Zu einigen Argumenten der Freunde der Rüstungsforschung
Das Exempel TH Aachen
von Rainer Rilling
Die Technische Hochschule Aachen ist unbestreitbar ein Zentrum universitärer Rüstungsforschung, nur vergleichbar mit dem Münchner Forschungskomplex.
Für eine im Dezember 1983 von MSB, SHB und GEW publizierte Broschüre „Rüstungsforschung an der RWTH Aachen“ befaßte sich vor allem mit dem Institut für Luft- und Raumfahrt und seinem Leiter, Prof. Staufenbiel veröffentlichte 1979 in der Schriftenreihe des BMVg (FBWT 79 – 28) einen Bericht „Zur Flugmechanik von RPVs“ (Remotely Piloted Vehicles). Er hatte – zuvor lange Jahre bei VFW-Fokker – im Auftrag einer Tochterfirma von VFW im Windkanal der RWTH Modellversuche durchgeführt eine RPV-Weiterentwicklung wird heute von MBB produziert. RPVs sind waffentechnologisch mit den Cruise Missiles eng verwandt.
1. „An unserer Hochschule oder an anderen bundesdeutschen Universitäten wird keine Rüstungsforschung betrieben“ (Rektor Prof. G. Urban, Aachener Volkszeitung, 7. 12. 1983). Diese Aussage widerspricht den Angaben in den Weißbüchern des BMVtdg wie den Bundesberichten Forschung des BMFT. Ebenso den in diesem Informationsdienst wiedergegebenen Angaben, die im wesentlichen Publikationen des BMVtdg entnommen sind, die allgemein zugänglich sind. Bestenfalls geht es hier um Sprachkosmetik: es gebe Verteidigungs-, nicht aber Rüstungsforschung. Wie „Verteidigung“ ohne Rüstung möglich ist, bleibt offen. Freilich: Es existiert durchaus ein Erfassungsproblem. Was ist Rüstungsforschung? Daß wissenschaftliche Forschung zu Ergebnissen führt, die für militärische Zwecke verwandt werden können, macht diese Forschung nicht von vorneherein zur Rüstungsforschung. Dies ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Wenn daher das amerikanische Verteidigungsministerium bei der Charakterisierung der militärischen Forschung in der UdSSR von „military R & D“ und „military-related R & D“ spricht, kann es unschwer den weitaus größten Teil des sowjetischen Wissenschaftspotentials als „indirekte“ militärische Forschung klassifizieren – eine Verfahrensweise übrigens, die es bei der Darstellung des amerikanischen FuE-Potentials nicht anwendet. Möglich erscheint uns gegenwärtig nur eine intentionale/funktionale Bestimmung, wie sie auch den offiziellen Darstellungen und z. B. der umfangreichen Analyse des SIPRI von 1972 (S. 211) zugrundeliegt:
„1. jede FuE, die durch die Haushaltsausgaben eines „Verteidigungsministeriums“ (oder einer vergleichbaren Verwaltungseinheit) finanziert werden und
2. jede andere FuE, die durch Ministerien und Behörden finanziert wird und offiziell als FuE bezeichnet wird, die für die Zwecke des Militärs, der Verteidigung oder Zivilverteidigung durchgeführt werden oder sich hauptsächlich mit Waffen befassen.“
Die Charakterisierung der vom BMVtdg finanzierten Forschung an den Hochschulen als militärische Forschung folgt daher dem 1. Teil der vom SIPRI benutzten Definition. Keineswegs ist damit eine unmittelbare, praktische Anwendung wissenschaftlichen Wissens für militärische oder rüstungstechnologische Zwecke impliziert.
