W&F 2007/2

Wirtschaftskooperation auf Koreanisch

von Rainer Werning

In Nordkoreas Gaeseong Industrial Complex wird ungeachtet heftiger Debatten über das Nuklearprogramm der Volksrepublik im Gleichschritt mit südkoreanischem Kapital marschiert.

Auf der koreanischen Halbinsel liegt unweit des 38. Breitengrads und der sog. Entmilitarisierten Zone (DMZ) die nordkoreanische Stadt Gaeseong. Während des Koreakrieges (1950-53) wurde sie größtenteils zerstört. Ausgerechnet dort befindet sich heute mit dem Gaeseong Industrial Complex (GIC) ein Kronjuwel der innerkoreanischen Kooperation. Im GIC ist Südkorea mit Kapital (das Investitionsvolumen beträgt umgerechnet etwa zwei Milliarden US-Dollar) und technologischem Know-how präsent, während der Norden Grund und Boden sowie vergleichsweise billige Arbeitskräfte bereitstellt. Treffen auch nur annähernd die Prognosen von Experten diesseits und jenseits des 38. Breitengrads zu, dürfte der GIC zum gigantischen Laboratorium eines auch innerhalb der Volksrepublik langfristig weit reichenden ökonomischen Transformationsprozesses werden.

Die Vorgeschichte

Auf dem historischen Gipfeltreffen zwischen den Staatschefs Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il wurde im Juni 2000 die »Gemeinsame Nord-Süd-Erklärung« unterzeichnet, die eine enge Zusammenarbeit auf nahezu sämtlichen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens vorsieht. Im wirtschaftlichen Bereich wurde nach intensiven Beratungen vereinbart, eben diesen GIC aufzubauen. Im April 2004 trafen das südkoreanische Unternehmen Hyundai Asan und das Asia-Pacific Peace Committee Nordkoreas ein entsprechendes Abkommen, wobei die nordkoreanische Seite ein insgesamt 66,1 Quadratkilometer großes Areal für 50 Jahre verpachtete, das in drei Phasen entwickelt werden soll. Das Pilotprojekt, das 2007 abgeschlossen sein soll, umfasst eine Fläche von 3,3 Quadratkilometern.

Bald auch westliche Modenschauen?

Waren 2004 zwei Firmen im GIC tätig, so betrug deren Zahl im Frühjahr 2006 bereits 15 – meist mittelständische – südkoreanische Unternehmen. Bis Ende 2007 sollen dort etwa 300 Firmen präsent sein. Ende 2004 wurden im GIC Waren im Wert von umgerechnet 14 Mio. US-Dollar produziert, drei Jahre später soll das Volumen bereits zirka zwei Milliarden Dollar betragen. Die Zahl der dort beschäftigten nordkoreanischen Arbeiter/innen soll sich von derzeit etwa 20.000 auf insgesamt 730.000 im Jahr 2012 erhöhen. Die im GIC gezahlten Monatslöhne sind mit umgerechnet 57,50 bis 75 US-Dollar vergleichbar den Löhnen in China (abgesehen von den Sonderwirtschaftszonen an der Südküste) und in Vietnam. Bei Überstunden erhalten die Arbeiter einen Bonus von 50 bis 100 Prozent. Während das südkoreanische Vereinigungsministerium die Arbeiter gern direkt ausbezahlt sähe, vermochte die nordkoreanische Seite eine temporäre Lösung durchzusetzen. Diese sieht vor, dass die Arbeiter ihre Lohnabrechnungen lediglich überprüfen, sie unterschreiben und danach nordkoreanische Won ausbezahlt bekommen. Geplant ist, im GIC zumindest Geldwechselstuben einzurichten, woran die südkoreanische Seite die Erwartung knüpft, dass es zur direkten Lohnauszahlung an die Beschäftigten kommt. Im Februar 2006 fand im GIC überdies ein – für nordkoreanische Verhältnisse ungewöhnliches – Symposium über für Investitionen relevante Themen statt. Dabei wurde auch vereinbart, künftig westliche Modenschauen auszurichten.

Verbesserung der Infrastruktur

Ein noch ungelöstes Problem im GIC bleibt die Frage, ob oder wie Transporte strategischer Güter stattfinden können, und wer das Ursprungsland der dort hergestellten Produkte ist. Die USA betrachten die im GIC produzierten Erzeugnisse als nordkoreanische, während Seoul da anderer Meinung ist und für die Öffnung des GIC auch und gerade für internationales Kapital plädiert.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass 2006 im Osten und Westen des Landes zwei Bahn- und Straßenverbindungen eröffnet wurden, um zu ermöglichen, dass bald bis zu 4,3 Millionen Menschen jährlich die Volksrepublik besuchen können. Im Jahre 2003 passierten gerade einmal 3.600 Personen die Grenze, zwei Jahre später waren es bereits 66.000. Deutlich stieg im Zuge dieser Entwicklung auch der innerkoreanische Handel, von umgerechnet 222 Mio. US-Dollar 1998 auf 1,055 Mrd. Dollar 2005 – Tendenz steigend. Mittlerweile ist Südkorea nach der Volksrepublik China der zweitgrößte Handelspartner Nordkoreas.

Zweifellos ist mit dem GIC der Grundstein für eine Nord-Süd-Annäherung gelegt. Sie könnte florieren und dann auch Impulsgeber sein für ein langfristiges Projekt, das da hieße: Nordostasiatischer Gemeinsamer Markt.

Davor liegen aber noch Stolpersteine:

  • Seit dem Ende des Koreakriegs gibt es lediglich einen Waffenstillstand, den Südkorea nicht einmal unterzeichnete, und keinen Friedensvertrag;
  • Nordkoreas Nuklearprogramm und seine Raketentests;
  • Südkoreas seit Ende1948 bestehendes (wenngleich mehrfach revidiertes) Nationales Sicherheitsgesetz, in dem Nordkorea nicht als Staatswesen, sondern als »regierungsfeindliche Organisation« charakterisiert wird.

Doch die Tatsache, dass man heute einen »industrial« anstelle eines »security complex« pflegt, lässt hoffen.

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist, ist u.a. Vorstandsvorsitzender des Korea-Verbands e.V. (Berlin) und Ko-Herausgeber des Ende 2006 im Kölner PapyRossa Verlag erschienenen Bandes »Korea – Entfremdung und Annäherung«.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/2 Menschenrechte kontra Völkerrecht?, Seite