W&F 2025/4

Zeit der Monster – aber welcher?

„Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist eine Zeit monströser Erscheinungen“. Diese Analyse stellte, sinngemäß, der italienische Philosoph Antonio Gramsci 1930 aus dem Gefängnis heraus über die sich vor seinen Augen politisch dramatisch verändernde Welt an – eine Welt am Rande des Faschismus.

Heute, fast 100 Jahre später, lässt sich erneut eine dramatische rechts-autoritäre Verschiebung beobachten – erneut eine Zeit der Monster? Wir spüren diese Verschiebung in einer neuen Qualität der Verrohung der Sprache, wie sie Körper bedroht, wie sie spaltet, polarisiert und nicht zuletzt Gewalt, Ausgrenzung und Krieg normalisiert – von der Abschiebung vermeintlicher »Straftäter« nach Afghanistan, über die Debatten zu »kleinen Paschas« bis zur »Drecksarbeit«, die andere Staaten »für uns« durch illegale Bombardierungen erledigten. Sie zeigt sich in menschenfeindlichen, anti-demokratischen Handlungen und den stärker werdenden Rufen nach autoritärer Führung und deren »Lösungen«, beispielsweise durch verschärfte Polizeigesetze und öffentliche Überwachung. Diese Verschiebung wird in anderen Kontexten noch deutlicher – von Ungarn über die USA bis nach Indien. Sie wird global von Akteuren der extremen Rechten bewusst vorangetragen – Akteure der sogenannten »Mitte« fallen mit ein, autoritäre Haltungen in der Mehrheitsgesellschaft werden reaktiviert und bestätigt. Was ist das? Ein neuer Faschismus, eine neue Rechte? Oder doch wieder nur die alte, auf neu gemacht?

Wir sind der Ansicht, dass dieser wachsende Autoritarismus Frieden in mehrerer Hinsicht gefährdet: in der deutlichen Tendenz, Konflikte vor allem militärisch lösen zu wollen, einhergehend mit der gesellschaftlichen Normalisierung von Gewalt und Herrschaft, während die sich gesellschaftlich ausbreitende Konflikt- und Kritikunfähigkeit in autoritären Schließungen oder Formen der Repressionen mündet. In all dem bleibt die Frage: Wie können wir uns dem zur Wehr setzen? Wie Frieden schaffen?

Um diese Entwicklungen besser zu verstehen und mögliche Antworten zu formulieren, widmet sich dieses Heft also dem Phänomenbereich der erstarkenden Globalen Rechten. Der erste Block erörtert theoretisch-konzeptionelle Fragen, um Klarheit durch begriffliche Schärfe und Abgrenzung zu schaffen. Dafür wirft Fabian Virchow einen strukturierenden Blick auf die „vielen Rechtsaußen“ und nähert sich den verschiedenen zur Verfügung stehenden Analysebegriffen wie Autoritarismus, Rechtsextremismus und Faschismus. Mit einem Fokus auf die »Faschistische Internationale« fragt Martin Hamre nach der Neuartigkeit der Globalen Rechten und zieht dabei Parallelen zum historischen Phänomen. Mit Verweis auf globale historische Entwicklungen plädiert Benjamin Zachariah für ein erweitertes Faschismusverständnis, das sich nicht durch einen Eurozentrismus analytisch selbst beschneidet.

Der zweite Abschnitt versucht einen eher empirischen Zugang und schaut sich fallbezogen konkrete Phänomene an. Sebastian Hoppe wirft einen Blick auf das politische und ökonomische System Russlands und zeigt, wie Militarismus, Ideologie und Ressourcenökonomie ineinandergreifen und „zu einem System verschmelzen, das in Teilen faschistoide Züge trägt“. Ulrike Fladers Beitrag analysiert den »Soft Autoritarismus« in der Türkei als Beispiel für das neue Phänomen eines die demokratisch-rechtsstaatlichen Wege ausnutzenden und sich zu eigen machenden Autoritarismus. Rainer Mühlhoff arbeitet die Verknüpfung zwischen den dominanten ideologischen Grundlagen der Tech-Industrie, deren technologischen Entwicklungen und ihrer Verwobenheit mit den Faschisierungstendenzen unserer Zeit heraus. Rafael Behr blickt dann auf innerstaatliche autoritäre Entwicklungen und widmet sich dazu der wachsenden autoritären Dominanzkultur innerhalb der Polizei.

Im letzten Abschnitt widmet sich das Heft den Möglichkeiten antifaschistischen und antiautoritären Widerstandes: Richard Rohrmoser schafft ein lebendiges Porträt der Antifa-Bewegung, ihrer internen Aushandlungen und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Maria Hartmann blickt auf das Potential für postmigrantische Gesellschaften, durch die Erfahrung von Menschen, die selbst vor Autoritarismus und Repression geflohen sind, ein anti-autoritäres »Sensorium« herausbilden zu können.

Christoph Hedtke und Ilyas Saliba konzentrieren sich in ihren Beiträgen jeweils auf die Wissenschaft und fragen, wie unter zunehmend autoritären Rahmenbedingungen Forschung praktisch umgesetzt und die Forschungsfreiheit erhalten bleiben kann. Damit die Räume für gegenseitigen Austausch und eine solidarisch-kritische Analyse gesellschaftlicher Veränderungen und Normalitäten im autoritären Beben der Welt nicht verschüttet werden.

Alle diese Beiträge sollen nicht nur das analytische Verständnis verbessern, sondern auch Handlung ermöglichen: Es bedarf kluger Ansätze, sich des geschickt manövrierenden Autoritarismus unserer Tage zu erwehren, und es bedarf der friedenspolitischen Klarheit, sich der Gewalt zu entsagen, die mit ihm einzieht. Lassen Sie sich durch dieses Heft und seine Beiträge ermutigen, die Monster zu zerstäuben.

Saskia Jaschek und Maria Hartmann

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2025/4 Autoritäre Wende: Repression – Militarisierung – Faschisierung, Seite 2