2. Bei den infrage stehenden Projekten gehe es um Grundlagenforschung, die per se nichts mit militärischen Zwecksetzungen und Anwendungsweisen zu tun haben könne (Aachener Nachrichten 07.12.1983). Nicht selten – wie auch im Falle Aachen – sind solche Argumente sachlich unzutreffend und es handelt sich in Wirklichkeit um ganz konkrete anwendungsbezogene Projekte. Die Bedeutung der Grundlagenforschung ist innerhalb der Rüstungsforschung der Bundesrepublik zweifellos geringer, als in den USA. Sie wird offiziell mit rund 1% des Ressourceneinsatzes angegeben. Solche Größenordnungen machen es äußerst unwahrscheinlich, daß an den Hochschulen nur Grundlagenforschung betrieben wird. Doch auch wenn es sich um „Grundlagenforschung“ handeln sollte, bleiben zumindest zwei Fragen offen: ist es gerechtfertigt, in der grundlagenorientierten bzw. angewandten Forschung zwei vollständig unterschiedliche Forschungstypen zu sehen, die miteinander nichts zu tun haben, aufeinander nicht einwirken, durch eine unübersteigbare Mauer voneinander getrennt sind? Kein Wissenschaftstheoretiker würde heute solches noch behaupten – und auch nur noch wenige unter den kenntnisreichen Rüstungsforschern. „There are no Boundaries between basic and applied research.“(Edward Teller, NRL Report 8426 v. 24.09.1980, S.20). Und ebenso bleibt dann die Frage offen, warum sich das Militär und die Rüstungsindustrie denn eigentlich die Mühe der Finanzierung machen, wenn ihnen das geförderte Vorhaben nichts einbringt? Wenn sich manche Wissenschaftler auch einbilden mögen, ihre Wissenschaft sei gleichsam rein und zwecklos, ungerichtet und ohne praktische Zielsetzung, so haben ihre Auftraggeber und Finanziers solche Ideen nicht. Auf einem Symposium der American Association für the Advancement of Science am 08.01.1980 erklärte in einer Rede zum Thema „Why Basic Research in DOD?“ George Gamota (als Under Secretary of Defense für Research and Engineering höchster, für die Rüstungsforschung zuständiger Beamter des Department of Defense): „I cannot single out any major basic-research effort in almost any field, particularly a new field, that could be categorically ruled out as potentially irrelevant to DOD. Our job is to (…) ensure that adequate funding is provided in areas of potential interest to DOD (…) we work very hard in applying basic-research ideas to defense needs (…) The DOD basic-research philosophy is to support areas of science and engineering of interest to DOD emphasizing targets of opportunity (…) Limiting our objectives in science would therefore he very counterproductive to our long-range goal of being technologically superior in the world. We would he very short-sighted if our program was directed only to the solution of today's military problems. Military utility may come from all areas of science and engineering.“ (NRL Report 8426, S. 3 f.). Eine solche Argumentation ist – ganz anders als die Illusion der Wissenschaftler – auf der Höhe der Zeit. Sie reflektiert durchaus die grundlegende Veränderung, sie sich im Verhältnis von Wissenschaft und Kriegswesen spätestens in unserem Jahrhundert vollzogen hat – eine Veränderung, die nicht von der Wissenschaft, sondern von modernen Militärwesen ausgeht. Kriege zu führen und zu gewinnen erfordert heute die vollständige Mobilisierung aller Ressourcen, die eine Gesellschaftsordnung aufzubieten hat. Krieg ist in der Tendenz maßlos, total. Alles ist potentiell kriegswichtig. Diese Logik kennzeichnet auch die Relation Wissenschaft-Krieg: der Zugriff auf die Wissenschaft ist potentiell umfassend, er läßt keine Disziplin, Wissenschaftsrichtung, Konzeption oder Forschungsstufe – z.B. Grundlagenforschung – aus.
