W&F 1984/5

Zu militärpolitischen Aspekten des Bundeshaushaltes 1985

von Forum Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung

I. Stationierungskosten von Pershing II Raketen und Cruise Missile

Für alle in Westeuropa zu stationierende Systeme wird der Posten von der Bundesregierung mit 540 Millionen DM veranschlagt. Die Gelder sind von allen NATO Staaten entsprechend ihrer Beteiligung am Infrastrukturprogramm aufzubringen. Der Anteil der Bundesrepublik beträgt 26,5 Prozent.

Den Steuerzahler wird die Stationierung von Pershing II Raketen und Marschflugkörpern also 143,1 Millionen DM kosten. Der Betrag wird im nächsten und in den kommenden Haushaltsjahren fällig sein. Der Anteil für 1985 findet sich in der Titelgruppe 01 (NATO-Infrastruktur), Kapitel 22 (Bewilligung im Rahmen der Mitgliedschaft zur NATO und zu anderen internationalen Organisationen), Einzelplan 14 (Bundesminister der Verteidigung).

Empfehlung: Rücknahme des Beschlusses zur Stationierung von Pershing II und Cruise Missile; Streichung der Gelder.

II. Entwicklung von Marschflugkörpern

Die Bundesrepublik entwickelt gemeinsam mit den USA und Großbritannien einen Marschflugkörper, der von Flugzeugen wie dem Tornado oder der F 111 abzuschießen sein wird. Der Flugkörper soll mit konventioneller Munition ausgerüstet werden und eine Reichweite zwischen 100 und 600 Kilometern haben. Die Stationierung auf Flugzeugen würde die Reichweite bis in strategische Größenordnungen erhöhen. Im augenblicklichen Entwicklungsstadium trägt der Flugkörper den Namen Long-Range-Stand-Off-Missile (LRSOM). Politisch ordnet sich das Forschungsvorhaben in das Air Land Battle Konzept (Luft-Land-Schlacht) ein. Die neuen Waffensysteme der NATO sollen danach bis tief in die Länder des Warschauer Pakts hineinreichen, um im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung Versorgungs- und Nachschubstaffeln zu zerstören.

Die Vereinigten Staaten und Großbritannien sind Atommächte, und es würde bei einer Stationierung der Flugkörper technisch nicht möglich sein zu entscheiden, ob sie einen konventionellen oder atomaren Sprengkopf tragen. Diese Waffe würde ohnehin schon schwierige Verhandlungen über atomare Abrüstung in Europa noch komplizierter, wenn nicht gar unmöglich machen (am Problem der Überprüfbarkeit hat sich auch eine Kontroverse zwischen Kongreß und Senat um die Stationierung konventioneller Cruise Missile für die US Marine entzündet).

Die im nächsten Jahr fälligen Kosten für Forschung und Entwicklung finden sich im Kapitel 20 (Wehrforschung…) des Einzelplan 14 (Bundesminister der Verteidigung). Eine Fachzeitschrift gibt für die Gesamtentwicklung eine Summe von 400 Millionen und für die spätere Anschaffung von 500 Flugkörpern 1,5 Milliarden DM an.

Empfehlung: Entwicklung einstellen; Streichung der Gelder.

III. Atomtaugliche Panzerhaubitzen

Gemeinsam mit italienischen und britischen Partnern hat die Bundesrepublik eine NATO-einheitliche Panzerhaubitze vom Kaliber 155 Millimeter entwickelt. Mit der Produktion der Panzerhaubitze 155-1 soll im Haushaltsjahr 1985 begonnen werden.

Die Haubitze ist ein neues Atomwaffenträgersystem. Sie eignet sich selbstverständlich auch zum Verschießen konventioneller Munition, entscheidend ist jedoch ihre atomare Kapazität. In der Bundesrepublik lagern nach Angaben US amerikanischer Kongreßkreise ca. 1000 Atomgranaten des entsprechenden Kalibers.

Die Reichweite der Panzerhaubitze 155-1 wird nur 24 bis 30 Kilometer betragen, so daß die mit ihr verschossenen Atomgranaten über die Landesgrenzen kaum hinaus kämen.

Im Lehrbuch der US Armee 100-30 „Konventionell-atomare Operationen“ ist nachzulesen, daß kurzreichweitige (taktische) Atomwaffen grundsätzlich nicht einzeln, sondern als „Pakete“ eingesetzt werden sollen. Es findet sich dort das Planspiel der Operation „Zebra“, bei der zur Zurückschlagung eines drohenden Durchbruchs von Warschauer Pakt Truppen innerhalb von 90 Minuten 141 Atombomben gezündet werden, von denen 14 über dem Territorium der DDR und 127 über dem der Bundesrepublik Deutschland explodieren. Neben anderen Systemen, wie z. B. „Lance“ Raketen, wären Haubitzen vom Kaliber 155 Millimeter an solchen Einsätzen beteiligt.

Diese Planungen haben mit Verteidigung nichts mehr gemeinsam, eher schon mit einer Strategie der verbrannten Erde. Allein durch das bei den Atombombenexplosionen freiwerdende nicht gespaltene Plutonium wird der „verteidigte“ Landstrich völlig verseucht und unbewohnbar werden, und die massenhafte Explosion der Atomwaffen wird die zu schützende Zivilbevölkerung zum größten Teil töten. Mit solchen Waffen würde alles zerstört, was verteidigt werden sollte.

Zu ergänzen ist, daß in den USA bereits 1000 produzierte Neutronenbomben des Kalibers 155 Millimeter lagern, und daß ein Großteil der chemischen Waffen der USA in Depots auf bundesdeutschem Boden Munition dieses Kalibers ist. Auch diese hätten keine höhere Reichweite als 30 Kilometer und würden vor allem unserer Zivilbevölkerung großen Schaden zufügen.

Der Einsatz atomarer und chemischer Waffen durch die NATO in der Bundesrepublik verstieße auch gegen ein völkerrechtliches Abkommen, das im Deutschen Bundestag gerade zur Ratifikation ansteht: das Zusatzprotokoll 1 von 1977 zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949. Artikel 51 schützt die Zivilbevölkerung und verbietet „unterschiedslose Angriffe“, also den Einsatz von Waffen, die nicht zwischen angreifenden Soldaten und der Zivilbevölkerung unterscheiden. Atomare und chemische Massenvernichtungsmittel wären nur in „unterschiedslosen Angriffen“ verwendbar und verstießen gegen diesen Völkerrechtsvertrag, der 1977 von der Bundesregierung unterzeichnet wurde.

Empfehlung: „Sofortiges Einfrieren der atomaren Rüstung in Ost und West“ heißt konkret, die Produktion der Panzerhaubitze 155-1 nicht aufzunehmen Streichung der Gelder.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/5 1984-5, Seite