Zauberformeln für eine friedliche Weltordnung?
Internationale Zivilgesellschaft, lokale Partizipation, Global Governance
von Lutz Schrader
In immer schnellerer Folge werden Rezepte zur Stiftung von Ordnung in den inter-/transnationalen Beziehungen vorgeschlagen und verschlissen. Gegen den spätestens seit Anfang der 1990er Jahre hegemonialen neoliberalen Ökonomismus wurden nacheinander Ideen und Leitbilder aufgeboten. Der erste Kandidat war das Zivilgesellschaftskonzept. Mit dem Rückenwind der demokratischen Revolutionen in den Staaten Mittel- und Osteuropas wurde es von jenen propagiert, die das »Establishment« im Westen mit kapitalismus- und staatskritischem Habitus herausforderten. Aktivisten neuer sozialer Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen fanden im Konzept der Zivilgesellschaft einen identitätsstiftenden Bezug. Wurde hier doch ein Ort »zwischen Staat und Markt« ausgemacht, wo »alternative« Projekte erdacht und umgesetzt werden und von dem aus eine neue emanzipatorische Logik in »die Politik« und »die Wirtschaft« hineingetragen werden sollten.
Angesichts zunehmend grenzüberschreitender Problemlagen und transnationaler Vernetzung von neuen sozialen Bewegungen (NSB) und Nichtregierungsorganisationen (NRO) entstand – zusätzlich stimuliert durch das Aufkommen des neoliberalen Globalisierungsdiskurses – das Bedürfnis nach einem integrierenden und mobilisierenden Leitbild. Was lag da näher, als die Zivilgesellschaftsidee, die es inzwischen zu einiger Reputation und Strahlkraft gebracht hatte, zu internationalisieren?
Von den Verheißungen der »internationalen Zivilgesellschaft«…
In der Idee von der »internationalen Zivilgesellschaft« artikuliert sich eine bestimmte Vorstellung von Weltordnung. Darin stehen »die Weltbürger« – organisiert in neuen sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen, zusammengeschweißt durch weltweite Protestaktionen und unterstützt von einer globalisierungskritischen transnationalen Öffentlichkeit – den internationalen Zusammenschlüssen der Staaten und den transnationalen Unternehmen gegenüber.
So analytisch plausibel und politisch mobilisierend das Zivilgesellschaftskonzept auf den ersten Blick erscheint, so problematisch sind seine tatsächlichen Effekte. Dies hat hauptsächlich mit der Konfusion von Konzept und Leitbild zu tun. Das auf Mobilisierung zielende Leitbild »internationale Zivilgesellschaft« bezieht gerade seine Attraktivität aus der pauschalisierenden Dreiteilung der inter-/transnationalen Politik: »Wir« bürgerbewegten AktivistInnen versus »die« Politiker und Multis.
Doch analytisch-konzeptionell sucht man vergeblich nach einer solchen eindeutigen Unterscheidbarkeit. Politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Problemlagen sind aufs engste, ja bis zur Unentwirrbarkeit miteinander verwoben. Mehr noch: Jenseits souverän-verfasster Staaten stellt die »Weltbürgergesellschaft« ein Unding dar (Kleger 1994: 307). Das Engagement der »Weltbürger« setzt immer auch voraus, dass diese zugleich auch Staatsbürger sind. Ihre Wirksamkeit hängt nicht zuletzt von der »Weltgeselligkeit«, den Handlungsmöglichkeiten und den Machtpotenzialen »ihres« Staates ab. Nur unter dieser Voraussetzung sind die Grenzen der Staaten im Sinne einer zivilisierenden Transnationalisierung der nationalen Politikräume zu überschreiten (ebd.: 313).
Leitbilder dürfen nicht mit rationaler Analyse verwechselt werden. Sie müssen zuspitzen und dramatisieren. Erst durch ihre affektive Aufladung wird es möglich, soziale Kollektive zu mobilisieren. Doch bei aller Eigentümlichkeit ihrer Konstruktion ist ihre Wirkmächtigkeit an einen rationalen Kern – an ein Konzept – gebunden, das ein Minimum empirisch überprüfbarer Informationen und Interpretationen des adressierten Ausschnitts der Wirklichkeit enthalten muss. Eine Spannung zwischen Leitbild und Konzept ist unvermeidlich, ja sogar notwendig. Doch darf die Spannung nicht so groß sein, dass der Zusammenhang zwischen beiden Polen verloren geht.
