W&F 2014/3

„Wir müssen auf den Straßen wieder sichtbarer werden“

Peace Event Sarajevo 2014, 6.-9. Juni 2014, Sarajewo

von Reiner Braun, Kristine Karch und Lucas Wirl

Bunt, vielfältig, international und jung – das war das Peace Event Sarajevo 2014 mit mehr als 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Das Treffen wurde zur Erinnerung an einen der grausamsten Kriege abgehalten, war aber angesichts der aktuellen Kriege und Konflikte auf der ökologisch bedrohten und sozial ungerechten Welt auch friedenspolitisch brennend aktuell.

„Wir müssen intensiver und gemeinsam der Kriegsgefahr in der Welt begegnen und uns mit größerer Energie und mit mehr internationalen Aktionen in die Menschheitsfrage Krieg-Frieden einmischen.“ Dies war das Votum der TeilnehmerInnen des größten internationalen Friedensereignisses 2014, das über Pfingsten mit mehr als 190 Workshops und vielen Kulturveranstaltungen sowie einem großen Jugendcamp in Sarajewo stattfand.

Dieses Peace Event brach einige Tabus. Ein großes Tabuthema war, dass in Sarajewo erstmals seit 20 Jahren auf einem Kongress, der zentraler Bestandteil des Event war, über die Abschaffung der NATO diskutiert wurde. Die große Mehrheit der Bevölkerung und der gesamten politischen Klasse des Landes unterstützt die Mitgliedschaft in der NATO. Auf dem Kongress hingegen wurde die NATO von internationalen Redner_innen wie Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire, dem Programmdirektor des American Service Committee, Joseph Gerson, und dem Vorsitzenden der britischen Kampagne für nukleare Abrüstung, David Webb, einer grundlegenden Kritik unterzogen, und es wurde ihre Abschaffung gefordert. Ein weiteres Tabuthema war die Rolle und die Bedeutung der Europäischen Union. Diese Diskussion verlief zwar kontrovers, aber immer mit dem Ziel der Veränderung hin zu einer sozialen und demokratischen Union. Einmütig wurde die weitere Militarisierung der EU abgelehnt.

„Frieden ist möglich“ – dem entsprach die Stimmung bei der Eröffnungszeremonie des Peace Event in Sarajewo. Wir wollen „nie mehr Krieg, und Konflikte sind friedlich zu lösen“ war die Botschaft der mehr als 900 Menschen und Friedensaktivisten aus insgesamt 32 Ländern.

Die von namhaften internationalen und nationalen Gästen besuchte Veranstaltung wurde angesichts der zunehmenden internationalen Konfrontationen von der gemeinsamen Sorge um den Frieden geprägt, aber auch von der Gewissheit – als einer Lehre aus der Geschichte –, dass friedliche Konfliktlösung möglich und der einzige Ausweg ist, um Kriege zu vermeiden. Dies muss allerdings politisch gewollt und von den Menschen, die sich weltweit nach Frieden sehnen, durchgesetzt werden.

Die Friedensbotschaften von Mairead Maguire, Noam Chomsky, Hildegard Goss-Mayr, Verdiana Grossi, Chico Whitaker und Jasmila Zbanic verbanden sich im Programm mit den ausdrucksstarken »Peace Messages« vieler bosnischer Schüler_innen und Student_innen, die nach Frieden streben und sich aktiv dafür einsetzen. Der traditionelle Gesang des Sarajevo-Chors »Pontamina« und die lebendigen Rhythmen der jungen Musikanten der Gruppe »Balsica« voller Kraft, Lebensfreude und positiver Energie begeisterten das nationale und internationale Publikum.

„Wir müssen Diversität und »Otherness« akzeptieren und feiern“, waren die Worte von Mairead Maguire, die an alle Teilnehmende des Peace Event appellierte: „Lasst Sarajewo, wo der Frieden endete, Startpunkt des kühnen Auftakts eines universellen Rufs nach Frieden durch die umfassende Abschaffung des Militarismus sein.“ Immer wieder wurde die Bedeutung des UNESCO-Programms »Kultur des Friedens« als Alternative zu Krieg und Militarisierung betont. Oder wie es Ingeborg Breines vom International Peace Bureau (IPB) ausdrückte: „Ohne gewaltfreie Aktionen geht es gar nicht.“

Alle Diskussionen fanden in einer Atmosphäre großer Solidarität, gegenseitigen Verständnisses und des Lernens statt. Beispielhaft wurde das friedliche Zusammenleben vorgelebt und auf der großen Kulturveranstaltung gefeiert. Intensiv wurde über Alternativen zum Militarismus nachgedacht. Die Diskussion hatte eine beeindruckende Spannbreite: von der Systemfrage über gewaltfreie Aktionen, Aktionen der Zivilcourage bis hin zur zivilen Konfliktlösung, Prävention, Abrüstung und gemeinsamen Sicherheit im gemeinsamen Haus Europa. Selten wurden diese Überlegungen einander gegenübergestellt, und es überwog ein eher holistischer Ansatz. Es fehlt also nicht an antimilitaristischen Vorschlägen und Überlegungen – diese müssen aber politisch umgesetzt und gegen eine Politik, die Krieg für geostrategische Interessen führt, durchgesetzt werden.

Eine besondere Bedeutung hatte die Solidaritätsveranstaltung für die Flutopfer in der Region, an der mehrere Gruppen aus Bosnien-Herzegowina sowie Manfred Maurenbrecher aus Deutschland teilnahmen. Beeindruckend war das Erinnerungskonzert an Pete Seeger, das am Sonntagabend als Open-Air-Konzert durchgeführt wurde.

Viele Überlegungen für gemeinsame Aktionen, unter anderem für 2015 (70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges), eine internationale Frauenkonferenz, grenzüberschreitende Aktionen gegen die Festung Europa, Aktionen für den Frieden in Syrien, Demonstrationen gegen die Kriegsgefahr in Europa etc. wurden auf der Peace Assembly am Montag diskutiert.

Die über eineinhalb Jahre dauernde Vorbereitung des Peace Event war angesichts der unterschiedlichen kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen alles andere als einfach, aber letztendlich erfolgreich. Alle Probleme – auch die finanziellen – konnten gelöst werden. Dabei mussten auch die lokalen Bedingungen berücksichtigt werden. Alle aktiven Friedensgruppierungen, wie überhaupt fast alle zivilgesellschaftlich engagierten Gruppierungen in Bosnien-Herzegowina und in den anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawien, leben davon, dass sie von USAID oder der Europäischen Union finanziell unterstützt werden. Ob uns das gefällt oder nicht – es ist Realität. Wenn wir mit diesen Gruppen zusammenarbeiten wollen, müssen wir dies berücksichtigen. Ungeachtet dessen wurde bei der Vorbereitung des Peace Event größten Wert gelegt auf die vollständige Unabhängigkeit und Eigenständigkeit aller Entscheidungen.

Weitere Informationen sowie Fotos dieses beeindruckenden Peace Event finden sich auf der Webseite peaceeventsarajevo2014.eu.

Reiner Braun (IALANA und IPB), Kristine Karch (Netzwerk »No to war – no to NATO«), Lucas Wirl (NatWiss und INES)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/3 Die Kraft der Künste, Seite 62