W&F 2020/4

Wüstenheuschrecken

Problemmultiplikator und Gefahr für die menschliche Sicherheit

von Inka Steenbeck

Seit Ende des Jahres 2019 gefährdet eine der schlimmsten Wüstenheuschreckeninvasionen der vergangenen Jahrzehnte die Nahrungssicherheit und die ökonomische Stabilität in Ländern und Regionen von Afrika bis Asien. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) könnten die Schwärme der zerstörerischen Insekten mehr als 65 der ärmsten Länder der Welt befallen. Die Auswirkungen sind schon heute verheerend; die Klimaveränderung ist vermutlich auch für dieses Phänomen eine der Ursachen.

Während die weltweite Covid-19-Pandemie seit Anfang des Jahres 2020 die Welt in Atem hält, kämpfen viele Länder mit einer weiteren Bedrohung. Massive Schwärme Wüstenheuschrecken befallen seit Ende des Jahres 2019 Felder und Ernten und gefährden die Lebensgrundlage zahlloser Menschen. Das geschieht überwiegend in Regionen, die aufgrund langanhaltender Dürrephasen und darauffolgender Überschwemmungen ohnehin schon mit Nahrungsknappheit konfrontiert sind.

Wüstenheuschrecken, ihre Verbreitung und Bekämpfung

Wüstenheuschreckenaufkommen sind kein neues Phänomen. Heuschreckenplagen sind bereits seit biblischen Zeiten bekannt. Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) gilt jedoch der jetzige Ausbruch in Äthiopien und Somalia als der schlimmste seit 25 Jahren, in Kenia gar als der schlimmste seit 70 Jahren. Die Wüstenheuschrecken bedrohen nicht nur die Regionen Ostafrikas. Mittlerweile haben sich die Heuschrecken von Westafrika bis nach Nepal verbreitet, einem Land, in dem seit über zwei Jahrzehnten keine Wüstenheuschrecken gesichtet wurden. Dementsprechend zeigte sich die FAO sehr besorgt über die Nahrungssicherheit in Südwestasien. In der Region hat sich das Heuschreckenaufkommen jedoch mittlerweile wieder beruhigt, lediglich in Pakistan sind noch kleine Schwärme vorhanden. Die Heuschrecken haben sich in geringen Mengen auch Richtung Westafrika ausgebreitet. Die meistbetroffenen Regionen bleiben nach wie vor der Osten und Horn von Afrika (FAO 2020a).

Auch wenn der Name Wüstenheuschrecke darauf hindeuten mag, dass diese Heuschrecken nur in der Wüste leben, benötigen sie doch starke Regenfälle und Vegetation zur Fortpflanzung, insbesondere wenn es um die Schwarmbildung geht. Wüstenheuschrecken sind im Allgemeinen Einzelgänger; in geringer Zahl stellen sie keine Bedrohung dar. Die Verwandlung von der friedlichen Solitärphase zu hungrigen und verheerenden Schwärmen mit Millionen von Heuschrecken geschieht jedoch innerhalb weniger Stunden: Finden die Einzeltiere keine Nahrung mehr, bilden sie Schwärme und wandern gemeinsam zu neuen Weideflächen.

Die Wüstenheuschrecken, die von der FAO als die zerstörerischsten Insekten der Welt kategorisiert werden, fressen an einem Tag die Menge ihres eigenen Körpergewichtes, also ungefähr zwei Gramm. Da ein Schwarm auf bis zu 80 Millionen Heuschrecken anwachsen kann, bedeutet dies, dass sie an einem einzigen Tag eine Getreidemenge fressen, mit der mehr als 35.000 Menschen ernährt werden könnten. Die Heuschrecken vernichten binnen weniger Minuten ganze Felder und ziehen dann weiter in Richtung neuer und frischer Vegetation. Bei vorteilhaften Windverhältnissen können sie bis zu 160 Kilometer am Tag zurücklegen.

Länder der Wüstenregionen, die regelmäßig Wüstenheuschrecken ausgesetzt sind, verfügen über erprobte Frühwarn- und Überwachungssysteme. Diese ermöglichen es im Falle eines erhöhten Heuschreckenaufkommens, schnell zu reagieren. Viele der derzeit betroffenen Länder, vor allem in Ostafrika, hatten jedoch jahrzehntelang keine bedeutenden Wüstenheuschreckenaufkommen und waren daher nicht auf den plötzlichen Anstieg der Insektenzahlen vorbereitet. Überdies kann in bestimmten Gebieten die Reproduktion kaum oder gar nicht bekämpft werden, z.B. in den Brutgebieten in Somalia und Jemen. Aufgrund der unsicheren politischen Situation sowie des bestehenden Sicherheitsrisikos in diesen Ländern sind Bekämpfungsmaßnahmen der Heuschrecken dort nur bedingt möglich (FAO 2020).

