W&F 2009/4

Zivile Konfliktbearbeitung in der Südsee

von Volker Böge

Der Diskurs über Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention ist sehr stark von westlichen Konzepten, Mustern und Ansätzen geprägt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass »wir hier« (im »entwickelten« Westen/Norden) »denen da unten« (im Globalen Süden) beibringen müssen (und können), wie Konflikte nicht-gewaltförmig zu bearbeiten und Kriege zu verhindern sind. Dabei gibt es eine Vielzahl nicht-westliche, in den lokalen Gemeinschaften der konfliktbetroffenen Regionen des Südens verankerte Institutionen und Instrumente traditioneller Konfliktbearbeitung. In diesem Beitrag soll eine Geschichte von Konfliktbearbeitung kurz nachgezeichnet werden, die erfolgreich war, gerade weil in ihr lokale traditionelle Formen eine zentrale Rolle spielten. Es geht um Friedensbildung auf der Südseeinsel Bougainville.

Die südpazifische Insel Bougainville, mit rund 9000 Quadratkilometern etwa so gross wie Zypern, wurde im Jahre 1975 Teil des damals aus australischer Kolonialherrschaft entlassenen unabhängigen Staates Papua-Neuguinea (PNG). Auf Bougainville wurde im Jahrzehnt zwischen 1989 und 1998 der bislang blutigste und längste Gewaltkonflikt im Südpazifik nach dem Zweiten Weltkrieg ausgetragen. Ihm sind nahezu 20.000 der knapp 200.000 Inselbewohner zum Opfer gefallen. Es bekämpften sich die sezessionistische »Bougainville Revolutionary Army« (BRA) auf der einen Seite und die Streitkräfte der Zentralregierung Papua Neuguineas, die »Papua New Guinea Defence Forces« (PNGDF), unterstützt von lokalen bougainvilleanschen Hilfstruppen, den so genannten »Resistance Forces«, auf der anderen Seite.

Die Vorgeschichte: Krieg auf Bougainville

Wie so viele der zeitgenössischen »vergessenen« Kriege war auch der Gewaltkonflikt auf Bougainville geprägt von Menschenrechtsverletzungen und Grausamkeiten, die vor allem an der Zivilbevölkerung verübt wurden. Dörfer und Kirchen wurden niedergebrannt, Menschen gefoltert und ermordet, vertrieben und beraubt. Nur relativ wenige der Kriegsopfer waren tatsächlich Kombattanten, die bei Kampfhandlungen fielen. Die große Mehrheit waren Zivilisten, Frauen und Kinder.

Ausgelöst wurde der Krieg durch ein gigantisches Bergbauprojekt, das durch Inwertsetzung der reichen Bodenschätze der Insel (Kupfer und Gold) einem multinationalen Bergbaukonzern Profite und dem jungen Staat Papua-Neuguinea Ressourcen für die nationalstaatliche »Entwicklung« bescheren sollte. Der lokalen Bevölkerung im Minengebiet brachte es allerdings vor allem die Zerstörung der Umwelt und die Zersetzung traditionaler Lebenszusammenhänge. Aus dem Widerstand dieser Bevölkerung und der repressiven Reaktion der Staatsorgane entwickelte sich ein Konflikt, der zu einem Krieg um die Sezession der Insel vom Staatsverband Papua-Neuguineas mutierte. Der Stein des Anstoßes, die Gold- und Kupfer-Mine Panguna, wurde in einer frühen Phase des Krieges von den Aufständischen erobert und still gelegt (1989) – und das ist die Situation bis heute.

Mit Fortdauer des Krieges trugen auf Seiten der PNG-Regierung die »Resistance Forces«, ausgerüstet und unterstützt von den PNGDF, die Hauptlast der Kampfhandlungen gegen die BRA. Die Streitkräfte der PNG-Regierung wurden zudem massiv von Australien unterstützt; ohne diese australische Militärhilfe wären die PNGDF und die »Resistance« nicht in der Lage gewesen, den Krieg so lange durchzuhalten.

