W&F 1999/1

Wirtschaft unter Wachstumszwang?

von Hans-Jürgen Fischbeck

Das Stabilitätsgesetz der Bundesrepublik von 1967 verpflichtet die Wirtschafts- und Haushaltspolitik des Bundes, für ein stetiges reales Wirtschaftswachstum zu sorgen. Prinzipiell ist in einer endlichen Welt ein stetiges (immerwährendes) Wirtschaftswachstum nicht möglich. Noch mehr gilt dies für ein Wachstum mit (mehr oder weniger) konstanter prozentualer Wachstumsrate, das allgemein als erforderlich angesehen und angestrebt wird, obwohl ein solches exponentielles Wachstum gleichbleibende Verdoppelungsraten bedeutet. Deshalb enthält das Stabilitätsgesetz einen fundamentalen Widerspruch: Etwas ständig Wachsendes kann nach elementaren Naturgesetzen nicht stabil bleiben.

Das Stabilitätsgesetz der Bundesrepublik Deutschland meint freilich eine Stabilität anderer Art, nämlich strukturelle Stabilität, d.h. die Stabilität von Strukturen, die ständiges Wachstum produzieren. Andererseits versteht es sich von selbst, dass diese Wachstumsstrukturen nur so lange stabil bleiben können, wie Wachstum möglich ist und die »Grenzen des Wachstums« noch nicht erreicht sind. Sie sind freilich insofern schon längst erreicht, als der Wohlstand der »Wachstumsökonomien« des Westens prinzipiell nicht allen zugänglich gemacht werden kann, da sonst die endlichen Ressourcen erschöpft werden und die Ökosphäre ruiniert wird. Er kann nur aufrecht erhalten werden, indem es der großen Mehrheit der Weltbevölkerung vorenthalten wird. Diese Exklusion wird durch die Abschottung der Wohlstandsinseln gegen die Armutsmigration (Asylkompromiss) und militärisch durch die neue NATO-Strategie zur Aufrechterhaltung der »Stabilität« und des Zugangs zu »strategischen Rohstoffen« befestigt, denn die Wohlstandsregionen mit etwa 16 % der Weltbevölkerung benötigen für ihr Wirtschaftswachstum ca. 80 % der Welt-Ressourcen.

Auf die fundamentale ökologische und weltpolitische Unzuträglichkeit des Wirtschaftswachstums hat Kurt Biedenkopf wiederholt hingewiesen. Zugleich hat er das Dilemma klar erkannt, dass die »strukturelle Stabilität« unseres Systems die eigentliche Begrenzungs- und Ungerechtigkeits-Instabilität programmiert. Er sagt 1: „Ich sehe voraus, dass sich unsere moderne westeuropäische Entwicklung einem vergleichbaren Konflikt2 nähert. Das politische System unseres Landes beruht auf Annahmen, die mit der Lebenswirklichkeit nicht länger vereinbar sind; auf der Annahme nämlich, dass ein stetes exponentielles Wachstum der materiell verfügbaren Ressourcen, des materiellen Bruttosozialproduktes, dauerhaft möglich ist. Sämtliche seiner wesentlichen Grundlagen, Strukturen, Verhaltensweisen und Erwartungen sind durch diese Annahme inhaltlich geprägt. Sein Geldsystem und die Marktwerte der Güter- und Dienstleistungen beruhen auf ihr. Es sieht seine Legitimation durch die Zustimmung seiner Bürger zur demokratischen Ordnung und zum Parteienstaat nur unter der Bedingung eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums gesichert. Stetiges und exponentielles Wirtschaftswachstum und Machterhaltung im bestehenden politischen System bedingen einander. Wer die Möglichkeit dauerhaften exponentiellen Wachstums leugnet, gefährdet deshalb das gegenwärtig reale demokratische Herrschaftssystem ebenso wie die Beweise Galileis das damalige Herrschaftssystem der Kirche gefährdeten.“

Qualitatives Wachstum als Ausweg?

