liebert, M.Kalinowski, E.Kankeleit, K.Nixdorff, A.Schaper, J.Scheffran, Proliferation von Massenvernichtungswaffen aus naturwissenschaftlicher Sicht, in: U.Kronfeld et al. (Hrsg.), Naturwissenschaft und Abrüstung, Münster: Lit-Verlag, 1993, S.120-174. Zurück

7) John Holdren, Civilian Nuclear Technologies and Nuclear Weapons Proliferation, in: C.Schaerf, B.H.Reid, D.Carlton (Hrsg.), New Technologies and the Arms Race, MacMillan Basingstoke 1989, S.161. Zurück

8) Ausreichen würden (in Abhängigkeit von der verwendeten Sprengtechnik) jeweils einige Kilogramm Plutonium bzw. in der Größenordnung von 10 bis 20 Kilogramm HEU ~<-10> <0>90<-10> <0>% Anreicherung). Zurück

9) E. Kankeleit, C. Küppers, U. Imkeller, Bericht zur Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium, (erweiterte Fassung der ersten Fassung von 1984), IANUS-Arbeitsbericht 1/1989. Zurück

10) Zu Verbesserungsvorschlägen im Safeguards-Bereich vergl. W.Liebert, M.Kalinowski, Present problems of nulcear non-proliferation (and nuclear disarmament) from a natural scientists point of view, Proffered paper 43rd Pugwash Conference on Science and World Affaires, Sweden, June 1993 (auch als IANUS-Arbeitsbericht 5/1993 erhältlich). Zurück

11) Wie »die Bombe« gebaut werden kann, ist kein prinzipielles Geheimnis mehr. Die wesentliche Schwelle für die Möglichkeit, Kernwaffen zu bauen, ist tatsächlich der Zugriff auf waffentaugliches Material. Aber für deren Produktion werden Nuklearanlagen benötigt, die nur halbherzig in Sicherungsmaßnahmen einbezogen sind. Zurück

12) Vergl. ausführlicher J.Rotblat, J.Steinberger, B. Udgaonkar (Hrsg.), A Nuclear-Weapon-Free World – Desirable? Feasable?, A Pugwash Monograph, Boulder: Westview Press, 1993. Zurück

13) Diesem Ziel dient auch der im Dezember 1993 herausgebrachte Aufruf einer International Coalition for Nuclear Non-Proliferation and Disarmament – Working Together for a Nuclear Weapon-Free World. Vergl. Nachrichten in den »blauen Seiten« dieses Heftes. Zurück

14) Vergl. dazu ausführlich W.Liebert/M.Kalinowski (1993), op.cit. Zurück

15) Der möglichst weitgehende Ausschluß von bereits bekannten Umgehungstechnologien wäre wünschenswert. Eine Verbesserung von neu ausgehandelten Rüstungskontrollvereinbarungen würde so durch Beachtung des in der Vergangenheit gering geachteten Präventionsprinzipes erreicht, die den technischen Vorsprung einiger Länder nicht mehr belohnt bzw. dessen Nutzung zur Umgehung der Vertragsziele einzuschränken sucht. Zurück

16) Ein solcher »cut-off« sollte sich nicht auf das Ende der Materialproduktion für Waffenzwecke beschränken, sondern die prinzipielle Waffenfähigkeit der angegebenen Stoffe zum Ausschlußkriterium machen. Zurück

17) Nachfolgende Verträge sollten neben der Zerstörung der Kernwaffen selbst, eine internationale Überwachung der vorübergehenden Lagerung der entnommenen waffengrädigen Materialien, ihre langfristig vorzunehmende Zerstörung bzw. sichere Endlagerung, sowie die Zerstörung der zugehörigen Trägersysteme vorsehen. Zurück

18) Vorschlag 1. wäre »billig« zu haben, wäre aber ein »Einfallstor« für die Konzeption, den »mangelhaften NPT« in der angestrebten Weise zum Ausgleich seiner Schwächen einzubetten. Vorschläge 2., 3., 4., 6. und teilweise 7. könnten beispielsweise in gebündelter Form einem international auszuhandelnden Produktions-Cut-off korrespondieren. Zurück

Dr. Wolfgang Liebert ist Mitarbeiter der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der Technischen Hochschule Darmstadt. Er ist Mitglied des Beirates der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« und Mitglied des Coordinating Committee des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1994/1 Religion, Seite