Weit entfernt davon, ‚nur‘ ein Sezessionskrieg zu sein, wurden unterhalb dieser Ebene – und auf komplizierte Weise mit ihr verbunden – eine ganze Reihe weiterer Sub-Kriege ausgetragen, die sich aus überkommenen innergesellschaftlichen Konflikten ergaben. Zum Krieg »der« Bougainvilleans gegen die »fremden« Regierungstruppen kamen Gewaltkonflikte der Bougainvilleans untereinander. Traditionale Konflikte zwischen verschiedenen Clans, die sich entweder der BRA oder der »Resistance« anschlossen, wurden gleichsam unter dem Dach des »großen« Krieges gewaltsam ausgetragen, was zur »Ausfransung« des Kriegsgeschehens beitrug. Die politischen und militärischen Spitzen der Konfliktparteien hatten lediglich nominell, nicht aber faktisch die Führung »ihrer« Einheiten inne.

Ein letzter Versuch der Zentralregierung, zu einer militärischen Lösung zu gelangen, scheiterte im Frühjahr 1997 kläglich: Seinerzeit heuerte die damalige Regierung eine britisch-südafrikanische Söldnertruppe an, die von den Söldnerfirmen »Sandline International« und »Executive Outcomes« gestellt wurde, um die Panguna-Mine zurückzuerobern und die BRA zu zerschlagen. Doch Demonstrationen in der Hauptstadt Port Moresby gegen die Söldner und die Weigerung der PNGDF-Führung, mit diesen zu kooperieren, zwangen die Regierung zum Rücktritt und die Söldner außer Landes. Die nach Neuwahlen vom Juni 1997 gebildete neue Regierung sah keine Perspektive mehr in der Fortsetzung des Krieges und erklärte sich zu Verhandlungen bereit.

Waffenstillstand und Friedensabkommen

Auf Vermittlung der neuseeländischen Regierung kam es ab Juni 1997 zu einer Reihe von Gesprächen zwischen den Konfliktparteien. Hinzugezogen wurden auch RepräsentantInnen anderer gesellschaftlicher Kräfte aus Bougainville, die eine »dritte« Seite bildeten und der Kriegsmüdigkeit der Menschen Ausdruck verleihen konnten: Nichtregierungsorganisationen, vor allem Kirchen- und Frauengruppen sowie traditionale Akteure wie Clanälteste und chiefs. Im Oktober 1997 einigte man sich auf eine Waffenruhe, den so genannten »Burnham Truce«.

Die Erklärung zum »Burnham Truce« wurde nicht allein von den politischen und militärischen Spitzen der Konfliktparteien, sondern auch von VertreterInnen der Zivilgesellschaft, Kirchenleuten, Clanältesten sowie den lokalen Kommandeuren der BRA und der »Resistance« unterzeichnet. Das erhöhte ihre Verbindlichkeit und Implementierbarkeit. Im April 1998 wurde schliesslich ein „permanenter und unwiderruflicher“ Waffenstillstand verkündet, der als das Ende des Krieges gelten kann. Beendigung des Krieges bedeutet allerdings in Situationen wie auf Bougainville noch lange nicht Frieden. Vielmehr folgten nunmehr Jahre mühsamer Friedensbildung.

Ein Element hiervon war ein komplizierter, immer wieder von Verzögerungen, Rückschlägen und Unterbrechungen begleiteter Verhandlungsprozess auf der politischen Ebene. Schließlich konnte in den politischen Schlüsselfragen eine Einigung erzielt werden. Am 30. August 2001 wurde das »Bougainville Peace Agreement« (BPA) unterzeichnet. Es sah vor:

weitgehende politische Autonomie für Bougainville im Rahmen PNGs und seiner Verfassung und Wahlen zu einer Autonomieregierung;

ein Referendum über die politische Zukunft – also die Frage: Unabhängigkeit oder Verbleib bei PNG – innerhalb von 10 bis 15 Jahren nach Bildung der Autonomieregierung;

einen dreistufigen Prozess der Abgabe der Waffen und der Auflösung der bewaffneten Gruppierungen – verbunden mit dem Abzug der Regierungstruppen von der Insel.

In der Tat zogen sich die PNGDF völlig aus Bougainville zurück, und BRA und »Resistance« gaben nach und nach ihre Waffen ab.1

Von 2002 bis 2004 arbeitete eine bougeanvilleansche Verfassungskommission an einer Autonomie-Verfassung für Bougainville; mehrere Entwürfe wurden der Bevölkerung auf Bougainville vorgelegt und von dieser breit diskutiert. Im November 2004 erfolgte die Verabschiedung der Verfassung durch eine bougainvilleansche Verfassunggebende Versammlung. Im Mai und Juni 2005 dann fanden Wahlen für eine Autonomieregierung statt. Zum Präsidenten der »Autonomous Region of Bougainville« – so der offizielle Name der neuen politischen Einheit – wurde Joseph Kabui gewählt, einer der führenden politischen Köpfe der Sezessionisten. Aus nach seinem Tode notwendig gewordenen Neuwahlen ging im Dezember 2008 James Tanis als Sieger hervor, ein ehemaliger jüngerer Kommandant der BRA.

Traditionale Konfliktbearbeitung an der Basis

Die bisher angesprochenen Verhandlungen und Prozesse auf der politischen Ebene allein hätten auf Bougainville sicher nicht zu einer nachhaltigen Friedenskonsolidierung geführt. Von entscheidender Bedeutung für die Stabilisierung der Nachkriegssituation war vielmehr der Rückgriff auf traditionale Formen der Beendigung von Gewaltkonflikten und der Friedensschaffung auf der lokalen Ebene – handelte es sich bei dem Krieg doch nicht allein um einen Sezessionskrieg, sondern um ein mixtum compositum aus modernem Krieg und traditionalen Sub-Kriegen zwischen Clans, Dörfern und ethnolinguistischen Gruppen. Er wurde partiell auch nach traditionalen Regeln geführt. Deswegen konnte und musste seine Beendigung ebenfalls auf traditionalen Wegen erfolgen. Es ging nicht allein um Verhandlungen und Verständigung zwischen den politischen und militärischen Führungen der Kriegsparteien, sondern auch um (Wieder-)Annäherung und Versöhnung der Akteure »an der Basis«. Denn der Krieg war hochgradig personalisiert: Die sich bekämpfenden Parteien waren relativ kleine Einheiten, deren Mitglieder sich persönlich bzw. als Angehörige eines bestimmten Clans, einer bestimmten Familie oder einer bestimmten ethnolinguistischen Gruppe kannten. Die Kriegführung folgte der Logik der Vergeltung (»pay back«).

Ebenso wie Regeln der Kriegführung haben die traditionalen Gemeinschaften auch Verfahren der Kriegsbeendigung und Versöhnung. Diese wurden in der Übergangs- und Nachkriegsphase vielerorts praktiziert. Das wurde möglich, weil während des Krieges traditionale Institutionen und Verfahren der Konfliktregelung eine Renaissance erfahren hatten. Während des Krieges nämlich hatten sich staatliche Instanzen weitestgehend aus Bougainville zurückziehen müssen; es gab keine staatlichen Konfliktregelungsinstitutionen mehr, und dadurch eröffnete sich ein sozialer Raum für die Renaissance von »custom« und »customary law«. Vielerorts übernahmen »elders« und »chiefs«, Klanälteste und Dorfoberhäupter, die Verantwortung für die öffentliche Ordnung in ihrem lokalen Einflussbereich. Sie rekurrierten bei der Regelung von Konflikten und öffentlichen Angelegenheiten generell auf »customary ways«meist zur weitgehenden Zufriedenheit der lokalen Bevölkerung. Und so kam ihnen dann auch eine bedeutende Rolle zu, als in der Phase des Übergangs vom Krieg zum Frieden die vielfältigen lokalisierten Gewaltkonflikte beendet werden mussten.