Das Wachstumsdilemma wird natürlich nicht erst heute gesehen. Meist wird jedoch versucht, ihm mit der Forderung zu entkommen, quantitatives Wachstum müsse mehr und mehr in sogenanntes qualitatives Wachstum übergehen. Das Wachstum des Produktionssektors müsse abgelöst werden durch das Wachstum des Dienstleistungssektors, der Ressourcen und Umwelt nicht notwendig proportional belasten muss. Tatsächlich hat der Anteil dieses Sektors am BSP beträchtlich zugenommen. Eine Lösung des Dilemmas ist dies jedoch nicht, denn der Dienstleistungssektor kann nur wachsen, wenn er einen wachsenden Produktionssektor bedient, eben damit dieser noch besser wachsen kann. Zudem ist auch im Dienstleistungsbereich ein ständig steigender Kapitaleinsatz und Ressourcenverbrauch zu beobachten.

An Forderungen, die Wachstumsideologie aufzugeben, und an Appellen, zu einem bescheideneren Lebensstil zurückzukehren, fehlt es nicht. Sie werden immer häufiger und drängender erhoben, übersehen aber fast immer, dass es nicht eine Sache des guten Willens ist, vom Wachstum Abstand zu nehmen. Wachstum ist nicht nur eine Ideologie, von der man sich befreien kann, sondern auch ein systemischer Zwang.

Marktwirtschaft und Kapital

Wäre Wachstum ein Zwang der Marktwirtschaft als solcher, so gäbe es keine Alternative, denn die strukturelle Alternative zur Marktwirtschaft ist die Planwirtschaft, die die dezentrale Selbstregulation der Wirtschaft durch die zentralistische Allmacht einer Einparteien-Hierarchie zu ersetzen versucht hat. Sie ist historisch mit dem sogenannten Staatssozialismus gescheitert. Somit ist in einer auf Arbeitsteilung beruhenden Wirtschaft ein marktförmiger Austausch zwischen selbständigen Wirtschaftssubjekten, der sich durch Angebot und Nachfrage selbst regelt, unumgänglich. Dieser multilaterale Austausch wird durch Geld als Wertäquivalent für Waren und Dienstleistungen ermöglicht. Der bloße Austausch von Waren und Dienstleistungen, deren monetäre Wertäquivalente sich durch Angebot und Nachfrage konkurrierender Wirtschaftssubjekte einstellen, erzeugt aber noch keinen Wachstumszwang.

Wachstumszwang als solcher entsteht erst in einer bestimmten Form der Marktwirtschaft, die allerdings derzeit so dominiert, dass sie weithin als die Marktwirtschaft schlechthin und somit unausgesprochen als die einzig mögliche angesehen wird. Diese Form der Marktwirtschaft kann als »kapitalistisch« bezeichnet werden, sofern damit die bestimmende Rolle des knapp gehaltenen, unter Rentabilitätszwang stehenden Kapitals indiziert wird.

Zu unterscheiden sind Geldkapital, Grund und Boden sowie Anlagenkapital und sog. geistiges Kapital oder intellectual property. Charakteristisch ist, dass aus Kapitalbesitz leistungslose Einkommen erzielt werden. Einkommen, die den Besitzenden permanent von den Arbeitenden her zufließen. Dies sei hier kurz an der beherrschenden Form des Geldkapitals aufgezeigt.

Geldkapital hat den Vorteil der Universalität und Liquidität. Es kann da eingesetzt (angelegt) werden, wo es die höchsten Renditen verspricht. Diesen Vorteil gibt man auf, wenn man liquides Kapital durch Verleihen anlegt, und läßt sich das bezahlen – durch Zinsen. Genauer gesagt ist die Liquiditätsverzichtsprämie nur ein Anteil des nominalen Zinses. Dazu kommen noch eine Risikoprämie und als Sockel die Inflationsrate. Empirisch liegt der Mindestzinssatz bei Null-Inflation auf dem Kapitalmarkt bei etwa 6%. Sinkt er darunter, wird das Geldangebot zögerlicher. Die Kapitalgeber beginnen dann damit, den Liquiditätsvorteil höher zu schätzen und Geld auf Girokonten und in barer Form verstärkt zurückzuhalten (zu verknappen), was ein weiteres Sinken des Zinssatzes verhindert und ihn schließlich wieder steigen läßt.

