Zeit des Übergangs. Zum Stand der amerikanischen Friedensbewegung
von Paul F. Walker
Die späten 80er markieren einen bedeutenden Wendepunkt für die amerikanische Friedensbewegung: sie war von einer aktiven, sichtbar wirksamen zu einer relativ passiven politischen Kraft geworden. Ihr Einfluß schwand. Ob sie wieder eine machtvolle Kraft in der amerikanischen Politik werden wird, wie sie es vor noch nicht allzulanger Zeit war, ist heute eine offene Frage.
Vor fünf Jahren waren die Amerikaner frustriert, ungeduldig und verärgert über das langsame Tempo, in dem sich die amerikanische und die sowjetische Regierung auf Verhandlungen zubewegten. Eine Übereinkunft zur Begrenzung der Nuklearwaffen war seit über zehn Jahren nicht ratifiziert worden, Ost-West-Verhandlungen und Gespräche waren total zusammengebrochen und eine ganz neue Generation von Nuklearwaffen stand vor der Produktion. Millionen Amerikaner engagierten sich für Nuklearwaffenabrüstung und „Nuclear Freeze“.
Es hatte damals ein starkes Frustrationsgefühl über Präsident Carter gegeben, der in seiner Antrittsrede vier Jahre zuvor nukleare Abrüstung versprochen hatte. Die Regierungsübernahme durch Präsident Ronald Reagan, der seine Wahlkampagne auf eine Plattform restriktiver Steuerpolitik und außenpolitischer Stärke gegründet hatte, vertiefte nur diese Frustration. Die Friedensbewegung gedieh, genährt durch die antisowjetische und gefährliche Sprache von Präsident Reagan und tief betroffen über die Wahrscheinlichkeit nuklearer Konfrontation.
Phase des Niedergangs
Und doch ist nun wenig zu hören von der Friedensbewegung, insbesondere in den letzten anderthalb Jahren. Warum? Die Gründe sind unterschiedlich. Erstens mäßigte die Reagan-Administration ihre gewalttätige Rhetorik, ihr Gerede vom „begrenzten Nuklearkrieg“, von der Notwendigkeit „einen Krieg mit chirurgischen nuklearen Eingriffen zu führen“ und ihre „Entschlossenheit durch demonstrative nukleare Explosionen zu zeigen“, von dem „unvermeidlichen Zusammenstoß zwischen dem Guten und Bösen, West und 0st, Engeln und Teufeln in der Welt“. Solche Brandreden hoher Regierungsvertreter beunruhigten einen Großteil der Bevölkerung. In den ersten drei Jahren der Reagan-Administration verbreiterten sie ironischerweise die Basis der Friedensbewegung.
Zweitens überraschte Präsident Reagan jedermann - mit Ausnahme seiner engsten Berater - mit seiner „Star-Wars“-Initiative. SDI sollte einen undurchdringlichen Verteidigungsschild über den Vereinigten Staaten errichten. Dadurch würde ein perfekter Schutz vor feindlichen Nuklearschlägen bereitgestellt. Obgleich Teile der Friedensbewegung, die besser Bescheid wußten skeptisch waren über „Star-Wars“, nahmen die meisten Amerikaner den Präsidenten bei seinem Wort und begannen zu hoffen, daß es etwas Licht am Ende des Tunnels geben würde.
Drittens entzog der Schritt Reagans, bilaterale Diskussionen mit den Sowjets zu eröffnen - kulminierend im Genfer Gipfeltreffen im November 1985 - der Friedensbewegung ihre Wirkung. Viele Amerikaner glaubten zu dieser Zeit, daß die Freeze-Bewegung schon ihre Aufgabe erfüllt hatte: Ost und West wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen. Auch glaubten sie, daß es nun an der Zeit wäre, beiden Regierungen etwas Verhandlungsspielraum zu geben, um eine Übereinkunft über Rüstungskontrolle auszuarbeiten.
Die Reaktivierung der Friedensbewegung
Die amerikanische Friedensbewegung hat zwischen 1980 und 1985 offenbar ihre Position verändert. Hatte sie einst ein vollständiges
Nuclear Freeze“ und eine Beendigung des quantitativen und qualitativen Wettrüstens gefordert, hoffte sie nunmehr bloß noch auf Resultate des Genfer Dialogs.
Doch Politik ist immer dynamisch. Seitdem haben sich die Dinge bewegt. Friedensaktivisten, die gehofft und die Genfer Verhandlungen unterstützt hatten, wurden Zeuge, wie die Reagan-Regierung jeden sowjetischen Rüstungskontrollvorschlag zurückwies - Testverbot für Anti-Satellitenwaffen (ASAT), starke Reduzierungen bei den Offensivwaffen, Verbot des Star-War-Programms, Verbot der chemischen Waffen und gegenwärtig vor allem einen Stopp der Nuklearwaffentests. Die Friedensbewegung sah gleichfalls, wie die amerikanische Regierung voranschritt bei der Bereitstellung großer Geldmittel für Guerillaoperationen in Nicaragua und Angola und vor drei Monaten ankündigte, bald den SALT II-Vertrag zu verletzen; tatsächlich hatte Reagan erklärt, daß er sich nicht länger durch irgendwelche vergangenen SALT-Übereinkünfte gebunden fühle.
