Zum Krieg – im Krieg – gegen den Krieg
von Jürgen Nieth
»1914 – Die Avantgarden im Kampf«. Unter diesem Titel befasst sich eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn mit der modernen Kunst vor dem und im Ersten Weltkrieg. Sie präsentiert vom 8. November 2013 bis zum 23. Februar 2014 über 300 herausragende Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen sowie dokumentarische Fotografien von 60 der wichtigsten Künstler und Künstlerinnen Europas. Unter ihnen viele, die vor dem Krieg international einen engen Austausch miteinander gepflegt hatten und ihre Werke in vielen Ländern Europas ausstellten. KünstlerInnen, die sich in Vereinigungen zusammengeschlossen hatten, wie der »Blaue Reiter«, die von vornherein international angelegt waren, und die häufig über die Landesgrenzen hinweg eng befreundet waren. 1914 standen sie sich dann »im Feld« oder mit ihrem Wirken in der Etappe gegenüber.
Viele Künstler warnten in der Vorkriegszeit vor den Gräueln des Krieges, z. B. der Österreicher Alfred Kubin mit seinen Werken »Der Krieg« und »Nach der Schlacht«; andere Künstler entzogen sich dem Krieg und arbeiteten gegen ihn, wie Frans Masereel.
Doch viele andere beflügelten mit ihren Werken den »Patriotismus«, so Lovis Corinth, der sich selbst 1914 kriegsbereit im Harnisch portraitierte. KünstlerInnen wie Ernst Barlach, Käthe Kollwitz und Max Liebermann fertigten in Deutschland Lithografien für die Künstlerflugblätter »Kriegszeit«. Auf russischer Seite veröffentlichte Kasimir Malewitsch eine Reihe von Propagandablättern. In Italien oder Frankreich finden wir ähnliche Entwicklungen.
Und es gab jene, die »verschont« blieben, wie Pablo Picasso, der als Spanier, oder Henri Matisse, der aus gesundheitlichen Gründen nicht eingezogen wurde. Einige waren auch zu alt, wie Emil Nolde. Doch sie waren die Ausnahme. Die Mehrheit der Künstler zog mit unterschiedlichen Motiven aber freiwillig in den Krieg:
- mit Begeisterung, wie z. B. Franz Marc, der im Krieg ein „selbstgewolltes Opfer“ sah (S.24);
- aus Sorge, sonst als Drückeberger bezeichnet zu werden, wie Oskar Kokoschka, der befürchtete, es wird „eine ewige Schande sein […], zu Hause gesessen zu haben“ (S.25);
- manche auch, um den Krieg zu erleben, ohne selbst zu kämpfen, wie Max Beckmann, der als freiwilliger Krankenpfleger in einem Lazarett arbeitete.
70 Millionen Soldaten nahmen am Ersten Weltkrieg teil, mehr als jeder Achte kam dabei um. Rund fünf Millionen Tote wurden nicht einmal identifiziert (ihnen ist ein gesonderter Ausstellungsteil gewidmet, »Vermisste Söhne – der Krieg als Akt der Auslöschung«).
Doch die barbarischen Gemetzel hinterließen ihre Spuren, die existenziellen Seinserfahrungen stießen ein neues Bewusstsein an. Viele der nach 1914 entstandenen Gemälde und Zeichnungen der Kriegsfreiwilligen und -unterstützer müssen heute als Ablehnung der Gewalt, als Antikriegsposition gesehen werden. Deutlich wird das u.a. bei Oskar Kokoschka, der vom Kriegsfreiwilligen zum Pazifisten wurde. Noch 1916 wurde er als »Kriegsmaler« der militärischen Propagandazentrale Österreich-Ungarns zugeordnet, ein Jahr später zeichnet er seine »Kriegsmappe«, die wahrscheinlich aufgrund der kompromisslosen Anklage gegen den Krieg damals nicht veröffentlicht wurde.
Der älteste Sohn von Käthe Kollwitz starb in der frühen Kriegsphase. Es hat die Künstlerin, deren Arbeiten ich immer als einheitliches Werk gegen Elend und Gewalt gesehen habe, bis zum Ende ihres Lebens nicht losgelassen, dass sie zusammen mit ihrem Mann die freiwillige Kriegsmeldung ihres Sohnes befürwortet hatte.
Einigen blieb nicht die Zeit für eine Korrektur ihrer Position: August Macke fiel schon am 26.9.1914 in Frankreich, und Franz Marc starb am 04.3.1916 bei Verdun.
Durch die extremen Erfahrungen des Krieges wandten sich viele Künstler aber nicht nur neuen Themen zu, sie veränderten auch ihre bildnerischen Verfahren. Kriegsgegner emigrierten in die neutrale Schweiz und gründeten 1916 »Dada« als internationale Protestbewegung. Sie forderten eine sich von allem Alten befreiende Kultur. Andere setzten gegen Ende des Krieges immer stärker auf Abstraktion.
Die großzügige und eindrucksvolle Präsentation der Ausstellung wirft einen politischen Blick auf das Wirken der Künstlerinnen und Künstler vor dem und im Ersten Weltkrieg und dokumentiert die damit verbundenen kunstgeschichtlichen Entwicklungen. Sie enthält viele Werke, die man nur selten zu sehen bekommt. Vor allem aber lohnt ein Besuch, weil diese Ausstellung Zusammenhänge und Entwicklungsprozesse erkennen lässt.
Unbeantwortet bleiben muss die Frage, warum sich so viele Künstler 1914 für den nationalistischen Wahnsinn begeistern ließen, obwohl sie vorher die Chance hatten, Völker verbindende Erfahrungen zu sammeln.
Anmerkung
Die Seitenzahlen beziehen sich auf den Ausstellungskatalog »1914 – Die Avantgarden im Krieg«, hrsg. von der Bundeskunsthalle Bonn, Buchhandelsausgabe erschienen bei Snoeck, 352 S.
Jürgen Nieth ist Mitglied der Redaktion von Wissenschaft und Frieden.