Die Zinseinkünfte aus dem Liquiditäts- und Universalitätsvorteil der Geldvermögen führen dazu, dass ca. 90% aller Haushalte Netto-Zinsverluste zugunsten der 10% Wohlhabenden erleiden. Weil Fremdkapitalkosten (d. h. Zinsen) auf die Preise umgelegt werden, sind in allen Preisen Zinsanteile von 30-40% enthalten, die jeder zahlen muss. Bei 90% der Haushalte ist dies mehr als die eigenen Zinseinkünfte aus Bankguthaben und anderen Kapitalien ausmachen. Dies ist eine immerwährende und automatische Umverteilung der Einkommen von denen, die sie vorwiegend für eigene Arbeitsleistung erhalten, zu denen, die sie vorwiegend aus Besitztiteln ziehen.

Diese fundamentale Ungerechtigkeit wiederholt sich auf makroökonomischer Ebene zwischen den armen und reichen Ländern. Sie trägt den Namen Schuldenkrise und führte zur Umkehr des Kapitaltransfers. Es fließt mehr Kapital aus dem Süden in den Norden als umgekehrt.

Leistungslose Einkommen, also solche, die aus bloßen Besitztiteln fließen und nicht aus Arbeitsleistung stammen, können unter drei Gesichtspunkten beurteilt werden.

  • Gesamtwirtschaftlich: In ihrer Eigenschaft als Liquiditätsverzichtsprämie saugen die Zinsen Geldvermögen als Investitionskapital in den Wirtschaftskreislauf. Somit gelten die daraus fließenden leistungslosen Einkommen als unvermeidlich. Jedoch ist, wie weiter unten gezeigt wird, gerade die exponentielle Selbstvermehrung der Geldvermögen ein wesentlicher und selbstlaufender Antriebsfaktor der Wachstumsspirale.
  • Politisch: Selbsttätig wachsende Kapitaleinkommen, die aus Besitztiteln und nicht aus Arbeitsleistung fließen, verleihen in erster Linie Macht, eine Macht, die nicht demokratisch legitimiert ist.
  • Moralisch: Dass Geldvermögen sich ohne eigene Arbeitsleistung selbst vermehren, widerspricht elementaren Kriterien der Gerechtigkeit. Die Bibel und die mittelalterliche Kirche, Aristoteles und Martin Luther stimmen darin überein, dass das Verleihen von Geld gegen Zins verwerflich und leistungsloses Einkommen unrechter Gewinn ist. Die Kirchen sind an diesem Punkt inzwischen sehr schweigsam geworden.

Zwei Modi der kapitalistischen Marktwirtschaft

Die unter diesen Gegebenheiten von den Kapitalbesitzern in gegenseitiger Konkurrenz veranstaltete »kapitalistische« Marktwirtschaft – deren eigengesetzliche Kapitalakkumulation übrigens durch staatliche Mittel (Kartellgesetz) begrenzt werden muss, um freie Konkurrenz aufrecht zu erhalten – ist ein Prozess, der in der Geschichte im wesentlichen in zwei Modi verlaufen ist.

Der anfängliche, noch unausgereifte Modus war der der zyklischen Krisen, bei dem die Spitzen des exponentiellen Wachstums durch »Überproduktionskrisen«,3 die man auch als Kapitalvernichtungskrisen ansehen kann, abgeschnitten wurden. Die wohl wirkungsvollste Form von Kapitalvernichtung aber ist der Krieg. Die »Grenzen des Wachstums« lagen noch nicht in den Belastungsgrenzen des Ökosystems, sondern in der Aufnahmefähigkeit des Marktes und zuweilen wohl auch in Beschränkungen der Rohstoffzufuhr.

Der zweite, fortgeschrittene Modus ist der Wachstumsmodus, der durch eine ständige Produktions- und Verbrauchssteigerung gekennzeichnet ist. Er entwickelte sich und gelang nach dem Zweiten Weltkrieg in dem Bestreben, die zyklischen Krisen mit ihren sozialen und politischen Erschütterungen zu vermeiden. In der Bundesrepublik nahm er die Form der sog. »Sozialen Marktwirtschaft« an und ist nur durch das Zusammenwirken von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaft möglich. Das Wesentliche ist die tarifvertraglich vereinbarte und staatlich organisierte partielle Umverteilung der Wachstumsgewinne zur Erhaltung und Steigerung der Massenkaufkraft, um so der ganzen Gesellschaft (wenn auch in scharf hierarchisch strukturierter Form mit beträchtlichen Unterschieden) Anteil am Wachstum zu geben, sie dadurch zu stabilisieren und das stetige Wachstum zugleich erst zu ermöglichen. In dieser »sozialen« Form der »kapitalistischen« Marktwirtschaft entsteht der eigentliche makroökonomische Wachstumszwang aus der Notwendigkeit, die zyklischen Begrenzungskrisen und die damit verbundenen sozialen Erschütterungen zu vermeiden und durch Leistungssteigerung die überproportional anwachsenden Zinsansprüche des Kapitals, die sonst zu einer Minderung der Wohlfahrt der Massen führen würde, auszugleichen.

