W&F 2017/4

Wohin, nach dem Friedensnobelpreis ?

von Sascha Hach

Am 6. Oktober 2017 gab das Nobel-Komitee in Oslo bekannt, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) verliehen wird. ICAN soll die Auszeichnung erhalten „für die Arbeit, Aufmerksamkeit auf die katastrophalen humanitären Konsequenzen jeglichen Einsatzes von Atomwaffen zu lenken und für ihre bahnbrechenden Bemühungen um ein vertragliches Verbot solcher Waffen“.

Doch was genau ist so bahnbrechend am Engagement von ICAN, und in welche Richtung weist uns die Anerkennung durch den Friedensnobelpreis an den vor uns liegenden Weggabelungen, die bekanntlich noch weit von einer atomwaffenfreien Welt entfernt sind?

Es liegt nahe, sich zuerst anzuschauen, auf welchen Wegen der bisher größte Erfolg der Kampagne zustande gekommen ist: Am 7. Juli dieses Jahres wurde von 122 Staaten bei den Vereinten Nationen ein Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beschlossen und in kürzester Zeit bereits von über 50 Staaten unterzeichnet, ein Meilenstein in der Geschichte der nuklearen Abrüstung. Nach den Verboten von Bio- und Chemiewaffen wird durch den Verbotsvertrag eine völkerrechtliche Lücke geschlossen und auch die zerstörerischste Massenvernichtungswaffe geächtet.

Das Besondere an seinem Zustandekommen ist zum einen, dass die Verhandlungen nicht aus nationalstaatlichen Sicherheitsinteressen initiiert, sondern maßgeblich von der Zivilgesellschaft und aus der Sorge über die katastrophalen humanitären Auswirkungen von Atomwaffen angestoßen wurden. Das zivilgesellschaftliche Bündnis zog seine Wirkungskraft aus einem alle Kontinente umspannenden Netzwerk mit besonders heterogener und breit gefächerter Mitgliederstruktur. Die Konzentration auf das Wesentliche und Pragmatismus haben also die Kompassnadel mitbestimmt.

Zum anderen ist der mit dem Atomwaffenverbot eingeleitete Wandel in der globalen Nuklearpolitik nicht auf die Transformationskraft westlicher Demokratien und den gesellschaftlichen Druck auf die dortigen Regierungen zurückzuführen. Vielmehr ist er das Ergebnis einer nie dagewesenen Rebellion der nuklearen Habenichtse gegen die Atommächte, ein Aufbegehren des Globalen Südens gegen den nuklearen Status quo. Die Mehrheit der Staatengemeinschaft hat sich dagegen mit dem stärksten ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gewehrt: dem Völkerrecht.

Somit kann der hinter dem Atomwaffenverbot stehende Zusammenschluss auch Ausgangspunkt sein für eine weitergehende Emanzipation von einer Weltordnungspolitik, die in großen Teilen noch immer auf der Drohung mit Atomwaffen basiert. Dass ein Vertrag mit solch weitreichendem geopolitischem Potential trotz massiver Einschüchterungsversuche durch die USA, Russland und wichtige NATO-Mitgliedsstaaten beschlossen wurde, zeugt von der Willenskraft und Courage seiner Unterstützer*innen. Es braucht also Vereinigung, Mut und die Bereitschaft zur Abnabelung auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.

Werfen wir nun einen Blick auf Deutschland, denn sowohl als Wissenschaftler*innen wie als zivilgesellschaftliche Akteur*innen tragen wir zunächst Verantwortung, uns in die eigenen gesellschaftlichen Diskussionen einzumischen. Die Bundesrepublik hat erstmals in ihrer Geschichte die Teilnahme an multilateralen Abrüstungsverhandlungen verweigert und steht nun in einer zentralen sicherheitspolitischen Frage abseits der Weiterentwicklung des Völkerrechts. Dies stellt eine Abkehr von grundlegenden und historischen Orientierungen der deutschen Außenpolitik dar.

Begründet hat die Bundesregierung diese Entscheidung unter anderem damit, dass die Atommächte nicht an den Verhandlungen teilnähmen und der Verbotsvertrag allein nicht die Abrüstung eines einzelnen Atomsprengkopfes bewirke. Das ist richtig. Der Vertrag wird seine Wirkung mittelbar und langfristig entfalten – vor allem durch einen Paradigmenwechsel in der globalen Sicherheitspolitik. Er verschiebt den Diskurs weg von der abstrakten Logik der gegenseitigen Auslöschung und Abschreckung hin zu einer Auseinandersetzung mit den konkreten Folgen, die diese Doktrin nach sich ziehen kann: die inakzeptablen und katastrophalen Auswirkungen, die Atomwaffen für unseren Planeten und die Menschheit haben.

Deutschland läuft Gefahr, sich auf einen gefährlichen Holzweg zu begeben. Um auf die richtige Spur zu kommen, muss sich die deutsche Atomwaffenpolitik neu ausrichten. Sie sollte sich dabei auf das Wesentliche konzentrieren, die humanitären Auswirkungen, und anschlussfähig für neue Bündnisse sein. Sie braucht vor allem mehr Mut zu Abrüstung und könnte diesen mit der Forderung nach dem Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel beweisen.

Sascha Hach hat Friedensforschung und internationale Politik in Tübingen studiert und ist Mitgründer und Mitglied im geschäftsführenden Vorstand von ICAN in Deutschland.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/4 Eingefrorene Konflikte, Seite 5