Zivilgesellschaft und Konflikttransformation
eine komplexe Wechselbeziehung
von Veronique Dudouet
Die Zivilgesellschaft ist heute eines der »angesagtesten« Konzepte in den Sozialwissenschaften. Die entscheidende Rolle des sogenannten »Dritten Sektors« für Entwicklung, Demokratisierung und in politischen Entscheidungsprozessen wurde zunehmend seit den späten 1980er Jahren von Wissenschaftlern bestätigt und in den 1990 Jahren auch von politischen Entscheidungsträgern und Entwicklungsorganisationen wahrgenommen1. In jüngerer Zeit ist zudem das Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Beitrag nicht-staatlicher Akteure zur Konflikttransformation und Friedenskonsolidierung erwacht.
Um die Zivilgesellschaft näher zu definieren, werden hier zunächst historisch die konzeptionellen Wurzeln der Zivilgesellschaft aufgezeigt, geklärt, welche Akteure die zivilgesellschaftliche Sphäre ausmachen und ob, normativ betrachtet, die Zivilgesellschaft grundsätzlich »gut« ist. Danach wird ihre Rolle während bewaffneter Konflikte analysiert und anschließend, inwiefern Akteure der Zivilgesellschaft zu Konflikttransformationen beitragen können und umgekehrt, wie ein Friedensprozess die Organisationsformen und die Betätigungsfelder der Zivilgesellschaft beeinflussen kann – zum Guten und zum Schlechten.2
Was und wer ist die Zivilgesellschaft?
Historisch gesehen liegen die Wurzeln des Konzepts im aufkommenden Kapitalismus des 18. und 19. Jahrhunderts als Philosophen wie Ferguson und Hegel eine Sphäre des Handelns und der sozialen Interaktion getrennt von der des Staates und des Rechts entwarfen. Auf diese Weise schufen sie die lange nachwirkende Idee einer Aufteilung der sozialen Welt in Markt und Staat. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Zivilgesellschaft als etwas aufgefasst, das getrennt von ökonomischen Interaktionen besteht. Es war der italienische Marxist Gramsci, der diese Verschiebung einleitete, indem er die Zivilgesellschaft als ein Netz kultureller Institutionen definierte, das sowohl als Mittel der Bourgeoisie eingesetzt werde, um ihre Hegemonie durchzusetzen, als auch ein Instrument der Arbeiterklasse für ihre Emanzipation und zur Aushebelung dieser Hegemonie sein könne.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts tauchte das Konzept mit unterschiedlichen Konnotationen bei Sozialwissenschaftlern und politischen Aktivisten wieder auf. In den 1980er Jahren griffen Dissidenten der autoritären Regime in Lateinamerika und Osteuropa das Konzept auf und verstanden es als eine Sphäre ziviler Autonomie gegenüber dem Staat, in der Selbstverwaltung und Demokratie gelebt werden könne. In Westeuropa und Nordamerika wurde es im Kontext zunehmender Apathie und Desillusionierung der Wählerschaft als eine Weg propagiert, die liberalen Demokratien wiederzubeleben (Putnam 2000). Mittlerweile hat die derzeitige neoliberale Globalisierung und weltweite Umweltzerstörung eine ganze Reihe neuer sozialer Bewegungen hervorgebracht, die eine transnationale Zivilgesellschaft als den Ort interpretieren, von dem aus ein im Sinne Gramscis »counter«-hegemoniales Projekt entstehen könnte.
Diese verschiedenen Interpretationen bedenkend soll Zivilgesellschaft hier als ein Bereich sozialer Interaktion verstanden werden, der am Schnittpunkt von Familie (private Sphäre), Markt (ökonomische Sphäre) und Staat (politische Sphäre) liegt. Oft wird er beschrieben anhand der in ihm beheimateten Akteure und Institutionen und dann als »Civil Society Organisations« (CSOs) bezeichnet. Ein gängiges Missverständnis besteht darin, dies mit Nicht-Regierungs-Organisationen (»Non-Governmental Organisations«, NGOs) gleichzusetzen, doch gibt es in den CSOs gewöhnlich völlig unterschiedliche organisatorische Strukturen und Akteure, deren Formalisierungsgrad, Autonomie und Einfluss stark variieren. Dazu können beispielsweise Wohlfahrtseinrichtungen, Frauen-, Jugend- und Gemeindegruppen, religiöse und traditionelle Organisationen, Berufsverbände, Gewerkschaften, diverse soziale Bewegungen, Diasporas, Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen und unabhängige Medien gehören (Van Tongeren et al 2005).
