Ziviler Widerstand – eine Erfolgsstory?
von Jürgen Nieth
Für unseren Autor Jørgen Johansen ist der zivile Widerstand in den letzten 30 Jahren erfolgreicher als der bewaffnete Kampf. Er – wie auch die meisten anderen AutorInnen in dieser Ausgabe – bezieht sich dabei vor allem auf den Kampf gegen ausländische Besatzung und für gesellschaftliche Veränderungen. Aber wie ist das mit dem zivilen Widerstand innerhalb einer Gesellschaft zur Durchsetzung politischer Ziele, von Reformen unterhalb der gesellschaftlichen Umwälzung? Wann wird hier Protest zum Widerstand und sind hier Erfolge messbar?
Werfen wir einen Blick auf die Friedensbewegung in unserem Land, ihre Entwicklung, die unterschiedlichen Aktionsformen, Erfolge und Misserfolge.
»Ohne mich« – skandierte die Bewegung gegen die Gründung der Bundeswehr und die Einbeziehung der BRD in eine (West-) Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft (EVG). »Ohne mich«, das war die angekündigte Kriegsdienstverweigerung, Teil der Bewegung gegen die Remilitarisierung. Die staatliche Macht reagierte massiv. Eine Volksbefragung wurde verboten, die Initiatoren verfolgt und die Polizeieinsätze gegen Demonstranten waren durch äußerste Härte gekennzeichnet: 1952 wurde während einer Friedensdemonstration in Essen ein Demonstrant erschossen. Politisch erlitt die Friedensbewegung damals eine Niederlage: Die Bundeswehr wurde gegründet, der EVG-Vertrag ratifiziert – als kleiner Erfolg blieb, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gesetzlich festgeschrieben werden musste.
»Kampf dem Atomtod« – »Solidarität mit Vietnam«. Die Friedensbewegung der sechziger Jahre formulierte aktiver, die dominierende Protestform blieb die Demonstration, doch zugleich gab es zunehmend Aktionen des zivilen Ungehorsams: Sitzstreiks vor Kasernentoren und Straßenblockaden. Die meisten wurden gewaltsam aufgelöst und endeten mit einer Verurteilung der Protestierenden. Auch hier nur punktuelle Erfolge der Friedensbewegung: Der Griff der Bundeswehr nach Atomwaffen scheiterte. Die USA mussten sich aufgrund der weltweiten Proteste aus Vietnam zurückziehen.
»Aufstehen – Frieden braucht Bewegung«. Das »Tu selbst etwas« entspricht der Massenbewegung für den Frieden in den achtziger Jahren. Ideenreich und vielfältig sind deren Aktivitäten: Demonstrationen bis zur Beteiligung Hunderttausender, Kultur- und Sportveranstaltungen, Menschenketten, berufsspezifische Aktionen, Unterschriftensammlungen, Volksbefragungen, Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie Blockaden und das Begehen von Militärgelände. Der staatliche Gewaltapparat reagiert widersprüchlich. Einerseits gibt es die Einkesselung von DemonstrantInnen, die gewaltsame Auflösung von Blockaden und die Verurteilung der Blockierenden. Andererseits werden später viele von ihnen rückwirkend freigesprochen und massive staatliche Gewalteinsätze – mit Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstock – werden zur Ausnahme. Das hat zwei Ursachen:
• Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung stimmt inhaltlich mit den Hauptforderungen der Friedensbewegung überein, sie ist gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen. Die Regierung hat in dieser Frage die Mehrheit verloren.
• Die Aktionen der Friedensbewegung haben eine »positiv-friedliche« Ausstrahlung. Auch bei den Aktionen des zivilen Ungehorsams wird deutlich, dass von den Protestierenden keine Gewalt ausgehen wird. Der Einsatz brutaler Gewalt von Seiten des Staates ist in dieser Situation nicht mehr legitimierbar.
Die vielfältigen Aktionsformen, deren sich die Friedensbewegung in den achtziger Jahren bediente, erleben in den Protesten gegen die beiden US-Interventionen im Irak – schwächerer bei den Balkankriegen – eine Renaissance.
Und die Erfolgsfrage? Der Sturz eines Regimes, die Befreiung von ausländischer Besatzung, sind messbare Erfolge. Ob angestrebte politische Veränderungen innerhalb eines Systems stattgefunden haben, weil eine Massenbewegung sich dafür eingesetzt hat, ist dagegen schwer feststellbar. Es bleibt aber die gut begründbare Annahme, dass die Entwicklung ohne die Friedensbewegung viel negativer verlaufen wäre.
Die Mittelstreckenraketen wurden stationiert und später wieder abgebaut. Die USA haben den Irak besetzt und sich damit weltweit isoliert. Die Bundeswehr steht am Hindukusch aber in der Verurteilung des Irakkrieges gibt es wie in der »Stationierungsfrage« eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Mehrheit der Bevölkerung und der Friedensbewegung.
Vielleicht ist das die entscheidende Messlatte: Der Gewinn der Meinungsführerschaft. Sie ist nicht die Garantie dafür, dass sich etwas verändert, aber sie ist die Voraussetzung für Veränderungen. Die Meinungsführerschaft zu behaupten und inhaltlich auszubauen – von der punktuellen zu einer umfassenden friedenspolitischen, dafür bedarf es zivilen Widerstands: Vielfältig, im Ziel übereinstimmend und gewaltfrei.
Jürgen Nieth