Expert*innen sind sich einig, dass präventive Methoden die effektivste Option sind, um die Vermehrung der Wüstenheuschrecken zu verhindern. Präventiv bedeutet, die Heuschrecken im Notfall schnell zu bekämpfen und am Migrieren zu hindern, sodass es nicht zu einer Plage kommen kann (Magor et al. 2007). Es ist von großer Bedeutung, die dafür erforderlichen Frühwarnsysteme, Fähigkeiten und Infrastrukturen in den betroffenen Ländern zu erhalten bzw. auf- und auszubauen. Bei rechtzeitiger Warnung, d.h. wenn die Heuschrecken erst in kleiner Anzahl und in wenigen Gebieten vorkommen, müssen entsprechend weniger Insektizide eingesetzt werden. Das ist kostengünstigster und weniger umweltschädlich als die Bekämpfung riesiger Schwärme (Lecoq 2001). Die Insektizide, die aktuell zur Heuschreckenbekämpfung eingesetzt werden, stellen ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung dar, und bei falscher Anwendung schädigen sie auch die Umwelt (Magor 2007, S. 93).

Als Einzelgänger und in geringen Mengen stellen die Wüstenheuschrecken keine Bedrohung dar. Sobald sie »gesellig« werden und Schwärme bilden, ist das Sprühen von Insektiziden sowohl aus der Luft als auch auf dem Boden die einzige effiziente Möglichkeit der Eindämmung (K. Cressman im Interview 2020). Ländern wie Kenia und Äthiopien mangelt es jedoch an Ausrüstung und technischem Fachwissen für die Bekämpfung, da ihnen die Erfahrung mit den Insekten fehlt. Darüber hinaus ist laut FAO (2020b) die Ausrüstung zur Heuschreckenbekämpfung ein »Nischenmarkt« und das internationale Angebot an Kontrollausrüstung und -produkten begrenzt. Zudem wirkt sich die weltweite Covid-19-Pandemie auf die Transportmöglichkeit für Pestizide aus (UN 2020).

Gefahr der ökonomischen Instabilität

Expert*innen errechneten, dass von der aktuellen Heuschreckeninvasion mehr als 65 Länder betroffen sein könnten (FAO 2020) – mit erheblichen Folgen für ihre Nahrungssicherheit. Es wurde befürchtet, dass die Bauern, die zwischen April und Juni dieses Jahres ihre Ernte verloren, von Ende Juni bis zur nächsten Erntesaison im Dezember 2020 keine Nahrungsvorräte mehr haben würden (FAO 2020b). Der FAO ist es jedoch gemeinsam mit Partnerorganisationen bis August 2020 gelungen, über 13 Millionen Menschen vor der Hungersnot zu bewahren. Dank der Kontroll- und Bekämpfungsmaßnahmen konnten 1,52 Millionen Tonnen Getreide vor den Wüstenheuschrecken gerettet werden – eine Menge, die knapp zehn Millionen Menschen ein Jahr lang ernähren kann (FAO 2020c).

Eine wachsende Hungersnot ist nicht die einzige Gefahr. Die destruktiven Folgen eines Wüstenheuschreckenbefalls können sich noch Jahrzehnte später auf Gesellschaft und Wirtschaft auswirken (Meynard et al. 2017). Nach dem letzten großen Wüstenheuschreckenausbruch von 2003 bis 2005 in Westafrika mussten viele betroffene Haushalte ihre Ausgaben aufgrund massiver Ernteverluste reduzieren. Studien zeigten, dass Kinder, die in dieser Zeit aufwuchsen, viel seltener zur Schule gingen, da das Geld für Gesundheit und Schulbildung fehlte (Brader et al. 2006). Mädchen waren besonders stark betroffen (Baskar 2020). Familien waren gezwungen, ihr Vieh oder andere Wertgegenstände zu verkaufen. Viele Haushalte verschuldeten sich, um die Lebensmittel für ihre Familien zu finanzieren. Eine tiefgreifende Auswirkung, die beispielsweise in Dorfgemeinschaften in Burkina Faso beobachtet wurde, ist, dass viele junge Menschen oder ganze Familien die Dörfer verließen und in die Großstädte zogen, um Arbeit zu finden. Dies verschärfte die Entvölkerung der ländlichen Gebiete und die Urbanisierung, obgleich es auch in den Städten an Verdienstmöglichkeiten fehlte (Brader et al. 2006).

Wüstenheuschrecken als Multiplikator von Konflikten

Durch die Heuschreckenschwärme werden darüber hinaus vorhandene Konfliktlagen in den betroffenen Gebieten verstärkt. Eine große Besorgnis gilt aktuell den Hirtenvölkern, besonders in den nördlichen Regionen von Kenia. Die Hirtenvölker sind Nomaden, die mit ihren Herden von Weidefläche zu Weidefläche ziehen. Nomadische und halbnomadische Viehhirten überschreiten traditionell mit ihrem Vieh die Grenzen der Länder Äthiopien, Kenia, Somalia und Uganda. Daraus ergeben sich Migrationsbewegungen mit entsprechenden Herausforderungen in diesen Regionen (IOM 2020) (siehe dazu auch den Artikel von Janpeter Schilling sowie die Karte auf S. 14). Bereits aufgrund der durch den Klimawandel verstärkten Dürrephasen und der Verschiebung der Jahreszeiten waren Nomaden in den letzten Jahren zum Teil gezwungen, ihre Gebiete früher als üblich zu verlassen. Ein Anstieg von Migrationsbewegungen und ein erhöhtes Risiko von Ressourcenkonflikten zwischen Viehzüchtern und der lokalen Bevölkerung waren die Folge (IOM 2020; FAO 2020). Die Vernichtung verbliebener Grasflächen durch die Heuschrecken erhöht nun einerseits den Zwang, weiterzuziehen, und andererseits das Konfliktpotential mit der lokal ansässigen Bevölkerung, die aufgrund der Heuschrecken ohnehin um ihre Weideflächen bangt. Solche Konflikte wurden z.B. in Samburu im Norden Kenias registriert. Kenia erholt sich gerade von einer zweijährigen Dürreperiode, der schätzungsweise 40-60 % des Viehbestands zum Opfer fielen (Welthungerhilfe 2018). Bereits Ende Februar 2020 wurde berichtet, dass mehr als 70.000 Hektar Vegetation und Weideland im Osten Samburus durch Wüstenheuschrecken zerstört seien (Ondieki 2020). Expert*innen befürchten, dass diese Viehzuchtgebiete am stärksten vom Vegetationsverlust durch Heuschrecken betroffen sein werden, dies dürfte die lokalen Konflikte um Land und Ressourcen weiter zum Eskalieren bringen (Weltfriedensdienst 2018.

Heuschrecken und Klimawandel – besteht ein Zusammenhang?

Eine Heschreckenplage ist kein Phänomen, dass sich über Nacht entwickelt. Auch wenn sich das vermehrte Wüstenheuschreckenaufkommen erst Ende 2019 bemerkbar machte, liegt der Ursprung bereits zwei Jahre zurück. 2018 sorgten ungewöhnliche Wetterverhältnisse in Form vermehrter Zyklone im Indischen Ozean für Regenfälle im so genannten »Empty Corner« (Leere Ecke). Dies führte zu günstigen Bedingungen für die Reproduktion der Heuschrecken. Das betroffene Wüstengebiet, zwischen Oman, Jemen und dem Horn von Afrika gelegen, besteht lediglich aus Sanddünen, ohne Infrastruktur oder Besiedlung. Möglichkeiten zur frühzeitigen Erkennung oder Bekämpfung der Heu­schrecken gibt es hier keine. Daher konnten die Insekten dort über mehrere Generationen frei brüten. Als die Nahrung für die enorm gestiegene Menge Insekten in dem Gebiet zu knapp wurde, zogen sie weiter, um frische Nahrung zu finden. Sie entwickelten sich nun bedrohlich in Richtung Plage, von der laut FAO formal zu reden ist, wenn die Schwärme den gesamten Radius von Westafrika bis Indien befallen haben, was bis Ende dieses Jahres der Fall sein könnte (Cressman im Interview).

Über das atypisch häufige Auftreten der Zyklone hinaus trugen die klimatischen Veränderungen des Dipols im Indischen Ozean zu extrem starken Niederschlag in der Regenzeit in Ostafrika bei. Mit einer Erwärmung des Klimas um 1,5°C ist zu erwarten, dass sich solche Extremwetterereignisse verdoppeln werden (Cai et al. 2013). Die Wetterbedingungen werden dann direkt, aber auch indirekt, eine verstärkte Dynamik der Heuschreckenpopulationen bewirken und die Nahrungssicherheit in den betroffenen Ländern anhaltend gefährden (Salih et al. 2020).

Die erste Welle der Wüstenheuschrecken Ende 2019 zerstörte 70.000 ha Ackerland in Somalia und Äthiopien und 2.400 kmWeideland in Kenia (Salih et al. 2020, S. 585). Bereits im Mai 2020 zwangen die Heuschreckenschwärme mehr als 15.000 Menschen in der äthiopischen Region Wachile zur Flucht (Halake 2020). Laut Angaben der FAO sind 42 Millionen Menschen in den betroffenen Regionen ohnehin von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Trotz der Bekämpfungsmaßnahmen bleiben vor allem die Region Ost und Horn von Afrika weiter gefährdet.