3. „Es gibt also keinerlei Geheimberichte, die als Vorbedingung für Rüstungsrelevanz anzusehen sind.“(AN 01.12.1983, Prof. Staufenbiel). „Kriegsforschung kann man keiner Hochschule übergeben, die keine Geheimhaltung kennt.“(Rektor Prof. G. Urban, AVZ 07.12.1983). Auch diese Argumentation wird der vielfältigen Erscheinungsweise, in der sich Rüstungsforschung heute zeigt, keineswegs gerecht. Ein großer Teil der von Militär und Rüstungsindustrie finanzierten Forschung ist nicht geheim und dennoch militärisch relevant. Militärische Anwendbarkeit und Geheimhaltung setzen sich keineswegs wechselseitig voraus. Andererseits aber gilt: die Ausdehnung militärischer Forschung geht immer mit dem verstärkten Drang zur Geheimhaltung, zur Zensur und Einschränkung von Publikationen, Meinungs- und Bewegungsfreiheit zusammen. Die Entwicklung in den USA seit dem Amtsantritt der Regierung Reagan zeigt diesen Zusammenhang. Er hat zu einer der schärfsten wissenschaftspolitischen Auseinandersetzungen seit Jahren geführt, an der sich fast alle Sektoren der amerikanischen Wissenschaft beteiligten.
4. „Aber es liegt nicht in unserer Hand, wofür die Forschung angewandt wird (…) Forschungsaufträge und Forschungsmittel aus Bundes- und Landesministerien unterliegen der Kontrolle durch die Regierungen und Parlamente.“(Rektor Prof. G. Urban, AVZ 7.12.1983). Auch diese Behauptungen legen eine zumindest dreifache Gegenrede nahe. Sie unterscheiden, daß Wissenschaftler an den Entscheidungsprozessen über die Definition der gesellschaftlichen Probleme, bzw. praktischen Anforderungen, die dann von ihnen wissenschaftlich zu bearbeitende Probleme transformiert werden, ebenso unbeteiligt seien wie an der Entscheidung über Anwendungsweisen und -felder von wissenschaftlichen Ergebnissen. Unterschlagen wird hier der seit dem II.Weltkrieg sich vollziehende Aufstieg von Teilen der Wissenschaftselite in zentrale politische Entscheidungs- und Machtpositionen, für den der Aufstieg der amerikanischen Physikerelite das bekannteste historische Exempel ist. Von einer Macht- und insofern Verantwortungslosigkeit zu reden heißt nichts anderes, als die wesentlichen Veränderungen im Verhältnis von Wissenschaft und Politik zu ignorieren und- eine liberale Wissenschaftsideologie zu propagieren, deren Zentralthese von der Trennung beider Bereiche ohnehin nie der Realität entsprach. Auf der anderen Seite freilich kommt die Behauptung, daß Wissenschaft auf die militärischen Anwendungen der Ergebnisse ihrer Forschung keinen Einfluß hätten und daher auch nicht verantwortlich (zu machen) seien, durchaus einem herrschenden Idealbild des fügsamen Wissenschaftlers entgegen. In der Programmbroschüre des Pentagon zur Grundlagenforschung heißt es dazu: „A final word on relevance: we find that too often good ideas are never brought to DOD´s attention because the researcher does not see an immediate „military application“. This ist unfortunate, since the extramural researcher is not usually the person who should make this determination. We in DOD interested in all good ideas, and it is the responsibility of the scientific programm managers, not the researcher, to decide on the applicability of a particular research project.“
Das Bild, das die verantwortlichen Forschungspolitiker des Pentagon hier von ihren Vertragspartnern zeichnen, ist das des fügsamen, leicht lenkbaren, verantwortungslosen, fachidiotischen, erfinderischen Zwergs, von Wissenschaftlern, die den Märchenerzählungen von der parlamentarischen Kontrolle der Forschungspolitik andächtig lauschen und sich dann beruhigt wieder ihren Experimenten und Meßgeräten zuwenden.
Die Friedensbewegung unter den Wissenschaftlern zeigt, daß solche Forscher inzwischen in der freien Hochschullandschaft der freien Welt immer seltener vorkommen. Womöglich sterben sie mitsamt ihren tödlichen Ideen aus?
Dr. Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Marburg und Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftler.