Erklärung von Friedensforschungsinstituten und Gruppen der naturwissenschaftlichen Abrüstungsforschung zu den französischen Nukleartests
Wiederaufnahme der Atomtests gefährdet Nichtverbreitungsregime
von Friedens- und KonfliktforscherInnen
Mitte Juni 1995 kündigte der im Mai neugewählte französische Präsident Jacques Chirac die Wiederaufnahme der seit 1992 eingestellten französischen Atomwaffentests an. Zwischen September 1995 und Mai 1996 sollen mindestens acht Tests auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik durchgeführt werden.
Nur einen Monat nach der unbegrenzten Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages in New York, in dessen Schlußdokument sich die Atommächte zu „äußerster Zurückhaltung“ bei Nukleartests bis zum Abschluß eines Vollständigen Teststoppvertrages verpflichtet hatten, haben die weltweiten Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtweiterverbreitung damit einen schweren Rückschlag erlitten. Neben Frankreich hatte bereits China am 14. Mai 1995 einen Nukleartest durchgeführt. Werden die Nukleartests wiederaufgenommen und kommt in nächster Zeit keine Einigung über einen umfassenden Teststopp zustande, so wird nicht nur die Distanz zwischen den Nuklear- und den Nichtnuklearmächten weiter erheblich vergrößert, sondern das in den letzten Jahrzehnten aufgebaute Nichtweiterverbreitungsregime könnte irreversiblen Schaden erleiden; die weitere nukleare Abrüstung wäre gefährdet.
Sind Nukleartests notwendig?
Zwischen 1945 und 1994 wurden weltweit über 2.000 Atomtests durchgeführt; seit 1963 sind Atomversuche in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser vertraglich verboten. Seit 1974 halten sich auch Frankreich und seit 1980 China daran. Die USA haben in dieser Zeit 1.030 Tests (815 unterirdisch) durchgeführt, die Sowjetunion 715 (508 unterirdisch), Großbritannien 45 (24 unterirdisch), China 41 (18 unterirdisch) und Frankreich 204 (159 unterirdisch).
Zwei wesentliche Begründungen für die Durchführung von Tests werden immer wieder angeführt: a) die Überprüfung der Sicherheit existierender Arsenale sowie b) die Entwicklung neuer Sprengkopftypen. Angesichts von über 200 durchgeführten Tests (d.h fünfmal soviel wie Großbritannien und China) liegen Frankreich genügend Erfahrungen vor, um die Funktionsfähigkeit und Zuverlässigkeit des vorhandenen Arsenals zu garantieren. Die Atomwaffen werden ständig kontrolliert und gewartet. Zusätzlich können Komponenten der Sprengköpfe ausgebaut und einzeln getestet bzw. im Schadensfalle durch neue Komponenten ersetzt werden. Nukleartests sind dazu nicht notwendig. Ein Hauptgrund für die Atomtests ist vielmehr die Weiterentwicklung und »Verbesserung« von Nuklearwaffen. Es ist offenkundig, daß ein neuer Sprengkopf für die für U-Boote vorgesehene strategische Rakete M-5 und ein Sprengkopf für die luftgestützte Abstandswaffe ASLP getestet werden soll. Hiermit setzt Frankreich den qualitativen Rüstungswettlauf durch die angestrebte Realisierung kleiner, zielgenauer Nuklearwaffen fort, die bereits in das Arsenal z.B. der USA eingeführt wurden.
Können Computersimulationen Nukleartests ersetzen?
Immer wieder wird das Argument ins Feld geführt, Simulationen könnten Nukleartests ersetzen. Um Simulationsrechnungen an die Realität anzupassen, werden stets auch experimentelle Daten benötigt. Bei über 200 Tests liegen Frankreich jedoch genügend Daten vor, um Berechnungen für die bisherigen Sprengkopftypen durchzuführen. Auch eine gewisse Extrapolation in bezug auf geänderte Anordnungen sollte damit möglich sein. Allerdings kann man grundlegend neue Bombentypen auf diese Weise nicht entwerfen. Außerdem hat das Militär große Bedenken, sich auf ungetestete Waffen zu verlassen. Dies ist seit über 30 Jahren ein Hauptmotiv der Rüstungskontrollbemühungen für den fehlenden Abschluß eines Vollständigen Teststopps. Daher liegt die Befürchtung nahe, daß ein Teil der Tests der Gewinnung von neuen Daten für »fortgeschrittene Nuklearwaffen« dienen. Darunter sind miniaturisierte Atomwaffen mit selektiver Wirkung zu verstehen, die z.B. gegen unterirdische Bunker eingesetzt werden können.
Durch den geplanten Teststoppvertrag voraussichtlich nicht verbotene Labortests, sog. hydronukleare Tests und Laserfusionsexperimente, könnten, zusammen mit Simulationsrechnungen, dazu dienen, kleinere Sprengköpfe mit begrenzter Energiefreisetzung im niedrigen kt-Bereich weiterzuentwickeln. Bei hydronuklearen Tests wird eine Kettenreaktion mit geringfügiger nuklearer Energiefreisetzung durchgeführt.
Bei den Genfer Teststoppverhandlungen ist nicht nur umstritten, ob den Atommächten hydronukleare Tests überhaupt weiter gestattet sein sollen und, wenn ja, welche Schwellen dabei noch erlaubt sind. Während die USA eine nukleare Energiefreisetzung von über 2 kg TNT-Äquivalent verbieten wollen, tritt Großbritannien für Obergrenzen von 50 kg, Rußland für 10 Tonnen, Frankreich für 100-200 Tonnen und China für 1.000 Tonnen ein. China verlangt zudem, Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken weiterhin durchführen zu können. Jede Nuklearmacht fordert eine Grenze der Testexplosionen, die ihrer eigenen technischen Fähigkeit angepaßt ist. Die USA sind sowohl auf dem Gebiet der Entwicklung von nuklearen Kleinsprengköpfen als auch in der Anwendung von Computersimulationen am weitesten fortgeschritten. Während eine Schwelle von nur 2 kg als solche militärisch nicht relevant ist, können bei einer Grenze von einigen 100 Tonnen bereits neue Miniatursprengköpfe entwickelt und im Orginal erprobt werden. Die Tests dieser »neuen Generation von Nuklearwaffen« auf den bekannten Testgeländen würden die Verifikation eines Teststopps zudem erheblich erschweren. Es ist davon auszugehen, daß die französischen Tests auch der Gewinnung von neuen Testdaten für Miniatursprengköpfe dienen. Damit verbunden wäre die Ablösung der bisherigen französischen Abschreckungsstrategie »des Schwachen gegen den Starken« durch eine nukleare Kriegsführungsstrategie. Die angekündigten Tests gefährden einen Abschluß eines Vollständigen Teststopps deshalb aufs schwerste.
Sind die Nukleartests im Südpazifik ökologisch verantwortbar?
Die 187 Tests auf Mururoa und Umgebung haben bereits großen ökologischen Schaden angerichtet. Die »Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg« (IPPNW) schätzen, daß ca. 20 kg Plutonium auf dem Grund des Atolls abgelagert sind. Hohe Konzentrationen von Plutonium wurden im Plankton festgestellt. Angesichts der vielen Tests und möglicher geologischer Instabilitäten ist nicht auszuschließen, daß zumindest langfristig radioaktive Spaltprodukte ins Meer und damit in die Nahrungskette gelangen. Die geologische Struktur des Mururoa-Atolls ist höchstwahrscheinlich ungeeignet, um die bei Tests entstehenden radioaktiven Substanzen auf Dauer von der Umwelt abzuschirmen. Der tiefergelegene Basalt, in dem die Tests stattfinden, ist nach glaubwürdigen Aussagen von Geologen nicht nur von natürlichen Bruchlinien und Explosionsrissen durchzogen, sondern er ist auch durch Wasser gesättigt, was den Transport von Radioaktivität an die Oberfläche begünstigt. Das vulkanische Gestein Mururoas bildet nicht die geologische Barriere, die immer wieder betont wird. Bisher war es keiner unabhängigen Wissenschaftlerkommission erlaubt, umfassend zu überprüfen, ob die geologische Struktur so sicher ist, wie von offizieller französischer Seite behauptet wird.
Folgende Konsequenzen sind bei der Durchführung der französischen Tests zu erwarten:
1.) Bisher hatte sich nur China nicht dem Teststopp-Moratorium der Atommächte USA, Rußland, Frankreich und Großbritannien von 1992 angeschlossen. Es besteht nun die Gefahr, daß in diesen Ländern wieder die Stimmen Unterstützung finden, die seit Jahren die Wiederaufnahme der nationalen Atomtests fordern. In den USA und in Rußland sind 1996 Präsidentschaftswahlen. Nationalistisch ausgerichtete Kandidaten werden verstärkt für die Wiedereinführung von Nukleartests zur Stärkung der »nationalen Sicherheit« eintreten und sie im Falle ihrer Wahl durchsetzen. Zudem würde eine Chance vertan, China zum Einlenken zu bewegen.
2.) Trotz des Widerstands einiger weniger entwickelter Länder konnte der Nichtverbreitungsvertrag im Mai 1995 ohne Kampfabstimmung unbefristet verlängert werden. Die Sorge vieler Vertragsstaaten, die Atommächte würden bei unbefristeter Verlängerung die begonnene nukleare Abrüstung nicht mit genügendem Ernst vorantreiben, konnte durch zusätzliche Entschließungen notdürftig entkräftet werden. Für viele Nichtnuklearwaffenstaaten ist die Wiederaufnahme der Atomtests nunmehr ein Schlag ins Gesicht. Sie fühlen sich regelrecht betrogen. Damit könnte das internationale Nichtverbreitungsregime nicht wieder gutzumachenden Schaden erleiden.
