W&F 2011/1

Zero is the only option

19. IPPNW-Weltkongress, 27.-29. August 2010, Basel

von Barbara Dietrich

Die IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) wurde im Jahre 1980 gegründet mit dem Ziel, einen Atomwaffenteststopp durchzusetzen, und hat mittlerweile 250.000 Ärzte/innen und Medizinstudenten/innen aus 80 Ländern als Mitglieder. 1984 erhielt die Organisation den UNESCO-Friedenspreis, 1985 den Friedensnobelpreis. Die deutsche Sektion nennt sich Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung und existiert seit 1982; damals verpflichteten sich die Gründungsmitglieder, sich nicht an kriegsmedizinischen Maßnahmen zu beteiligen. Alle zwei Jahre hält die IPPNW einen weltweiten Kongress ab; das Motto des 19. Weltkongresses im August 2010 lautete »nuclear abolition: for a future«.

Ausgehend von der Tatsache, dass weltweit noch immer mehr als 22 000 Atomsprengköpfe vorgehalten werden und sich die Zahl der Atomwaffenmächte seit 1968, dem Jahr der Unterzeichnung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV), von fünf auf neun Staaten erhöht hat, war dieser Vertrag mit seiner Geschichte, seinen inhaltlichen Schwächen und seiner Implementierung ein wesentlicher Schwerpunkt des Kongresses. Die im Frühjahr 2010 abgehaltene 8. Überprüfungskonferenz zum NVV wurde von allen Referenten/innen kritisch bewertet, vor allem, weil auch dieses Mal keine Fristen vereinbart wurden, innerhalb derer die Atommächte verpflichtet sind, ihre Atomwaffen zu reduzieren bzw. vollständig abzuschaffen.1 Eindringlich wurde gewarnt vor der „schonungslosen Effizienz der Atombomben“, welche die Forderung nach der Durchsetzung einer so genannten Atomwaffenkonvention unbedingt erforderlich mache. Ein solcher von relevanten Friedensorganisationen (IALANA, INESAP, IPB und IPPNW) konzipierter und vom UN-Generalsekretär mittlerweile in seinen eigenen Forderungskatalog aufgenommener Vertragsentwurf nämlich legt konkrete Schritte zur atomaren Abrüstung innerhalb eines verbindlichen Zeitrahmens fest und bezieht Atomwaffen jeglicher Bauart oder Zerstörungskraft sämtlicher Atomwaffenstaaten ein.

Plenarveranstaltungen zur Geschichte der atomaren Abrüstung, zu den diesbezüglichen Positionen der Nuklearmächte und zu ihrer Verantwortung, zu Wirtschaft und Atomwaffen wie zu Globalisierung, Krieg und atomarer Abrüstung vermittelten einen umfassenden Überblick über das Thema des Kongresses.

Angesichts der kürzlich durchgeführten Castor-Transporte war das Plenum zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Kernkraftwerke von großer Aktualität und Brisanz. Referenten verwiesen auf die im Jahre 2007 publizierte KiKK-Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters,2 in der nachgewiesen wurde, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an Krebs bzw. Leukämie desto größer ist, je näher ein Kind an einem AKW wohnt. Forschungen in Russland hatten ergeben, dass eine geringe, aber länger anhaltende Strahlendosis im Hinblick auf das Krebsrisiko für den Menschen ebenso gefährlich ist, wie eine hohe einmalige radioaktive Strahlendosis, wie sie etwa durch die Hiroshima-Bombe ausgelöst worden war.

Im Workshop »Positionen der Obama-Administration zur nuklearen Abrüstung« wurde deutlich gemacht, dass der US-Präsident von republikanischer Seite erheblichen Widerstand gegen weitere Abrüstungszugeständnisse zu erwarten habe. Diese Einschätzung erweist sich als zutreffend, wenn man liest, dass die Republikaner nach den Kongresswahlen versicherten, dem neuen START-Vertrag (Abkommen USA-Russland vom 8.4.2010 über die weitere Reduzierung und Begrenzung der strategischen Atomwaffen) nur dann zustimmen zu wollen, wenn die Regierung im Gegenzug mehr Geld für die Modernisierung der amerikanischen Atomwaffenarsenale zur Verfügung stellt und ein Raketenabwehrsystem aufbaut (FAZ 4.11.2010). Linke Demokraten dagegen fordern von Obama, schnellere und weitergehende Abrüstungsschritte zu initiieren. Von dritter Seite wächst ebenfalls Druck in Richtung Abrüstung, wie der Aufruf hochrangiger US-Politiker (G. Shultz, W. Perry, H. Kissinger, S. Nunn) »Für eine Welt ohne Atomwaffen« aus dem Jahre 2007 beweist.

Ein anderer Workshop hatte die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten und Mittelmeerraum zum Inhalt. Diese war von 22 arabischen Staaten – alle Unterzeichner des NVV-Vertrages – im März 2010 anlässlich ihres Treffens in Libyen gefordert worden. Auch in der Abschlusserklärung der NVV-Überprüfungskonferenz 2010 wird dieses Ziel unterstützt; hier ist sogar von einer von atomaren, biologischen und chemischen Waffen freien Zone die Rede und davon, dass im Jahre 2012 dazu eine Konferenz einberufen werden solle – unter Einbeziehung Irans und Israels.