Auf Grund seiner Unschärfe und Beliebigkeit wurde der Begriff der »internationalen Zivilgesellschaft« zu einem Container für ganz unterschiedliche Vorstellungen. Angefangen von der neuen Internationale der Unterdrückten über die Gesamtheit aller grenzüberschreitend agierenden NSB und NRO bis hin zu einer im Entstehen begriffenen kritischen globalen Öffentlichkeit wurden mit dieser Idee ganz unterschiedliche Vorstellungen verknüpft. Es war deshalb nur folgerichtig, dass sich früher oder später die anfänglichen Hoffnungen und Aktivitäten in einer Art babylonischer Sprachverwirrung selbst blockierten.
Man mag sich damit trösten, dass eine realitätsferne und deshalb eher kraftlose Utopie nur wenig Schaden anzurichten vermag. Doch hieße das, die indirekten Wirkungen der Rede von der »internationalen Zivilgesellschaft« zu unterschätzen. So ist die darin zum Ausdruck kommende romantische Sicht auf die inter-/transnationale Wirklichkeit eher geeignet, die Logik der neoliberalen Globalisierung zu bedienen als dieser entgegenzuwirken. Die in der Idee von der »internationalen Zivilgesellschaft« angelegte Überzeugung, die wichtigen sozialen Kämpfe würden künftig auf der globalen Ebene stattfinden, spielt dem Argument von der Überforderung der Nationalstaaten durch die Globalisierungsprozesse und vom »disembedding« wirtschaftlicher Akteure in die Hände. Der entdifferenzierende Blick auf die »Weltzivilgesellschaft« begünstigte westliche Politikkonzepte und birgt das Risiko der Vernachlässigung der lokalen Ebene.
Bei der Überarbeitung von Konzept und Leitbild ist zu berücksichtigen, dass nationale Zivilgesellschaften ebensowenig wie ihr internationales Pendant friedliche und herrschaftsfreie Oasen sind, wie sie sich mitunter in idealisierten Selbstentwürfen zivilgesellschaftlicher Akteure spiegeln. Die symbolische Grenzziehung gegenüber »den Staaten« und »den Unternehmen« verstellt den Blick auf die interne politische, wirtschaftliche und kulturelle Heterogenität. Angezeigt ist deshalb die aufmerksamere Untersuchung der Wahrnehmung und Handhabung von Problemen je nach Region und Akteur. Es gibt eben keine objektiven Problemlagen, die überall und jederzeit in gleicher Weise als bedrohlich empfunden werden (Heins 2001: 17).
…zur Realität der »lokalen Partizipation«
Nach der Rückkehr vom ernüchternden Ausflug in die Ortlosigkeit der Weltzivilgesellschaft richtete sich nun die Aufmerksamkeit auf handfestere Lösungen und Konzepte. Wie in einer Pendelbewegung geriet nach den hochfliegenden Utopien wieder das Sicht- und Machbare in den Blick. Das Problemlösungs- und Integrationspotenzial lokaler Partizipation wurde nun zum Hebel für die Eindämmung globaler Unordnung. Das Umdenken manifestierte sich in der Wiederentdeckung des Subsidiaritätsprinzips und im Übergang vom hierarchischen Mehrebenen- zu Netzwerkkonzepten. Stichwörter, die den Politikwechsel beschreiben, sind z.B. »local ownership« in der Entwicklungszusammenarbeit, »peace constituencies« in der Konfliktbearbeitung und der Agenda-Prozess. Auf der Akteursebene fand der Wandel nicht zuletzt seinen Niederschlag in der Renaissance eher lokal verankerter sozialer Bewegungen und in zunehmender Skepsis gegenüber »professionalisierten«, »bürokratisierten« und eher global agierenden NRO.