Wissenschaftler und Geberorganisationen unterscheiden oft zwischen intermediären Organisationen und solchen, die auf Mitgliedschaften beruhen, also über eine breitere soziale Basis verfügen (Community-Based Organisations, CBOs). Die Ersteren sind gewöhnlich stärker formalisiert und bieten in erster Linie anderen CSOs oder staatlichen Einrichtungen professionelle Dienstleistungen an. Im Unterschied dazu bestehen die Letzteren aus Individuen, die sich zusammengefunden haben, um ihre Interessen zu fördern. Ihnen wird gemeinhin eine größere Repräsentativität, Legitimität, Zurechenbarkeit und Unabhängigkeit zugesprochen als NGOs, die manchmal nach den Gesetzen des Marktes funktionieren oder eher personell oder institutionell mit Regierungen und ausländischen Gebern verbunden sind.
Im Hinblick auf Konflikttransformation und Friedenskonsolidierung wird die Zivilgesellschaft mit Friedensförderung, Dialog und Leistungsaufbau von NGOs assoziiert3. Aber die übermäßige Konzentration auf NGOs mit schwacher sozialer Basis wie internationale NGOs oder solche, die von der urbanen Mittelschicht getragen werden, wurde in jüngeren Studien kritisiert (Barnes 2006, Paffenholz/Spurk 2006). Deren AutorInnen schlagen dagegen andere Definitionen vor, welche alle CSOs berücksichtigen, wie sie oben aufgezeigt wurden.
Ein großer Irrtum hinsichtlich der CSOs und ihres Beitrages zur Friedenskonsolidierung beruht auf der normativen Annahme, dass eine starke Zivilgesellschaft automatisch demokratiefördernd wirkt oder zu besseren zwischenethnischen Beziehungen führt. Ganz im Gegenteil haben uns die Studien von Fischer (2006) und Belloni (2006) vor Augen geführt, dass in Bosnien Herzegowina zehn Jahre nach dem Krieg die traditionellen CSOs wie Gewerkschaften, religiöse Organisationen und Veteranenverbände immer noch tief entlang ethnischer Grenzen gespalten sind. Deshalb plädieren sie für eine umfassendere, neutralere Definition, bei der nicht nur diejenigen Gruppen zur Zivilgesellschaft gezählt werden, die sich für zivile Werte einsetzen, sondern auch solche, die eine eigennützige, gewaltsame und fanatische Art sozialer Interaktion verkörpern. Dies entspricht sowohl eher der ursprünglichen Konzeption Gramscis, nach der die Zivilgesellschaft von hegemonialen und »counter«- hegemonialen Kräften bestimmt wird, als auch Putnams Unterscheidung zwischen Brücken bauenden, konstruktiven und fesselnd-entzweienden Organisationsformen der Zivilgesellschaft.
Auch wenn die Zivilgesellschaft nicht grundsätzlich progressiv und gewaltlos sein mag, so können doch nicht-staatliche Akteure eine nützliche Rolle bei der Konfliktlösung und dem Demokratieaufbau spielen und, umgekehrt, bedarf eine starke und pulsierende Zivilgesellschaft eines funktionierenden, friedlichen und demokratischen Staates.