Vor allem geht es bei traditionaler Konfliktbearbeitung um den Ausbruch aus der »pay-back«-Logik, die verlangt, dass für materielle Verluste und für Opfer auf der eigenen Seite Rache an der Gemeinschaft der Täter genommen werden muss. Das Vergeltungsprinzip, welches in einen Teufelskreis der Gewalt führt, muss durchbrochen werden. Das verlangt einen komplizierten und oft langwierigen Aushandlungsprozess, in dem autorisierte Führungspersonen der Konfliktparteien – so genannte »big men« – die Bedingungen für einen Friedensschluss herstellen. Einigung über die Interpretation der Konfliktgeschichte (was ist geschehen, wer hat was getan), die Übernahme von Verantwortung und das Eingeständnis von Übeltaten, die Bereitschaft zur Vergebung sowie schließlich die Festlegung von Kompensationen für die geschädigte Gemeinschaft sind zentrale Elemente eines solchen Prozesses. Abgeschlossen wird er mit einer festlichen Friedenszeremonie, in deren Rahmen zusammen gefeiert, gegessen, getrunken und getanzt wird, gemeinsam Betelnuss (eine beliebte leicht berauschende Droge) gekaut wird, Pfeile und Bögen symbolisch zerbrochen und vor allem die Kompensationen übergeben werden. Der Austausch von Gaben (Kompensationen) ist äußerliches Zeichen der Versöhnung. Ziel ist die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien und der sozialen Ordnung der Gemeinschaft.

Solcherart lokale Friedensprozesse wurden gestärkt durch Einbeziehung christlicher Elemente. Die Bevölkerung Bougainvilles – in der großen Mehrheit Katholiken – ist streng gläubig. Für den erfolgreichen Abschluss von Friedensprozessen sind nicht allein traditionale Friedenszeremonien, sondern in Verbindung damit auch gemeinsame Gottesdienste der ehemals verfeindeten Gruppen von hoher symbolischer Bedeutung. Schweinefest und Gottesdienst gingen zusammen. Versöhnung im christlichen Verständnis, also auf der Basis des Eingeständnisses von Schuld, der Bereitschaft zur Sühne und zur Vergebung, gilt auf Bougainville als unerlässlich für dauerhafte Friedenskonsolidierung.

Versöhnungsprozesse hat es auf Bougainville in den vergangenen Jahren vielfach gegeben; sie stehen aber mancherorts und zwischen verschiedenen Gruppen noch aus bzw. sind noch nicht abgeschlossen, brauchen sie doch in der Regel sehr viel Zeit. In der Tat ist der Prozesscharakter dieser Art von Friedensschaffung von grosser Bedeutung: es ist eine ganze Serie von Treffen, Verhandlungen, Versöhnungssignalen, Auszeiten und neuen Anläufen erforderlich, bis es zu einem Abschluss des Prozesses kommen kann. Ebenso bedeutend ist die Inklusivität: in bestimmten Phasen und bei bestimmten Gelegenheiten müssen tatsächlich alle Mitglieder der vormals verfeindeten Gemeinschaften zugegen sein, weil nur dann die Verbindlichkeit erzielter Vereinbarungen gewährleistet werden kann.

Zentrale Aspekte traditionaler Konfliktbearbeitung fanden auch Eingang in den Friedensprozess auf politischer Ebene. Zu nennen ist etwa die eben erwähnte Inklusivität. VertreterInnen der Zivilgesellschaft und traditionale Autoritäten und nicht zuletzt Frauen waren in recht großer Zahl bei allen wichtigen Konferenzen und Verhandlungsrunden zugegen. Der Einfluss von Frauen spielte eine große Rolle, haben Frauen in den matrilinear organisierten Gemeinschaften auf Bougainville doch eine traditionell starke soziale Stellung.

Bemerkenswert ist die Dauer, auf die das Projekt Friedenskonsolidierung angelegt wurde, sowohl hinsichtlich seiner einzelnen Elemente als auch des Gesamtprozesses. Die ersten bougainvilleanschen Gesprächs- und Verhandlungsrunden auf Neuseeland zum Beispiel dauerten jeweils Wochen, die neuseeländischen Gastgeber gaben keinen zeitlichen Endpunkt vor und liessen den Bougainvilleans sehr viel »freie Zeit«. Auch wurden keine Zeitvorgaben für die Abgabe der Waffen gemacht, es ergab sich ein über Jahre hin ziehender, bis heute nicht völlig abgeschlossener Prozess. Friedenskonsolidierung auf Bougainville geht nunmehr ins elfte Jahr und wird – nimmt man das angepeilte Referendum über den künftigen politischen Status der Insel als Fluchtpunkt – noch mindestens ein weiteres Jahrzehnt brauchen.