Expert*innen kritisieren, dass mangelnde Vorbereitung, chronische politische Instabilität und begrenzte Kapazitäten zur Bekämpfung (Salih et al. 2020) ebenso für das Ausmaß der aktuellen Heuschreckeninvasion verantwortlich sind wie der Mangel an internationaler Hilfe (Magor 2007). Genauso gilt aber, dass dem Klimawandel und seinen Folgen durch stärkeres internationales Bewusstsein und Engagement sowie durch Weiterentwicklung der politischen Rahmenbedingungen und des Völkerrechts begegnet werden muss.

Literatur

Interview mit Mr. Keith Cressman, Senior Locust Forecasting Officer der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen. Rom, 3.7.2020 (im Rahmen der Vorbereitung der Masterarbeit).

Baskar, P. (2020): Locusts Are A Plague Of Biblical Scope In 2020. Why? And … What Are They Exactly? National Public Radio, Goats and Soda blog, June 14, 2020; npr.org.

Brader, L.; Djibo, H.; Faye, F.G.; Ghaout, S; Lazar, M.; Luzietoso, P.N.; Babah M.A. (2006): Towards a more effective response to desert locusts and their impacts on food security, livelihoods and poverty. Bericht im Rahmen des Projekts »Multilateral Evaluation of the 2003-05 Desert Locust Campaign« der Food and Agriculture Organization. Rom.

Cai, W.; Zheng, X.; Weller, E.; Collins, M.; Lengaigne, M.; Yu, W.; Yamagata, T. (2013): Projected response of the Indian Ocean Dipole to greenhouse warming. Nature Geoscience, Vol. 6, S. 999-1007.

Food and Agriculture Organization/FAO (2020a): General situation during September 2020, Forecast until mid-November 2020. Desert Locust Bulletin No. 504, 5.10.2020.

Food and Agriculture Organization/FAO (2020b): Desert Locust Upsurge – Progress report on the response in the Greater Horn of Africa and Yemen, January-April 2020. Rom, Mai 2020.

Food and Agriculture Organization/FAO (2020c): Desert Locust Upsurge – Progress report on the response in the Greater Horn of Africa and Yemen, May-August 2020.

Halake, S. (2020): Ethiopia Steps Up Aerial Spraying To Stop New Desert Locust Invasion. VOA News, 11.5.2020.

International Organization for Migration/IOM (2020): Regional Migratant Response Plan for the Horn of Africa and Yemen 2018-2020. Nairobi.

Lecoq, M. (2001): Recent progress in Desert and Migratory Locust management in Africa – Are preventative actions possible? Journal of Orthoptera Research, Vol. 10, S. 277-291.

Magor, J.I.; Ceccato, P.; Dobson, H.M.; Pender, J.; Ritchie, L. (2007): Preparedness to Prevent Desert Locust plagues in the Central Region – an historical review. Prepared for EMPRES Central Region Programme 2005, Revised for publication 2007. Rome: Food and Agriculture Organization of the United Nation (FAO), Desert Locust Technical Series.

Magor, J.I. (2007): Plague prevention preparedness. In: Magor, J.I. et al., op.cit., S. 81-96.

Meynard, C.N.; Gay, P.; Lecoq, M.; Foucart, A.; Piou, C.; Chapuis, M. (2017): Climate-driven geographic distribution of the desert locust during recession periods – Subspecies’ niche differentiation and relative risks under scenarios of climate change. Global Change Biology, Vol. 23, Nr. 11.

Ondieki, G. (2020): Locusts threaten to trigger conflicts in Samburu. Daily Nation,19.2.2020; nation.co.ke.

Salih, A.A.M.; Baraibar, M.; Mwangi, K.K. et al. (2020): Climate change and locust outbreak in East Africa. Nature Climate Change, Vol. 10, S. 584-585

United Nations/UN (2020): Fight against desert locust swarms goes on in East Africa ­despite coronavirus crisis measures. UN News, 9.4.2020.

Weltfriedensdienst (2018): Kenia – Gemeinsam für eine Gerechte Landverteilung. 24.6. 2018. wfd.de.

Welthungerhilfe (2018): Dürre am Horn von Afrika – Alle Jahre wieder. 24.3.2018. Projekt­update.

Inka Steenbeck studierte den Masterstudiengang Peace and Security Studies der Universität Hamburg und schrieb ihre Masterarbeit zu »Klimawandel, Migration und die Heuschreckenplage in Ostafrika«.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/4 Umwelt, Klima, Konflikt – Krieg oder Frieden mit der Natur?, Seite 17–19