Die Trendwende zum Lokalen ordnet sich in einen weit umfassenderen Kontext ein. Dahinter steht die Wieder(er-) findung des Politischen innerhalb des Staates. Die Illusionen von der Herstellbarkeit stabiler Ordnung »jenseits des Nationalstaates« waren mit den Weltwirtschaftskrisen der 1990er Jahre und dem weltweiten Phänomen reihenweise implodierender Staaten zerstoben. Der Staat wurde wieder zum Thema der Bewältigung globaler Probleme und der Steuerung der wirtschaftlichen Globalisierung. Unter dem Rubrum »Funktions- und Gestaltwandel des Staates« wurde und wird Staatlichkeit nun nicht mehr auf die Problemlösungsfähigkeit der nationalen Regierungen beschränkt.
Die Betonung der lokalen Dimension globaler Ordnungsentwürfe bildet – bewusst oder unbewusst – einen Kontrapunkt zur z.T. bis ins Absurde gesteigerten Emphase des Globalisierungsdiskurses. In der Zuspitzung dieses Gegensatzes liegt ein Großteil des subversiven Potenzials der »Glokalisierung« (Swyngedouw 1992: 61). Denkansätze, die über pragmatische Losungen wie »Global denken und lokal handeln« und säuberlich sortierte Mehrebenen-Modelle hinausgehen, gruppieren sich um das Subsidiaritätkonzept und die Regulationstheorie.
Entgegen der in der Politikwissenschaft immer noch vorherrschenden »Kompetenzvermutung zugunsten des Staates« ist mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht etwa gemeint, dass „die unteren Einheiten – Familien, Wohlfahrtsverbände, Kommunen … – in den Dienst der oberen genommen [werden dürfen], weil diese allein nicht mehr zurechtkommen“. (Höffe 1999: 130). Vielmehr müssen „die oberen Einheiten ihre Zuständigkeit nach unten, letztlich vor den betroffenen Individuen rechtfertigen“ (ebd.). Dies bedeutet freilich nicht, dass „grundsätzlich die kleinere und lebensweltlich vertrautere Gemeinschaft, sondern diejenige zu stärken [ist], die jeweils am meisten dem Individuum dient“ (ebd.: 132). Damit wird in das Subsidiaritätsprinzip gleichsam eine Öffnungsklausel hin zur städtisch-regionalen, nationalstaatlichen oder globalen Ordnung eingebaut. Zugleich bleibt aber unbestritten, dass sich jegliche (globale) Ordnung am Grad ihrer Rückbindung an das Individuum messen lassen muss.
Der Zugang der Regulationstheorie ist ein gänzlich anderer. Er versucht die Restrukturierung der verschiedenen Orte, Ebenen und Räume im Zuge der Globalisierung abzubilden. Dabei fällt auf, dass die Schichttorten-Metapher gänzlich ungeeignet ist, die Komplexität und Dynamik der Veränderungen zu erfassen. Besonders der Platz der großen Städte lässt sich in einem Mehrebenen-Modell nicht angemessen darstellen. Dagegen kann die Regulationstheorie zeigen, dass im Handlungsraum der Städte jeweils mehrere Ebenen wie in einem Knoten zusammenlaufen. Auf der lokalen Ebene angesiedelt werden die großen Städte als regionale Ballungsräume zu Schaltstellen der Globalisierung (vgl. z.B. Brenner 1997).
Von der Handlungsfähigkeit der Städte ist in hohem Maße die globale Wettbewerbsfähigkeit der Staaten und Unternehmen abhängig. Staat und Wirtschaft haben darum allen Grund, die Ausformung der großen Städte zu globalen Akteuren aktiv zu unterstützen. Anders als es der Globalisierungsdiskurs nahelegt, behalten Raum und Territorium nicht nur eine zentrale Bedeutung. Die globale Ebene der Kooperation und Konkurrenz zwischen Städten wird durch das horizontale Netzwerk lokaler Akteure konstituiert (ebd.).