Wachstumszwang

Der Wachstumszwang entsteht also aus dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren, so dass man wohl besser von einer Wachstumsspirale spricht.

Da ist zuerst die exponentielle Selbstvermehrung der Geldvermögen durch den Zinsmechanismus. Wachsende Geldvermögen bedeuten zugleich als verzinste Kredite noch stärker wachsende Schulden. Solche Schulden werden gemacht und müssen in erster Linie gemacht werden, um kapitalintensiv (d.h. in Anlagenkapital) zu investieren. Die Investitionen müssen Überschüsse erbringen durch Rationalisierung, Kapazitätserweiterung und/oder Innovationen, um sowohl die Rückzahlung der Schulden einschließlich ihrer Zinsen als auch Dividende und die ständige Erhöhung von Löhnen und Gehältern zu ermöglichen. Letzteres ist notwendig, um mit der Warenflut auch die Kaufkraft zu deren Konsum wachsen zu lassen, soweit sie nicht über den Außenhandel abfließen kann. Mit den Einkommen und den Umsätzen wachsen auch Sozialabgaben und Steuern, die zum einen Kaufkraft in die nicht produktiven Bereiche der Gesellschaft lenken und zum anderen dem Staat die Möglichkeit zum ständigen Ausbau einer wachstumsfördernden Infrastruktur geben (Bildung, Verkehr, Telekommunikation etc.). Wachstum ist auch notwendig, um die durch ständige Rationalisierung freigesetzten Arbeitskräfte entweder durch Kapazitätserweiterung oder durch neue Produktionen und Dienstleistungen zu beschäftigen, damit Kaufkraft entsteht und die Soziallast der Arbeitslosigkeit nicht zu groß wird.

Es ist eines der deutlichsten Krisensymptome unserer Zeit, dass dies nicht mehr gelingt, obwohl das Wachstum weitergeht (jobless growth). Dies führt zu einem Kaufkraftverteilungsdilemma, d.h. das System beraubt sich selbst der zu seiner Funktion notwendigen Massenkaufkraft.

Ein starker Faktor der Forcierung des Wachstums ist der marktwirtschaftliche Wettbewerb, der unter den beschriebenen »kapitalistischen« Bedingungen wesentlich ein Wettbewerb um Wachstumsraten ist. Wer nicht wächst, kommt unter den Rückzahlungszwängen in Liquiditätsschwierigkeiten, die sich oft durch weitere Kredite nicht mehr auffangen lassen. Höchst gefährlich sind Kredite, die konsumptiv und nicht investiv (d.h. wachstumsorientiert) verwendet werden, weil so deren zinsbelastete Rückzahlung nicht gewährleistet ist. Des Pudels Kern der Wachstumsproblematik ist also der Zwang, Kredite vorwiegend investiv zu verwenden.„Wer nicht wächst, stirbt“ – so heißt die Devise unter diesen »kapitalistischen« Bedingungen.

Ohne Wissenschaft und Technik kann sich die Wachstumsspirale nicht drehen, denn sie sind die Lieferanten für patentiertes »geistiges« Kapital, das Innovationen sowohl zur Rationalisierung der Produktion als auch zur Entwicklung neuer Produkte ermöglicht. Genau dies ist wiederum der Grund, warum Forschung und Entwicklung von der Industrie finanziert werden. Aber auch staatliche Forschungsförderung ist bestrebt, im »vorwettbewerblichen Bereich« Wachstumsvoraussetzungen für die Wirtschaft zu schaffen, wo es nur geht.

Für neue Produkte ist oft der Bedarf gar nicht vorhanden. Er muss durch Werbung und Reklame erst künstlich erzeugt werden, damit weiteres Wachstum möglich wird. Modetrends werden erzeugt, um eigentlich noch brauchbare Güter künstlich veralten zu lassen. Werbung und Reklame – wieder eine Wachstumsbranche – erzeugen zudem einen allgemeinen Geist des Konsumismus, der in Ermangelung anderer Werte und Lebensziele immer neuen Konsum als immer neues Erlebnis anpreist und so Versäumnisangst zum konsumistischen Motor macht.