In diesem Workshop wurde von vielen Seiten – z.B. von Vertretern Italiens, Palästinas, Israels, Pakistans – lebhaft und kontrovers diskutiert. Der Vertreter des Irans, Berater in der Ständigen Vertretung der Islamischen Republik Iran in Genf, gab eine längere Erklärung ab. Atomwaffen, so führte er aus, hätten in der Verteidigungsdoktrin seines Landes und angesichts der Unterzeichnung des NVV-Vertrags durch den Iran keinen Platz. Allerdings beanspruche der Iran das Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie, was aber unstreitig vertragskonform sei. Das Motto der iranischen Atompolitik laute demzufolge: „Atomenergie für alle, Nuklearwaffen für niemanden.“ Bezug nehmend auf Israel wies er darauf hin, dass dort hunderte Atomwaffen stationiert seien und dass Israel darin bedingungslos von den USA und ihren Verbündeten unterstützt werde. Demgegenüber übe die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) gegenüber seinem Land, dem Iran, ein beispiellos strenges Kontrollregime aus, und auch der UN-Sicherheitsrat sei – unnützerweise – zu Lasten des Iran in den Konflikt involviert worden. Das alles zeige, dass hier mit zweierlei Maß gemessen werde. Schließlich sprach sich auch dieser Referent mit Nachdruck für eine atomwaffenfreie Zone im Mittleren Osten aus und dafür, dass Israel als einzige Atommacht in dieser Region dem NVV beitreten und sich der Kontrolle der IAEO unterstellen müsse – dann würde das anvisierte Ziel rasch in greifbare Nähe rücken.

Konsens bestand unter den Teilnehmern/innen dieses Workshops darüber, dass die nuklearwaffenfreie Zone ein erster wichtiger Schritt zu einem umfassenden Frieden im Mittleren Osten sei. Der Vorschlag, in der israelisch-palästinensischen Region eine Konferenz zu diesem Thema einzuberufen, wurde einhellig begrüßt. Angesichts wiederholter Pressemeldungen, dass Israel einen Angriff auf den Iran in Erwägung ziehe, wurde der IPPNW als Teilnehmerin einer solchen Konferenz u.a. die Rolle zugewiesen, aus fachlicher Sicht deutlich zu machen, welch verheerende Folgen ein Krieg gegen den Iran haben würde.

Hervorgehoben sei weiterhin der Vortrag eines indischen Politologen und Nuklearexperten, der sich mit der ökonomischen Krise und der Friedensbewegung befasste. Der Neoliberalismus bringe, so trug er vor, eine globale Marktordnung hervor, die von einer umfassenden Militarisierung über alle nationalen Grenzen hinweg abgesichert werde. Mit dieser Militarisierung werde nicht mehr die Durchsetzung konkret bestimmter, begrenzter Ziele verfolgt, sondern generell die Absicherung der neoliberalen Wirtschaftsordnung ohne Rücksicht auf Grenzen und auf unbestimmte Zeit. Dem müsse sich die Friedensbewegung stellen. Sie könne nicht mehr nur eine Bewegung sein, die auf eine Welt ohne Krieg hinarbeitet, sondern müsse vielmehr mit dem Kampf gegen alle Arten von ökonomischer, sozialer und kultureller Ungerechtigkeit verbunden werden. Das Weltsozialforum z.B. sei eine Bewegung dieser Art. Auch der fortdauernde Kampf für nukleare Abrüstung müsse mit dem weiterreichenden Kampf gegen Militarismus, ungerechte Kriege und Besetzung verbunden werden. Vor allem aber müsse moralische Indifferenz bekämpft und überwunden werden, damit die nukleare Abrüstung Realität werden könne – dies sei die Lehre aus Fortschritten des vergangenen Jahrhunderts: Ende der Apartheid, schnelles und unblutiges Ende der autoritären Sowjetunion, politische Niederlage der USA gegenüber den Vietnamesen etc.

Im abschließenden Plenum kamen – last but not least – die »non-haves« zu Wort: Vertreter/innen von atomwaffenfreien Staaten prangerten Höhe und Zunahme der weltweiten Rüstungsausgaben an (knapp 6% in 2009 gegenüber 2008), die im Jahre 2009 insgesamt 1,53 Billionen US-Dollar betrugen. Auch sie forderten mit großem Nachdruck die Umsetzung des NVV-Vertrages und die Durchsetzung einer Atomwaffenkonvention, setzten dabei allerdings ihre Hoffnung weniger auf die von nationalen Interessen dominierten Regierungen als auf politischen Druck von Seiten der Zivilgesellschaft – wohl wissend, dass hier noch sehr viel motivierende und aktivierende Arbeit zu tun sein wird.

Tagungsort des Kongresses war Basel, Tagungslokalität die alte, im Jahr 1460 gegründete, Universität: ein Ort, adäquat für einen solch kompakten und konzentrierten Kongress, der viele renommierte Wissenschaftler/innen, bekannte Politiker/innen (immerhin ließ der russische Präsident Medwedew eine Grußadresse verlesen) und Studenten/innen aus aller Welt zu Informationsaustausch und -weitergabe, zu Reflexion und Diskussion zusammengeführt und das Netzwerk unter Gleichgesinnten sicherlich enger geknüpft hat.

Anmerkungen

1) Siehe Rebecca Johnson, Die NVV-Konferenz 2010, in W&F 3-2010.

2) Bundesamt für Strahlenschutz: Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie). Salzgitter, 2007; www.bfs.de/de/bfs/druck/Ufoplan/4334_KIKK.html.

Barbara Dietrich

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/1 Moderne Kriegsführung, Seite 62–63