Generalisierungen – lessons learnt

Abschliessend seien sechs Aspekte herausgehoben, die als Lehren aus dem Friedenskonsolidierungsprozess auf Bougainville besonderer Beachtung wert sind und die Anregungen für ähnliche Prozesse in anderen Krisenregionen des Globalen Südens geben können.

1. Versöhnung. Der Friedensprozess auf Bougainville demonstriert die große Bedeutung der psychosozialen und emotionalen, ja spirituellen Problemdimension von Friedenskonsolidierung. Das Beispiel Bougainville zeigt, welch langwieriger, komplizierter und schmerzhafter Vorgang Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften ist. Westliche Ansätze von Konfliktbearbeitung und Friedensbildung neigen dazu, die rationale von der emotiv-spirituellen Dimension zu trennen und sich auf die rationale Seite zu konzentrieren. Die Menschen auf Bougainville nehmen diese Trennung nicht vor. Zudem tendieren westliche Ansätze zur Betonung materiellen Wiederaufbaus, politischer Lösungen und physischer Rehabilitation und zur Vernachlässigung der Versöhnungsdimension. Für die Bougainvilleans steht diese im Vordergrund. Die Verbindung traditional-spiritueller und christlicher Elemente spielte und spielt dabei für die Versöhnungsprozesse auf Bougainville eine große Rolle. Versöhnung ohne Einbezug der spirituellen Dimension ist nicht möglich. Die Geister der Ahnen und Gott müssen am Prozess teil haben.

2. Zeit. Selbst nach einem Jahrzehnt Nicht-Krieg sind die Menschen auf Bougainville noch mit dem Thema Versöhnung befasst. Zeitvorstellungen auf Bougainville unterscheiden sich ebenso wie Zeitvorstellungen in anderen Gesellschaften des Globalen Südens entscheidend vom westlichen Zeitregime. Zeit ist nicht linear, sondern zirkulär; in der Gegenwart sind Vergangenheit und Zukunft, die Geister der Ahnen und die ungeborenen Generationen, unmittelbar präsent.

3. Der gesellschaftliche Kontext. Westliche Ansätze favorisieren universale allgemein anwendbare Instrumente und Verfahren, »tool boxes« für Konfliktregelung und Friedensbildung sind beliebt. Traditionale Ansätze wie auf Bougainville sind dem gegenüber in hohem Masse kontext-spezifisch. Ein Konflikt und seine Bearbeitung können nicht losgelöst gesehen werden von der – oft viele Generationen zurück verfolgten – gemeinsamen Geschichte der Konfliktparteien, dem Gesamtzusammenhang ihrer gegenwärtigen Beziehungen und den lokalen Spezifika des jeweiligen traditionalen Umgangs mit Konflikten. Ein einzelner Konflikt lässt sich nicht isolieren, er muss stets in die Geschichte der Gesamtbeziehungen der beteiligten Gemeinschaften gestellt werden.

4. Wiederherstellende Gerechtigkeit. Konfliktbearbeitung auf Bougainville zielt auf die Wiederherstellung sozialer Beziehungen zwischen den Konfliktparteien und sozialer Harmonie in der Gemeinschaft. »Restorative justice« – wiederherstellende Gerechtigkeit – wird daher westlichen Konzepten strafender Gerechtigkeit entschieden vorgezogen.

5. Partizipation, Inklusivität und Konsensbildung. Da die gesamte Gemeinschaft für Konflikte verantwortlich ist, muss auch die gesamte Gemeinschaft in die Konfliktregelung einbezogen werden, und es muss ein von allen getragener Konsens erreicht werden. Das ist ein mühseliges und zeitaufwändiges Unterfangen. Aber die erreichten Lösungen haben den Vorteil, dass sie von allen Beteiligten mit verantwortet und getragen werden, so dass sie nicht gegen Widerstand durchgesetzt werden müssen.