Eine wesentliche Begleiterscheinung der »kapitalistischen« Marktwirtschaft im Wachstumsmodus ist die schleichende Geldentwertung (Inflation) in der Größenordnung von einigen Prozent. Aufgabe der Notenbanken ist es, die Inflation durch Knapphaltung der umlaufenden Geldmenge möglichst niedrig zu halten. Schon diese Aufgabe zeigt, dass es einen Inflationsdruck gibt, dem gegengehalten werden muss und den es in einer zum Gleichgewicht befähigten Wirtschaft nicht geben dürfte. Eine einfache, monokausale Ursachenanalyse scheint allerdings für dieses komplexe Phänomen nicht möglich zu sein. Ein wesentlicher Grund dafür kann darin liegen, dass der Zinsanteil (Kapitalkosten) in fast allen Preisen im Wachsen begriffen ist. Wachsende Preise aber erfordern mehr Geld, damit sie bezahlt werden können.

Zinsen und Inflation sind die Faktoren, die verfügbares Geld in den Austauschkreislauf saugen. Beide sind destruktiv, weil Inflation das Geld entwertet und Zinsen Arbeit schaffende Investitionen verhindern und die sozialen Diskrepanzen ständig vergrößern.

In jüngster Zeit verstärkt sich der Eindruck, dass die materielle Seite der Weltwirtschaft dem Wachstum der Geldvermögen und Verschuldungen nicht mehr folgen kann und letztere sich in eigenen Kreisläufen (z.B. Devisenspekulation) z.T. verselbstständigt haben. Es mangelt offenbar an Investitionsmöglichkeiten in Anlagenkapital, deren Renditeaussichten über dem derzeit erzielbaren Zinssatz am Kapitalmarkt liegen. Aus diesem Grunde sind beispielsweise die Gewinne der westdeutschen Wirtschaft aus dem Einigungsboom bei weitem nicht vollständig reinvestiert worden, schon gar nicht in Ostdeutschland.

Der inhärente Wachstumszwang der »kapitalistischen« Marktwirtschaft führt zu einem Expansionszwang. Die ursprüngliche, primitive Form der Expansion war die kolonialistische Landnahme. Mit der Einsicht, dass es viel effizienter ist, statt der Territorien die Märkte zu beherrschen, folgte die »Landnahme« der Märkte. Nun erstreckt sich die »Landnahme« auf ganz andere »Territorien«, nämlich auf Felder von Forschung und Entwicklung, die von großen Konzernen durch Patente geradezu besetzt werden. Hier, so meint der technologische Fortschrittsglaube, besteht Aussicht auf nahezu unbegrenzte Expansion.

Der unbestreitbaren Ressourcenbegrenzung hofft man durch eine Effizienzrevolution des Material- und Energieeinsatzes begegnen zu können. So wünschenswert eine Steigerung der Rohstoff- und Energieproduktivität ist, so deutlich ist doch, dass bestenfalls eine Abkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Wachstum des Energie- und Rohstoffverbrauchs und damit auch vom Wachstum der Müllproduktion und des Verkehrsaufkommens erreicht werden kann. Schon jetzt aber ist, wie die drohende Klimakatastrophe exemplarisch zeigt, die Entropieproduktion allein des reichen Fünftels der Menschheit in Gestalt der Abgas-, Abwärme-, Abwasser- und Müll-Exkremente viel zu hoch, um mit einem dauerhaften Zusammenleben von Mensch und Natur vereinbar zu sein. Die andere Seite dieser Medaille ist, dass das Wirtschaftswachstum der Reichen die Armen immer ärmer und die globale Ungerechtigkeit immer unerträglicher werden läßt.

Anmerkungen

1) Festvortrag auf der 56. Physikertagung 1992 in Berlin, Phys. Bl. Juli/Aug 1992.2) Verglichen wird mit dem Galilei-Konflikt.3) Eigentlich sind dies »Unternachfragekrisen« als Folge gestörter Geldkreisläufe.

Dr. Hans Jürgen Fischbeck, Physiker, ist Studienleiter an der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/1 Risiko Kapital, Seite