Die Zivilgesellschaft während bewaffneter Konflikte
Bewaffnete Konflikte stellen gleichzeitig einen mobilisierenden und hemmenden Faktor für die Zivilgesellschaft dar. Staatliche und soziale Gewalt erzeugen einerseits Angst und Einschüchterung der Bevölkerung, zerstören ihren sozialen Aufbau und beeinträchtigen die Möglichkeiten freiwilliger sozialer Initiativen. Andererseits gibt sie den Anstoß für die Gründung von CSOs der Betroffenen, die sich gegen die Gewalt und für den Frieden einsetzen. In Kriegszeiten nimmt zivilgesellschaftliche Mobilisierung entweder die Form einer informellen sozialen Bewegung mit Massenbasis an oder die kleiner gemeinschaftsbasierter Organisationen, die sich oft um einen herausragenden charismatischen Führer scharen. Solche Akteure können verschiedene Aktivitäten zugunsten von Frieden, Gerechtigkeit oder Demokratie anstoßen, die dann im Rahmen eines vertikalen Ansatzes entsprechend ihrer Verbindungen zum Staat oder der politischen Sphäre kategorisiert werden können, oder aber im Rahmen eines horizontalen Ansatzes, der die Zivilgesellschaft in den Interaktionen innerhalb einer Gemeinschaft oder zwischen Gemeinschaften verortet.
Die Beziehungen zwischen politischer und sozialer Sphäre sind oft komplex und manchmal auch widersprüchlich, und zwar insbesondere in Situationen langwieriger Konfliktaustragung und teilweisen Zusammenbruchs des Staates. Versuchen CSOs zum einen, Bürger vor der politischen Gewalt und den Menschenrechtsverletzungen durch den Staat zu schützen, so bemühen sie sich zum anderen, politische Akteure zu unterstützen, indem sie ihre Kapazitäten zur Durchsetzung von Recht stärken und eine friedliche Konfliktlösung durch Dialog und Verhandlungen fördern. Diese sich ergänzenden Rollen können nach Pfaffenholz/Spurk (2006) wie folgt beschrieben werden: Erstens bilden sie mit ihrer Menschenrechtsarbeit, Forschung und Fürsprache ein Gegengewicht zu der Macht zentralisierter Gewalt. Diese Rolle wird in der Regel von Think-Tanks, unabhängigen Medien und internationalen NGOs wahrgenommen. Zweitens üben sie durch Massenproteste und Mobilisierung gegen Gewalt und Menschenrechtsverletzungen und für Frieden und Gerechtigkeit öffentlichen Druck aus. Drittens erleichtern und kanalisieren sie die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft oder verfeindeten Parteien mit Hilfe interner Mediation, Lobbying, Politikberatung und Schulung für Führungspositionen.
Außerdem erfüllt die Zivilgesellschaft horizontale Funktionen, also solche gegenüber ihrer eigenen Gemeinschaft und der weiteren Gesellschaft. Die wichtigste wird die »partizipatorische Sozialisation« (Merkel/Lauth 1998) genannt und bezieht sich auf Aktivitäten, die eine Konflikttransformation begünstigen können durch eine erhöhte soziale Kohäsion, veränderte Wahrnehmungen, öffentliche Diskurse und die Überbrückung von Gräben zwischen Gemeinschaften. Dazu gehören Trainingsprogramme zur gewaltfreien Konfliktlösung, Projekte zur Dialogförderung und solche, bei denen sich über die Konfliktlinien hinweg Menschen mit gemeinsamen Merkmalen zusammengetan haben (Frauen, Jugend etc.), oder solche mit gemeinsamen Konflikterfahrungen (Ex-Kombattanten, Hinterbliebene, Politikberater etc.); Bildungsprogramme, die mit Hilfe von Informationen und Schaffung von Problembewusstsein den Frieden fördern sollen; kulturelle friedensfördernde Programme, die die Denkweise de-militarisieren sollen und solche der Aussöhnung. Während die Gewalt noch anhält, kommt den Dienstleistungen zivilgesellschaftlicher Akteure eine wichtige Funktion zu (Paffenholz/Spurk 2006), denn tatsächlich sind sie es, die Aufgaben der Nothilfe und der Befriedigung der Grundbedürfnisse übernehmen, denen der geschwächte Staat nicht nachkommt. Dazu gehört Hilfe bei der Versorgung mit Nahrung und Unterkunft, medizinische Versorgung, rechtliche Hilfen, Traumaberatung, Bildungsmöglichkeiten usw. Die intermediären NGOs werden dabei als die effizienteren angesehen aufgrund ihrer Unabhängigkeit, Flexibilität, Glaubwürdigkeit und Unparteilichkeit (Fischer 2006).
Der Beitrag zu Friedensprozessen und -konsolidierung
Friedensverhandlungen und demokratische Übergänge werden oft als Prozesse beschrieben, die von Eliten initiiert und durchgeführt werden, während die sozialen Organisationen, die nicht am bewaffneten Kampf beteiligt waren, ausgegrenzt werden (Wanis-St.John 2008). In der Tat bekommen zivilgesellschaftliche Gruppen selten einen Platz am Verhandlungstisch, um den meist Repräsentanten der Konfliktparteien wie Regierungsvertreter und Anführer von Rebellentruppen sitzen. Der »Osloer Friedensprozess« zwischen Israelis und Palästinensern fand beispielsweise in den frühen 1990er Jahren unter dem Vorwand, dass Übereinkünfte nur in geheimen Verhandlungen hinter geschlosenen Türen erreicht werden könnten, praktisch ohne wirklich öffentliche Debatten oder Mitwirkung der Öffentlichkeit statt.
Allerdings haben neuere Forschungen die verzerrte Wahrnehmung hinsichtlich der Rolle der Eliten korrigiert (Barnes 2006). So fand eine quantitative Studie heraus, dass in den letzten vierzig Jahren rund 70% der demokratischen Übergänge eher auf zivilen Widerstand mit Massenbasis als auf Initiativen von der Führungsebene zurückzuführen sind (Karatnycky/Ackerman 2005). Verhandlungen zwischen Konfliktparteien und politische Reformen, die mit einem Friedensprozess einher gehen, eröffnen eine einzigartige Möglichkeit, verschiedene Sektoren der Zivilgesellschaft zu mobilisieren und ihnen Gehör zu verschaffen, um den Frieden zu unterstützen. Die Schaffung von Beratungsgremien für außerparlamentarische Organisationen wie etwa die »Civil Society Assembly« in Guatemala oder die Friedenskomitees in Südafrika begünstigen den Gebrauch von Beratungstaktiken nichtstaatlicher Akteure. Auch innerhalb der CSOs stellt dies einen enormen Antrieb dar, über Konfliktlösungsszenarien zu diskutieren. Dies erhöht den öffentlichen Druck auf die Konfliktparteien, einen umfassenden Friedensvertrag auszuhandeln und trägt dazu bei, die Öffentlichkeit auf die anstehenden, notwendigen Kompromisse vorzubereiten.
Wenn Kriege, die gröbsten Ungerechtigkeiten und staatlichen Repressionen erst einmal beendet sind, müssen die Beziehungen zwischen Zivilgesellschaft und politischer Sphäre neu definiert werden. So verlieren beispielsweise Proteste und Mobilisierung gegen Gewalt und Menschenrechtsverletzungen einen Großteil ihrer Bedeutung, sobald das autoritäre Regime durch demokratische Regierungsstrukturen ersetzt worden ist. Tatsächlich wird es dann für viele CSOs zu einer Herausforderung ihre Aktivitäten aufrecht zu erhalten, ihnen nicht-oppositionelle Formen zu geben und durch andere zu ersetzen, wie Lobbyarbeit bei Institutionen und gemeinschaftliche Partnerschaften für die Politikgestaltung einzugehen. Dies ist zum Beispiel in Südafrika der Fall, wo viele frühere Anti-Apartheid CSOs heute eng mit der ANC geführten Regierung verbunden sind und nun versuchen, ihre sich ergänzenden Rollen als »Wachhunde«, Verfechter, Berater, Partner und Auftragnehmer zu kombinieren. Obgleich diese koordinierten Anstrengungen unabdingbar sind, um parallel den Staat und die Zivilgesellschaft zu stärken, können sie doch dazu führen, dass sie die Befähigung der Zivilgesellschaft verhindern, eine kritische und unabhängige Stimme für den Fall zu bewahren, dass sie nochmals notwendig werden sollte.