6. Zeremonien und Rituale. Deren Bedeutung ergibt sich aus der Betonung der spirituellen Dimension von Konfliktbearbeitung und Friedensbildung. Sie sind nicht – wie es westlicher Sicht erscheinen mag – lediglich schmückendes Beiwerk, folkloristische Zutat zu den »eigentlich« wichtigen Verhandlungen und Vereinbarungen, sondern integraler und unverzichtbarer Bestandteil des Prozesses. Für säkularisierte westliche Gesellschaften ist das nur schwer nachvollziehbar. Im Kontext Bougainvilles ist es selbstverständlich, dass rituelle Handlungen, z.B. Heilungsrituale, Gebete und Versöhnungs- und Friedenszeremonien notwendig sind, um Frieden zu schaffen.

Dass diese Aspekte, die in der lokalen Konfliktbearbeitungskultur der sozialen Gemeinschaften auf Bougainville tief verwurzelt sind, in der post-conflict Friedensbildung einen prominenten Stellenwert hatten und dass die lokalen Versöhnungsprozesse, die dementsprechend gestaltet wurden, eng mit der »höheren« politischen Ebene verbunden wurden, war entscheidend für den Erfolg der Friedenskonsolidierung. Erst die Verbindung der vielfältigen Friedensprozesse »unten«, auf der Ebene »von Dorf zu Dorf« mit jenen »oben« verlieh den im engeren Sinne »politischen« Regelungen der »großen« Streitfragen ihre Nachhaltigkeit. Und erst die Verbindung traditionaler lokaler Konfliktregelungsverfahren mit modernen staatlich-politischen und zivilgesellschaftlichen Verfahren machte Bougainville zu einer der seltenen Erfolgsgeschichten zeitgenössischer post-conflict Friedensbildung.

Literatur

Böge, Volker (2009): Peacebuilding and State Formation in Post-Conflict Bougainville, in: Peace Review, Vol. 21, No. 1, S.29-37.

Böge, Volker (2008): A promising liaison: kastom and state in Bougainville (= ACPACS Occasional Paper No. 12). Brisbane: ACPACS.

Bougainville Constitutional Commission (2004): Report of the Bougainville Constitutional Commission. Report on the third and final draft of the Bougainville Constitution, prepared by the Bougainville Constitutional Commission. Arawa and Buka.

Bougainville Peace Agreement, 30 August 2001, in: Carl, Andy/Lorraine Garasu (eds.): Weaving consensus – The Papua New Guinea – Bougainville peace process (Conciliation Resources Accord Issue 12/2002). London: Conciliation Resources.

Carl, Andy/Garasu, Sr. Lorraine (eds.) (2002): Weaving consensus. The Papua New Guinea – Bougainville peace process (= Accord Issue 12). London: Conciliation Resources.

Howley, Pat (2002): Breaking Spears and Mending Hearts. Peacemakers and Restorative Justice in Bougainville. London – Leichhardt: Zed Books – The Federation Press.

Regan, Anthony J./Helga M. Griffin (eds.) (2005): Bougainville before the conflict. Canberra: Pandanus Books.

Wehner, Monica/Denoon, Donald (2001): Without a Gun. Australians’ Experiences Monitoring Peace in Bougainville, 1997-2001. Canberra: Pandanus Books.

Anmerkung

1) Mit Ausnahme einer Gruppierung, der »Me’ekamui Defence Force« (MDF), einer BRA-Fraktion, die sich 1998 von der BRA gelöst und dem Friedensprozess bisher nicht angeschlossen, ihn aber stillschweigend geduldet hat. Die MDF-Leute kontrollieren nach wie vor die Mine und das umliegende Gebiet, welches sie zur »no-go area« für alle Fremden erklärt haben.

Dr. Volker Böge, Friedensforscher und Historiker, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Australian Centre for Peace and Conflict Studies (ACPACS) an der University of Queensland in Brisbane, Australien. Er forscht u.a. zu Umweltzerstörung und Gewaltkonflikten, Friedenskonsolidierung in Nachkriegslagen, Staatlichkeit und Gewalt, traditionelle (nicht-westliche) Formen der Konfliktbearbeitung. Regionaler Schwerpunkt: Südpazifik und Südostasien.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2009/4 Russlands instabile Südflanke, Seite