W&F 2006/4

Zivil-militärische Verflechtungen

von Jürgen Scheffran

Im Ersten Weltkrieg waren 42% der Opfer Zivilisten, im Zweiten Weltkrieg waren es 55%. Die nukleare Abschreckung des Kalten Krieges zielte auf zivile Ziele, und in einem umfassenden Atomkrieg wäre von den betroffenen Gesellschaften nicht viel übrig geblieben. Wenn die gesamte Gesellschaft vom Krieg betroffen ist, verliert die klassische Trennung zwischen Soldat (lat. miles) und Bürger (lat. civilis) an Bedeutung. Auch die »Bürger«-Kriege in Ruanda und Ex-Jugoslawien ebenso wie die gewaltsamen Konflikte in Afghanistan, im Libanon oder im Irak durchziehen die Gesellschaften dieser Länder. Ohne klare Fronten agieren Streitkräfte innerhalb der Gesellschaften und sind damit deren Logiken unterworfen. Die Terroranschläge des 11. September, die innerhalb der USA vorbereitet wurden, verwendeten zivile Passagierflugzeuge, um zivile Ziele inmitten einer Großstadt zu treffen. Der darauf erklärte »Krieg gegen den Terror«, der nicht nur sprachlich ein Fehlschlag ist, durchzieht nun die Zivilgesellschaften des Westens, lässt jeden Koffer in einem Flughafen oder Bahnhof als möglichen Teil eines kriegerischen Gewaltakts erscheinen. Die Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit wird im Begriff der »Heimatverteidigung« deutlich, in den USA besonders mit der Gründung des Department of Homeland Security. Bezeichnenderweise war die erste Balastungsprobe für die Heimatverteidigung nicht ein Terroranschlag, sondern eine Naturkatastrophe, der Hurrican Katrina. Sie ist gründlich schief gegangen. Noch disaströser ist der Versuch der USA, mit überwältigender Militärmacht den Irak besetzt zu halten, ignorierend dass eine Demokratisierung des Irak eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die ganz andere, vor allem zivile Mittel erfordert. Statt den Irak zu »befrieden«, wird noch Öl ins Feuer gegossen. Der gewaltsame Widerstand gegen die als Besatzer empfundenen US-Truppen kann sich an jeder Hausecke oder Straßenkreuzung entzünden. Zivile Mittel zur Problem- und Konfliktlösung fehlen, angesichts der Priorisierung des Militärischen. Im Rahmen dieser Gesamtmobilisierung strebt das Militär eine zunehmende zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) an, die dem Militär neue Spielräume eröffnen soll. Sie erlaubt es, zivile Ressourcen in die Militärplanung einzubeziehen, ein Phänomen, dass bei der Nutzung ziviler Technologien für militärische Zwecke schon lange unter dem Begriff Dual-use bekannt ist. Entsprechend widmet sich die Bundeswehr verstärkt der Koordinierung zivil-militärischer Beziehungen und der Unterstützung von bewaffneten Streitkräften ebenso wie der zivilen Umgebung. Hierzu gehören die Koordinierung von Planungen der zivilen und militärischen Verteidigung ebenso wie Vorsorgemaßnahmen für die Zivilbevölkerung und die Streitkräfte, die Einbindung der Streitkräfte in die Zivil- und Katastrophenschutzplanung und in die Einsatzplanung bei sogenannten Großschadensereignissen. Im weiteren geht es um die Zusammenarbeit in allen Bereichen des Umweltschutzes, der Raumordnung und der Konversion. Eine Verengung auf den Retter, Schützer, Helfer ist dabei nicht erwünscht. Es wird ausdrücklich zwischen Truppenführung im Kampf und bei Friedensmissionen unterschieden, wobei der Kampf nicht nur auf herkömmliche Kriege, sondern mit dem Oberbegriff des bewaffneten Konfliktes auf alle Erscheinungsformen sozialer Gewalt ausgedehnt wird, die mit Waffen ausgefochten werden. Bei der Informationsgewinnung soll auch auf internationale und Nicht-Regierungs-Organisationen zurück gegriffen werden, die über zusätzliche Information verfügen. Damit verbundene Probleme bei der Einbindung in militärische Befehlsstrukturen werden anerkannt, das unterschiedliche Selbstverständnis ziviler Organisationen und das Primat der Politik werden nicht bestritten. Auch wenn eine gewisse Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Einrichtungen bei Friedensmissionen erforderlich sein mag, sind grundsätzliche Unvereinbarkeiten ziviler und militärischer Aufgaben und Einsatzmittel nicht zu übersehen. Nicht geeignet ist Militär für den Prozess der Staatenbildung und Demokratisierung, den Aufbau einer Volkswirtschaft, die nachhaltige Ressourcensicherung und den Umweltschutz. Genausowenig lassen sich zivilgesellschaftliche Kräfte in militärische Strukturen und den gewaltsamen Konfliktaustrag einbinden. Die vermeintlich betriebswirtschaftliche Rationalisierungslogik verbirgt, dass sich das Militär ziviler Ressourcen bedient, um eigene Budgets zu schonen. Im Kontext von Krisenreaktionskräften und Antiterrorkriegen kann eine gesellschaftliche Mobilisierung unter militärischen Kalkülen eine Totalisierung von Konflikten befördern und den Einsatz von Gewalt legitimieren. Statt die Grenzen zwischen zivil und militärisch zu verwischen, wäre es wichtiger, sie deutlicher zu machen.

Ihr Jürgen Scheffran

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2006/4 Zivil-militärische Zusammenarbeit, Seite