Gerade auf der sog. lokalen Ebene wird deutlich, was es bedeutet, eine friedliche und nachhaltige Weltordnung zu stiften. Hier kommen alle relevanten Ingredienzen – von den Ansprüchen jedes einzelnen Menschen bis hin zu den politischen und wirtschaftlichen Machtkomplexen – in den Blick. Alle sog. globalen Probleme setzten sich aus unzähligen lokalen Problemlagen zusammen. Diesseits des Ablenkungsdiskurses über Globalisierung, Globalismus und Globalität ist das Lokale der Ort, wo der Bau einer tragfähigen Weltordnung beginnen und wo er sich bewähren muss.
Im Unterschied zur Rede von der »internationalen Zivilgesellschaft« haben wir es bei primär aufs Lokale bezogenen Ordnungsentwürfen eher mit tiefsinnigen analytischen Konzepten als mit mobilisierenden Leitbildern zu tun. Die Losung »Small is beautiful« hat nicht wirklich verfangen, und selbst der Agenda-Prozess hat seine besten Tage längst hinter sich. Das Aufrufen der Symbolik des Lokalen, des alltäglichen Nahbereiches eignet sich offenkundig nicht als völkerumspannende Mobilisierungsressource. Vielleicht manifestiert sich hier ja auch ein für die Linke charakteristisches Widerstreben, das aus ihrer internationalistischen Tradition und der Geringschätzung von »Kirchturmpolitik« herrührt.
Bei der Suche nach Ursachen muss man wohl noch etwas weiter ausholen. Die Unterschätzung des Lokalen scheint in tief verwurzelten Ängsten vor einer außer Kontrolle geratenden Fragmentierung des Politischen, vor der Auflösung jeglicher Ordnung zu liegen. Nicht zufällig werden bereits Warnungen vor einem »neuen Mittelalter« (Alain Minc) laut. Mit dem Lokalen wird nicht die vermeintliche Idylle des »globalen Dorfes« assoziiert, sondern der globale Bürgerkrieg der Dörfer. Das Unvermögen, von lieb gewordenen Ordnungsvorstellungen Abschied zu nehmen, hat kulturelle Gründe. Doch die eigentliche Ursache ist der Kontrollzwang nationaler und globaler Eliten, die sich – ob nun linker oder rechter Provenienz – schwerlich eine Welt vorstellen können, in der sie nicht das Sagen haben.
Dieser Befund darf das Weiterdenken über den Platz des Lokalen in einer friedlichen und nachhaltigen globalen Ordnung nicht entmutigen. Konzepte wie »human developmen« und »human security« bieten dafür eine Reihe von Anregungen. Sie begreifen den einzelnen Menschen nicht nur als Opfer von Krieg, Flucht, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung, sondern vor allem als Handelnden bei der Bewältigung und nachhaltigen Prävention von Gefährdungen. Ausgehend davon werden alle anderen Aspekte der Gewährleistung von Entwicklung und Sicherheit, wie Institutionenbildung und Demokratisierung, Menschenrechts- und Umweltschutz, wirtschaftliche Entwicklung und Kooperation thematisiert. Ein Desiderat besteht darin, die in dem Konzept angelegte Nord-Süd-Trennung zu überwinden und die Sicherheits-, Menschenrechts-, Wohlstands-, Umwelt- und Partizipationsprobleme der Menschen in den Ländern des Nordens in das Konzept zu integrieren.
»Global Governance« – ein integrierendes Konzept?
Was zu erwarten war, ist Mitte der 1990er Jahre auch geschehen. Mit dem Global Governance-Konzept erblickte ein Entwurf das Licht der Welt, der für sich in Anspruch nimmt, die weltweit kursierende Vielfalt von Ansätzen zu einer kohärenten globalen Struktur- bzw. Ordnungspolitik zu integrieren: Multilateralismus, Regionalismus, Zivilgesellschaft, Nachhaltigkeit, Weltethik … und lokale Partizipation (Kennedy et al. 2002). Dies ist unbestreitbar sinnvoll. Ein globaler Ordnungsrahmen muss ebenso vielschichtig und komplex sein, wie sich die grenzüberschreitenden und globalen Aufgaben und Regelungsmaterien in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit darstellen. Es bedarf also eines differenzierten analytischen und politischen Instrumentariums, um das gesamte Spektrum von wirtschaftlichen, Umwelt-, Menschenrechts-, Sicherheitsproblemen usw. von der lokalen bis zur globalen Ebene konstruktiv und nachhaltig bearbeiten zu können.
Doch so dringlich die wissenschaftliche und politische Nachfrage nach einem solchen konzeptionellen Alleskönner ist, so vage und unbefriedigend fällt das vorliegende Angebot aus. Nicht nur seine Tauglichkeit als mobilisierendes Leitbild ist begrenzt, auch die analytische Reichweite scheint dem Anspruch nicht angemessen. Wo liegen die Ursachen für das Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit? Sind diese dem Ansatz selbst anzukreiden oder liegen sie ganz einfach in dem sisyphos-gleichen Vorhaben, ein Passepartout für alle weltordnungspolitischen Konstellationen liefern zu wollen?
Was den Leitbild-Aspekt angeht, so fällt auf, dass sich der Global Governance-Ansatz hauptsächlich an die politischen Eliten wendet. Entsprechend moderat fällt der Modus der Ansprache aus. Gesetzt wird weniger auf Kritik und Protest als auf Einsicht und Überzeugung. Der Tenor ist konsens- und reformorientiert. Eine technokratische, der Steuerungstheorie entlehnte Sprache mischt sich mit einem emphatischen, an Verantwortung und Gewissen appellierenden Duktus. Der weich gespülte Bedrohungs-, Risiken- und Kosten/Nutzen-Diskurs erinnert nur noch entfernt an die katastrophischen Beschwörungen der 1980er Jahre. Kurz, die Physiognomie des Global Governance-Leitbildes entspricht dem post-utopistischen Zeitgeist.
Während sich die Anhänger des Ansatzes auf diese Weise vielleicht bei politischen (und wirtschaftlichen?) Entscheidungsträgern Zugang und Gehör verschaffen, nehmen sie bestenfalls Skepsis oder Indifferenz bei den sozialen und politischen Milieus in Kauf, die »von unten« Druck machen und auf diese Weise auf die Veränderung der vom Global Governance-Konzept kritisierten Zustände hinarbeiten. Darauf deutet zumindest die Kritik hin, die aus den Kreisen der neuen sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen und von diesen nahestehenden Wissenschaftlern geäußert wird (vgl. z.B. Brand et al. 2000).
Die Global Governance-Autoren und -Propagandisten befinden sich in einem Dilemma: Entweder sie beschränken sich auf die Politikberatung und auf den langen Weg durch die Institutionen und kümmern sich nicht um die »Gutmenschen« und »Sandalistas« in den Bewegungsorganisationen, oder sie spitzen ihre Analyse und ihre Rezepte auf das aktive, globalisierungskritische Segment in der bundesdeutschen, europäischen und vor allem auch globalen Öffentlichkeit zu. Ein Mittelweg scheint nur schwerlich denkbar. Doch vielleicht wäre es ja gerade deshalb reizvoll, eine solche Quadratur des Kreises zu versuchen!?
Was den Konzept-Aspekt des Global Governance-Ansatzes angeht, liegt dessen Wert unbestreitbar darin, einen ganzheitlichen Zugriff auf den gesamten Problemkomplex der Globalisierung zu wagen. Er bietet einen für Weiterentwicklungen offenen Forschungsrahmen, der system- und akteurstheoretische Perspektiven zusammenführt. Mit seiner Hilfe läßt sich vor dem Hintergrund beschleunigter Ausdifferenzierung und Transnationalisierung von Gesellschaften die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Formen inter-/transnationaler politischer Steuerung und Problemlösung plausibel begründen. Durch das Aufbrechen der Staatszentriertheit traditioneller Paradigmen wird es möglich, die Partizipation nichtstaatlicher Akteure (z.B. NRO und TNCs) an transnationalen Politikprozessen steuerungs- und demokratietheoretisch zum Thema zu machen.
Zugleich weist der Global Governance-Ansatz – gerade auch aus friedenswissenschaftlicher Sicht – eine Reihe substanzieller Defizite und Inkohärenzen auf (Brand et al. 2000). So wird der Politikbegriff durch eine funktionalistische Verengung auf den Steuerungsaspekt und einen vagen Entgrenzungsdiskurs zu einer technokratischen Residualkategorie. Das überwiegend steuerungstheoretische Konzept bildet die Herrschaftsstrukturen in den internationalen Beziehungen nur unzureichend ab und ist gänzlich blind für die immer noch strukturmächtigen patriarchalischen Gender-Prägungen.