Horizontale Funktionen, wie die Bildung einer autonomen sozialen Sphäre des Dialogs oder die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bevölkerungen in Not, besitzen eine fortwährende Priorität in Prozessen der Erholung und Entwicklung in Nachkriegsgesellschaften. Eher spezielle Aktivitäten zur Konfliktlösung an der Basis, wie Projekte zur Dialogförderung, zur Schlichtung bei Konflikten in den Gemeinschaften oder Friedenserziehung, werden zunehmend in der Phase der Friedensumsetzung populär, oft mit einer Betonung auf Versöhnung, »Vergangenheitsbewältigung« und Kriminalitätsprävention.
»Professionalisierung oder Untergang«
Die meisten der CSOs, die während eines bewaffneten Konflikts entstanden sind, sehen sich in der Zeit nach Friedensabkommen durch Prozesse sozialer De-Mobilisierung und/oder Professionalisierung organisatorischen Herausforderungen gegenüber. Viele der früheren zivilgesellschaftlichen Aktivisten entscheiden sich dazu, sich in anderen Sektoren des sozialen Lebens zu engagieren, werden von der neuen demokratischen politischen Sphäre völlig in Anspruch genommen oder gehen in den privaten Sektor. Diese relative soziale De-Mobilisierung schafft eine ernste Personalkrise für den gemeinnützigen Bereich zusätzlich zu der ideologischen Krise aufgrund des Verlustes ihres ursprünglichen raison d‘ètre: Frieden und Demokratie sind nun kein Ideal mehr, für das man kämpfen muss, sondern werden nach und nach eine Realität, die konsolidiert und geschützt werden muss.
Aber die am weitesten verbreitete Form der Umgestaltung von zivilgesellschaftlichen Gruppen in Nachkriegszeiten führt zu einem Institutionalisierungsprozess, vom freiwilligen Engagement in sozialen Bewegungen im Untergrund hin zu einer professionellen, stromlinienförmigen NGO mit erweiterten Budgets und Angestellten. Dieser Wechsel geht oft mit einer Krise der technischen Ressourcen einher und die meisten der zivilgesellschaftlichen Akteure sind für die neuen professionellen Fähigkeiten, die eine Friedenskonsolidierungsarbeit erfordert, nicht ausgebildet.
Und schließlich sehen sich diese Organisationen auch finanziellen Herausforderungen gegenüber. Oft profitieren CSOs in Konfliktzeiten von großzügiger ausländischer Hilfe, die ihre Aktivitäten finanzieren bis ein Friedensabkommen unterzeichnet ist. In Nachkriegssituationen jedoch ändern ausländische Geber ihre Förderpolitik und beginnen direkt mit den demokratischen Regierungen zusammen zu arbeiten oder ziehen sich von dem Schauplatz zurück und ziehen weiter zu anderen Konfliktzonen. Das Resultat ist ein stark geschrumpfter Finanzierungspool für den nichtstaatlichen Sektor und das Ersetzen der ausländischen Hilfe durch staatliche Förderung kann zu einer Instrumentalisierung oder Kooption der NGOs durch das politische Establishment führen. Darüber hinaus werden diejenigen, die weiterhin auf ausländische Hilfe angewiesen sind, verpflichtet, sich den neuen Prioritäten ihrer Geber und strengeren Auflagen anzupassen, indem sie kurzfristige Aktivitäten, die messbare Resultate bringen, in den Mittelpunkt rücken, und den von außen auferlegten Agenden auf Kosten der lokalen Bedürfnisse und Prioritäten folgen. Aus diesen Gründen prangern Friedenswissenschaftler diesen, die lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen entmachtenden Effekt internationaler Einmischung an, der sowohl zu einem Verlust von Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit führt als auch zu einer Verlagerung des zivilen Engagements an der Basis hin zu einer »Kommerzialisierung der Friedensarbeit« (Paffenholz/Spurk 20006, Fischer 2006). In einem solchen Kontext der zunehmenden Abhängigkeit von öffentlichen Verträgen und ausländischer Hilfe wird für heutige CSOs in Nachkriegssituationen die wichtigste Herausforderung, an der Konsolidierung demokratischer und effizienter staatlicher Strukturen mitzuarbeiten, gleichzeitig eine starke Bindung zu ihrer Basis und eine unbeugsame Haltung sowohl gegenüber der privaten als auch der politischen Sphäre aufrecht zu erhalten.
