W&F 2016/3

Zur Allgemeinen Verunsicherung

von Christoph Bongard

Vor zweieinhalb Jahren forderten der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin und der Außenminister in München eine neue Rolle Deutschlands in der Welt. Der Tenor lautete: In Zukunft will Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen. Mit dem Mitte Juli vom Bundeskabinett verabschiedeten »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« liegt nun, wie Ministerin von der Leyen bei der Bundespressekonferenz betonte, „das gesammelte Konzept der Bundesregierung, das die neue Grundhaltung widerspiegelt,“ vor.

Bei einem Blick auf die „Herausforderungen für die deutsche Sicherheitspolitik“ wird deutlich, dass es tatsächlich vieler unterschiedlicher Antworten bedarf – am allerwenigsten jedoch militärischer. Der Anspruch eines Konzeptes wird mitnichten erfüllt. Hierfür wäre es konsequent gewesen, Rolle, Aufgaben und Fähigkeiten der Bundeswehr klar einzugrenzen und enge Kriterien für den Einsatz militärischer Mittel festzulegen.

Stattdessen ordnet das Weißbuch unterschiedlichste globale Herausforderungen – einschließlich des Klimawandels, der Migration oder sogar der Gesundheitsvorsorge – in ein Gesamt-Bedrohungsszenario ein. Auf diese Weise werden alle möglichen Politikfelder der Sicherheitspolitik zu- und untergeordnet. Die Tür ist damit für militärische Optionen weit aufgemacht. Und das Spektrum reicht dann vom Einsatz zur Sicherung unserer (!) Handelswege und Rohstoffversorgung über die Bekämpfung von Pandemien bis hin zur Terrorismusbekämpfung. Neu ist das verschärfte Plädoyer für den Einsatz der Truppe im Inneren: Mit „nachhaltiger Resilienz“ soll unsere Gesellschaft in den wehrhaften Modus versetzt werden und sich auf Abwehr einstellen.

Während im alten Weißbuch 2006 »nur« die Rede war von einer zunehmenden Überschneidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, wird jetzt die Notwendigkeit hybrider Analyse und Verteidigungsfähigkeit herausgehoben. In Kombination mit dem neuen und vielfachst im Weißbuch hervorgehobenen Betätigungsfeld Cybersicherheit lösen sich Raum, Zeit und Akteursabgrenzungen vollständig auf. Unsicherheit kennt keine Grenzen, das entspricht ihrer inneren Logik.

Ein positiver Gestaltungsanspruch für die Weltpolitik, wie man ihn von einem Land, das international mehr Verantwortung übernehmen möchte, erwartet, ist in diesem Weißbuch kaum zu finden. Auf die Herausforderungen der im Weißbuch beschriebenen multipolaren Welt, in der die internationale Ordnung nicht länger maßgeblich vom Westen diktiert werden kann, wird vor allem mit der Versicherung in westlichen Verteidigungsbündnissen (NATO und Europäische Union) reagiert. Viel angemessener wäre die Andeutung einer Lernbereitschaft Deutschlands (und seiner westlichen Bündnispartner), wie man internationale Kooperation auch bei geringerer globaler Dominanz aktiv gestalten kann – andere Länder haben hier einen Erfahrungsvorsprung.

Fazit: Das Weißbuch entwirft eine Sicherheitspolitik, die langfristig nicht mehr Sicherheit durch Bewältigung der Ursachen von Gewalt, sondern mehr Unsicherheit durch einseitige Bedrohungsabwehr befürchten lässt. Wer wie die AutorInnen des Weißbuchs offenbar immer noch Militäreinsätze für eine effektive Strategie zur Terrorabwehr hält, hat keine Strategie zum Schutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger. Da wird einem um unsere Sicherheit wirklich bange.

Der Blick richtet sich nun auf das Auswärtige Amt. Unter seiner Federführung werden bis Frühjahr 2017 die »Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung« erarbeitet. Bevor der interministerielle Abstimmungsprozess beginnt, an dessen Ende auch hier die Verabschiedung durch das Bundeskabinett erfolgt, findet ein hoffentlich das Wort und die Mühe verdienender Debattenprozess statt. Wird es dort gelingen, den im Weißbuch benannten aber nicht umgesetzten Friedensauftrag des Grundgesetzes auszuformulieren? Wird dort eindeutig geklärt, dass die internationalen Herausforderungen nur mit zivilen Mitteln gemeistert werden können? Dem gruselig anmutenden Weltbild des Weißbuchs muss eine konstruktive Vision zur Gestaltung der Welt entgegengesetzt werden. Die positiven Prozesse der Nachkriegszeit – Rüstungsbegrenzung, Ende des Kalten Krieges, Wiedervereinigung, Nachhaltigkeitsagenda etc. –, an denen das Auswärtige Amt jeweils maßgeblich beteiligt war, sind nicht aus Angst und Defensive entstanden, sondern aus positiven Zukunftsvisionen und Gestaltungswillen und aus der Fähigkeit, Perspektiven des Gegenübers einzunehmen.

Christoph Bongard leitet die Abteilung Kommunikation des Forum Ziviler ­Friedensdienst und ist Mitglied des SprecherInnenrats der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/3 Politischer Islam, Seite 5