Ein Desiderat der Global Governance-Forschung ist folglich die Integration einer zeitgemäßen Staatstheorie, die unter der Oberfläche subnationaler Dezentralisierung, internationaler Kooperation und trans-/supranationalen Regierens die herrschafts- und demokratiepolitischen Implikationen sichtbar macht. Zugleich könnte ein so geschärfter analytischer Blick unrealistische Hoffnungen bezüglich der Leistungsfähigkeit nationaler und übernationaler Staatlichkeit bei der Wiedereinbettung von dereguliertem Wirtschaftshandeln zurückschrauben. Gebraucht wird ein theoretisches Konzept, das den Gestalt- und Funktionswandel des Staates im Norden, die Auflösung und (Neu-)Formierung von Staatlichkeit im Süden und die Herausbildung von Elementen von Staatlichkeit auf der trans-/supranationalen Ebene schlüssig und produktiv miteinander verbindet.
Fazit
Beim Entwurf einer nachhaltigen und friedlichen Weltordnung ist zu bedenken, dass ein auf Wirkung und Akzeptanz zielender Ansatz den Doppelcharakter von Konzept und Leitbild zu berücksichtigen hat. Beide verweisen im Idealfall aufeinander. Eine besondere Herausforderung besteht darin, unterschiedliche Zielgruppen mit ein und demselben Leitbild anzusprechen. Wichtige Merkposten eines kooperativen globalen Ordnungsentwurfs sind:
- die Akzeptanz des Subsidiaritätsprinzips als zentralen ordnungs- und demokratiepolitischen Maßstab;
- die vorrangige Berücksichtigung des „Lokalen“ mit seinen je konkreten kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Besonderheiten sowie seiner Verwobenheit mit dem Regionalen, Nationalen und Globalen;
- die Zusammenführung der Nord- und der Süd-Perspektive in einem kohärenten Ansatz;
- die Konzeptualisierung der Rolle von Macht- und Herrschaftsbeziehungen bei der Herstellung und Abgrenzung von Ordnungen;
- die Thematisierung staatlicher und wirtschaftlicher Akteure sowohl als Konkurrenten wie auch als Kooperationspartner zivilgesellschaftlicher Akteure bei Gewährleistung einer nachhaltigen und friedlichen Weltordnung.
Literatur
Brand, Ulrich/Brunnengräber, Achim/Schrader, Lutz/Wahl, Peter (2000): Global Governance. Alternative zur neoliberalen Globalisierung? Westfälisches Dampfboot, Münster.
Brenner, Neil (1997): Globalisierung und Reterritorialisierung: Städte, Staaten und die Politik der räumlichen Redimensionierung im heutigen Europa, in: WeltTrends, Heft 17, Winter, S. 7-30.
Heins, Volker (2001): Der Neue Transnationalismus. Nichtregierungsorganisationen und Firmen im Konflikt um die Rohstoffe der Biotechnologie, Campus Verlag, Frankfurt/M., New York.
Höffe, Otfried (1999): Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, C.H. Beck: München.
Kennedy, Paul/Messner, Dirk/Nuscheler (2002): Global Trends & Global Governance, Pluto Press, London, Sterling, Virginia.
Kleger, Heinz (1994): Reflexive Politikfähigkeit. Zur Verschränkung von Bürger- und Staatsgesellschaft. In: Gebhardt, Jürgen / Schmalz-Bruns, Rainer (Hg.): Demokratie, Verfassung und Nation. Die politische Integration moderner Gesellschaften, Baden-Baden, S. 301-319.
Swyngedouw, Eric, (1992): The Mammon quest: »glocalisation«, interspatial competition and the monetary order – the construction of new scales, in: Dunford, Mick/Kafalas, Grigoris (Hrsg.): Cities and regions in the new Europe, Belhaven Press, New York, S. 39-67.
Dr. Lutz Schrader, Institut Frieden und Demokratie an der FernUniversität Hagen