3.) Die Verhandlungen für einen »universellen, effektiven und verifizierbaren« Vollständigen Teststopp, die in Genf stattfinden und die bis 1996 abgeschlossen sein sollen, werden durch die Tests Chinas und Frankreichs ein weiteres Mal schwer belastet. Zu den ohnehin schwierig zu lösenden Problemen (Gibt es eine Grenze für eine Testexplosion? Sind Laborexperimente und Computersimulationen erlaubt? Wie können die Tests verifiziert werden?) gesellt sich nun die Frage nach der Ernsthaftigkeit des erklärten Willens der Atommächte, die nukleare Abrüstung weiter voranzutreiben. Die Geduld und Kompromißbereitschaft mancher Nichtnuklearwaffenstaaten könnten auf Dauer ein Ende finden.
4.) Ein vollständiger Teststopp ist für die Nichtnuklearwaffenstaaten Symbol und Garant für das Ende des qualitativen Wettrüstens, d.h. für das Ende der Weiterentwicklung immer kleinerer und selektiv wirksamer Atomwaffen. Insbesondere die Atommächte treiben diese Entwicklungen bisher voran. Einerseits besteht die Gefahr, daß die Einsatzschwelle dieser Waffen in einem Krisenfall gesenkt wird. Zum anderen könnten potentielle Nuklearwaffenstaaten veranlaßt werden, den deklarierten Nuklearwaffenstaaten mit eigenen Entwicklungen nachzueifern. Ein Teststoppvertrag, der den klassischen Atommächten hydronukleare Tests und andere Laborexperimente nicht verbietet, beendet nicht die geplanten, qualitativen Weiterentwicklungen. Es wäre kein vollständiger Teststopp, sondern lediglich ein Schwellenvertrag für die Vertragsstaaten, die sich einem solchen Regime anschließen. Er beendet weder die Weiterentwicklung noch die Weiterverbreitung von Atomwaffen. Wenn es das Ziel der fünf erklärten Atommächte ist, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu unterbinden, müssen sie selbst ihre eigenen Tests vollständig beenden.
5.) Nach der Epochenwende von 1989 haben Atomwaffen erheblich an Bedeutung verloren. Fünfzig Jahre nach Hiroshima und Nagasaki sind Nuklearwaffen kein rechtfertigungsfähiges und politisch verantwortbares Instrument internationaler Politik. Zur Aufrechterhaltung einer Abschreckung gegen eine atomare Bedrohung reichen wenige Atomwaffen der ersten Generation aus. Frankreich besitzt mehr als genügend moderne Nuklearwaffen, um eine solche Abschreckung zu gewährleisten. Den heutigen Friedensbedrohungen ist mit wirtschaftlicher Hilfe, Entwicklungsprogrammen und präventiver Diplomatie zu begegnen und nicht mit einer Verfeinerung der Nukleararsenale. Die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen haben innerstaatliche Gründe und sind mit Nuklearwaffen nicht zu lösen. Friedensdienlicher wäre es vor dem Hintergrund vieler aktueller Konflikte in der Welt, funktionierende Instrumente für eine effektive Konfliktvorsorge oder ein Krisenmanagement zu entwickeln.
Wir appellieren deshalb an Präsident Chirac und die französische Nation, auf weitere Nukleartests zu verzichten und sich statt dessen für eine Stärkung des Nichtverbreitungsregimes und die möglichst baldige Ratifizierung eines Vollständigen Teststoppvertrages einzusetzen. Wir appellieren an die chinesische Regierung, sich dem Atomtestmoratorium anzuschließen. Schnellstmöglich sollten die Verhandlungen über einen Vollständigen Teststopp in Genf zu Ende geführt werden. Wir appellieren an die Bundesregierung, klar gegen eine Wiederaufnahme der französischen Nukleartests Stellung zu beziehen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die französische Politik einzuwirken, keine weiteren Nukleartests durchzuführen. Statt dessen sollte sie sich verstärkt für nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle engagieren. Wir fordern weiterhin von den Atommächten, ein einseitiges Produktionsmoratorium für kernwaffenfähige, spaltbare Materialien und Tritium zu verkünden sowie dies zu einem dauerhaften »Cut-off-Vertrag» auszubauen. Die überschüssigen, aus dem Rüstungsabbau stammenden, waffenfähigen Inventare aller Kernwaffenstaaten sollen einer internationalen Kontrolle übergeben werden. Dieses Material sollte jeglichem nationalen Zugriff entzogen werden, damit der Abrüstungsprozeß unumkehrbar wird.
- Arbeitsgruppe Naturwissenschaft und Internationale Sicherheit (CENSIS) in der Universität Hamburg
- Bonn International Center for Conversion (BICC), Bonn
- Bochumer Verifikationsprojekt (BVP), Ruhr-Universität Bochum
- Forschungsgruppe »Non-Proliferation« (Dr. Harald Müller, Dr. Annette Schaper), in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt am Main
- Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Hamburg
- Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS), TH Darmstadt
Kontakt: Götz Neuneck, IFSH, Falkenstein 1, 22587 Hamburg (T: (040) 869054; F:(040) 8663615)