Darüber hinaus begann die amerikanische Regierung gegen Friedensaktivisten, die sich im gewaltlosen zivilen Ungehorsam engagiert hatten, brutal Front zu machen. Individuen, Gruppen katholischer Pazifisten und andere wurden während der zurückliegenden drei Jahre ins Gefängnis gesteckt für Aktionen des zivilen Ungehorsams wie der Beschädigung von Raketensilos, dem Besprühen von Bombern und dem Schütten von Blut auf Nuklearwaffenteile. Verschiedene Richter und Gerichte haben diese Menschen mit bis zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und sie zu „Terroristen“, „Kommunisten“, „Verrätern“ erklärt, welche „die nationale Sicherheit bedrohten“.
Auf der sowjetischen Seite hat Generalsekretär Gorbatschow die sehr kluge und bedeutende Initiative eines einseitigen Teststopps für Nuklearexplosionen gestartet und dem privaten, nicht-regierungsoffiziellen Austausch von seismographischen Forscherteams zur Vor-Ort-Kontrolle zugestimmt. Zugleich hat er die Welt in seiner Rede vom 15. Jan. 1986 herausgefordert, das Undenkbare zu denken: wie die Nuklearwaffen bis zur Jahrhundertwende eliminiert werden könnten.
Der Streit um das Budget ´87
Die positiven Initiativen der Sowjets, eine „Friedensoffensive“ wenn man will, und das Fehlen eines positiven Schritts durch die Amerikaner, führte dazu, die amerikanische Friedensbewegung wieder zu stimulieren und - in begrenztem Ausmaß - auch den US-Kongreß. Das erste größere Indiz dieser Veränderung tauchte im Sept.1986 auf, als das Repräsentantenhaus 5 grundlegenden Zusatzanträgen zum Haushalt ´87 zustimmte. Obgleich noch nicht durch den Senat gebilligt, sind die Anträge ein wichtiger Schritt, damit Kongreß und Friedensbewegung die Rüstungskontrolle in ihre eigenen Hände nehmen. Die Kongreßanträge schlagen kurz gefaßt folgendes vor:
- die Mittel für „Star-Wars“ werden auf dem Niveau des letzten Jahres eingefroren, die Preissteigerungsrate berücksichtigend auf 3,1 Milliarden Dollar; dies liegt deutlich unter der Forderung des Präsidenten nach 4,8 Mrd.;
- Mittel für Waffensysteme, die SALT II-Beschränkungen überschreiten, werden abgelehnt, dies betrifft solche Programme wie Trident, MX, Midgetman und Cruise Missiles;
- ein Einjahresmoratorium für Nuklearwaffentests soll etabliert werden, beginnend mit dem 1. Jan.1987;
- ein Verbot der Anti-Satellitenwaffentests soll fortgesetzt werden und
- jede neue Produktion von chemischen Waffen soll blockiert werden.
Zum ersten Male war die Reagan-Administration derart erfolglos bei der Vorlage ihres Programms im Kongreß. Der Präsident hat mit einem Veto gegen das Budget gedroht, falls es diese Maßnahmen enthielte.
Internationalisierung der Friedensbewegung
Die gegenwärtige Konfrontation in Washington jedoch repräsentiert nur die Spitze des Eisberges, die Friedensbewegung scheint sich nun in einer radikaleren und progressiveren Weise zu rekonstituieren als zuvor. Während es früher eine Weigerung gab, nukleare Abrüstung mit anderen Fragen zu verknüpfen, diskutiert die Friedensbewegung nun verstärkt über eine nichtinterventionistische Politik. Während früher die Bewegung ein Einfrieren her Produktion, der Tests und der Entwicklung nuklearer Waffen unterstützte, argumentiert sie nunmehr für weitergehende Reduzierungen und eine mögliche Abschaffung von Nuklearwaffen.
Dies ist in der Tat eine Zeit des Übergangs, weil die Friedensbewegung erkannt hat, daß es ein Irrtum war, der Reagan-Regierung eine Atempause von einem Jahr oder mehr einzuräumen, um einen Rüstungsstopp auszuhandeln. Es ist zugleich eine Zeit der Chancen, weil Millionen Amerikaner erkannt haben, daß der Genfer Gipfel 1985 vor allem „Rauch und Zauber“, gute Öffentlichkeitsarbeit und nichts weiter war und daß die Verantwortlichkeit für Frieden nicht in Washington, Moskau, Bonn, London oder anderswo liegt, sondern in den Menschen, die aussprechen, daß ihr Leben davon abhängt.
Wir sind Zeuge dieser Wiedergeburt von Friedensaktivitäten in den USA, genau wie in Europa heute. Der Erfolg wird auch davon abhängen, ob die Bewegung ihre Politik und ihre Kommunikation über den Atlantik koordinieren kann. Besonders seit den Enthüllungen der Forschung über den nuklearen Winter und seit Tschernobyl nehmen die Menschen wahr, daß die potentiellen Gefahren der Nuklearenergie und der Nuklearwaffen nicht nur national, sondern international sind. In der heutigen Zeit ist es daher von großer Wichtigkeit, für die internationale Zusammenarbeit der Friedensbewegung zu arbeiten.
Paul F. Walker, Ph. D., ist Co-Direktor des Instituts für Frieden und Internationale Sicherheit in Cambridge, Massachusettes. Er ist außenpolitischer Berater von Jesse Jackson und war früher Direktor für Rüstungskontrollforschung bei der Union of Concerned Scientists.