Literatur
Accord (2002): Owning the process – Public participation in peacemaking. Accord, An International Review of Peace Initiatives, Vol.13. London, Conciliation Resources.
Barnes, Catherine (2006): Agents for Change: Civil Society Roles in Preventing War and Building Peace. The Hague, Global Partnership for the Prevention of Armed Conflict, http://www.gppac.org/documents/GPPAC/Research/Issue_papers_2006_-_2007_/2_Agents_for_Change.pdf
Belloni, Roberto (2008): Civil Society in War-to-Democracy Transitions, in: Anna Jarstad and Timothy D. Sisk (Eds.): From War to Democracy. Cambridge: Cambridge University Press, S.182-210.
Fischer, Martina (2006): Civil Society in Conflict Transformation: Ambivalence, Potentials and Challenges. Berghof Handbook for Conflict Transformation, Berlin: Berghof Research Center for Constructive Conflict Management.
Karatnycky, Adrian und Peter Ackerman (2005): How Freedom is Won. From Civic Resistance to Durable Democracy, International Journal of Not-for-Profit Law 7(3), http://www.icnl.org/knowledge/ijnl/vol7iss3/special_3.htm.
Merkel, Wolfgang und Hans-Joachim Lauth (1998): Systemwechsel und Zivilgesellschaft. Welche Zivilgesellschaft braucht die Demokratie?, Aus Politik und Zeitgeschichte 6(7), S.3-12.
Paffenholz, Thania und Christopher Spurk (2006): Civil Society, Civil Engagement and Peacebuilding. Social Development paper No. 36, World Bank, http://siteresources.worldbank. org/INTCPR/Resources/WP36_web.pdf.
Putnam, Robert D. (2000): Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. New York: Simon & Schuster.
Van Tongeren, Paul, Malin Brenk, Marte Hellema und Juliette Verhoeven (2005): People Building Peace II: Successful Stories of Civil Society, Boulder: Lynne Rienner.
Wanis-St.John, Anthony, (ed.) (2008): Peace processes, Secret Negotiations and Civil Society, Special issue of International Negotiations, 13(1).
Anmerkungen
1) So gibt es in der akademischen Welt mehrere Zentren, die sich ausschließlich mit dem Phänomen der Zivilgesellschaft beschäftigen (z.B. Civil Society Center at the London School of Economics/www.lse.ac.uk/collection/CCS, University of California/www.spa.ucla.edu/ccs/ und die John Hopkins University/www.jhu.edu/~ccss/). Im politischen Bereich hat die Weltbank die Zusammenarbeit mit NGOs geradezu zu einem ihrer Mantras erhoben (www.worldbank.org/civilsociety) und die Europäische Kommission startete in den 1990er Jahren ein »Civil Dialogue« Programm.
2) Dieser Artilel basiert auf der Studie von Veronique Dudouet »Surviving the Peace: Challenges of War-to-Peace Transitions for Civil Society Organisation«. Berghof Report 16, www.berghof-center.org/uploads/download/br16e.pdf
3) In den letzten Jahren sind auf transnationaler Ebene diverse Netzwerke von NGOs entstanden, die im Bereich der Friedensarbeit tätig sind, so zum Beispiel das »Global Partnership for the Prevention of Armed Conflict« (www.gppac.net), das »European Peacebuilding Liaison Office« (www.eplo.org) oder das »International Action Network on Small Arms« (www.iansa.org).
Dr. Veronique Dudouet forscht am Berghof Research Center for Constructive Conflict Management in Berlin Übersetzung: Sabine Korstian